| Titel: | Bericht über die in England angewandten Verfahren zum Reinigen von Schleusenwässern auf chemischem Wege behufs der Düngergewinnung. | 
| Fundstelle: | Band 197, Jahrgang 1870, Nr. XCV., S. 373 | 
| Download: | XML | 
                     
                        
                        XCV.
                        Bericht über die in England angewandten Verfahren
                           								zum Reinigen von Schleusenwässern auf chemischem Wege behufs der
                           								Düngergewinnung.
                        Ueber Reinigung von Schleusenwässern auf chemischem
                           								Wege.
                        
                     
                        
                           In dem kürzlich veröffentlichten Berichte der im I. 1868 von der englischen Regierung
                              									ernannten Kommission zur Ermittelung der besten Verfahren zur
                                 										Verhütung der Verunreinigung von Flüssen werden unter Anderem auch die
                              									bisher unternommenen Versuche besprochen, die Schleusenwässer auf chemischem Weg zu
                              									reinigen und deren nutzbare Bestandtheile in transportabler, marktgängiger
                              									Beschaffenheit zu gewinnen. Diese Bestandtheile sind erstens verschiedene
                              									Stickstoffverbindungen, und zweitens die Phosphorsäure. Den Geldwerth derartiger in
                              									100 Tonnen = 2000 Ctr. Schleusenwässer von durchschnittlicher Beschaffenheit gelöster Theile schätzen die Commissäre auf circa 15 Sh.= 5 Thlr., den der suspendirten nur auf circa 2 Sh.= 2/3 Thlr.
                              									Die suspendirten Theile lassen sich ohne große Schwierigkeit durch Filtriren
                              									abscheiden; dieses einfache Verfahren hat sich aber, da die suspendirten Theile
                              									weniger als 1/7 der gesammten nutzbaren Bestandtheile ausmachen, niemals rentabel
                              									erwiesen; es läßt auch viele fäulnißfähige organische Substanzen in der Lösung, so
                              									daß die darnach behandelten Schleusenwässer, wenn auch etwas, so doch nur wenig an
                              									ihrer schädlichen Beschaffenheit verlieren. Man hat daher andererseits vielmehr auf
                              									die gelösten Bestandtheile zu wirken gesucht, theils indem man sie in fester Form
                              									zur Verwendung als Dünger ausfällte, theils indem man sie durch Desinfectionsmittel
                              									unschädlich zu machen suchte. Diese Versuche sind zwar nicht vollständig ohne Erfolg
                              									geblieben, doch ist es nicht gelungen, Schleusenwasser von durchschnittlicher
                              									Beschaffenheit so weit zu reinigen, daß es ohne Nachtheil in fließendes Wasser
                              									abgelassen werden kann.
                           Mehrere chemische Reinigungsprocesse beobachteten die Commissäre in der Ausführung.
                              									Zunächst die Reinigung mit Kalk, der in großem Maaßstab
                              									in Tottenham zur Fabrication von sogen. Schleusenwasserguano (Tottenham sewage guano), in Blackburn und namentlich in Leicester zur
                              									Bereitung eines unter dem Namen „Leicester Ziegel“ (Leicester bricks) bekannten Düngemittels angewendet
                              									wird. An allen diesen Orten hat das Verfahren entschiedene Mißerfolge ergeben, in
                              									Bezug sowohl auf die Fabrication von Dünger, wie auf die Reinigung der
                              									Schleusenwässer, die so
                              									ungenügend erfolgt, daß die Zulassung der behandelten Wässer in Flüsse durchaus
                              									unstatthaft erscheint. Das Verfahren, wie es z.B. in Leicester ausgeführt wird,
                              									besteht sehr einfach darin, daß die Schleusenwässer mit Kalkmilch in gewissem
                              									Verhältniß gemischt und die Mischung auf ihrem Weg zu großen Absatzbehältern durch
                              									geeignete Maschinen kräftig umgerührt wird. In den Behältern bildet sich ein
                              									reichlicher Absatz sehr fäulnißfähigen Schlammes, während die Flüssigkeit in
                              									verhältnißmäßig klarem, wenn auch etwas milchigem Zustand abfließt. Der Boden der
                              									Absatzbehälter ist von zwei gegenüberliegenden Seiten aus nach der Mitte geneigt;
                              									von einer hier befindlichen Rinne aus wird der Schlamm durch ein Eimerwerk nach
                              									Gruben geführt, wo er theils durch Verdunstung, theils durch Einsaugung des Bodens
                              									trocknet. – Ein zweites Verfahren ist der sogen. ABC-Proceß, welcher
                              									nach Beschreibung der Patentträger W. C. und B. G. Sillar
                              									und W. G. Wigner in Folgendem besteht. „Dem
                                 										Schleusenwasser wird eine Mischung folgender Bestandtheile zugesetzt: Alaun,
                                 										Blut, Thon, Magnesia oder eine Verbindung derselben, vorzugsweise mit
                                 										Kohlensäure oder Schwefelsäure, mangansaures Kali oder eine andere
                                 										Manganverbindung, gebrannter, Thon, Kochsalz, Knochenkohle, Holzkohle und
                                 										dolomitischer (kohlensaure Magnesia enthaltender) Kalkstein. Von diesen
                                 										Substanzen können die Manganverbindung, der gebrannte Thon, das Kochsalz und der
                                 										dolomitische Kalkstein weggelassen werden und es ist nicht wesentlich, daß
                                 										gleichzeitig Knochen- und Holzkohle angewendet wird. Die Verhältnisse der
                                 										einzelnen Bestandtheile hängen von der Beschaffenheit der zu reinigenden
                                 										Schleusenwässer ab; im Allgemeinen haben folgende gut entsprochen:
                              								
                           
                              
                                 
                                    Alaun
                                      600 Thle.
                                    Gebrannter Thon
                                    25 Thle.
                                    
                                 
                                    Blut
                                          1  
                                       												„
                                    Kochsalz
                                    10    „
                                    
                                 
                                    Thon
                                    1900    „
                                    Knochenkohle
                                    15    „
                                    
                                 
                                    Magnesia
                                          5  
                                       												„
                                    Holzkohle
                                    20    „
                                    
                                 
                                    mangansaures Kali
                                        10   „
                                    dolomitischer Kalkstein
                                      2    „
                                    
                                 
                              
                           
                              Das Gemisch wird dem Schleusenwasser so lange zugesetzt, bis ein weiterer Zusatz
                                 										keinen Niederschlag mehr bewirkt; für 1000 Gallons (à 4,5 Liter) Schleusenwasser sind etwa 4 Pfd. nöthig. Nach
                                 										gründlicher Mischung läßt man die Wässer in Absatzbehälter fließen, wo sich dann
                                 										die verunreinigenden Bestandtheile derselben rasch in Form von großen Flocken
                                 										abscheiden und zu Boden setzen, während die Flüssigkeit ganz oder fast ganz klar
                                 										und geruchlos wird. Der Absatz vermag eine weitere Menge Schleusenwasser zu
                                 										fällen und kann für diesen Zweck 5 oder 6 mal benutzt werden. Zuletzt läßt man
                                 										ihn trocknen; wenn er theilweise trocken ist, setzt man ihm etwas Säure, am
                                 										besten Schwefelsäure zu, um alles Ammoniak in löslicher Form zurückzuhalten. Getrocknet
                                 										bildet dieser Rückstand einen werthvollen Dünger.“
                              
                           Ueber diesen Proceß bemerken die Commissäre, daß er, trotz des Verlustes an
                              									stickstoffhaltigen Bestandtheilen, einen festen Dünger von weit größerem Werth als
                              									die Behandlung mit Kalk gebe, hauptsächlich weil bei der letzteren in Folge der
                              									alkalischen Beschaffenheit der Masse das Ammoniak verloren gehe. Nach Ausweis der
                              									Analysen ist der nach Sillar's Methode erhaltene Dünger
                              									bedeutend reicher als der durch Kalk erhaltene nicht nur an Ammoniak, sondern auch
                              									an anderen Stickstoffverbindungen, sowie an Phosphorsäure. Freilich wird in
                              									denselben auch Phosphorsäure in nicht näher bekannter Menge durch die Knochenkohle
                              									eingeführt. – Die Resultate der Versuche mit dem Kalkverfahren und Sillar's Methode werden dahin zusammengefaßt, daß 1)
                              									beide in fast gleicher Weise die in Schleusenwässern suspendirten Stoffe zum großen
                              									Theil entfernen, 2) daß Sillar's Verfahren die im Wasser
                              									gelösten festen Theile vermehrt, den Gehalt an fäulnißfähigen organischen Substanzen
                              									aber verringert. Das Kalkverfahren verringert den Gehalt an gelösten festen
                              									Bestandtheilen ebenso wie an fäulnißfähigen organischen Theilen; die Verminderung
                              									der letzteren ist in beiden Fällen etwa die gleiche, d.h. sie beträgt etwas über die
                              									Hälfte. 3) Beide Verfahren genügen nicht, um Schleusenwasser soweit zu reinigen, daß
                              									es in laufendes Wasser abgelassen werden darf. 4) Für die Fabrication von festem
                              									Dünger aus Schleusenwasser ist Sillar's Verfahren weit
                              									besser geeignet als das Kalkverfahren, obgleich damit auch nur ein Theil der
                              									gesammten verwerthbaren Bestandtheile gewonnen wird.
                           In Northampton werden die von einer Bevölkerung von 40,000 Seelen herrührenden
                              									Schleusenwässer mit Kalk und Eisenchlorürchlorid behandelt. Auf je 1 Mill. Gallons
                              										(à 4,5 Liter) dieser Wässer werden zuerst 12
                              									Bushels (à 36,3 Liter) Kalk und dann etwa 6
                              									Gallons Eisenchlorürchlorid, bei heißer Witterung mehr, bei kalter weniger,
                              									zugeführt. Die gereinigten Wässer werden dann einer aufsteigenden Filtration durch
                              									eine 8 Zoll dicke Schicht von geröstetem Eisenerz unterworfen; abgesehen von der
                              									dadurch bewirkten Abscheidung der suspendirten Theile, welche auch durch Absetzen
                              									erreicht werden könnte, dürfte aber diese letzte Operation so gut wie nutzlos seyn.
                              									Die abfließenden Wässer gelangen durch eine circa 1 1/2
                              									engl. Meile lange Abflußschleuse, in der sie mit etwa 1/6 ihres Volumen Quellwasser
                              									vermischt werden, in fast klarem und anscheinend unschädlichen Zustand in den
                              									Nen-Fluß. Etwa 1/3 engl. Meile unterhalb des Einmündepunktes konnten die
                              									Commissäre in dem Flusse keine Fungusbildung oder sonstige Zeichen der
                              									Verunreinigung entdecken. Die Analyse zeigt aber, daß die in den Fluß gelassenen Wässer noch eine bedeutende
                              									Menge fäulnißfähiger organischer Theile gelöst enthalten; die Commissäre sind daher
                              									der Ansicht, daß der Eintritt der Fäulniß durch den Zusatz von Eisenchlorid nur
                              									verzögert, nicht aber verhindert werde, daher unterhalb des Beobachtungspunktes
                              									statthaben müsse. Der Nenfluß wird auch wirklich schließlich in Folge der Einführung
                              									der Schleusenwässer faulig und ist letztere daher vom 1. Juni 1870 an verboten
                              									worden. Das Eisenchlorürchlorid wird in der Fabrik selbst hergestellt und kostet 6
                              									Pfd. Sterl. pro Tonne (2 Thlr. pro Ctr.); eine untersuchte Lösung ergab in 100,000 Thln. einen Gehalt von
                              									4413,7 Thln. Eisenchlorid und 9124,3 Thln. Eisenchlorür.
                           Eine andere Reinigungsweise, die sogen. Bird'sche, mit
                              									roher schwefelsaurer Thonerde und nachfolgender Filtration durch Kohks wird in
                              									Stroud, Gloucestershire, ausgeführt. Hier werden täglich 150,000 bis 200,000 Gallons
                              									Schleusenwasser mit 6 Ctr. gepulvertem Thon behandelt, dem einige Tage vorher 120
                              									Pfd. Schwefelsäure zugesetzt worden sind. Die Schleusenwässer beaufschlagen ein
                              									kleines Wasserrad, welches den Zutritt der rohen schwefelsauren Thonerde aus einem
                              									Trichter regulirt. Die damit versetzten Wässer fließen nach einem Absatzgefäß und
                              									dann unter einem zweiten Trichter weg, aus dem sie einen weiteren Zusatz von
                              									schwefelsaurer Thonerde erhalten. Dann fließen sie in ein Absatzgefäß und darauf
                              									durch drei Kohksfilter. Die Kohks werden in dem ersten Filter alle vierzehn Tage und
                              									in dem letzten jeden Monat erneuert; die gebrauchten Kohks werden zur Kesselfeuerung
                              									benutzt.
                           Im Ganzen lassen sich die Resultate der Reinigung von Schleusenwässern auf chemischem
                              									Wege wie folgt zusammenfassen:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 197, S. 376
                              Von den gelösten organischen
                                 										Bestandtheilen werden durchschnittlich entfernt; Von den suspendirten
                                 										organischen Bestandtheilen werden durchschnittlich entfernt; organischer
                                 										Kohlenstoff; organischer Stickstoff; beste Resultate; Proc.; schlechteste
                                 										Resultate; durchschnittliche Resultate
                              
                           (Deutsche Industriezeitung, 1870, Nr. 21.)