| Titel: | Ueber elektrische Uhren; von Prof. Oelschläger in Stuttgart. | 
| Fundstelle: | Band 203, Jahrgang 1872, Nr. CXV., S. 459 | 
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                        CXV.
                        Ueber elektrische Uhren; von Prof. Oelschläger in
                           								Stuttgart.
                        Aus dem württembergischen Gewerbeblatt, 1872, Nr.
                              								8.
                        Oelschläger, über elektrische Uhren.
                        
                     
                        
                           Es sind Jahrzehnte verflossen, seit die Physiker die Idee verwirklicht haben, den
                              									Elektromagnetismus als bewegende Kraft für Uhren in Anwendung zu bringen, und durch
                              									Drahtleitungen andere mit dem Hauptwerk in Verbindung stehende, in beliebiger
                              									Entfernung angebrachte Zeigerwerke, sogen. sympathische Uhren in Bewegung zu setzen.
                              									So fing man an, in größeren Etablissements, in Bahnhöfen, in den Straßen der Städte
                              									etc. solche Zeigerwerke welche die Zeit der Normaluhr angeben sollten, aufzustellen.
                              									Bald jedoch zeigten sich Störungen, welche nicht beseitigt werden konnten und die
                              									elektrischen Uhren bald in Mißcredit brachten, so daß man wünschen mußte, es möchten
                              									diese Uhren im physikalischen Cabinet als Curiosität geblieben, und nie vor das
                              									Forum der Oeffentlichkeit getreten seyn. Die Fehler derselben waren vornehmlich
                              									zweierlei Art: erstens Störungen, welche der Luftelektricität zugeschrieben werden
                              									mußten, sofern nämlich ein herannahendes Gewitter ein rasches Vorgehen um
                              									10–20 Minuten oder ein Stehenbleiben der Zeigerwerke bewirkte. Zweitens
                              									zeigte sich, daß wenn nur ein einziges Glied der Kette, d.h. ein Zeigerwerk, seinen
                              									Dienst nicht richtig versah, alle übrigen dem schlechten Beispiel folgten, und
                              									dadurch das ganze Etablissement, oder die ganze Stadt, keine richtige Zeit mehr
                              									hatte. Diesen beiden Hauptmängeln vorzubeugen, dabei den Uhren eine so vollkommene
                              									Construction zu geben, daß mechanische oder elektrische Störungen zur Unmöglichkeit
                              									werden mußten, war die schwierige Aufgabe, deren Lösung des Scharfsinnes und des
                              									Genies eines Mannes bedurfte, der in elektrischen Apparaten aller Art weit über das
                              									Gewöhnliche hinausreichende Kenntnisse besitzt, und durch seine Erfindungen auf
                              									diesem Gebiet sich schon
                              									rühmlichst ausgezeichnet hat. Welcher Grad der Vollkommenheit im Gebiet der
                              									elektrischen Uhren erreicht wurde, davon geben die von Hrn. Hipp, dem Director der Fabrik elektrischer Apparate in Neuchâtel, an verschiedenen Orten, Genf, Bern,
                              									Zürich, Basel, Neuchâtel, Cöln, Chemnitz, und vornehmlich die auf dem Bahnhof
                              									und in dem Postgebäude in Stuttgart aufgestellten Uhren ein rühmliches Zeugniß.
                           Ein Regulator, d.h. eine nach allen Regeln der Mechanik und der Wissenschaft
                              									construirte Uhr, deren Differenzen, nach angestellten astronomischen
                              									Zeitbestimmungen in einem ganzen Jahr höchstens 1 1/2 Minuten betrugen, dient als
                              									Normaluhr, von welcher aus die im Bahnhof und im Postgebäude befindlichen 42
                              									Zeigerwerke ihre Bewegung empfangen. Eine an dem Regulator angebrachte Vorrichtung,
                              									der Commutator, schließt jede Minute die elektrische Drahtleitung, und verursacht
                              									dadurch ein Vorrücken sämmtlicher Minutenzeiger um einen Strich. Dieser Commutator
                              									bewirkt aber zugleich ein Umkehren des elektrischen Stromes, so daß die Bewegung der
                              									Zeiger in der einen Minute durch den positiven, in der folgenden aber durch den
                              									negativen Strom geschieht. Somit geht die Wiederholung des gleichen Stromes
                              									wirkungslos vorüber. Die Erfahrung hat gezeigt, daß die Elektricität eines Gewitters
                              									entweder bloß positiv oder bloß negativ sey, und daß nur durch das Zusammentreffen
                              									mehrerer Gewitter, oder durch die Rückkehr eines schon vorübergegangenen, ein
                              									Wechsel in der Art der Elektricität stattfinde. Da ein solcher Wechsel nie
                              									plötzlich, sondern in Zwischenräumen von einigen Minuten oder Stunden geschieht, so
                              									wird der Gang der Uhren nicht gestört. Bringt nämlich die Luft positive Elektricität
                              									und hat kurz zuvor auch der positive Strom der Batterie auf die Uhr gewirkt, so
                              									geschieht keine Veränderung an den Zeigern; hat aber kurz zuvor (etwa vor 1/2
                              									Minute) der negative Strom der Batterie auf die Uhr gewirkt, so wird der positive
                              									Strom der Luftelektricität die Zeiger vor der Zeit auf den folgenden Minutenstrich
                              									treiben, es wird aber alsdann der nach 1/2 Minute eintretende positive Strom der
                              									Batterie wirkungslos vorübergehen, und es werden die Zeiger so lange (also 1 1/2
                              									Minuten) stehen bleiben, bis der negative Strom der Batterie sie wieder bewegt, und
                              									die Uhr wird wieder die richtige Zeit angeben. Wie gut sich dieses System bewährt
                              									hat, das beweisen die im Jahr 1867 aufgestellten Uhren des Stuttgarter Bahnhofes, an
                              									denen sich in einem Zeitraum von bald fünf Jahren nie ein Fehler dieses Principes
                              									gezeigt hat. – Die Zeigerwerke haben zwei Drahtspulen, deren Eisenkerne auf
                              									dem einen Pol eines Stahlmagnetes ruhen, also selbst den einen Pol des letzteren
                              									bilden. Auf dem anderen Pol des Stahlmagnetes bewegt sich der Anker, der nun selbst
                              									Pol wird, so zwischen
                              									den Eisenkernen, daß er, wenn kein Strom wirkt, an dem einen Eisenkern durch den
                              									Magnetismus des Stahlmagnetes festgehalten wird. Wirkt der Strom der Batterie, so
                              									wird der Anker entweder fester vom Eisenkern angezogen oder abgestoßen, und macht in
                              									letzterem Falle eine horizontale Winkelbewegung von 60 Grad, bis er an dem anderen
                              									Eisenkern, der ihn anzieht, angelangt ist. Diese Bewegung bewirkt zugleich auf
                              									einfach mechanischem Weg ein Vorrücken des Zeigers um einen Minutenstrich. –
                              									Die Zeiger sind sehr leicht, gewöhnlich aus Aluminium, und müssen vor dem Wind
                              									geschützt seyn, weil die elektrische Kraft nicht so groß ist, daß sie Windstöße
                              									überwände. Größere Zeigerwerke, deren Zifferblätter mehr als 0,6 Met. Durchmesser
                              									haben, sind mit besonderem Laufwerk versehen, welches jede Minute durch den
                              									elektrischen Strom ausgelöst wird; die Zeiger werden dann durch die Gewichte des
                              									Laufwerkes in Bewegung gesetzt. Mit diesen Laufwerken können auch Schlagwerke in
                              									Verbindung gebracht werden.
                           Die Uhren des Stuttgarter Bahnhofes haben vier abgesonderte Hauptleitungen und eine
                              									Rückleitung; letztere ist entweder ein Draht, eine Gasröhrenleitung oder die
                              									Erdleitung. Jede Hauptleitung bedient eine Anzahl Zeigerwerke, und es bewegen sich
                              									diese vier Serien in Intervallen von 1–2 Secunden. Wollte man alle vier
                              									Serien zugleich in Thätigkeit setzen, so müßte die Batterie viermal stärker seyn.
                              									Hauptleitung und Rückleitung sind nur durch die Spulen der Zeigerwerke geschlossen.
                              									Sie stehen durch Abzweigungen mit der Haupt- und Rückleitung in Verbindung
                              									und zeigen einen so großen Widerstand, daß die elektrische Kraft nicht schon vom
                              									ersten Zeigerwerk absorbirt wird, sondern sich noch auf die übrigen erstreckt. Aus
                              									dieser Anordnung folgt nun, daß man jedes einzelne Zeigerwerk abnehmen kann, ohne
                              									daß dadurch die anderen in Mitleidenschaft gezogen werden; nur darf man die freien
                              									Drahtenden nicht verbinden, weil sonst ein sogen. kurzer Schluß entstünde, und die
                              									Elektricität den ihr dadurch gebotenen kürzesten Weg wählen würde, ohne sich durch
                              									die Widerstände der anderen Zeigerwerke durchzuarbeiten, d.h. alle Zeigerwerke einer
                              									Serie würden stille stehen.
                           Elektrische Uhren, welche direct durch die elektromagnetische Kraft, also nicht durch
                              									Gewichte, getrieben werden, sind nach verschiedenen Systemen construirt worden. Die
                              									einfachste Construction ist ohne Zweifel folgende: Am unteren Ende eines
                              									Secunden- oder Halbsecunden-Pendels befindet sich der Anker eines
                              									Elektromagnetes und unter demselben, auf den Boden des Kastens befestigt, der
                              									Elektromagnet selbst, so daß der Anker mit den: Pendel über den Elektromagnet hin
                              									und her schwingt. Vermindert sich die Größe des Schwingungsbogens bis auf ein
                              									bestimmtes Maaß, so
                              									bewirkt das Pendel einen Schluß der elektrischen Leitung, der Elektromagnet wirkt
                              									auf den Anker, das Pendel erhält einen Impuls, sein Schwingungsbogen wird wieder
                              									größer und das Spiel beginnt auf's Neue. Die Bewegung des Pendels setzt auch die
                              									Zeiger in Bewegung. Eine solche Uhr, mit Commutator und sympathischer Uhr versehen,
                              									ist auf dem Telegraphenbureau in Canstatt aufgestellt.