| Titel: | Der Harvey-Torpedo. | 
| Fundstelle: | Band 199, Jahrgang 1871, Nr. CXXIV., S. 460 | 
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                        CXXIV.
                        Der Harvey-Torpedo.
                        Nach Engineering, Januar 1871, S.
                              								35.
                        Mit einer Abbildung auf Tab. XII.
                        Harvey's Seetorpedo
                        
                     
                        
                           Nach einleitenden Betrachtungen, wie schwierig es häufig ist, selbst wichtigen
                              									Erfindungen, denen das Ausland bereits die gebührende Aufmerksamkeit widmete, im
                              									Heimathslande des Erfinders selbst Bahn zu brechen, liefert unsere Quelle folgende
                              									Mittheilungen über den von Harvey, Capitän der königl.
                              									englischen Marine, in Vorschlag gebrachten Torpedo.
                           
                              „Figur
                                    											16 ist eine perspectivische Ansicht des Torpedo's in der Situation,
                                 										welche seiner Heranführung an ein feindliches Schiff entspricht. Das für ihn
                                 										bestimmte Schleppschiff, von welchem aus seine Bewegungen zu controlliren sind,
                                 										muß eine kleine, behende Barke seyn, die sich den Wirkungen des an ein
                                 										feindliches Schiff herangeführten Torpedo's rasch zu entziehen vermag. Der
                                 										Torpedo-Kasten besteht aus starkem Bauholz mit eisernen
                                 										Verstärkungsbeschlägen an seinen Enden und Seiten. Er kann je nach Erforderniß
                                 										größer oder kleiner dargestellt werden und hatte als Original der beigegebenen
                                 										Zeichnung 4 Fuß 6 Zoll Länge und 2 Fuß Höhe bei 2 Zoll lichter Weite. Beim
                                 										Heranführen am Schlepptau divergirt die Richtung des Torpedo's von der des
                                 										Schleppschiffes um 45 Grad, was durch die betreffende Stellung des verticalen
                                 										Längendurchschnittes des Torpedo's gegen den der Führungsbarke bedingt wird. Das
                                 										Schlepptau ist in der Figur bei A dargestellt; B, B sind die Längen (oder Lengen, slings), vermittelst deren der die Unternehmung Leitende in Stand
                                 										gesetzt ist, den Torpedo je nach Umständen beim Begegnen, Verlassen oder Kreuzen
                                 										des feindlichen Schiffes, nach der Seite des letzteren hin, von der Fahrt der
                                 										Schleppbarke abweichen zu lassen. C ist die Leine,
                                 										mittelst deren der Torpedo nach seinem Flottmachen von seiner
                                 										Sicherheitsvorrichtung (gegen unbeabsichtigtes Explodiren) befreit wird. D stellt den Kappen- und E den Seitenhebel dar, welche durch Einwirkung auf
                                 										den hinteren Kappenhebel F ein Niederdrücken des
                                 										Zündbolzens G bewirken und dadurch die
                                 										Torpedo-Ladung zur Explosion bringen. Der vordere Kappenhebel D wirkt dabei direct, der Seitenhebel E aber erst vermittelst der kurzen Leine (des
                                 										Taljereeps, lanyard) H
                                 										niederpressend auf den hinteren Kappenhebel F ein,
                                 										welche Leine auch um Knöpfe des vorderen Kappenhebels geschlungen wird, um zu
                                 										verhindern daß beide Hebel etwa durch einen von hinten her kommenden Stoß
                                 										getrennt werden könnten. Die Oesen L, L dienen zum
                                 										Einziehen von Tauen behufs Emporhebung des Torpedo's.
                              
                           
                              Der Explosionsapparat des Torpedo's, dessen Zündbolzen in der Figur bei G ersichtlich ist, besteht aus einer Röhre welche
                                 										ein chemisches Agens enthält, und einer Thermometerkugel die mit einem anderen
                                 										chemischen Agens versehen ist, und es haben beide Chemikalien die Eigenschaft,
                                 										daß sie bei ihrer Vereinigung eine lebhafte Feuererscheinung hervorbringen,
                                 										welche die Entzündung der Sprengladung des Torpedo's veranlaßt. Um diesen
                                 										Zündapparat in Thätigkeit zu setzen, hat der hintere Kappenhebel F den Zündbolzen G
                                 										soweit niederzudrücken, daß sein unterer Theil sich auf einen, auf dem Boden der
                                 										zugehörigen Messingröhre aufgesetzten Dorn preßt, wornach die mit Säure gefüllte
                                 										Thermometerkugel, welche nebst dem anderen Agens im Fuße des Zündbolzens
                                 										angebracht ist, gesprengt wird, daher deren Inhalt mit dem zweiten chemischen
                                 										Agens in Verbindung tritt, wodurch nicht nur eine vollkommen sichere Zündung
                                 										erzielt wird, sondern auch eine sehr kräftige Explosionswirkung entsteht.Die Kallerström'schen Brandel enthalten
                                       												bekanntlich mit Schwefelsäure gefüllte
                                       												Gläschen, welche von chlorsaurem Kali umgeben
                                       												sind.Anm d. Ref. – Als Ladung werden dem Torpedo von bezeichneter Größe entweder
                                 										76 Pfund Geschützpulver oder 100 Pfund Dynamit gegeben, deren Einsetzung
                                 										vermittelst der Ladeöffnungen I, I geschieht, welche
                                 										anfänglich mit Korken und später, wie aus der Figur ersichtlich ist, mit
                                 										Schrauben verschlossen werden. Diese vielleicht etwas schwach erscheinende
                                 										Ladung ist dennoch vollständig genügend, weil die Explosion des Torpedo's nur beim
                                 										Zusammenstoße mit dem feindlichen Objecte stattfinden und also mit voller Stärke
                                 										auf dasselbe einwirken kann, wobei noch zu bemerken ist, daß der Größe dieser
                                 										Torpedo's keine bestimmte Grenze gesetzt ist, und also, da die Oberflächen mit
                                 										den Quadraten, die körperlichen Inhalte aber mit den Kuben der respectiven
                                 										Abmessungen wachsen, schon durch geringe Vergrößerung der letzteren sich
                                 										bedeutende Ladungsverstärkungen ermöglichen lassen. – Die jetzige Form
                                 										des Torpedo's ist übrigens eine sehr handliche, und, wie bereits erwähnt, die
                                 										durch sie bedingte Ladung eine den vorliegenden Verhältnissen vollkommen
                                 										entsprechende. – Der höchst gefährliche Charakter dieses Torpedo's
                                 										erheischt, daß jede mögliche Vorsicht zur Sicherung seiner Handhabung eintrete,
                                 										und Capitän Harvey hat deßhalb noch einen an der
                                 										Leine befestigten Sicherheitsschlüssel in Anwendung gebracht, welcher in den
                                 										Zündbolzen G eingesetzt und mit gespaltenem Garn an
                                 										den Seitenbändern des Torpedo's befestigt, das Functioniren des
                                 										Explosionsapparates erst dann zuläßt, wenn dieser Schlüssel mit Zerreißung jenes
                                 										Befestigungsgarnes, vermittelst der Leine C aus dem
                                 										Zündbolzen G herausgezogen worden ist, was, nachdem
                                 										der Torpedo klar gemacht wurde, vom operirenden Schleppschiffe aus in der Weise
                                 										geschieht, daß man, das Schlepptau loslassend, die
                                 										Sicherheitsschlüssel-Leine C anzieht, welche
                                 										nach stattgehabter Zerreißung des den Schlüssel am Torpedo festhaltenden Garnes
                                 										mit dem aus dem Zündbolzen herausgezogenen Sicherheitsschlüssel in die
                                 										Schleppbarke gelangt.
                              
                           
                              Weiter werden mit dem Torpedo noch zwei Bojen (oder Baken) in Verbindung
                                 										gebracht, vermittelst deren man ihn in beliebige Tiefe tauchen lassen kann; sie
                                 										stehen durch die Kausche (oder Kausse, thimble) K mit dem Schlepptau A
                                 										im Zusammenhange, an welchem auch die beiden Längen (oder Lengen, slings) B, B des
                                 										Torpedo's befestigt sind. Das Schlepptau geht durch die Kausche und das
                                 										Bojentau, von dieser durch eine oben am Torpedo befindliche Oese hindurch, zu
                                 										dem Zwecke daß der Torpedo in jedem Momente, wo es nothwendig erscheinen sollte,
                                 										auch schwimmen bleibend abgeschnitten werden kann, indem derselbe nach einfacher
                                 										Trennung des Schlepptaues vom zugehörigen Schleppschiffe in einem solchen Falle
                                 										plötzlich niedersinkt so weit als es das durch die Kausche und die erwähnte Oese
                                 										gleitende Tau gestattet, und hiernach an den Bojen hängen bleibt, so daß er
                                 										später wieder aufgeholt werden kann. Diese Maßregel kann durch ein eintretendes
                                 										Versagen des Torpedo's bedingt werden, weil es dann gefährlich seyn würde, den
                                 										Torpedo sofort wieder in das Schleppschiff zurücknehmen zu wollen. –
                                 										Verwendet kann der Torpedo sowohl bei Tage als bei Nacht werden, jedoch ist
                                 										letztere Zeit die
                                 										dazu geeignetere. – Bei Anfertigung der vorliegenden Waffe wurde bis in
                                 										die geringsten Details mit einer solchen Sorgfalt zu Werke gegangen, daß sie,
                                 										obgleich dem Uneingeweihten höchst gefährlich, in der Hand desjenigen, der sie
                                 										zu behandeln versteht, eine vollkommene Gebrauchssicherheit darbietet. Sie ist
                                 										einfach in ihrer Construction, zuverlässig in ihrer Thätigkeit, sicher in ihrer
                                 										Behandlung und wirksam bei ihrer Anwendung, also ganz von solcher Art, wie sie
                                 										für unsere Marine paßt.
                              
                           
                              Soll der Harvey-Torpedo zur Verwendung kommen,
                                 										so läßt man ihn mit der kleinen und raschen Schleppbarke in See gehen, indem das
                                 										Schlepptau dabei um eine größere und das Sicherheitsschlüsseltau um eine
                                 										kleinere Trommel gelegt sind. Bei der hiernach eintretenden Vorwärtsbewegung
                                 										schwimmt der Torpedo, wie oben bereits erwähnt, mit einer um 45 Grad von der des
                                 										Schleppschiffes abweichenden Längenrichtung und muß so möglichst rasch an das
                                 										feindliche Schiff herangeführt werden, wobei er der Schleppbarke einen nur
                                 										unbedeutenden Widerstand zur Ueberwindung darbietet und, wie mit blind geladenen
                                 										Torpedo's zu Portsmouth und Plymouth gegen den „Sovereign“
                                 										und die „Pigeon“ ausgeführte Versuche bewiesen haben, der
                                 										Zusammenstoß mit dem anzugreifenden Schiffe meistens in sich ganz gleich
                                 										bleibender geringer Tiefe, zuweilen jedoch mehr dem Kiele desselben genähert,
                                 										erfolgt. – Der Explosionsapparat versagte bei diesen Gelegenheiten
                                 										niemals, wenn der Torpedo mit genügender Geschwindigkeit an das anzugreifende
                                 										Schiff herangeführt wurde. – Der Torpedo kann aber auch für elektrische
                                 										Zündung eingerichtet werden, in welchem Falle man den Zündbolzen nebst der ihn
                                 										umfassenden Röhre durch eine Röhre ersetzt, welche mit den Mitteln zur
                                 										Uebertragung der elektrischen Wirkung auf die Torpedo-Ladung versehen
                                 										ist; diese Anordnung dürfte jedoch weniger vollkommen als die der mechanischen
                                 										Zündung seyn, da die im Schlepptau enthaltenen isolirten Leitungsdrähte bei
                                 										zufällig sehr starken Drehungen dieses Taues leicht zerreißen können
                                 										“
                              
                           Schließlich sey noch bemerkt, daß die russische Marine bereits seit einem Jahre mit
                              									dem Harvey'schen Torpedo vertraut ist,Man s. die frühere Mittheilung über diesen Torpedo im polytechn. Journal,
                                    											1870, Bd. CXCVII S. 127. daß von anderen Mächten Bestellungen auf denselben der London Ordnance Company zu Southwark ertheilt wurden,
                              									und nunmehr auch die englische Admiralität die Anfertigung von zwanzig dieser
                              									Torpedo's befohlen hat.
                           
                        
                     
                  
               Tafeln
