| Titel: | Ueber das Gefrieren des Wassers; von Boussingault. | 
| Fundstelle: | Band 203, Jahrgang 1872, Nr. XIII., S. 51 | 
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                        XIII.
                        Ueber das Gefrieren des Wassers; von Boussingault.
                        Aus den Comptes
                                 								rendus, 1871, t. LXXIII p. 77.
                        Boussingault, über das Gefrieren des Wassers.
                        
                     
                        
                           Die Kraft, mit welcher das Wasser sich bei seinem Gefrieren auszudehnen strebt, ist
                              									eine bedeutende, weil sie gleich seyn muß dem Druck, welcher auf ein Stück Eis
                              									ausgeübt werden müßte, um sein Volum um 0,08 zu verringern (die Dichte des Eises zu
                              									0,92 angenommen). Auch ist längst erwiesen, daß diese Ausdehnungskraft im Stande
                              									ist, die stärksten Hüllen zu zerreißen. Als die Florentiner Akademiker eine mit
                              									Wasser gefüllte Hohlkugel von Kupfer einer intensiven Kälte aussetzten, barst
                              									dieselbe, obwohl die Metalldicke 67/100 Zoll betrug. Huyghens brachte im Jahr 1667 durch das Gefrieren des Wassers eine eiserne
                              									Kanone an zwei Stellen zum Platzen, obgleich sie eine Wanddicke von einem Zoll hatte.Tubus ferrens, cujus crassities erat unus digitus,
                                       												aqua impletus et rite occlusus fuit; post 12 horas duobus in locis
                                       												scissus est (Du Hamel, Acad. reg., libr. I, §. 2, cap. I.
                              								
                           Diese Versuche sind classisch geworden. Ich habe geglaubt, daß es von Interesse seyn
                              									würde, sie zu wiederholen und dabei das Wasser in einem Metallcylinder von viel
                              									größerer Festigkeit als einem von Eisen gefrieren zu lassen. Eine Stahlkanone z.B.
                              									erträgt, selbst bei schwacher Wanddicke, nach Artillerie-Versuchen einen
                              									Druck von mehreren Hunderten von Atmosphären. Angenommen der Stahl gewährte einen
                              									hinreichenden Widerstand, so dürfte man nach theoretischen Gründen erwarten, daß das
                              									in der Kanone enthaltene Wasser, ungeachtet der Temperatur-Erniedrigung,
                              									seinen flüssigen Zustand bewahre, und zwar wegen des Widerstandes welcher der seine
                              									Erkaltung von + 4,1° C. ab begleitenden Ausdehnung entgegengesetzt wird.
                           Ein geschmiedeter Gußstahlcylinder von 46 Centimet. wurde bis zu einer Tiefe von 24
                              									Centimet. durchbohrt. Der innere Durchmesser betrug 1,3 Centim., die Wanddicke 8
                              									Millimeter.
                           Die undurchbohrte Basis der Kanone hatte eine sechsseitige Gestalt, um in einen
                              									Schraubstock gespannt werden zu können.
                           Das Ende der Kanone war von der Mündung ab mit einem Schraubengang versehen, auf
                              									welchen eine gußstählerne Mutter paßte, die im Inneren, zur Sicherung des
                              									Verschlusses, eine starke Bleischeibe enthielt. Eine in den Lauf gebrachte
                              									Stahlkugel hatte durch ihre Beweglichkeit oder Unbeweglichkeit anzuzeigen, ob das
                              									Wasser in der Kanone flüssig oder gefroren war.
                           Die Capacität der Kanone betrug ungefähr 55 Kubikcentimeter.
                           Am 26. December 1870 wurde die zuvor auf + 4° C. erkaltete Stahlkanone mit
                              									nicht ausgekochtem, destillirtem Wasser von gleichfalls + 4° gefüllt. Nachdem
                              									man sie durch Aufschrauben des Deckels mittelst eines mit Hebel versehenen
                              									Schlüssels verschlossen hatte (dieß ist der schwierigste Theil des Versuches), hörte
                              									man beim Umkehren derselben deutlich das Klimpern welches der Fall der Stahlkugel
                              									verursachte.
                           Um 9 Uhr Morgens wurde der Apparat auf eine Terrasse gebracht, wo die Temperatur der
                              									Luft – 13°C. war. Mittags (bei – 12°C) konnte man sich
                              									durch die Bewegung der Kugel überzeugen, daß das Wasser flüssig geblieben war. Noch
                              									am Abend bei – 9° C. hatte es seinen flüssigen Zustand behalten.
                           Am 27. December, 8 Uhr Morgens, zeigte das Thermometer – 24° C.; die
                              									Beweglichkeit der Stahlkugel bewies, daß das Wasser nicht gefroren war.
                           Am 30. December, bei – 10° C., begann man die Kanone zu öffnen. Kaum
                              									hatte man angefangen den Deckel abzuschrauben, als man eine leichte Vegetation von
                              									Reif sich erheben sah. Das Wasser gefror augenblicklich, sowie man den Druck,
                              									welchen es ertragen hatte, fortnahm. Als die Kanone bis zur Aufhebung der Adhärenz
                              									erwärmt wurde, konnte man einen Eiscylinder von großer Durchsichtigkeit
                              									herausziehen. In der Achse dieses Cylinders befand sich eine Reihe sehr kleiner
                              									Luftblasen.
                           Am 2. Januar 1871, Abends, wurde die Kanone mit Wasser von + 4,2° gefüllt und
                              									auf der Terrasse einer Kälte von – 13° C. ausgesetzt.
                           
                           Am 3. Januar, Morgens, wo die Temperatur – 18° C. war, war das Wasser
                              									noch nicht gefroren, denn die Stahlkugel bewegte sich mit voller Leichtigkeit.
                           Um 11 Uhr, bei – 10° C. Lufttemperatur, wurde die Kanone aufgeschraubt.
                              									Die Gefrierung trat sofort ein; wie beim ersten Versuch waren in der Achse des
                              									Eiscylinders einige Luftbläschen abgelagert. In einer Gußstahlkanone von hinlänglich
                              									dicker Wand, daß sie als unausdehnbar betrachtet werden kann, bewahrt also das bei +
                              									4° C. hineingebrachte Wasser tagelang den flüssigen Zustand bei sehr niederen
                              									Temperaturen. Wenn aber durch Oeffnen der Kanone das Hinderniß entfernt wird,
                              									welches sich der Ausdehnung des erkalteten Wassers entgegensetzte, erfolgt sofort
                              									die Gefrierung.