| Titel: | Ueber die Zusammensetzung der Rohsoda und den bei der Anwendung von Le Blanc's Verfahren stattfindenden Verlust an Natrium; von H. Scheurer-Kestner. | 
| Fundstelle: | Band 197, Jahrgang 1870, Nr. LXXXIX., S. 347 | 
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                        LXXXIX.
                        Ueber die Zusammensetzung der Rohsoda und den bei
                           								der Anwendung von Le Blanc's Verfahren stattfindenden Verlust
                           								an Natrium; von H. Scheurer-Kestner.
                        Aus den Comptes rendus,
                              									t. LXX p. 1352; Juni 1870.
                        Scheurer, über die Zusammensetzung der Rohsoda etc.
                        
                     
                        
                           Aus meinen seit mehreren Jahren sortgesetzten UntersuchungenPolytechn. Journal Bd. CLXXIII S. 130, Bd. CLXXV S. 290, Bd. CLXXX S. 51, Bd.
                                       											CLXXXV S. 214. ergibt sich, daß die Rohsoda wesentlich kohlensaures Natron, Schwefelcalcium
                              									und Calciumoxyd enthält, und zwar in dem Verhältnisse von 1 1/4 bis 1 1/2 Molecül
                              									Calcium auf 1 Mol. Natrium. Außerdem enthält die Rohsoda alle fremdartigen
                              									Substanzen, welche durch die unreinen Rohstoffe zugebracht worden sind, z.B.
                              									Kieselsäure, Thonerde, Eisen oxyd, überschüssige Kohle etc.
                           Werden die wässerigen Lösungen der Rohsoda von dem
                              									Schwefelcalcium-Niederschlag getrennt und durch einen Strom von Kohlensäure
                              									gesättigt, so fetzen sie einen weißen Niederschlag von kieselsaurer Thonerde ab,
                              									welcher bei der Analyse folgende Zusammensetzung zeigte:
                           
                              
                                 
                                 Gefunden.
                                 Berechnet.
                                 
                              
                                 Kieselsäure
                                 32,3
                                 32,7
                                 
                              
                                 Thonerde  
                                 43,4
                                 44,0
                                 
                              
                                 Wasser   
                                 23,9
                                 23,3
                                 
                              
                                 entsprechend der Formel: Al²O³,
                                    											3SiO³ + 6H²O.
                                 
                              
                           Läßt man die auf diese Weise behandelte Flüssigkeit wiederholt krystallisiren, so
                              									erhält man in den Mutterlaugen den größeren Theil der löslichen fremdartigen
                              									Substanzen. Ich habe in den rückständigen Flüssigkeiten außer den
                              									Sauerstoffverbindungen des Schwefels auch selensaures
                                 										Natron und Schwefelcyannatrium gefunden. Das
                              									Selen rührte von der Schwefelsäure her, welche zur Darstellung des zur
                              									Sodafabrication dienenden Glaubersalzes angewendet wurde; dieselbe war durch Rösten
                              									der Kiese von Chessy, welche stets etwas selenhaltig sind, gewonnen worden.
                           Das Schwefelcyannatrium rührt entweder von der Einwirkung der Luft auf die
                              									schmelzflüssige Soda her, oder von derjenigen des Stickstoffes der Steinkohle welche
                              									zur Reduction gedient hat. Der Gegenwart des Schwefelcyannatriums in der Rohsoda muß man den
                              									ammoniakalischen Geruch zuschreiben, welchen die Rohsodakuchen verbreiten, wenn sie
                              									während des Erkaltens der feuchten Luft ausgesetzt sind.
                           Zur Nachweisung dieser Verbindung in der Rohsoda behandelt man dieselbe mit Alkohol.
                              									Die erhaltene Lösung ist etwas gefärbt, entweder roth oder gelb, ohne Zweifel durch
                              									Spuren von krokonsaurem und rhodizonsaurem Natron; durch Verdampfen derselben
                              									erhielt ich aus 100 Grm. Rohsoda 73 Milligrm. Schwefelcyannatrium.
                           Zur Aufsuchung des selensauren Natrons versetzt man die Mutterlaugen mit der Lösung
                              									eines Bleisalzes, bis sich kein gefärbter Niederschlag mehr bildet. Zersetzt man
                              									dann das unlösliche Bleisalz durch Schwefelwasserstoff, so erhält man eine Masse
                              									welche beim Glühen die charakteristischen violetten Selendämpfe verbreitet.
                           Diese Substanzen finden sich in der normalen Rohsoda; wurde dieselbe überhitzt, so
                              									enthält sie Schwefelnatrium NaS, welches durch die Reaction des schwefelsauren
                              									Natrons auf das Schwefelcalcium entstanden ist:
                           2CaS + NaO, CO² = 2NaS + CaO + CO.
                           Verluste an Natrium während der Darstellung der Soda.
                              									– In der Fabrikpraxis wird bei Anwendung des Le
                                 										Blanc'schen Verfahrens bei Weitem nicht das Ausbringen an Natron erzielt,
                              									welches die Berechnung ergibt. Es finden Verluste an Natrium statt. Dieselben sind
                              									von mehreren Chemikern einer Verflüchtigung von metallischem Natrium während des
                              									Schmelzens der Rohsoda im Sodaofen zugeschrieben worden,Unger constatirte, daß bei einer Operation der
                                    											fünfte Theil des Natriums verschwand. Auch Stromeyer hat bei seinen Versuchen über die Anwendung des
                                    											Verfahrens von Emil Kopp (Behandlung des
                                    											schwefelsauren Natrons mit Kohle und Eisenoxyd) die Verflüchtigung von
                                    											Natrium constatirt. da das in Form von löslichem Salze in den Rückständen verbleibende Natrium
                              									nicht hinreicht den Gesammtverlust zu repräsentiren.
                           Die Sodarückstände enthalten stets eine gewisse Menge von
                              									löslichen, aber auch von unlöslichen Natronsalzen, daher die bei der Sodafabrication
                              									entstehenden Verluste durch mehrfache Ursachen veranlaßt werden können: 1) durch
                              									Verflüchtigung von Natrium im Sodaofen; 2) durch die in Folge unvollständigen
                              									Auslaugens in den Schwefelcalcium-Rückständen zurückbleibenden löslichen
                              									Natronsalze; 3) durch die in denselben Rückständen zurückbleibenden unlöslichen
                              									Natronverbindungen; 4) durch die mit den Flüssigkeiten und den Salzen in den
                              									Fabrikräumen auszuführenden Manipulationen.
                           
                           Um die Menge des im Sodaofen sich verflüchtigenden Natriums bestimmen zu können, muß
                              									man mit Rohstoffen von genau bekannter Zusammensetzung arbeiten und den
                              									Natriumgehalt des erhaltenen Productes ermitteln.
                           Versuche dieser Art sind bereits von Usiglio gemacht
                              									worden, welcher mir die Hauptresultate derselben mittheilte und mich ermächtigte,
                              									dieselben mit den Ergebnissen meiner eigenen Untersuchungen zu veröffentlichen. Die
                              									von Usiglio angewendete Methode war vortrefflich und ich
                              									brauchte nur die in seinen Notizen enthaltenen Anweisungen zu befolgen, um den Zweck
                              									zu erreichen.
                           Von den drei in den Sodaofen eingesetzten Materialien, Glaubersalz, Kreide und
                              									Steinkohle wurden zunächst mit größter Sorgfalt Durchschnittsproben gezogen und
                              									diese möglichst genau gewogen; dasselbe geschah mit Durchschnittsproben des
                              									erhaltenen Productes. Die Analysen der Rohstoffe, verglichen mit denen der
                              									erhaltenen Rohsoda, ergaben durch Rechnung den Verlust, welcher durch Verflüchtigung
                              									im Sodaofen stattfindet.
                           Usiglio's Versuche führten, wie die meinigen, zu dem
                              									Schlusse daß bei der Umwandlung des schwefelsauren Natrons zu Rohsoda eine
                              									Verflüchtigung von metallischem Natrium nicht stattfindet. Alles im Sulfate
                              									ursprünglich vorhandene Natrium ist noch in der erhaltenen Rohsoda enthalten. Wenn
                              									jedoch die Temperatur der geschmolzenen Rohsoda etwas zu weit getrieben wurde, so
                              									hat sich eine gewisse Menge Chlornatrium verflüchtigt.
                           Von 1216 Kilogrm. Natrium, welche in 3965 Kilogr. schwefelsaurem Natron enthalten
                              									waren, fand ich in den erhaltenen 6558 Kilogr. Rohsoda die ganze Quantität (1216
                              									Kilogr.) wieder.
                           Usiglio hat sowohl in den Rohstoffen, als auch in dem
                              									erhaltenen Producte das Verhältniß zwischen dem Calcium, dem Schwefel und dem
                              									Natrium bestimmt, und erhalten:
                           
                              
                                 
                                 In den Rohstoffen.
                                 In der Rohsoda.
                                 
                              
                                 Natrium
                                   31,68
                                   31,49
                                 
                              
                                 Calcium
                                   45,66
                                   45,62
                                 
                              
                                 Schwefel
                                   22,66
                                   22,89
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––
                                 ––––––––
                                 
                              
                                 
                                 100,00
                                 100,00
                                 
                              
                           Für den Fall einer Verflüchtigung von Natrium müßte man annehmen daß die drei
                              									Elemente, Natrium, Calcium und Schwefel, sich genau in denselben Verhältnissen
                              									verflüchtigen.
                           Es ist daher durch diese zwei Versuche bewiesen, daß während der Schmelzung im
                              									Sodaofen keine Reduction von Natronsalzen zu Natrium unter den gewöhnlichen
                              									Verhältnissen stattfindet. Wir müssen daher die Quellen der Natriumverluste, welche
                              									man täglich beobachtet, anderswo suchen. Dieselben haben ihren Ursprung
                              									hauptsächlich in den Sodarückständen.
                           Die vom Auslaugen der Rohsoda durch Verdrängung der Flüssigkeiten herrührenden
                              									Rückstände enthalten gewöhnlich nicht über 1 Proc. löslicher Natronsalze; ihr Gehalt
                              									an unlöslichen Natriumverbindungen hingegen ist sehr verschieden. So z.B. fand Unger
                              									Polytechn. Journal, 1847, Bd. CIV S. 50. in den Rückständen der Ringkuhler Sodafabrik 1,06 Proc. Natrium in Form von
                              									löslichen und unlöslichen Salzen, während Kopp
                              									Polytechn. Journal, 1866, Bd. CLXXX S. 136. in denen der Fabrik zu Dieuze 4,36 Proc., Brown
                              									Philosophical Magazine, vol. XXXIV p. 15; polytechn. Journal, 1849, Bd. CXI S.
                                    											343. in denen der Fabrik zu Cassel 1,01 Proc. und Muspratt in den Newcastler Rückständen 1 bis 2 Proc. fand.
                           Ich ließ etwa 4000 Kilogrm. Sodarückstände mahlen und vermengen, und zog davon eine
                              									Durchschnittsprobe, welche getrocknet und analysirt wurde; sie enthielt:
                           
                              
                                 Natrium in unlöslichem Zustande
                                 1,67 Proc.
                                 
                              
                                       „    
                                    											in löslichem Zustande
                                 0,17   „
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––––––
                                 
                              
                                 Im Ganzen
                                 1,84 Proc. Natrium.
                                 
                              
                           Bei einem anderen, mit der gleichen Quantität von Rückständen ausgeführten Versuche
                              									erhielt ich folgende Resultate:
                           
                              
                                 unlösliches Natrium
                                 0,99 Proc.
                                 
                              
                                 lösliches          „
                                 0,43   „
                                 
                              
                                 
                                 –––––––––––
                                 
                              
                                 Im Ganzen
                                 1,42 Proc. Natrium.
                                 
                              
                           Da die Rohsoda etwa 60 Proc. Rückstände gibt und 18,65 Proc. Natrium enthält, so
                              									resultirt daraus ein Verlust von ungefähr 5 Proc. Natrium, welches in den
                              									Rückständen in Form von unlöslichen Verbindungen enthalten ist.
                           Ueber die Natur dieser Verbindung weiß man noch Nichts. Die bläuliche Farbe der
                              									Rückstände würde vielleicht die Annahme rechtfertigen, daß sie etwas Ultramarin
                              									enthalten. Kopp (a. a. O.) hat sie als Schwefelnatrium in
                              									Rechnung gebracht; Brown (a. a. O.) hat sie bei der einen
                              									seiner Analysen als kohlensaures Natron, bei der anderen als Schwefelnatrium
                              									berechnet. Die Differenzen zwischen den Ergebnissen der mit der Rohsoda abgeführten
                              									Laboratoriumversuche und den Resultaten welche man durch das Auslaugen in den
                              									Fabriken erhält, scheinen darauf hinzudeuten, daß ein Theil des Natriums durch
                              									längeren Contact, bei Gegenwart von Wasser, mit den in den Rückständen enthaltenen Sulfureten, unlöslich
                              									wird.
                           Aus meinen Untersuchungen ergibt sich also:
                           1) daß beim Schmelzen der Rohsoda eine Reduction der Natronsalze zu metallischem
                              									Natrium nicht stattfindet;
                           2) daß die Verluste zum grüßten Theile von den unlöslichen Natriumverbindungen
                              									herrühren, welche sich in den Sodarückständen bilden; dieser Verlust scheint nicht
                              									viel unter 5 Proc. zu bleiben, zuweilen aber noch größer zu seyn.