| Titel: | Ueber Naphtazarin; von C. Liebermann. | 
| Fundstelle: | Band 199, Jahrgang 1871, Nr. XIX., S. 66 | 
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                        XIX.
                        Ueber Naphtazarin; von C. Liebermann.
                        Aus den Berichten der deutschen chemischen Gesellschaft zu
                                 										Berlin, 1870, Nr. 17.
                        Liebermann, über Naphtazarin.
                        
                     
                        
                           Der Farbstoff, welchen Roussin i. J. 1861 beim Erhitzen
                              									von Binitronaphtalin mit Zink und Schwefelsäure bei 200° C. gewonnen und für
                              									Alizarin angesehen hatte, erhielt, nachdem die Verschiedenheit beider Farbstoffe
                              									festgestellt war, von E. Kopp den Namen Naphtazarin, um
                              									gleichzeitig seinen Ursprung aus dem Naphtalin und seine Aehnlichkeit mit Alizarin
                              									anzudeuten.
                           Da die eigenthümliche Reaction, welcher diese Substanz ihren Ursprung verdankt, sich
                              									mit ähnlichem Erfolg auch bei anderen Nitroverbindungen z.B. dem
                              										IsobinitroanthrachinonMit Graebe gemeinschaftlich habe ich angegeben,
                                    											daß Anthrachinon mit concentrirter Schwefelsäure und wenig Salpetersäure
                                    											erhitzt, einen rothen Farbstoff liefert. Hierbei bildet sich zunächst
                                    											Isobinitroanthrachinon, welches bei stärkerem Erhitzen in Schwefelsäure (mit
                                    											oder ohne Zink) den Farbstoff gibt. (Fritzsche's Isobinitrooxyphoten) anwenden läßt,
                              									so war ich begierig, genauere Einsicht in die chemische Natur des von Roussin erhaltenen stickstofffreien und sublimirbaren
                              									Farbstoffes zu erlangen.
                           Bei seiner Darstellung verfährt man nach Roussin's
                              									Vorschrift und mit Zugrundelegung folgender Verhältnisse: Man erhitzt in einer 2
                              									Liter fassenden Porzellanschale 400 Grm. conc. Schwefelsäure, der 40 Grm. rauchende
                              									zugesetzt werden, im Sandbade auf 200° C., und trägt in Portionen von 5 Grm.
                              									40 Grm. Binitronaphtalin abwechselnd mit kleinen Mengen Zink, wovon man im Ganzen
                              									10–15 Grm. verbraucht, ein. Die Temperatur darf nur wenige Grade über
                              									200° steigen, und soll nicht unter 19° sinken. Ein heftiges Aufbrausen
                              									begleitet die Reaction, welche beendet ist, sobald eine Probe der Flüssigkeit sich
                              									in kochendem Wasser mit violetter Farbe löst, und die filtrirte Lösung beim Erkalten
                              									schleimige Farbstoffstocken abscheidet. Man kocht mit 1600 Grm. Wasser auf und
                              									filtrirt heiß durch ein Faltenfilter von einer meist bedeutenden Menge einer nicht
                              									näher untersuchten schwarzen Substanz, welche bei wiederholtem Auskochen noch neue
                              									Mengen Farbstoff liefert. Aus dem Filtrat scheidet sich der Farbstoff gallertartig
                              									aus. Man wäscht ihn gut aus, trocknet und sublimirt in einem größeren
                              									Porzellantiegel, wobei ein Theil der Substanz verkohlt. Auch so noch bleibt die
                              									Ausbeute an sublimirtem
                              									Farbstoff dem angewandten Binitronaphtalin gegenüber sehr gering.
                           Bei niedriger Sublimationstemperatur erhält man nur kleine rothbraune Krystalle; bei
                              									etwas höherer aber bilden sich lange, den ganzen Tiegel durchsetzende Nadeln von
                              									ungemein lebhaftem grünen Metallglanz, die sich häufig zu federbartähnlichen Formen
                              									zusammenlagern. Sie zeigen hierin, mit Ausnahme der Farbe ein dem Alizarin völlig
                              									gleiches Verhalten.
                           Das Naphtazarin trägt noch in vielen anderen Reactionen, in seinen farbigen
                              									Fällungen, dem Anfärben der Beizen, sowie Lösungsmitteln gegenüber eine gewisse
                              									Familienähnlichkeit mit dem Alizarin zur Schau, nur sind die Farbentöne, namentlich
                              									des sublimirten Farbstoffes, von denen welche Alizarin zeigt, so verschieden, daß
                              									man über die frühere Verwechselung beider erstaunt. Mit Baryt- und Kalkwasser
                              									erhält man schön violettblaue Fällungen, Thonerde gibt einen camoisinrothen,
                              									basischessigsaures Blei einen blauen, Eisenoxyd einen schwarzen Niederschlag.
                              									Ammoniak löst das Naphtazarin mit himmelblauer, bei längerem Stehen röthlichviolett
                              									werdender Farbe; concentrirte Schwefelsäure gibt in der Kälte eine prachtvoll
                              									fuchsinrothe Lösung, aus der Wasser rothe Flocken fällt. In kochendem Wasser ist es
                              									nur schwer löslich, leichter mit rother Farbe in Alkohol, woraus es sehr gut
                              									krystallisirt.
                           Meine Analysen ergaben C10 H⁶ O⁴ als
                              									Formel des Naphtazarins, abweichend von Roussin's
                              									Resultaten, welcher einen um 1,3 Proc. abweichenden und zwar niedrigeren H-Gehalt angibt. Ich vermag diese Differenz
                              									unserer Bestimmungen nicht zu erklären, doch hat Roussin
                              									nicht mitgetheilt, ob er den sublimirten oder den nicht sublimirten Farbstoff
                              									analysirte. Bei der Reduction mit glühendem Zinkstaub erhielt ich Naphtalin.
                           Darnach ist Roussin's Farbstoff Bioxynaphtochinon, er
                              									steht zum Naphtalin in demselben Verhältniß wie das Alizarin zum Anthracen, er ist
                              									das Alizarin der Naphtalinreihe;
                           
                              
                                 C10H⁴
                                 
                                    
                                    
                                 (OH)²    O²
                                     C14H⁶
                                 
                                    
                                    
                                 (OH)²     O²
                                 
                              
                                 Naphtazarin
                                 Alizarin
                                 
                              
                           eine Thatsache, die wegen des Irrthums, zu welchem das
                              									Naphtazarin Anlaß gab, nicht ohne Interesse seyn dürfte.
                           Welchem der beiden isomeren Binitronaphtaline das Naphtazarin seine Entstehung
                              									verdankt, habe ich bisher nicht nachgewiesen, da ich zur Darstellung ein Gemisch
                              									beider anwandte, wie man es nach Troost's Methode aus
                              									Mononitronaphtalin erhält.
                           
                           Nach Persoz's Angaben entsteht ein dem Roussin'schen ähnlicher, wahrscheinlich mit demselben
                              									identischer Farbstoff beim Erhitzen von Binitronaphtalin mit Schwefelsäure allein,
                              									nur liegt die Reactionstemperatur bedeutend höher. Hiernach wäre die Schwefelsäure
                              									im Stande, bei höherer Temperatur Nitrogruppen zu eliminiren, während umgekehrt die
                              									Salpetersäure z.B. bei der Darstellung der Pikrinsäure aus Phenolsulfosäure oder des
                              									Binitronaphtols aus Naphtolsulfosäure den Schwefelsäurerest ausstößt. Die Wirkung
                              									des Zinkes beruht darauf, daß die Nitrogruppen reducirt und alsdann leichter
                              									entfernt werden, wie aus dem leichten Uebergang der beiden Amidgruppen in Martius und Grieß' Base aus
                              										BinitronaphtolBeim Erwärmen von Binitronaphtol mit concentrirter Schwefelsäure findet eine
                                    											heftige Gasentwickelung statt. in die Chinongruppe schon länger bekannt. Die geringe Menge des verbrauchten
                              									Zinkes läßt schließen, daß die Reduction nicht bis zu Amid- resp.
                              									Imid-, sondern vielleicht nur bis zu Nitrosogruppen geht. Darnach ist es
                              									möglich, daß man aus Seminanaphtalidin oder aus Ninaphtylamin in leichterer Weise
                              									Naphtazarin erhält.
                           Nach dieser Erklärung der Reaction darf es nicht auffallen, daß beim Entstehen des
                              									Naphtazarin neben der Reduction eine Oxydation stattfindet, welche 2
                              									Wasserstoffatome des Naphtalinkerns in Hydroxyl überführt.