| Titel: | Ueber die Erzeugung der galvanischen Elektricität in der elektrischen Kette und das Verhalten derselben zum chemischen Proceß; von K. Rheineck. | 
| Autor: | K. Rheineck | 
| Fundstelle: | Band 203, Jahrgang 1872, Nr. XII., S. 42 | 
| Download: | XML | 
                     
                        XII.
                        Ueber die Erzeugung der galvanischen Elektricität
                           								in der elektrischen Kette und das Verhalten derselben zum chemischen Proceß; von K. Rheineck.
                        Rheineck, über das Verhalten der galvanischen Elektricität zum
                           								chemischen Proceß.
                        
                     
                        
                           Die Anwendung der Berührungselektricität, welche bald nach Galvani's Entdeckung eine hohe wissenschaftliche und technische Ausbildung
                              									erlangt hat, ist für die Volkswirthschaft schon von großer Bedeutung geworden, wie
                              									die Telegraphie beweist, und noch ist nicht abzusehen, welch' wichtige Rolle der
                              									Galvanismus außerdem spielen wird.
                           Nach den Wirkungen des elektrischen Stromes sind diese Anwendungen in zwei Abtheilungen zu bringen.
                              									Entweder ist ein chemischer Proceß beabsichtigt oder eine mechanische Wirkung.
                              									Letztere Wirkung findet hauptsächlich Anwendung in der Telegraphie und nur wenig zu
                              									elektromotorischen Maschinen. Es soll hier nur von den Anwendungen die Rede seyn,
                              									welche auf den chemischen Eigenschaften des elektrischen Stromes beruhen, und von
                              									der Quelle desselben. Der elektrische Strom kann zur Einleitung vieler chemischen
                              									Processe dienen und das größte technische Interesse hierin hat die
                              									Galvanoplastik.
                           Ich habe während meiner praktischen Laufbahn Gelegenheit gehabt, Galvanoplastik im
                              									Großen zu betreiben. Es wurden kupferne und eiserne Gegenstände (Druckwalzen)
                              									galvanisch mit dicken Schichten Kupfer überzogen, welche die Festigkeit und
                              									Zähigkeit des gewöhnlichen Kupfers hatten und für die Arbeiten des Graveurs geeignet
                              									waren. Es ist jedoch im Folgenden keineswegs meine Absicht, Apparate und praktische
                              									Handgriffe zu beschreiben oder in dieser Hinsicht gemachte Erfahrungen mitzutheilen,
                              									sondern, was von höherem Interesse und Nutzen nicht nur für die Wissenschaft ist,
                              									sondern auch für diejenigen welche sich praktisch mit galvanischen Processen
                              									abgeben, das Verständniß der Vorgänge in den betreffenden Apparaten, den
                              									elektrischen Ketten, darzulegen, wie es sich mir ergeben hat durch Zurückführung und
                              									Vergleichung des Zusammengesetzten mit dem Einfachen.
                           Wenn man in der Absicht, für die Zwecke der Galvanoplastik Versuche anzustellen, die
                              									wissenschaftlichen Schriften und Lehrbücher der Physik und Chemie zu Rathe zieht,
                              									vermißt man immer noch die gehörige Klarheit über den theoretischen Theil dieses
                              									Gegenstandes, nämlich was die Beziehungen des elektrischen Stromes zum chemischen
                              									Proceß anbelangt. Niemand wird läugnen, daß eben die Erkenntniß des Wesens einer
                              									Naturerscheinung die Anwendung derselben ungemein unterstützt und im Fortschreiten
                              									fördert, wenn auch dadurch empirische Versuche nicht erspart werden. Ich finde es
                              									daher geeignet, in dieser Zeitschrift Mittheilung darüber zu machen.
                           Dieser Theil der Physik und Chemie hat das Schicksal, wegen der ausgezeichneten
                              									physikalischen Eigenschaften des elektrischen Stromes, vorzugsweise den Physikern,
                              									welche sich nicht viel mit Chemie abgeben können, anheim gefallen zu seyn und die
                              									Chemiker glauben ein physikalisches Experiment zu machen, wenn sie einmal den
                              									elektrischen Strom zur Einleitung eines chemischen Processes anwenden. Dieser
                              									Umstand, in Verbindung mit der heutigen chemischen Forschung, welche immer noch
                              									hauptsächlich auf die Gewichtsverhältnisse und Anordnung des wägbaren Stoffes
                              									gerichtet ist, mag an der noch bestehenden Mangelhaftigkeit der Ansichten über die Beziehungen zwischen
                              									Berührungselektricität und chemischem Proceß Schuld seyn. Die eigenthümliche
                              									Erscheinung des Galvanismus oder des elektrisch-chemischen Processes bildet
                              									ein wahres Verbindungsglied zwischen Physik und Chemie. Auch hat schon längst Liebig in seinen „chemischen
                                 										Briefen“ darauf hingewiesen, daß und in wie fern die Wärme und ihre
                              									anderen Formen, Licht und Elektricität, in das Gebiet der Chemie gehören. Ja man
                              									kann wohl sagen, sie bilden die Grundlage der Chemie, da
                              									sie allein die Hebel sind, welche die chemische Bewegung oder Veränderung des
                              									wägbaren Stoffes zu Stande bringen. – Mit dem Ausdruck
                              										„elektrisch-chemischer Proceß“ sind solche chemische
                              									Vorgänge oder Verwandlungen zu bezeichnen, welche sowohl durch den elektrischen
                              									Strom veranlaßt werden, als auch dessen Entstehung veranlassen.
                           Die Grundlage oder den Ausgangspunkt für den elektrisch-chemischen Proceß
                              									bilden die Metalle; man kann sagen, dieselben sind die
                              									Mutterstoffe des elektrischen Stromes. Der elektrische Strom wirkt verändernd auf
                              									viele wässerige Lösungen, namentlich auf die der Säuren und Salze, und diejenigen dieser Lösungen erzeugen mit den Metallen den
                                 										elektrischen Strom, welche in Berührung mit denselben eine chemische Verwandlung
                                 										verursachen. Das Wesentliche dabei ist das Vermögen der Metalle, und
                              									einiger anderer Körper, in die Ferne zu wirken, d.h. die
                              									befreite Elektricität in die Ferne, an den Ort ihrer Bestimmung zu tragen und eine
                              										andere Wirkung in die Ferne bei den Flüssigkeiten
                              									hervorzurufen.
                           Elektrische Kette nennt man die Vorrichtung, in welcher die Umstände so herbeigeführt
                              									sind, daß ein Metall, indem es sich auflöst, die chemische Verwandlung einer
                              									Flüssigkeit bewirkt, sowie alsdann diese in der Ferne vor sich
                                 										gehende Verwandlung ihrerseits dergestalt auf das Metall zurückwirkt, daß die
                                 										Lösung desselben ermöglicht wird. Aus der großen Reihe der Metalle sind es
                              									nur wenige, welche beim Galvanismus praktisch verwendet werden; hauptsächlich ist es
                              									das Zink. Auf das Zink wirken sehr viele Körper ein, beinahe alle Säuren und sehr
                              									viele Metallsalze. In den ersteren löst sich das Zink auf unter Entwickelung von
                              									Wasserstoffgas, in den letzteren unter Abscheidung eines Metalles. Der letztere
                              									Vorgang bildet die Grundlage für die Galvanoplastik. Unter den vielen elektrischen
                              									Ketten, welche mit dem Zink zusammengesetzt werden können, ist es zweckmäßig für die
                              									folgende Betrachtung eine der einfachsten und leicht verständlichsten auszuwählen.
                              									Eine solche ist der kleine, einfache galvanoplastische Apparat, wie er verwendet
                              									wird, um kleine Gegenstände, z.B. Münzen mit einer Kupferschicht zu überziehen, in
                              									der Absicht, sie abzubilden. Die augenfälligste Erscheinung des in diesem Apparate
                              									vor sich gehenden Processes ist, wenn man vorläufig noch von dem Näheren absieht,
                              									daß sich metallisches Kupfer abscheidet, während gleichzeitig
                                 										Zink sich löst, gerade so, als wenn das Zink unmittelbar in die
                              									Kupferlösung tauchte. Selbst die Gewichtsverhältnisse der bei dieser chemischen
                              									Veränderung spielenden Metalle stehen dort wie hier in dem Verhältniß ihrer
                              									Aequivalentgewichte, so daß auf je 32 1/2 Thle. Zink, welches sich gelöst hat, 32
                              									Thle. metallisch ausgeschiedenes Kupfer kommen. Wendet man sich alsdann zur
                              									Einrichtung des einfachen galvanoplastischen Apparates, so bemerkt man im
                              									Allgemeinen, daß die Einwirkung des sich lösenden Metalles auf
                                 										die reagirende Flüssigkeit (hier Kupfervitriollösung) auf Umwegen stattfindet oder daß die Berührung beider Körper eine mittelbare ist. Diese Berührung ist durch zwei Verbindungsmittel von wesentlich verschiedener Natur vermittelt. Man hat sie Leiter genannt, und
                              									ihnen die Eigenschaft zugeschrieben, die Elektricität zu leiten. Metall ist das eine und eine wässerige Lösung das andere. Höchst wichtig für die Bedeutung dieser zwei
                              									Vermittler ist der Umstand, daß sie einander nicht ersetzen können, sondern sich gegenseitig dergestalt bedingen, daß die Unterbrechung der
                                 										einen Leitung auch die andere aufhebt, sowie die ganze Thätigkeit des
                              									Apparates. Schon aus der völlig verschiedenen Natur dieser Leiter und namentlich der
                              									letzterwähnten Thatsache ist abzuleiten, daß beiden eine ganz
                                 										verschiedene Bedeutung und Function zukommen muß. Sie müssen im Verein dasselbe bewirken, was die unmittelbare Berührung des sich lösenden Metalles mit dem Reagens oder
                              									Lösungsmittel thut. Ist es nun eine wesentliche Bedingung, daß die zwei Reagentien
                              									(Metall und Lösungsmittel) in die Ferne wirken, so liegt
                              									es nahe, daß die metallische Leitung, wenigstens an dem das Lösungsmittel berührenden Ende, von verschiedener
                                 										Natur mit dem sich lösenden Metall seyn muß. Es muß ein Metall seyn,
                              									welches von diesem Lösungsmittel nicht angegriffen wird oder auch ein anderer die
                              									Elektricität leitender Körper. Denn jeder durch die unmittelbare Berührung beider
                              									Reagentien stattfindende chemische Proceß macht die Wirkung in
                                 										die Ferne entbehrlich, so daß der elektrische Strom theilweise oder auch
                              									vollständig unterbleiben kann. Es scheint jetzt schon für die Betrachtung der
                              									Vorgänge in der elektrischen Kette etwas Zufälliges und Unwesentliches zu seyn, daß
                              									man genöthigt ist, für die Einrichtung derselben zweierlei Metalle anzuwenden.
                              									Ebensowenig scheint eine Ursache vorzuliegen zur Annahme einer Theorie, wornach die
                              									Berührung zweier Metalle, welche gleichzeitig in eine
                              										„erregende“ Flüssigkeit tauchen, dergestalt in ein
                              									Verhältniß der Polarisation zu einander treten, daß von jedem eine elektrische
                              									Flüssigkeit von entgegengesetzten Eigenschaften und in entgegengesetzter Richtung
                              									ausströmt. Im Sinne dieser Theorie hat man das reagirende, sich lösende Metall, hier
                              									das Zink, das elektropositive Metall, auch Element genannt, das andere, welches sich
                              									nicht löst, sondern nur elektrisch erregt wird und leitet, das elektronegative
                              									Element oder Metall. Allein schon in dem Umstand, daß aus der ganzen Reihe der
                              									Metalle, welche wir kennen, irgend ein Paar herausgenommen, in diesem gegenseitigen
                              									Verhältniß steht, liegt etwas Bedenkliches für diese Theorie. Der Gegensatz, welcher
                              									in den Metallen zu liegen scheint, wird nur ein relativer, und je weiter die zwei
                              									Metalle in der elektrischen Spannungsreihe auseinanderliegen, desto größer wird der
                              									scheinbare Gegensatz. Es ist aber nur zufällig, daß, je energischer das
                              									Lösungsmittel ist, ein desto weniger energisches Metall als Leiter gewählt werden
                              									muß, damit er nicht von ihm angegriffen wird. Der eigentliche
                                 										Gegensatz liegt wohl in beiden reagirenden Körpern, dem sich lösenden Metall nämlich und dem Lösungsmittel. Eher hat es den Anschein, daß in der großen Reihe der
                              									Metalle, anfangend am elektropositivsten, in abnehmender Weise bis hin zu dem
                              									elektronegativsten, eine Kraft von gewissem Wirkungswerth
                              									vorgestellt ist. In diesem Sinne geordnet, hat man die Reihe der Metalle die
                              									elektrische Spannungsreihe genannt, und es wird sich im Weiteren zeigen, wie
                              									dieselbe aufgefaßt werden kann.
                           Aehnlich verhält es sich mit dem flüssigen Leiter oder der erregenden Flüssigkeit.
                              									Aus denselben Gründen wie beim metallischen Leiter, hat man es für die Zwecke der
                              									elektrischen Kette geeignet erfunden, den flüssigen Leiter aus zweierlei
                              									Flüssigkeiten bestehen zu lassen, und beinahe mit demselben Recht, wie den Metallen,
                              									könnte man ihnen einen Zustand der Polarisation zuschreiben. Man wählt die beiden
                              									Flüssigkeiten von verschiedener Natur. Die das sich lösende Metall berührende soll
                              									unter gewöhnlichen Umständen nicht lösend auf dasselbe einwirken, damit nicht schon
                              									an der Oberfläche dieses Metalles der ganze chemische Proceß vor sich gehe, d.h. Auflösen desselben und Bildung des sogenannten
                                 										Reductionsproductes, im gegebenen Beispiel also Bildung des
                              									niederzuschlagenden Metalles. In dem Maaße als dieses geschehen würde, fiele die Veranlassung zur Wirkung in die Ferne weg oder der
                              									elektrische Strom, im anderen Sinne ausgedrückt, würde vermindert werden oder
                              									vollständig aufhören.
                           Nach Allem diesem hat es endlich den Schein, als sey der Gegensatz oder der Zustand der
                              									Polarisation eigentlich dem sich lösenden Metall und der erregenden Flüssigkeit,
                              									welche auf zwei Wegen mit demselben in leitender
                              									Verbindung steht, zuzuschreiben. Aber es findet hier kein anderer Gegensatz oder
                              									Polarisation statt, als welche den chemischen Reagentien überhaupt zukommt.
                           Aus den entwickelten Grundsätzen und dem Verhalten eines Metalles, z.B. Zink zu
                              									anderen Körpern, Säuren und Salzen, ergibt es sich, wie eine elektrische Kette
                              									zusammenzusetzen ist. Taucht ein Stück Zink in die Lösung eines Metallsalzes, so
                              									wird es unverändert bleiben, wenn die metallische Grundlage dieses Salzes Zink oder
                              									irgend ein in der elektrischen Spannungsreihe dem Zink voranstehendes Metall ist; es
                              									wird dagegen aufgelöst werden, wenn die metallische Grundlage des Salzes ein in der
                              									elektrischen Spannungsreihe dem Zink nachstehendes Metall ist, z.B. Zinn, Cadmium,
                              									Kupfer, Blei, Quecksilber und die edlen Metalle. Taucht das Zink in die Lösung
                              									irgend einer Säure, so löst es sich unter Wasserstoffgasentwickelung. Der
                              									Wasserstoff verhält sich wie ein Metall, welches in der elektrischen Spannungsreihe
                              									nach dem Zink zu stehen kommt, aber vor dem Kupfer, Blei und den folgenden, weil
                              									diese mit keiner Säure Wasserstoff zu entwickeln vermögen. Die Säuren können darnach
                              									als die Salze des Wasserstoffes betrachtet werden. Während das Zink sich in einem
                              									Metallsalz auflöst, scheidet sich dafür aus letzterem das Metall als solches ab.
                              									Eine Kette, zusammengesetzt aus Zink und der Salzlösung eines in der Reihe nach dem
                              									Zink stehenden Metalles, z.B. Kupfer, hat den Zweck, das Kupfer anstatt an der
                              									Oberfläche des Zinkes an irgend einem anderen Orte des Apparates niederzuschlagen.
                              									In einem Glasgefäße befindet sich eine Lösung von Zinkvitriol, Glaubersalz oder
                              									Bittersalz u.s.w. Eine Kupfervitriollösung befindet sich in einem anderen Gefäße,
                              									welches vermittelst feiner Poren die Communication mit einer anderen Flüssigkeit
                              									gestattet, ohne daß rasche Mischung stattfinden kann, z.B. einer nicht glasirten
                              									Thonzelle. Stellt man letzteres Gefäß in das erstere, so ist der flüssige Leiter
                              									vorgerichtet. Ein Stück Zink taucht nun in die äußere Salzlösung, und berührt
                              									dasselbe mittelst eines angelötheten Kupferdrahtes die Kupfervitriollösung; auch die
                              									metallische Leitung ist hergestellt und jetzt ist der Apparat in Gang. Das Kupfer
                              									setzt sich an dem in die Kupferlösung tauchenden Ende des leitenden Kupferdrahtes
                              									ab, oder an irgend einem daran befestigten leitenden oder leitend gemachten
                              									Gegenstand. Von der Größe der Oberflächen des Zinkes und des Leiters, sowie von der
                              									Concentration der Kupferlösung hängt der raschere oder langsamere Gang des Processes
                              									ab, bezüglich der Bildung einer lockeren oder festen Kupferschicht. Der Proceß ist
                              									beendigt, sobald eines
                              									der reagirenden Glieder der Kette erschöpft oder verschwunden ist, das Zink oder die
                              									Kupferlösung. Um letztere stets im Zustand der Sättigung zu erhalten, hängt man in
                              									passender Weise Krystalle von Kupfervitriol hinein. In derselben Weise können andere
                              									Metalle, welche in der Reihe nach dem Zink kommen, aus ihren Salzen niedergeschlagen
                              									werden, wenn man durch sie den Kupfervitriol ersetzt.
                           Man hat sich, in der weiteren Ausführung der Theorie über den
                              									elektrisch-chemischen Proceß, vorgestellt daß die erregte positive
                              									Elektricität des Zinkes durch das leitende Metall überströme zum negativen Element
                              									und umgekehrt die negative des letzteren auf demselben Weg zum positiven Element. Ob
                              									man nun annimmt, daß beide Elektricitäten weiter durch die Flüssigkeiten strömen und
                              									wieder zurückkehren, also circuliren, oder daß sie, an dem ihrem Ursprunge
                              									entgegengesetzten Orte angelangt, für die Einleitung des chemischen Processes
                              									verwendet werden, ist gleichgültig und es ist kein Verständniß der Vorgänge daraus
                              									abzuleiten, am allerwenigsten aus der ersten Annahme. Besser geht es, wenn man es
                              									bei einem einzigen Strome, dem der positiven Elektricität bewenden läßt. Das
                              										„Warum?“ wird erst recht klar werden, wenn man das
                              									Verhalten einer in die Kette eingeschalteten wässerigen Lösung betrachtet.
                           Untersucht man den flüssigen Inhalt des Apparates, so findet man, daß die Neutralität
                              									der Salzlösungen nicht verändert worden ist nach Beendigung oder Unterbrechung des
                              									Processes während welchem sich auch kein Gas entwickelt hat. Es ist keine andere
                              									Vorstellung hierüber möglich, als die, welche man sich längst gemacht hat, nämlich
                              									daß durch das Ausweichen der metallischen Grundlage in den in wässeriger Lösung
                              									äußerst leicht beweglichen Salzatomen, welches mit der Kupferausscheidung endigt,
                              									das Zink Platz in der Säure findet, sich zu lösen. Ist man nun über diese Function
                              									des wässerigen Leiters klar, so fragt es sich nur, kommt ihm noch eine weitere zu,
                              									etwa die der Elektricitätsleitung? Ferner, sind zweierlei elektrische Ströme oder
                              									nur ein einziger anzunehmen? Schon der Umstand, daß ohne den metallischen Leiter der
                              									chemische Proceß gar nicht stattfinden kann, läßt vermuthen, daß, wenn die
                              									Elektricität etwa eine für den Vorgang des chemischen Processes nöthige Arbeitsleistung vollbringt, den Flüssigkeiten die
                              									Function der Elektricitätsleitung nicht zukommt. Vollgültig wird aber der Beweis
                              									erst, wenn man die Bedeutung des elektrischen Stromes richtig erfaßt hat. Was
                              									endlich die letzte Frage betrifft, so hat man keine Ursache, sich den Vorgang in der
                              									geschlossenen elektrischen Kette so umständlich zu erklären, als es die Annahme der
                              									zwei elektrischen Flüssigkeiten bedingt; man reicht mit der Annahme eines einzigen
                              									Stromes vollkommen aus.
                           
                           Wenn man, um den Apparat, in welchem der elektrisch-chemische Proceß vor sich
                              									geht, d.h. die elektrische Kette, auf die einfachste Form zurückzuführen, den
                              									metallischen Leiter immer kürzer werden läßt, bis er endlich verschwindet und ebenso
                              									den flüssigen, die das Zink umgebende Salzlösung, so bekommt man die einfachste Form
                              									des Apparates. Man hat jetzt nur noch eine Kupfervitriollösung, in welche ein Stück
                              									Zink taucht. Die Salzlösung thut immer noch den gleichen Dienst, das Zink ist nun
                              									lösendes Metall und Leiter in einem Stück, die Elektricität legt den kürzesten Weg
                              									zurück, kurz es geht immer noch der gleiche chemische Proceß vor sich, wie in der
                              									Kette. Wo ist der Unterschied, wo die Grenze zwischen elektrisch-chemischem
                              									und einfachem chemischem Proceß, zwischen einer elektrischen Kette aus Zink und
                              									Kupfervitriol bestehend, und einer Kupfervitriollösung in welche ein Stück Zink
                              									taucht und indem es sich löst, metallisches Kupfer abscheidet?
                           Was in diesem Falle der Vereinfachung der Kette die beiden elektrischen Flüssigkeiten
                              									anlangt, so wird der Weg den sie zurücklegen, immer kürzer bis er in der einfachsten
                              									Form vollständig wegfällt. Somit wäre im ersten Moment
                              									der Berührung des Zinkes mit dem Kupfervitriol die Quelle der
                                 										negativen Elektricität in dem abzuscheidenden Kupfer erst zu schaffen und
                              									folgerichtig wäre in diesem Moment auch keine positive
                                 										Elektricität vorhanden. Bei gleichem chemischem Proceß und gleichen
                              									chemischen Producten ginge also hier ein ganz anderer
                                 										Proceß vor sich als in der elektrische Kette genannten Vorrichtung, wenn
                              									auch nur einen Moment! Sobald sich ein Atom Zink gelöst und dafür ein Atom Kupfer an
                              									demselben angesetzt hat, ist der einfache chemische Proceß vorbei, es ist ein ganz
                              									anderer an seine Stelle getreten, der elektrisch-chemische. In der That ist schon wieder eine elektrische Kette
                                 										entstanden: die Kupferschicht ist locker, breitet sich in der Kupferlösung
                              									immer mehr aus in Form dendritischer Krystalle, an welchen letzteren als an einem
                              									vom Zink, welches sich löst, entfernten Orte sich
                              									immerfort Kupfer ansetzt. Es gibt aber keine Widersprüche in der Natur, wie:
                              									Elektricität wird entwickelt durch den chemischen Proceß, oder nicht; der chemische
                              									Proceß wird eingeleitet durch Elektricität, oder nicht. Chemischer Proceß und elektrisch-chemischer Proceß sind
                                 										gleichbedeutend. Man braucht sich nur den Vorgang der Metallausscheidung
                              									durch ein Metall klar zu machen, um dieses einzusehen. In dieser Absicht erlaube ich
                              									mir, an die Auseinandersetzungen in dem im Jahrg. 1871 dieses Journals, Bd. CCII S.
                                 									282 von mir erschienenen Aufsatz über die Gährungserscheinungen zu erinnern. Es
                              									liegt dort, wie bei der Metallausscheidung, ein ganz ähnlicher Fall vor, wo ein Körper durch seinen Zerfall für den Aufbau eines anderen
                                 										die nöthige Arbeit leistet. In einer Hinsicht, nämlich des ursächlichen
                              									Zusammenhanges der Metallauflösung mit der Metallbildung und Abscheidung einerseits, sowie des Zuckerzerfalles, in der Alkoholgährung zum Beispiel, mit
                              									dem Hefepilzwachsthum andererseits, sind sogar beiderlei
                              									Erscheinungen einander gleich. Sie gehen weit auseinander bezüglich des Austausches des wägbaren Stoffes. Während bei den
                              									Gährungserscheinungen ein solcher nicht stattfindet,
                              									sondern nur die chemisch latente Wärme oder eine Arbeitsleistung vom zerfallenden Körper auf die sich im Pilze aufbauende
                                 										organische Substanz übertragen wird, geschieht bei der Einwirkung von
                              									Metallen auf Metallsalze Beides: Austausch des Wägbaren nach
                                 										stöchiometrischen Verhältnissen und Uebertragung bei der Auflösung eines
                                 										Metalles verwendbar werdender chemisch latenter Wärme auf das zu bildende
                                 										Metall. Aber nur qualitativ findet diese Analogie der Arbeitsleistung
                              									statt. Es ist kein Zweifel, daß beim Zerfall des Zuckers die ganze Arbeitsleistung,
                              									welche in der Gleichung C¹²H¹²O¹² =
                              									2CO² + 2C⁴H⁶O² vorgestellt ist, für das Wachsthum der
                              									Hefezelle verwendet wird, während aus Gründen der unabänderlichen stöchiometrischen
                              									Verhältnisse ein Theil der Arbeitsleistung des sich lösenden Zinkes als freie Wärme
                              									verloren geht, da sich eben nichts Anderes bilden kann, als Zinkvitriol und Kupfer
                              									nach der Gleichung Zn + CuSO⁴ = ZnSO⁴ + Cu. Wärme muß dabei frei werden, weil der Bestand des
                                 										Kupfers weit weniger davon erfordert als der des Zinkes. Man überzeugt sich
                              									davon am leichtesten, wenn man in eine Kupfervitriollösung Zinkstaub (fein
                              									zertheiltes metallisches Zink aus den Zinkhütten) gibt; bei rascher
                              									Kupferausscheidung findet eine beträchtliche Erwärmung des Gemisches statt. In den
                              									chemischen Formeln ist dieses Verhalten nicht berücksichtigt und in dieser Hinsicht
                              									gelten obige Gleichungen eigentlich nicht, denn man hat nun mit vollem Recht
                              									C¹²H¹²O¹² > 2CO² +
                              									2C⁴H⁶O² und Zn + CuSO⁴ > ZnSO⁴ + Cu. Und es ist
                              									einleuchtend, daß nur die Differenz (Zn + CuSO⁴)
                              									– (ZnSO⁴ + Cu) zu mechanischen Nutzeffecten für die Telegraphie und
                              									die elektromotorischen Maschinen benutzt werden kann, vielleicht auch weniger. Ein Mehrverbrauch ist eine Unmöglichkeit, da in dem
                              									Maaße, als dem sich bildenden Kupfer die zu seinem Bestande nöthige Wärme abginge,
                              									die Abscheidung desselben kleiner würde, aber auch ebenso die Auflösung des Zinkes
                              									und endlich auch aus letzterem Grunde der elektrische Strom selbst.
                           Nach diesen Entwickelungen ist der elektrische Strom die
                                 										frei
                              									oder verwendbar gewordene chemisch latente Wärme eines sich lösenden oder
                                 										zerfallenden Metalles und es ist eine höchst merkwürdige Eigenschaft der
                              									Metalle und einiger anderen Körper, dieselbe als strömende Elektricität an ihren
                              									Bestimmungsort zu leiten. Das Metall ist der Weg für das Unwägbare, das Wasser der
                              									für das Wägbare in der elektrischen Kette.
                           Elberfeld, im Januar 1872.
                           
                              
                                 (Die Fortsetzung folgt.)