| Titel: | Ueber die Lebensfähigkeit der Bierhefe; von Melsens. | 
| Fundstelle: | Band 197, Jahrgang 1870, Nr. CXXXIV., S. 535 | 
| Download: | XML | 
                     
                        
                        CXXXIV.
                        Ueber die Lebensfähigkeit der Bierhefe; von Melsens.
                        Aus den Comptes rendus,
                              									t. LXX p. 629; März 1870.
                        Melsens, über die Lebensfähigkeit der Bierhefe.
                        
                     
                        
                           1) Alle über die Alkoholgährung bekannten Thatsachen haben ergeben, daß diese
                              									Erscheinung mit der Lebensthätigkeit des sie hervorrufenden Fermentes in
                              									Zusammenhang steht. Ich theile im Folgenden die Resultate von Versuchen mit, welche
                              									von mir angestellt wurden um den Einfluß gewisser Umstände auf die Erhaltung der
                              									Lebensthätigkeit des Alkoholfermentes oder auf die Zerstörung desselben zu
                              									ermitteln.
                           2) Gährung bei der Temperatur von 0°. –
                              									Bekanntlich keimen nach Edwards und nach Colin die Pflanzensamen bei der Temperatur von 0°
                              									nicht. Ich habe constatirt daß, im Widerspruche mit der allgemein verbreiteten
                              									Ansicht, die Würze bei dieser Temperatur zu gähren vermag; die Gährung geht
                              									allerdings sehr langsam, aber ununterbrochen vor sich; die Mengen von Kohlensäure
                              									und Alkohol, welche entstanden, sind verhältnißmäßig sehr gering. Ich brachte in
                              									Wasser suspendirte Hefe zum Gefrieren, indem ich sie einige Stunden auf einer
                              									Temperatur zwischen –15° und –20° C. erhielt.
                              									Andererseits ließ ich eine Zuckerlösung gefrieren, mengte dann diese gefrorenen
                              									Massen in geeignetem Verhältniß mit einander und brachte sie in Flaschen, welche
                              									gleichfalls einer niedrigen Temperatur ausgesetzt blieben; dieselben waren mit
                              									langen Ableitungsröhren versehen und in die Mitte einer Masse von schmelzendem
                              									Schnee gesteckt.
                           3) Gefrieren der Hefe unter Druck. – Ich stellte
                              									eine Reihe von Versuchen an, um den Einfluß des Druckes zu ermitteln, indem ich
                              									feuchte oder in Wasser getauchte Hefe in Metallrohren von sehr bedeutender
                              									Festigkeit gefrieren ließ. Die Bedingungen unter denen ich diese Versuche ausführte,
                              									änderte ich vielfach ab, und wiederholte mehrere derselben mit Anwendung von Bomben,
                              									welche einem Druck von mehr als 8000 Atmosphären (nach der von General Piobert angegebenen Formel berechnet) zu widerstehen
                              									vermochten. Diese Bomben, mit Wasser und Hefe gefüllt, wurden auf 4,1° C.
                              									abgekühlt, dann hermetisch verschlossen und hierauf in eine Kältemischung getaucht;
                              									nach einiger Zeit zerplatzten sie. Das Ferment, welches diesem Druck ausgesetzt war,
                              									vermochte den Zucker in Gährung zu versetzen; es ist jedoch zu bemerken, daß in den
                              									meisten Fällen die durch eine solche Hefe hervorgerufene Gährung eine Unterbrechung
                              									erleidet, und daß sie weder so rasch noch so vollständig erfolgt wie bei Anwendung
                              									derselben Hefe in dem Zustande, in welchem man sie aus dem Handel erhält.
                           4) Gefrierenlassen von Hefe oder Würze durch Vermittelung eines
                                 										Teiges von Aether und starrer Kohlensäure im Vacuum. – Die von Edwards und von Colin, sowie
                              									die von Cagniard-Latour und von Boussingault sowohl mit trockener Hefe als mit Samen
                              									angestellten Versuche sind hinreichend bekannt; deßgleichen die Versuche von Spallanzani und von Doyére über die Räderthierchen. In Bezug auf diesen Gegenstand
                              									bemerke ich, daß das Albumin auch bei der intensivsten Kälte nicht gerinnt; eine
                              									durch starre Kohlensäure zum Gefrieren gebrachte Albuminlösung thaut auf, ohne die
                              									Erscheinungen des Gerinnens zu zeigen, oder das äußere Ansehen welches man beim
                              									Gefrieren einer Lösung von Amylum beobachtet.
                           Bei mehreren Versuchen umgab ich käufliche Hefe (Preßhefe) mit starrer Kohlensäure,
                              									welche ich an freier Luft verdampfen ließ; bei an deren umgab ich die Kugel eines
                              									von Baudin construirten Minimum-Thermometers mit
                              									einem Kranze von Hefe. Dann brachte ich das Ganze in ein Glasrohr und verschloß
                              									dieses vor der Glasbläserlampe, brachte es darauf in einen Teig aus Aether und
                              									starrer Kohlensäure und ließ es mehrere Stunden im Vacuum stehen. Eine so behandelte
                              									und dann langsam erwärmte Hefe erzeugt noch Gährung; diese tritt aber erst nach
                              									längerer oder kürzerer Zeit ein; die Hefe hat an ihrer Kraft eingebüßt und zeigt ein
                              									verändertes Ansehen. Ich operirte dann mit Würze, um den Einwürfen zu begegnen,
                              									welche man gegen die vorhergehenden Versuche nach den Ansichten Schwann's und Pasteur's
                              									bezüglich Einführung von Keimen durch die nicht ausgeglühte Luft, das Wasser etc.,
                              									machen könnte. Eine Portion Würze wurde in drei Theile getheilt; der erste diente
                              									zur Vergleichung; im zweiten wurde das Ferment durch Erhitzen im Wasserbade
                              									getödtet, nachdem die Würze in ein Glasrohr gefüllt und dieses vor der Lampe
                              									zugeschmolzen worden war. In diesem Falle wird die Gährung auf unbestimmte Zeit
                              									gehemmt. Den dritten Theil der Würze ließ ich zunächst gefrieren, brachte ihn dann
                              									nebst einem Minimum Thermometer in einen Probirkolben und verschloß diesen durch
                              									Zuschmelzen.
                           Dieser Kolben wurde in den Teig von Aether und starrer Kohlensäure eingeführt und
                              									nach längerer Abkühlung an freier Luft unter die Glocke der Luftpumpe gebracht. Das
                              									Thermometer zeigte die Temperatur von –91° C. an. Nachdem der Kolben
                              									aus dem Vacuum entfernt war, wurde er mit einer großen Menge starrer Kohlensäure
                              									umgeben in ein Glasgefäß
                              									gestellt und dieses, mit viel Leinwand umhüllt, über Nacht stehen gelassen.
                           Am folgenden Morgen brachte ich an der Spitze des Kolbenhalses ein Kautschukrohr und
                              									ein gläsernes Ableitungsrohr an, welche beide mit kochendem Wasser gewaschen waren,
                              									und zerbrach dann die gleichfalls mit siedendem Wasser gereinigte Spitze durch die
                              									Kautschukwandungen hindurch. Zunächst beobachtete ich einen von Innen nach Außen
                              									wirkenden Druck und nach Verlauf von fünf bis sechs Stunden trat in dem, inzwischen
                              									in ein Medium von etwa + 20° C. gebrachten Kolben eine sehr deutliche Gährung
                              									ein, welche während mehrerer Tage andauerte.
                           5) Widerstandsfähigkeit der in Würze befindlichen Hefe gegen
                                 										höhere Temperatur. – Die genaue Bestimmung der Temperaturgrenze,
                              									über welche hinaus die Gährung in der Bierwürze aufhört, ist mit Schwierigkeiten
                              									verbunden. Nach Pasteur, dessen Ansicht auch Marès theilt, übersteigt die höchste Temperatur,
                              									bis Zu welcher eine alkoholische Gährung in den großen, in der Industrie benutzten
                              									Gefäßen spontan zu steigen vermag, nicht 40° C.
                           Ich kann, im Widerspruche mit der von mehreren Chemikern aufgestellten Ansicht,
                              									behaupten daß in der industriellen Praxis die Gährung
                              									z.B. der Melasse bei einer Temperatur von 45° C. unmöglich ist.
                           Meine Untersuchungen ergaben folgendes Resultat: Die Erhöhung der Temperatur scheint
                              									die Gährung bis gegen 37 bis 40° C. hin zu begünstigen; wenn man diese Grenze
                              									überschreitet, verlangsamt sich sofort die Gährung. Erhält man die Temperatur der
                              									Würze zwischen 44 und 45°, so hört fast stets nach fünf bis sechs Stunden
                              									jede Kohlensäureentwickelung auf. Das Ferment ist dann aber noch nicht absolut
                              									getödtet; nach Verlauf von zwölf bis vierundzwanzig Stunden, zuweilen nach noch
                              									längerer Zeit, kann die Gährung von selbst wieder eintreten.
                           Dubrunfaut hat durch (noch nicht veröffentlichte)
                              									Beobachtungen constatirt, daß die Gährung in Würzen welche erhitzt werden, in ihrem
                              									Verlaufe um so mehr verzögert wird, je stärker man diese erhitzt. Aus einigen meiner
                              									eigenen Versuche geht hervor, daß eine Temperatur von 70 bis 75° C.
                              									hinreichend ist, die Hefe vollständig zu tödten.
                           6) Die Lebensfähigkeit der Hefe wird zerstört, wenn der Druck
                                 										durch den in verschlossenen Gefäßen erfolgenden Gährungsproceß sich bis zu
                                 										ungefähr 25 Atmosphären steigert. – Ich brachte Würze, welche mit
                              									überschüssiger Hefe versetzt war, in den Apparat von Mareska und Dony, und erhielt die Temperatur
                              									desselben auf ungefähr 30°; nach vierundzwanzig- bis
                              									sechsunddreißigstündiger Gährung war der Druck auf 25 Atmosphären gestiegen, nahm aber nicht weiter zu.
                           Nach Verlauf eines Monates wurde die Flüssigkeit untersucht; sie zeigte einen
                              									bedeutenden Zuckergehalt. An freier Luft sinkt die abgestorbene Hefe in der
                              									zuckerhaltigen Flüssigkeit zu Boden und letztere geht nach dem Filtriren auf Zusatz
                              									frischer Hefe wieder in vollständige Gährung über.
                           Folgerungen. – Aus meinen Versuchen ergibt sich: 1) daß die Gährung mitten im
                              									schmelzenden Eise möglich ist, bei welcher Temperatur die Pflanzensamen nicht
                              									keimen; 2) daß die Hefe, wenn sie in Wasser suspendirt ist, sowohl der Wirkung des
                              									Gefrierens widersteht, als auch dem Einflusse der Ausdehnung des Wassers bei seiner
                              									Verwandlung in Eis, durch welche Gefäße zersprengt werden, die einen Druck von mehr
                              									als 8000 Atmosphären auszuhalten vermögen; 3) daß die Wirkungsfähigkeit der Hefe
                              									durch die intensivste Kälte welche wir zu erzeugen im Stande sind (etwa 100°
                              									C. unter Null) vermindert, aber ihr Leben nicht zerstört wird; 4) daß die
                              									Alkoholgährung mindestens unterbrochen wird, wenn man die Temperatur einige Zeit auf
                              									45° C. erhält; 5) daß die Alkoholgährung, wenn sie in verschlossenem Gefäße
                              									stattfindet, gehemmt wird sobald die erzeugte Kohlensäure einen Druck von ungefähr
                              									25 Atmosphären ausübt, und daß in diesem Falle die Hefe getödtet wird.
                           ––––––––––
                           Boussingault machte in der (französischen) Akademie zu
                              									der vorstehenden Mittheilung folgende Bemerkungen:
                           Es überraschte mich nicht, daß nach den interessanten Beobachtungen von Melsens die Hefekügelchen unbeschadet eine
                              									außerordentlich niedrige Temperatur ertragen können, da ich selbst Versuche
                              									ausgeführt habe, bei denen ich verschiedenartige Samen der durch die Verflüchtigung
                              									von starrer Kohlensäure erzeugten Kälte aussetzte, ohne daß ein solches Samenkorn
                              									seine Keimkraft verlor. Dagegen bin ich erstaunt über die merkwürdige Thatsache
                              									(welche ich als richtig annehme, da sie von einem so ausgezeichneten Beobachter wie
                              										Melsens constatirt wurde) daß Bierhefekügelchen
                              									welche in einem zuckerhaltigen Medium functioniren, durch intensive Kälte nicht
                              									zerstört werden, sondern ihre Wirksamkeit von Neuem zeigen. Ich glaube nämlich
                              									– und gründe meine Ueberzeugung auf ein in Burgund übliches Verfahren,
                              									welches de Vergnette-Lamotte sehr eingehend
                              									studirt hat – daß die Weine, nachdem, sie dem Gefrieren unterworfen wurden,
                              									keine secundäre Gährung mehr erleiden und sich unbestimmte Zeit lang conserviren.„Der gefrorene Wein zeigt sich reicher an Alkohol und die
                                       												stickstoffhaltigen Substanzen scheinen vollständig ausgeschieden zu
                                       												seyn.... Der Mehrgehalt an Alkohol entspricht nicht dem durch das
                                       												Gefrieren veranlaßten Gewichtsverluste des Weines. So zeigte 1841ger
                                       												Rothwein vom ersten Gewächse, welcher 12,27 Procent Alkohol enthielt,
                                       												einen Alkoholgehalt von nicht mehr als 12,61 Procent, nachdem er durch
                                       												Gefrieren mit einem Gewichtsverluste von 7 Procent concentrirt worden
                                       												war.“De Vergnette-Lamotte gelangt am Schlusse
                                    											seiner Arbeit zu der Folgerung, „daß die gefrorenen Weine keine
                                       												secundäre Gährung mehr erleiden und in den Fässern oder Flaschen nur
                                       												wenig absetzen; auch halten sie sich unbegrenzt lange Zeit.“
                                    												(Annales de Chimie et de Physique, 3. série, t. XXIII p. 353.)
                              									Pasteur, dessen Competenz in diesem Gegenstande Niemand
                              									bestreiten wird, hat auch in der Akademie erklärt, daß de Vergnette-Lamotte zur Verbesserung der Weine die Kälte und das
                              									Gefrierenlassen mit viel Erfolg anwandte.Comptes rendus, t. LX p. 901; Mai 1865.
                              								
                           Im December 1848 setzte ich weißen Wein vom Liebfrauenberge, vom Jahrgange 1846,
                              									dessen Alkoholgehalt 12,5 Proc. betrug, einer Temperatur von – 6 bis
                              									10° C. aus und überzeugte mich bei diesem Versuche von der vollkommenen
                              									Genauigkeit der Beobachtungen de
                                 										Vergnette-Lamotte's. Mit zunehmender Kälte schieden sich aus dem
                              									Weine stickstoffhaltige Substanzen und zweifach-weinsaures Kali aus, und ich
                              									fand daß die im Weine gebildeten Eisstücke beim Schmelzen eine ziemlich
                              									alkoholhaltige Flüssigkeit gaben, folglich nicht, wie ziemlich allgemein angenommen
                              									wird, aus nahezu reinem gefrorenen Wasser bestehen.
                           Von der Ansicht ausgehend, daß die Kälte, wie die Wärme Pilzsporen, Fermente, kurz
                              									Keime jeder Art tödten müsse, setzte ich verschiedene Flüssigkeiten organischen
                              									Ursprunges der Einwirkung von Kältemischungen so lange aus, bis die sie enthaltenden
                              									Gefäße eine Temperatur von – 12 bis – 15° C. angenommen hatten.
                              									Diese Präparate sind nun ungefähr 10 Jahre alt; ich kann der Akademie, wenn sie es
                              									wünschen sollte, vorzeigen:
                           Rohrzuckersaft,
                           Fleischbrühe,
                           Milch und
                           Harn,
                           welche mittelst dieser Methode so vollkommen conservirt
                              									wurden, als wenn sie nach dem Appert'schen Verfahren
                              									behandelt worden wären.
                           Dieses Resultat ließ sich übrigens nach den jetzt in der Wissenschaft geltenden
                              									Principien leicht voraussehen.