| Titel: | Das Fitz-Maurice-Geschütz. | 
| Fundstelle: | Band 203, Jahrgang 1872, Nr. LXIX., S. 268 | 
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                        LXIX.
                        Das Fitz-Maurice-Geschütz.
                        Aus dem Mechanics'
                                 									Magazine, October 1871, S. 270.
                        Mit Abbildungen auf Tab.
                              									IV.
                        Fitz-Maurice's Geschützrohr mit getheilter
                           								Ladung.
                        
                     
                        
                           Das gegenwärtige Streben der Artillerie geht dahin, die Dimensionen der schweren
                              									Geschütze bedeutend zu vergrößern, wobei aber offenbar nach Ueberschreitung einer
                              									gewissen Grenze, nicht nur keine Vortheile mehr zu erzielen sind, sondern auch
                              									verschiedene Nachtheile herbeigeführt werden müßen. So hat die Brittische Commission
                              									für Explosivstoffe mit den 9 – und 10zölligen Geschützen durch Anwendung
                              									großen Kiesel-Pulvers (pebble powder) die
                              									geeignete Geschoß-Anfangsgeschwindigkeit mit einer Verminderung der inneren
                              									Geschützrohr-Pressung erzielt, und selbst noch mit dem 11zölligen 25
                              									Tonnen-Geschütz in Bezug auf Geschoß-Eindringungstiefen die besten
                              									Resultate erlangt (ohne dem Geschütze zu schaden); dagegen lieferte das 11,6 zöllige
                              									35 Tonnen-Geschütz hinsichtlich des Verhältnisses zwischen
                              									Geschoßanfangsgeschwindigkeit und innerer Rohr-Pressung unbefriedigende
                              									Resultate, und die Commission muß daher erst die Bedingungen feststellen, welchen
                              									die Pulverladungen so schwerer Geschütze zu entsprechen haben.
                           Die Hauptpunkte, auf welche sich ihre Untersuchungen in dieser Hinsicht erstrecken
                              									müssen, sind: Zusammensetzung des Pulvers, und Größe und Form seiner Körner, ferner
                              									die beste Methode um sehr große Ladungen anzuordnen und zu entzünden. Der letzteren
                              									Frage – die Anordnung und Entzündung der Ladung betreffend – haben
                              									bereits Andere ihre Aufmerksamkeit praktisch zugewendet und namentlich hat Capitän
                              									J. Fitz-Maurice von der königl. Marine (in
                              									Porthpean, Cornwall), die Nothwendigkeit einer durchgreifenden Reform in dieser
                              									Beziehung erkennend, eine Methode des Theilens der Ladung
                                 										schwerer Geschütze erfunden. Bevor wir zur Beschreibung dieser Erfindung
                              									übergehen, wollen wir die dabei leitend gewesenen Principien in Kürze
                              									besprechen.
                           
                           Sobald die Pulverladung eines Geschützes entzündet ist, wird plötzlich eine Gaskraft
                              									frei, welche Pressungen von vielen Tonnen pro
                              									Quadratzoll auf die Seelenwände des Rohres ausübt; bei 120 Pfd. Pulverladung beträgt
                              									diese Pressung beiläufig 47 Tonnen pro Quadratzoll.
                              									Unter dem Einflusse fortgesetzter Wiederholungen dieser ungeheuren Spannkraft müssen
                              									natürlich die Einschließungswände früher oder später nachgeben. Der Bruch derselben
                              									erfolgt entweder durch Ueberwindung der Cohäsionskraft ihres Materiales, oder durch
                              									das überwiegende Trägheitsmoment des Geschosses, welches anderweitig Raum zu
                              									schaffen zwingt, oder aus beiden Gründen zugleich. Um die hierdurch bedingten
                              									Widerstandskräfte annähernd zu schätzen, wollen wir eine Ladungskammer von einem
                              									Zoll Durchmesser und zwei Zoll Länge annehmen; die zerreißend auf die Kammerwände
                              									wirkende Kraft ist im Augenblicke der Pulverladungs-Entzündung dann neunmal
                              									so groß als die forttreibend auf das Geschoß wirkende Kraft; es leuchtet daher ein,
                              									daß jedes Mittel wodurch diese Verhältnißzahl in einer für das Rohr günstigen Weise
                              									vermindert werden konnte, sehr schätzbar wäre.
                           In Berücksichtigung des raschen Verlaufes der Pulverexplosion und der Zeit welche
                              									erforderlich ist um das Geschoß aus dem Zustande der Ruhe in den einer raschen
                              									Bewegung zu versetzen, läßt sich die Pulverkammer als ein fester Körper von
                              									homogener Widerstandsfähigkeit betrachten, und die Forttreibungskraft der Kugel
                              									bildet daher die Grenze der zerreißend auf ihn wirkenden Kraft, welche dem größten
                              									Theile nach von den Kammerwandungen auszuhalten ist. Wenn folglich die Cohäsion der
                              									Pulverkammertheile aufrecht erhalten werden kann, bis das Geschoß die Fortbewegung
                              									erlangt, so ist die Gefahr der Geschützzersprengung als beseitigt zu betrachten,
                              									denn nach Ueberwindung der Trägheit des Geschosses verlängert sich die das Pulvergas
                              									einschließende Kammer immer mehr und wird daher verhältnißmäßig immer kleineren
                              									Pressungen unterworfen; das Gas ertheilt nämlich als Strom dem Geschosse eine
                              									beschleunigte Geschwindigkeit, und dabei nimmt die die Zerreißung bedingende
                              									Gaseinwirkung auf das Innere des Rohres immer mehr ab. Obgleich diese Thatsachen
                              									schon lange bekannt sind, hat man doch bis auf die neueste Zeit nicht ernstlich
                              									versucht dem Uebel abzuhelfen (abgesehen etwa von der amerikanischen Erfindung des
                              										Beschleunigungskammern-Geschützes.Beschrieben im polytechn. Journal, 1868, Bd. CLXXXVIII S. 112. Die Einführung des Kiesel-Pulvers (pebble
                                 										powder) und des aus kleinen Cylindern bestehenden Pulvers (pellet powder) ist jedoch ein Fortschritt in dieser
                              									Richtung, obgleich, wie erwähnt, die Schießversuche mit dem 35
                              									Tonnen-Geschütze darauf hinweisen, daß außer dem Charakter des Pulvers auch
                              									die Anordnung und Entzündung der Ladung in Betracht gezogen werden muß.
                           Capitän Fitz-Maurice's Anordnung gründet sich auf
                              									die Idee oder das Axiom daß, wenn ein Geschütz bei 120 Pfd. Ladung eben an der
                              									Grenze seiner Leistungsfähigkeit steht, es zwei nacheinander erfolgende Explosionen
                              									von je 60 Pfd. Ladung ganz sicher wird aushalten können; dabei ist ferner
                              									anzunehmen, daß wenn die beiden kleineren Ladungen mit richtigem Zeitintervall auf
                              									das im Rohre befindliche Geschoß einwirken, letzteres hierdurch zu derselben
                              									Endgeschwindigkeit im Rohre resp. Anfangsgeschwindigkeit seines Fluges gebracht
                              									werden kann, wie durch einmaliges Explodiren der Gesammtladung.
                           Von den beigegebenen Abbildungen ist Figur 11 ein
                              									Verticalschnitt, Fig. 12 ein Horizontalschnitt und Fig. 13 ein hinterer
                              									Querschnitt eines nach dieser Idee construirten Geschützrohres. – A ist ein Kammer-Einsaßstück, welches eine innere
                              									Pulverladung B und davon getrennt eine ringförmig um es
                              									herum gelagerte zweite Pulverladung C enthält; D ist ein Ladungspfropf und E der zum betreffenden Hinterladungs-Verschluß gehörige
                              									Verschlußriegel, welcher, von der Sperrklinke H
                              									gehalten, durch die Schrauben G, G zum festen Anschluß
                              									an die Geschützbodenfläche gebracht wird. Die innere Cylinder – und die
                              									äußere Ring-Pulverkammer dieses Kammer-Einsatzstückes sind jede zur
                              									Aufnahme von 60 Pfund Pulverladung eingerichtet, und die Entzündung der
                              									Ring-Ladung kann vermöge des Ladungspfropfes D
                              									sich beim Abfeuern des Geschützes erst dann der inneren Cylinderkammer-Ladung
                              									mittheilen, wenn das Geschoß durch Entzündung der äußeren ringförmigen Pulverladung
                              									bereits in Bewegung gesetzt und durch sein Vorschreiten um etwa 6 Zoll die Pressung
                              									gegen die Geschützseelenwand schon in entsprechender Weise vermindert worden ist,
                              									wornach erst diese zweite Explosion dem Geschoß seinen weiteren
                              									Bewegungs-Impuls zu geben hat.
                           Die äußere Ladung wirkt dabei zusammenpressend auf den von ihr umschlossenen hohlen
                              									Kegel und wirkt so nach des Erfinders Ansicht einem Aufreißen desselben durch die
                              									Explosion der inneren Ladung in genügender Weise entgegen. Durch die successive
                              									Ladungs-Entzündung soll nun dem Geschosse bei verminderter Anstrengung des
                              									Rohres dieselbe Anfangsgeschwindigkeit wie bei einem Geschütze des alten Systemes
                              									ertheilt werden können. Da ferner bei dieser Anordnung jedes Pulverkorn zur
                              									Verbrennung kommen muß, so kann man von Anwendung besonderer äußerer Formen des
                              									Pulvers absehen, also einfach zum alten grobkörnigen Pulver für gezogene Geschütze
                              									zurückkehren, wenn man
                              									nicht eine Mischung desselben mit Kiesel-Pulver (pebble powder) vorzieht.
                           In Fig. 14 ist
                              									die zur raschen Ausführung der Ladung des betreffenden Hinterladungsgeschützes
                              									dienende Karre K dargestellt; vermittelst derselben wird
                              									nach dem Oeffnen des Verschlusses ein geladenes Kammer-Einsatzstück A in die Verlängerung der Rohrseele gebracht und kann
                              									dann leicht in das Rohr eingesetzt werden; nach dem jedesmaligen Abfeuern des
                              									Geschützes muß eine leere Karre zum Aufnehmen des verwendet gewesenen
                              									Kammer-Einsatzstückes und eine zweite Karre mit bereits geladenem
                              									Kammer-Einsatzstück bereit stehen.
                           Die ringförmige Kartusche C, Fig. 11 und 12, ist
                              									fingerhutförmig und nöthigenfalls mit einem Bodenspiegel von dünnem Kupferblech
                              									versehen, um Gasentweichung zu vermeiden.
                           Wie die beschriebene Methode für Vorderladungsgeschütze zur Anwendung gebracht werden
                              									soll, zeigen Figur
                                 										15 und 16.
                           
                        
                     
                  
               Tafeln
