| Titel: | Beiträge zur Glastechnik; von Eduard Siegwart. | 
| Autor: | Eduard Siegwart | 
| Fundstelle: | Band 205, Jahrgang 1872, Nr. XVIII., S. 40 | 
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                        XVIII.
                        Beiträge zur Glastechnik; von Eduard Siegwart.
                        Siegwart, Beiträge zur Glastechnik.
                        
                     
                        
                           Unter allen hervorragenden Industriezweigen wird keiner von den Chemikern so
                              									stiefmütterlich behandelt wie die Fabrication des Glases, und doch verdankt gerade
                              									die Chemie die meisten ihrer interessantesten Entdeckungen ausschließlich den
                              									vorzüglichen Eigenschaften, welche das Glas vor allen anderen Körpern
                              									auszeichnen.
                           Das Glas ist für die Chemiker vermöge seiner Widerstandsfähigkeit gegen die
                              									verschiedensten Flüssigkeiten und wegen der Durchsichtigkeit, welche alle Vorgänge
                              									bei der Einwirkung der verschiedenen Substanzen auf einander erkennen läßt, ganz
                              									unentbehrlich.
                           Ohne Glas wäre die Optik kaum bekannt, der herrliche Mechanismus im großen
                              									Weltenraum, die Zusammensetzung vieler Himmelskörper, sowie deren Größe und Bahnen
                              									wären noch nicht erforscht, und ohne Mikroskop hätte man von den unzähligen kleinen
                              									Geschöpfen, welche mit demselben entdeckt wurden, keine Ahnung; die schöne Erfindung
                              									der Photographie wäre nicht gemacht, und viele unserer Gelehrten würden der
                              									Menschheit weniger Nützliches bieten, wenn ihnen nicht das Glas in Form einer Brille
                              									zu Hülfe käme.
                           Und wie großen Nutzen zieht nicht das alltägliche Leben von dem Glase! In Form von
                              									Fenstern schützt es uns vor den schädlichen Einflüssen der Witterung, und gibt
                              									zugleich Licht unseren Wohnungen; als Spiegel reflectirt es unsere Bilder; als
                              									Reflector verstärkt es die Leuchtkraft der Flammen, und in den Zimmern finden wir
                              									die durchsichtigen Schmelzproducte, das Glas, in allen Formen und Gestalten. Viele
                              									Anwendungen des Glases fallen uns weniger in die Augen, weil wir gewohnt sind diese
                              									Gegenstände täglich vor uns zu sehen, aber nichts desto weniger tragen sie sehr viel
                              									dazu bei, das menschliche Leben angenehmer und nützlicher zu machen.
                           Gewiß verdient das Glas und dessen Technik mehr wissenschaftliche Aufmerksamkeit, als
                              									ihm bisher geschenkt wurde, und deßhalb habe ich mir vorgenommen, außer meinen
                              									eigenen Untersuchungen und Versuchen auch die neuesten Forschungen aus der
                              									Geschichte des Glases hier in Kürze zusammenzustellen.
                           Wenige Fragen warteten so lange auf eine richtige Lösung wie diejenige über die
                              									Erfindung des Glases. Ist es Phönicien oder Phrygien, Theben oder Sidon, welchem wir
                              									dieses schöne Product verdanken, oder müssen wir noch Jahrhunderte hinter diese
                              									Zeitrechnung zurückgehen, und diese wichtige Erfindung in jene Zeit versetzen, wo
                              									die Menschheit das Feuer entdeckte und die Einwirkung desselben auf die Naturkörper
                              									und auf die ersten künstlichen Thonsteine beobachten konnte? Indem ich mich zu
                              									letzterer Ansicht hingezogen fühle, erwähne ich, daß Tubalkain, Sohn von Sella und Lamech, geb. 3870 vor Chr. Geb. sehr geschickt war im
                              									Schmelzen von Eisen und Erz, nach anderen Uebersetzungen, im Bearbeiten von Eisen
                              									und Kupfer. Wie demauch sey, das Feuer sowie die Fabrication einiger Metalle in
                              									thönernen Oefen war entdeckt, und hierbei mußten sich nothwendiger Weise Schlacken
                              									bilden, die glasigen Schmelzproducte, welche die Aufmerksamkeit der Arbeiter auf
                              									sich lenkten.
                           Wie bekannt, schreibt Plinius die Erfindung des Glases den
                              									Phöniciern zu, welche sich am Ufer des Belus (jetzt Narhr-Halou) ihr Essen
                              									zubereiteten. In Ermangelung von Bausteinen benutzten sie, um einen Feuerherd zu
                              									construiren, Stücke von Nitrum (eine Art unreiner Soda)
                              									und machten darin ein Feuer an. Die Soda schmolz bald durch die Hitze des Feuers
                              									zusammen und verband sich mit dem feinen Ufersand des Beins zu einer klaren
                              									durchsichtigen Masse, zu Glas.
                           Obschon der Sand von Belus wegen seiner außerordentlichen Schmelzbarkeit viel zu
                              									dieser Entdeckung beigetragen haben könnte, so darf man doch diese Erzählung nur
                              									unter die Zahl jener Mährchen versetzen, womit griechische Schriftsteller, welche
                              									Plinius stellenweise copirte, die Lücken der Geschichte ausmalten, denn wer jemals
                              									in einer Glashütte gewesen ist und die Hitze gefühlt und gesehen hat, welche
                              									nothwendig ist, um selbst das weichste Glas in Fluß zu bringen, wird leicht die
                              									Unmöglichkeit obigen Herganges begreifen. Die Erzählung von Plinius mag vielleicht daher datiren, daß bis in späte Zeiten hinein stets
                              									der Sand des Belus als der vorzüglichste anerkannt war, und daß sich die Glashütten
                              										von Sidon, wie später
                              									auch diejenigen von Venedig (Murano), stets desselben zu ihren besten Gläsern
                              									bedienten.
                           Auch andere Schriftsteller, wie Jos. Flavius und nach ihm
                              										Palissy erzählen obigen Hergang auf ähnliche Weise.
                              									Kinder Israels sollen in einem Walde Feuer angelegt haben; dieses Feuer sey so
                              									mächtig und intensiv geworden, daß es seine eigene Asche mit dem Sande und dem
                              									Kalkstein des Bodens zusammenschmolz und so eine glasige Decke erzeugte.
                           Es ist Thatsache, daß die Entdeckung des Glases in's hohe Alterthum zurückzuführen
                              									ist. Vielerorts gefundene Gegenstände aus Glas sprechen hierfür. In erster Linie
                              									sind diejenigen Gegenstände zu erwähnen, welche in den Gräbern von Beni-Hasan
                              									gefunden wurden, die unter Usertasen, welcher 3500 vor
                              									Chr. Geb. regierte, ausgeführt worden sind. Man fand dort Abbildungen arbeitender
                              									Glasbläser mit den Pfeifen in der Hand an einem Glasofen sitzend und ganz ähnliche
                              									Bewegungen vorstellend, wie man selbe noch heut zu Tage bei arbeitenden
                              									Glaskünstlern sieht, woraus man schon hinreichend auf das hohe Alterthum dieses
                              									Industriezweiges schließen darf. Auch noch andere Belege sind vorhanden. Eine von
                              									Capitän Hervey gefundene und von Wilkinson (The Manners and Customs of the ancient
                                 										Egyptians, vol. III p. 88) beschriebene
                              									Glaskugel trägt den Namen ihrer Besitzerin, einer Königin von Theben, in
                              									Hieroglyphen eingravirt, welcher von Deveria in folgender
                              									Weise entziffert wurde: „die von Athor geliebte
                                 										Göttin (Königin) Ra-ma-ka, Beschützerin
                                 										von Theben.“ Diese Königin regierte 1500 Jahre vor Chr. Geb.
                           Außer Theben werden auch Tyrus und Sidon wegen ihren im Alterthum ausgezeichneten
                              									Glasproducten erwähnt.
                           Der Ruf von diesen verschiedenen Glashütten konnte den Römern nicht unbekannt
                              									bleiben, denn kaum hatte Julius Cäsar sich Aegypten
                              									unterworfen, als er den Besiegten auferlegte, den jährlichen Tribut in Glaswaaren
                              									abzubezahlen, und hierdurch vervollkommnete sich die Glasfabrication Aegyptens immer
                              									mehr und mehr, bis unter der Regierung von Tiberius,
                              									unter welcher man die Glasindustrie in Rom selbst zu cultiviren begann.
                           Begabt mit richtigem Scharfblick richteten die Römer ihre Fabriken nach dem Muster
                              									der ägyptischen ein, und machten rasch solche Fortschritte, daß ihre Products den
                              									ägyptischen wenigstens gleichkamen. Merkwürdiger Weise beschränkte sich aber ihre
                              									Fabrication immer noch auf Farbenglas, doch nur aus dem Grunde, weil die Materialien
                              									aus denen Glas gemacht wurde, selten so rein waren, um gleich ein farbloses Product
                              									daraus herstellen zu können, und es deßhalb viel leichter war, durch Zusatz von verschiedenen
                              									Metalloxyden gefärbte Gläser zu produciren, als ein durch verschiedene
                              									Unreinigkeiten häßlich gefärbtes Glas durch Klärmittel, welche man zum Theil noch
                              									nicht kannte, zu entfärben.
                           In Rom selbst wurde die Verwendung von Glas immer allgemeiner und wie Plinius erzählt, soll die Ausschmückung von Badezimmern
                              									und Büchersälen mit bunten Glasstücken nichts Seltenes gewesen seyn, ja es soll
                              									sogar ein gewöhnlicher Bürger M. Scaurus sich ein
                              									Wohngebäude gebaut und dessen innere Räume mit einer großen Zahl gläsernen Säulen
                              									ausgeschmückt haben.
                           Aber auch den Bedürfnissen des großen Publicums entsprachen die Glasfabriken bald,
                              									und lieferten demselben Gefäße in Menge und zu billigen Preisen, denn die Römer
                              									sahen sehr richtig ein, daß man, um eine Fabrication aufrecht zu erhalten, mit deren
                              									Producten der großen Menge dienen müsse.
                           Es sind uns viele Glasproben aus dieser Zeit erhalten, welche sämmtlich von einer
                              									großen Vollkommenheit der Fabrication zeugen; namentlich sind die Urnen, welche zur
                              									Aufbewahrung der Asche von Verstorbenen dienten, geschmackvoll und schön
                              									ausgeführt.
                           Nachdem Gallien unter die Botmäßigkeit der Römer gekommen war, sorgten letztere
                              									gleich dafür, mit ihren Sitten und Gebräuchen, in diesem Lande auch die Industrie
                              									des Glases einzuführen, welche sich auf diesem Boden ungewöhnlich rasch verbreitete
                              									und die römische bald, sowohl in Geräthschaften, als auch in kunstvollen
                              									Gegenständen übertraf. Ein schlagendes Beispiel hierfür gibt uns die Vase von
                              									Straßburg, welche als Product einer ausgezeichneten, kaum mehr bekannten
                              									Fabricationsmethode, einzig dasteht und die Bewunderung aller Kenner auf sich zieht.
                              									Selbe wurde im Jahr 1825 in der Nähe von Straßburg gefunden und trägt den Namen Maximianus Augustus (römischer Kaiser welcher im Jahr 310
                              									nach Chr. Geb. zu Marseille starb).
                           Die zahlreichen Glashütten Frankreichs wie Spaniens wurden jedoch durch die
                              									Verheerungen der Barbaren fast gänzlich erdrückt und viele ihrer werthvollsten
                              									Fabricationsgeheimnisse gingen vollständig verloren.
                           Unterdessen erblühte aber die Fabrication im Orient unter Constantin I., welcher sich alle Mühe gab, die vorzüglichsten Arbeiter aus
                              									dem Abendlande herbeizuziehen mit dem Versprechen, daß sie in seinem Reiche Hülfe
                              									und Schutz finden würden, und sie sogar von sämmtlichen Steuern und Abgaben
                              									befreite. Aber trotz diesen großen Begünstigungen im Orient begann doch die
                              									Industrie im Occident wieder empor zu steigen. Namentlich war es Venedig, welches
                              									sich besonders hervorthat, und das bisherige Monopol des Orients allmählich an sich riß. Agricola (de re metallica)
                              									sagt von dieser Zeit: „In Venedig verfertigt man unglaubliche Sachen von
                                 										Glas, wie Waagschalen, Teller, Schüsseln, Spiegel, Vögel, Blumen, Bäume,
                                 										Früchte“ u.s.w.
                           Aber auch Deutschland fing an Glas zu fabriciren, jedoch, was Form und Ornamentik
                              									betrifft, ganz verschieden von den Producten Venedigs und schuf so einen neuen
                              									Industriezweig, dessen Waaren denen ausländischer Fabriken starke Concurrenz
                              									machten. Als Gründer der deutschen Industrie sind namentlich Johann Keyl, sowie der Chemiker Kunkel, und Caspar Lehmann, der Erfinder des
                              									Glasschleifrädchens, hervorzuheben. Hauptsächlich war es Böhmen, welches diese
                              									Fabrication am Sorgfältigsten cultivirte, und das Glas welches es producirte, das
                              									sich durch Reinheit und Geschmack auszeichnete, zu sehr billigen Preisen
                              									verkaufte.
                           So war denn das Glas zum Gemeingut Aller geworden, sowie zum nützlichsten und
                              									unentbehrlichsten Gegenstande, welchen die Menschheit zu ihrer Existenz bedarf.
                           Das Glas in seiner gewöhnlichen Zusammensetzung ist eine Verbindung von Kieselsäure
                              									mit Natron, Kali, Kalk und Bleioxyd. Als Hauptbestandtheil ist darin die Kieselsäure
                              									zu betrachten, mit welcher sich die Basen, einander substituirend, verbinden.
                           Eine einfache Verbindung von Kieselsäure mit Kali oder Natron kennen wir unter dem
                              									Namen Wasserglas, zu dessen Darstellung und Verwendung
                              									uns der Pater Basilius Valentinus schon im Jahr 1520
                              									werthvolle Notizen aufgezeichnet hat. Erst in neuester Zeit gelang es aber dem
                              									Professor J. N. v. Fuchs in München, dieser Verbindung
                              									große Bedeutung zu verleihen und sie zu einem werthvollen technischen Artikel zu
                              									machen. Zur Darstellung des Wasserglases wird ein Gemenge von Kieselsäure mit
                              									Potasche oder Soda wasserhell zusammengeschmolzen, wobei die Kohlensäure des Alkalis
                              									durch die Kieselsäure ausgetrieben und eine neue Verbindung gebildet wird, welche,
                              									wenn Kieselsäure und Alkali in passenden Verhältnissen zusammengeschmolzen wurden,
                              									die eigenthümliche Eigenschaft besitzt, sich in siedendem Wasser vollständig
                              									aufzulösen. Das Product der Schmelze läßt man bei fabrikmäßiger Darstellung in
                              									kaltes Wasser fließen; die erkalteten Stücke werden zerschlagen, gemahlen und in
                              									siedendem Wasser auf bestimmte Concentration aufgelöst.
                           In neuerer Zeit wird fast ausschließlich Natron-Wasserglas dargestellt. Die
                              									Fabrication desselben ist einfach. Ein gutes Product wird aus folgender
                              									Zusammensetzung erzielt:
                           
                           
                              
                                 100     Theile
                                 Quarzmehl,
                                 
                              
                                   65,75    „
                                 calcinirtes Glaubersalz,
                                 
                              
                                   17,14    „
                                 Soda,
                                 
                              
                                     3,52    „
                                 Holzkohle.
                                 
                              
                           Die einzelnen Materialien werden möglichst klein verwendet und äußerst sorgfältig
                              									gemengt, wodurch man im Stande ist, die Schmelzzeit um ein Bedeutendes abzukürzen.
                              									Das Gemenge wird im gewöhnlichen Glasofen in neuen Häfen eingeschmolzen. Auf einigen
                              									Fabriken bedient man sich eigens dazu hergestellter Oefen und Häfen. Erstere
                              									unterscheiden sich meistens nur in der geringeren Größe von gewöhnlichen Glasöfen,
                              									letztere dagegen haben eine sehr vortheilhafte Einrichtung. Sie sind nämlich dicht
                              									oberhalb des Bodens mit einer Oeffnung versehen, durch welche das Glas nach
                              									vollständiger Schmelzung mit Leichtigkeit und rasch aus dem Hafen entfernt werden
                              									kann. Während des Schmelzens wird diese Oeffnung mit einem gußeisernen hohlen
                              									Pfropf, durch welchen ein Strom kalten Wassers circulirt und so ein Schmelzen
                              									desselben verhindert, zugestopft.
                           Das Wasserglas bildet durchsichtige (dem Kalkglas ähnliche) Brocken von grün oder
                              									gelblich gefärbtem Aussehen. Ein Glas aus einer rheinischen Hütte, welches nach
                              									einer Analyse auf 100 Theile Kieselsäure 38,72 Theile Natron enthielt, löste sich in
                              									reinem Wasser rasch und vollständig zu einer klaren Flüssigkeit auf. Salze der
                              									Alkalien fällten aus dieser Lösung nach und nach eine Gallerte aus, von nahezu der
                              									Formel des verwendeten Glases. – Aehnlich wie Glaubersalz etc. wirkt auf eine
                              									Lösung des Wasserglases Alkohol, und man besitzt in diesem ein Mittel, reine
                              									Verbindungen darzustellen. – Die Säuren, selbst Kohlensäure, scheiden aus dem
                              									Wasserglase die Kieselsäure aus, indem sich die Alkalien mit denselben verbinden.
                              									Diesem Umstand ist es auch zuzuschreiben, daß man bei der Fabrication von Wasserglas
                              									in der Wahl des Wassers so vorsichtig seyn muß, und nur ganz reines Wasser mit
                              									Vortheil verwenden kann.
                           Gießt man Essigsäure in eine Lösung von Wasserglas, so erhält man sofort eine
                              									weißliche Gallerte, welche bald eine krystallinische Structur annimmt; bringt man
                              									dagegen eine Lösung von Wasserglas in Essigsäure, so entsteht erst nach einiger Zeit
                              									eine stark opalisirende Masse, welche nach dem Auswaschen und Trocknen so hart wird,
                              									daß sie Glas ritzt; es ist dieß eine den im Mineralreich vorkommenden Opalen
                              									ähnliche Verbindung.
                           Anders als die Alkalien, verhalten sich die alkalischen Erden zur Kieselsäure.
                           
                           Kalk und Kieselsäure verglasen sich in gewöhnlichem Glasofenfeuer nicht; im
                              									Knallgasgebläse erhält man jedoch aus gleichen Theilen Kalk und Kieselsäure eine
                              									Schmelze, welche nach dem Erkalten zu einer krystallinischen Masse erstarrt und bei
                              									größerer Menge von Kalk ein blasiges, sprödes Glas bildet.
                           Die Verbindungen von Magnesia mit Kieselsäure sind sehr schwer schmelzbar; leichter
                              									schmelzbar sind dagegen die Verbindungen von Baryt und Strontian mit Kieselsäure,
                              									welche sehr weiße Gläser liefern und als theilweiser Ersatz der Soda oder Potasche
                              									in der Glasfabrication eingeführt sind. Diese Substitutionsproducte zeichnen sich
                              									durch ein hohes specifisches Gewicht aus, und sind jedenfalls zu optischen Zwecken
                              									recht gut geeignet.
                           Eine sehr große Rolle unter den kieselsauren Verbindungen spielt die kieselsaure
                              									Thonerde, welche häufig und in großen Massen in der Natur vorkommt; unter dem Namen
                              									Disthen ist sie als schön krystallisirte Verbindung bekannt. Künstliche Verbindungen
                              									zwischen Kieselsäure und Thonerde herzustellen, ist jedoch schwierig, weil sie zu
                              									hohe Hitzegrade beanspruchen.
                           Eisenoxyd und Manganoxyd verbinden sich mit der Kieselsäure in starker Hitze zu
                              									dunkeln unansehnlichen Massen.
                           Bleioxyd und Kieselsäure schmelzen leicht zu flüssigen Silicaten zusammen, wie sich
                              									schon aus dem Durchlöchertwerden der hessischen Tiegel beim Schmelzen von Bleiglätte
                              									ergibt.
                           Weit wichtiger jedoch als die einfachen Verbindungen der Kieselsäure mit den eben
                              									angeführten Basen, sind uns die Doppelverbindungen derselben, die wirklichen Gläser. Die wichtigsten hiervon sind die
                              									Kali-Kalkgläser, Natron-Kalkgläser und Natron-Bleioxydgläser.
                              									Es sind dieß harte, spröde, durchsichtige oder doch durchscheinende Schmelzproducte
                              									mit sogen, glasigem Bruch. Sie sind durch eine chemische Verbindung der oben
                              									angeführten Basen mit Kieselsäure hervorgebracht.
                           Das Glas ist demnach ein Salz und zwar ein kieselsaures Doppelsalz, ein Silicat. Es
                              									ist ein schlechter Wärmeleiter, woher auch seine große Zerbrechlichkeit bei raschem
                              									Temperaturwechsel rührt. Die Wärme dringt nur langsam in die inneren Schichten
                              									desselben ein; die äußeren Schichten dehnen sich unterdessen aus, und weil die
                              									inneren noch kälter sind und nicht so rasch folgen können, bricht das Glas. Auch
                              									beim raschen Abkühlen von heißem Glase findet ein ähnlicher Vorgang statt. Ein
                              									ausgezeichnetes Beispiel hierzu haben wir in den batavischen
                                 										Thränen. Es sind dieß Glastropfen, welche in noch flüssigem Zustande in
                              									kaltes Wasser fallen gelassen wurden. Die äußerste Schicht erstarrt in diesem Falle sehr rasch und
                              									bildet über dem noch ausgedehnten heißen Glaskörper eine feste Kruste. Allmählich
                              									erkalten auch die inneren Theilchen und würden sich auf ein bedeutend geringeres
                              									Volumen zusammenziehen, wenn ihnen nicht die feste äußere Kruste Widerstand
                              									entgegensetzte. Es entsteht hierdurch eine sehr starke Spannung, welche sich bei
                              									Verletzung der Oberfläche durch Knall und Zerfallen des ganzen Tropfens zu Staub
                              									kund gibt. Aehnlich verhalten sich die Bologneserfläschchen.
                           Um den Grad der Zerbrechlichkeit der verschiedenen Glassorten zu vermindern,
                              									verwendet man in der Praxis die Kühlöfen, mittelst deren eine ganz allmähliche
                              									Kühlung erzielt wird.
                           Sehr auffällig wird eine gute Kühlung von einer schlechten beim Graviren des Glases
                              									unterschieden. Gut gekühltes Glas ist bedeutend härter und daher kommt es auch, daß
                              									sich Weinflaschen, welche gewöhnlich in großen Haufen lange im Kühlofen liegen,
                              									gegen Schmirgel und Rad so widerstandsfähig zeigen.
                           Das Glas ist ferner biegsam, mehr oder weniger, je nach dem Verhältniß des
                              									Längsschnittes zum Querschnitte. Dünne Glasfäden kann man mit Leichtigkeit um die
                              									Hand winden und in neuerer Zeit werden sogar Stoffe von Glaswolle (einem
                              									ausgezeichneten Product aus sehr feinen Emailfäden) dargestellt, welche sich durch
                              									Brillanz ihrer Farben vor Seidenstoffen vortheilhaft auszeichnen.
                           Das Glas ist ferner elastisch und kehrt, nachdem es gebogen wurde, wieder in seine
                              									frühere Lage zurück (wenn die Biegung nicht zu stark gewesen ist). Belastet man
                              									dagegen ein Stück Glas längere Zeit in einer gebogenen Stellung, so behält es auch
                              									nachher eine Zeit lang seine gebogene Form bei.
                           Die wichtigste Eigenschaft des Glases ist das Weichwerden in erhöhter Temperatur,
                              									denn hierauf gründet sich die Glasfabrication zum größten Theil. Es wird geblasen,
                              									gezogen, gepreßt, geschweißt, ohne daß man sich der vielen und kostspieligen
                              									Instrumente bedienen muß, welche die Metallarbeiten erfordern. Eine eiserne Röhre,
                              									die Pfeife, eine Schere und einige Hefteisen und Zangen sind das Nothwendigste was
                              									der Glasbläser gebraucht, um aus der weichen Materie die mannichfaltigsten und
                              									nützlichsten Geräthschaften herzustellen.
                           Die Dichte des Glases variirt von 2,2 bis 4, je nach den Bestandtheilen welche zu
                              									seiner Herstellung benutzt werden.
                           Interessant ist die Wirkung des Lichtes auf Glas. Gaffield
                              									gab uns hierüber wichtige Aufschlüsse. Jedes gewöhnliche Fensterglas, das grünlich
                              									aussieht, wird, ein Jahr lang den Sonnenstrahlen ausgesetzt, erst gelb, dann rosa und
                              									schließlich violett gefärbt, ohne daß die Wärme hierbei irgendwie eine Rolle spielt.
                              									Aber auch ganz klares Weißglas ist denselben Einflüssen unterworfen; so bemerkte ich
                              									an einem gläsernen Leitungsrohr für Salzsäure, welches schon über ein Jahr im Freien
                              									als solches gedient hatte, daß derjenige Theil welcher durch den verbindenden
                              									Kautschukschlauch vor der Einwirkung der Sonnenstrahlen geschützt war, ganz klar und
                              									ungefärbt geblieben, hingegen der dem directen Lichte ausgesetzt gewesene Theil eine
                              									intensiv violette Färbung angenommen hatte. Beim Schmelzen auf dem Gebläse
                              									verwandelte sich aber die violette Färbung wieder in Weiß.
                           Ersetzt man im Natronwasserglas, dessen gute Zusammensetzung durch die Formel 2 NaO,
                              									6 SiO² bezeichnet werden kann, ein Aequivalent NaO durch ein Aequivalent CaO,
                              									so erhält man die Formel NaO, CaO, 6 SiO², worin sich NaO : CaO : SiO²
                              									= 31 : 28 : 181,2 verhalten.
                           Ein so zusammengesetztes Glas enthält:
                           
                              
                                 Kieselsäure      
                                 75,4 Proc.      
                                 SiO² : NaO, CaO
                                 
                              
                                 Natron
                                 12,9    „
                                 1 : 0,325
                                 
                              
                                 Kalk
                                 11,6    „
                                 
                                 
                              
                           eine Zusammensetzung, die, wie sich bei einem synthetischen
                              									Versuch herausstellte, ein gutes Glas lieferte und mit der Analyse eines sehr guten
                              									Fensterglases von Charleroi (Belgien) annähernd übereinstimmte, welche ergab:
                           
                              
                                 Kieselsäure
                                 74,82 Proc. = 100      
                                 SiO² : NaO, CaO
                                 
                              
                                 Natron
                                 13,01    „    =
                                    											17
                                 1 : 0,324
                                 
                              
                                 Kalk
                                 11,21    „    =
                                    											15
                                 
                                 
                              
                                 Eisen und Thonerde
                                   1,03    „
                                 
                                 
                              
                                 Schwefelsäure
                                 Spuren.
                                 
                                 
                              
                           Dieses Glas zeichnete sich durch seine Widerstandsfähigkeit gegen Atmosphärilien
                              									vortheilhaft aus.
                           Andere Glassorten von ebenfalls bekannt guten Eigenschaften ergaben eine ähnliche
                              									Zusammensetzung.
                           
                              Fensterglas von Saarbrücken:
                              
                           
                              
                                 Kieselsäure
                                 71,27 = 100
                                 SiO² : NaO, CaO
                                 
                              
                                 Natron
                                 12,50 = 17,4      
                                 1 : 0,372
                                 
                              
                                 Kalk
                                 14,13 = 19,8
                                 
                                 
                              
                                 Eisen und Thonerde
                                   1,44
                                 
                                 
                              
                                 Schwefelsäure
                                   0,21
                                 
                                 
                              
                           
                           
                              Fensterglas von Witten:
                              
                           
                              
                                 Kieselsäure
                                 72,25 = 100
                                 SiO² : NaO, CaO
                                 
                              
                                 Kalk
                                 13,40 = 18,5      
                                 1 : 0,362
                                 
                              
                                 Natron
                                 13,02 = 18,0
                                 
                                 
                              
                                 Eisen und Thonerde
                                   1,23
                                 
                                 
                              
                                 Schwefelsäure
                                   0,12
                                 
                                 
                              
                           Fensterglas von Stolberg vom Jahr
                              									1867:
                           
                              
                                 Kieselsäure
                                 72,03 = 100
                                 SiO² : NaO, CaO
                                 
                              
                                 Kalk
                                 14,07 = 19,5      
                                 1 : 0,353
                                 
                              
                                 Natron
                                 11,41 = 15,8
                                 
                                 
                              
                                 Eisen und Thonerde
                                   2,45
                                 
                                 
                              
                                 Schwefelsäure
                                   0,14
                                 
                                 
                              
                           Dasselbe vom Jahr 1869:
                           
                              
                                 Kieselsäure
                                 72,42 = 100
                                 SiO² : NaO, CaO
                                 
                              
                                 Kalk
                                 13,81 = 19,0      
                                 1 : 0,365
                                 
                              
                                 Natron
                                 12,71 = 17,5
                                 
                                 
                              
                                 Eisen und Thonerde
                                   0,93
                                 
                                 
                              
                                 Schwefelsäure
                                   0,14
                                 
                                 
                              
                           Dasselbe vom Jahr 1870:
                           
                              
                                 Kieselsäure
                                 72,34 = 100
                                 SiO² : CaO, NaO
                                 
                              
                                 Kalk
                                 12,97 = 17,9      
                                 1 : 0,363
                                 
                              
                                 Natron
                                 13,35 = 18,4
                                 
                                 
                              
                                 Eisen und Thonerde
                                   1,24
                                 
                                 
                              
                                 Schwefelsäure
                                 Spuren.
                                 
                                 
                              
                           Dasselbe vom Jahr 1871:
                           
                              
                                 Kieselsäure
                                 71,97 = 100
                                 SiO² : CaO, NaO
                                 
                              
                                 Kalk
                                 12,84 = 17,8      
                                 1 : 0,363
                                 
                              
                                 Natron
                                 13,33 = 18,5
                                 
                                 
                              
                                 Eisen und Thonerde
                                   1,77
                                 
                                 
                              
                                 Schwefelsäure
                                 Spuren.
                                 
                                 
                              
                           
                              Alte blinde Glasscheibe (unbekannter
                                 										Herkunft):
                              
                           
                              
                                 Kieselsäure
                                 69,37 = 100
                                 SiO² : CaO, NaO
                                 
                              
                                 Kalk
                                   7,54 =
                                    											10,8      
                                 1 : 0,412
                                 
                              
                                 Natron
                                 21,11 = 30,4
                                 
                                 
                              
                                 Eisen und Thonerde
                                   1,55
                                 
                                 
                              
                                 Schwefelsäure
                                   0,40
                                 
                                 
                              
                           Es geht hieraus hervor, daß in einem guten Glase ein Aequivalent Kalk und ein
                              									Aequivalent Natron mit 6 Aequivalenten Kieselsäure verbunden sind.
                           Benrath glaubt in seiner vorzüglichen Arbeit
                              										„über die Normal-Zusammensetzung des bleifreien
                                 										Glases“ die besten Gläser mit einer kalkreicheren Formel, als oben angegeben,
                              									bezeichnen zu müssen. Nach ihm ist die Normalformel:
                           5 (NaO, 3 SiO²) + 7 (CaO, 3 SiO²)
                           Ich habe mich aber durch mehrere synthetische und analytische Versuche überzeugt,
                              									daß, sobald mehr als ein Aeq. CaO mit einem Aeq. NaO und 6 Aeq. SiO²
                              									verbunden ist, sich das Glas nicht mehr so widerstandsfähig gegen Atmosphärilien
                              									zeigt, wie oben angeführte Zusammensetzung eines belgischen Glases; dagegen aber
                              									viel größere Neigung zum „Rauhwerden“ verräth.
                           Unter anderen untersuchte ich eine vollständig erblindete Glasprobe, deren
                              									Zusammensetzung mit der Benrath'schen Normalformel
                              									übereinstimmte und die aus einer Hütte kam, welche Benrath gerade als mustergültig hinstellte.
                           Eine weniger empfehlenswerthe Zusammensetzung haben folgende Gläser:
                           Schlesisches Fensterglas von recht gutem
                                 										Aussehen.
                           
                              
                                 Kieselsäure
                                 74,72 Proc. = 100
                                 SiO² : NaO, CaO
                                 
                              
                                 Kalk
                                   8,87    „    
                                    											= 11,8      
                                 1 : 0,318
                                 
                              
                                 Natron
                                 15,01    „    
                                    											= 20,0
                                 
                                 
                              
                                 Eisen und Thonerde
                                   1,26    „
                                 
                                 
                              
                                 Schwefelsäure
                                   0,17    „
                                 
                                 
                              
                           Dieses Glas enthält auf Kosten des Kalkes zuviel Natron. Leider war die Probe zu
                              									klein, um selbe auf Widerstandsfähigkeit gegen chemische Agentien prüfen zu
                              									können.
                           Eine ganz ähnliche Zusammensetzung zeigte das Fensterglas von
                                 										Zwickau:
                           
                              
                                 Kieselsäure
                                 72,30 Proc. = 100
                                 SiO² : NaO, CaO
                                 
                              
                                 Kalk
                                   8,34    „    =
                                    											11,5      
                                 1 : 0,348
                                 
                              
                                 Natron
                                 16,89    „    =
                                    											23,3
                                 
                                 
                              
                                 Eisen und Thonerde
                                   2,42    „
                                 
                                 
                              
                                 Schwefelsäure
                                 Spuren.
                                 
                                 
                              
                           Die Analyse eines Wasserstandsglases, welches durch die
                              									Einwirkung von Dampf fast vollständig zerfressen war, ergab:
                           
                              
                                 Kieselsäure
                                 72,63 Proc. = 100
                                 SiO² : NaO, CaO
                                 
                              
                                 Kalk
                                   9,92    „    =
                                    											13,6      
                                 1 : 0,340
                                 
                              
                                 Natron
                                 14,86    „    =
                                    											20,4
                                 
                                 
                              
                                 Eisen und Thonerde
                                   2,07    „
                                 
                                 
                              
                                 Schwefelsäure
                                 Spuren.
                                 
                                 
                              
                           Außer diesen wenigen Analysen könnte ich noch viele andere von Glas aus den
                              									verschiedensten Hütten anführen, welche die Ansicht, daß das Gemenge zu einem
                              									widerstandsfähigen Glase nicht zu viel Kalk enthalten darf, vollkommen
                              									bestätigen.
                           Sodann glaube ich auch, daß die Intensität der Hitze im Glasofen während dem
                              									Schmelzen sehr viel zur Widerstandsfähigkeit eines Glases beiträgt, und habe mich
                              									überzeugt daß mit schlechtem Brennmaterial (gleiche Zusammensetzung und vollständige
                              									Schmelzung vorausgesetzt) niemals ein so gutes, widerstandsfähiges Product erzielt
                              									werden kann, wie mit gutem Brennmaterial.
                           Es wäre von großer Wichtigkeit, die Temperatur des Glasofens von Zeit zu Zeit
                              									controlliren zu können, um die Abhängigkeit der Eigenschaften des Glases von den
                              									Temperaturgraden zu bestimmen. Weil aber die zu diesem Zwecke vorgeschlagenen
                              									Pyrometer theils kostspielig, theils ungenau und sämmtlich mehr oder weniger
                              									unpraktisch sind, so glaube ich eine einfache Methode, deren man sich zu
                              									calorimetrischen Versuchen bedient, vorschlagen zu müssen, um die
                              									Temperaturschwankungen im Glasofen genau überwachen zu können und erbiete mich, die
                              									nähere Beschreibung des erforderlichen Apparates den sich dafür Interessirenden
                              									zukommen zu lassen.
                           Wie Jedermann schon bemerkt haben wird, schimmern alte Glasfenster häufig in allen
                              									Farben, Spiegel die in feuchten Räumen hängen und selten geputzt werden, bleiben
                              									matt, Standflaschen in Kellern überziehen sich mit einer dünnen weißen Kruste, und
                              									aus Gräbern entnommene sehr alte Gegenstände von Glas blättern vollständig ab; es
                              									ist dieß die Folge einer sehr mangelhaften Zusammensetzung des Glases und den
                              									Vorgang nennt man „Blindwerden.“
                              								
                           Die Untersuchung eines in den prachtvollsten Farben spielenden Stückes Glas aus einem
                              									römischen Grabe ergab:
                           
                              
                                 Kieselsäure
                                 64,25 Proc. = 100
                                 SiO² : NaO, CaO
                                 
                              
                                 Kalk
                                   7,54    „    =
                                    											11,7      
                                 1 : 0,478
                                 
                              
                                 Kali und Natron
                                 23,22    „    =
                                    											36,1
                                 
                                 
                              
                                 Eisen und Thonerde
                                   3,52    „
                                 
                                 
                              
                                 Magnesia
                                   1,44    „
                                 
                                 
                              
                           Bei dem Vorgang des Blindwerdens wirken die Feuchtigkeit der Atmosphäre, die
                              									Kohlensäure und das Ammoniak derselben, auf die Oberfläche des schlecht
                              									zusammengesetzten Glases ein, und zersetzen dieselbe; das Glas bleibt feucht, die
                              									Alkalien und der Kalk desselben trennen sich durch Einwirkung der Atmosphärilien von
                              									der Kieselsäure; die Alkalien werden dann durch den Regen weggespült, während sich
                              									der Kalk mit der Kieselsäure als äußerst dünnes Häutchen auf der Oberfläche des
                              									Glases ablagert und das Irisiren bewirkt.
                           
                           Die Wirkung des Wassers auf das Glas war schon Scheele und
                              										Lavoisier bekannt, welche gegen die damalige
                              									allgemeine Annahme, Wasser verwandle sich in Erde, bewiesen daß beim Eindampfen von
                              									Wasser in Glas sich von letzterem etwas auflöse und nachher als feste Substanz
                              									zurückbleibe. Die Zersetzung des Glases geht viel rascher vor sich, wenn man
                              									dasselbe, wie schon Cadet und nach ihm Pelouze zeigte, als feines Pulver mit Wasser und
                              									Kohlensäure behandelt; selbst die besten Gläser zersetzen sich in diesem Falle, und
                              									verlieren ihre Basen zum großen Theil.
                           Merkwürdig ist das Vorkommen von Schwefelsäure in den verschiedenen Glassorten des
                              									Handels, und es ist auffallend daß vor Pelouze kein
                              									Chemiker auf dasselbe aufmerksam geworden ist, da doch die Schwefelsäure mit großer
                              									Leichtigkeit sowohl in der Natronschmelze, als auch in der Lösung mittelst reiner
                              									Flußsäure nachgewiesen werden kann.
                           Bei der Fensterglas-Fabrication werden die fertigen Cylinder in den Streckofen
                              									gebracht, um sie flach zu machen, zu strecken. Bei dieser Operation bleibt die eine
                              									Seite der Tafel fortwährend auf der vollkommen ebenen Seite des Strecksteines
                              									liegen, während die andere Seite der Hitze des Streckfeuers preisgegeben ist. Bei
                              									dieser andauernden Einwirkung des Feuers verändert sich die Oberfläche des Glases;
                              									sie wird reicher an Kieselsäure und verliert etwas an Alkali. Enthält die
                              									betreffende Glassorte ansehnliche Mengen von Schwefelsäure, so verflüchtigt sich bei
                              									dieser Operation auch von dieser ein kleiner Theil und lagert sich an das Alkali
                              									gebunden als feiner grauer Ueberzug nebst etwas Ruß im Kühlcanal auf den frischen
                              									Glastafeln ab, denselben ein mattes trübes Ansehen ertheilend. – In einigen
                              									Glasfabriken ist es üblich, die gestreckten Scheiben, bevor sie in die Schneidstube
                              									gebracht werden, zu waschen. Das Wasser nimmt hierbei sämmtliche Salze und
                              									Unreinigkeiten, welche sich auf der Oberfläche des Glases abgelagert hatten, auf.
                              									Ich benutzte ein solches Waschwasser, welches zum Waschen von 2000 Quadratfuß
                              									gedient hatte, um darin die Menge Schwefelsäure zu bestimmen, welche sich während
                              									dem Strecken auf den Scheiben abgesetzt hatte. Dieses Waschwasser war vollständig
                              									rein eingefüllt worden und enthielt nach dem Waschen der Scheiben 27,3 Grm.
                              									schwefelsaures Natron; auf den Quadratfuß Glas also 0,01365 Grm.
                           Das Vorhandenseyn von Schwefelsäure kann man auf sogenanntem schwitzenden Glase
                              									leicht nachweisen. So legte ich eine zum Blindwerden stark geneigte Fensterscheibe
                              									in einen feuchten reinen Raum, und schon nach einigen Tagen war die Oberfläche des
                              									Glases mit einem leichten Anfluge von Krystallisation bedeckt (blind). So oft nun
                              									dieser Versuch mit der
                              									frisch gereinigten Scheibe wiederholt wurde, zeigte sich jedesmal Krystallisation,
                              									namentlich auf derjenigen Fläche der Scheibe, welche während dem Strecken direct mit
                              									dem Stein in Berührung gewesen war. Die obere kieselsäurereichere Schicht des Glases
                              									dagegen zeigte außer größerer Widerstandsfähigkeit gegen Atmosphärilien, größere
                              									Härte und viel schöneren Glanz. Dieses Verhalten zu kennen, ist für die Praxis von
                              									Wichtigkeit, weil diejenigen Scheiben, deren Strecksteinseite bei Bauten gegen Außen
                              									gekehrt ist, viel mehr unter den schädlichen Einflüssen der Witterung zu leiden
                              									haben und bedeutend leichter blind werden. – Entfernt man an einem frischen
                              									Glase die härtere Seite durch Abschleifen und nachheriges Poliren, so verhalten sich
                              									beide Glasflächen in Bezug auf Erblinden ganz ähnlich und man erhält in einem
                              									feuchten Raum schon nach einigen Tagen hinreichend Substanz, um nachweisen zu können
                              									daß in den ausgeschiedenen Krystallen Natron und Schwefelsäure enthalten ist.
                           Um den Unterschied zwischen frisch polirtem und durch Erblinden auf der Oberfläche
                              									theilweise zersetztem Glase besser hervortreten zu lassen, überzog ich eine große
                              									zum Blindwerden geneigte Glastafel mit einem Brei von feingeriebener Kreide und
                              									Glycerin ganz gleichmäßig, wie dieß bei der Musselinglas-Fabrication
                              									geschieht, und ließ antrocknen. Hiernach wurde eine Schablone aufgelegt und mehrere
                              									Stellen des Glases decorationsartig bloß gebürstet. Die so präparirte Scheibe blieb
                              									vierzehn Tage an einem trockenen Orte liegen. Nach dieser Zeit wurde der Ueberzug
                              									abgewaschen und das Glas getrocknet. Das Glas zeigte keine Spur von Veränderung. Ich
                              									hatte nun früher bei meinen vielseitigen Aetzversuchen beobachtet, daß sich die
                              									verschiedenen Glassorten gegen ein schwach saures Aetzbad ganz verschieden
                              									verhalten; selbst die verschiedenen Glasseiten zeigten in dieser Beziehung
                              									bedeutende Differenzen, und ich legte deßhalb die so behandelte Scheibe ungefähr
                              									eine halbe Stunde in ein solches Bad, bestehend aus
                           
                              
                                   16 Theilen
                                 Fluorwasserstoff-Fluorkalium,
                                 
                              
                                 120      „
                                 Wasser und
                                 
                              
                                  1,5      „
                                 Schwefelsäure von 66° Baumé.
                                 
                              
                           Nach dieser Zeit war auf der Oberfläche eine stark matte Verzierung auf schwach
                              									mattirtem Glase entstanden und zwar war die Scheibe an allen denjenigen Stellen
                              									stark mattirt, welche während den 14 Tagen mit der Kreideschicht bedeckt gewesen
                              									waren. Der Glycerinzusatz hatte diese Stellen fortwährend ein wenig feucht erhalten
                              									und dadurch eine langsame Zersetzung der darunter befindlichen Schicht bewirkt.
                           
                           Es wäre dieß ein leicht ausführbares Verfahren, die verschiedenen Glassorten auf ihre
                              									Widerstandsfähigkeit gegen Atmosphärilien zu prüfen.
                           Wird geschmolzenes Glas einer äußerst langsamen Abkühlung unterworfen, so findet in
                              									demselben eine Veränderung statt. Diese Veränderung ist in den meisten Fällen eine
                              									sichtbare; im Glase entstehen weiße Punkte, diese dehnen sich strahlenförmig nach
                              									allen Seiten hin aus, das Glas wird trüb und nach einiger Zeit ist das vorher klare
                              									Glas in eine undurchsichtige porzellanähnliche Masse verwandelt worden, in sogen.
                              										Reaumur'sches Porzellan. Diesen Vorgang nennt man
                              									Entglasen. Mit dem sogen. Entglasen, welches eine der merkwürdigsten Erscheinungen
                              									im Gebiete der Glastechnik ist und über sehr viele
                              										„Glaskrankheiten“ Aufschluß gibt, haben sich schon die
                              									namhaftesten Chemiker, wie Dumas, Pelouze etc.
                              									beschäftigt. Dasselbe kommt oft schon während dem Ausarbeiten der Glasmasse aus dem
                              										„Hafen“ vor; das Glas wird rauh, wie die Glashüttenleute zu
                              									sagen pflegen, und man kann in diesem Falle nichts Besseres thun, als die Arbeit
                              									einzustellen und dem Ofen von Neuem stärkere Hitze zu geben.
                           Läßt man in einem Streckofen ein Stück Scheibenglas einige Wochen bei einer
                              									Temperatur liegen, welche hinreicht um das Glas fortwährend weich zu erhalten, so
                              									beobachtet man beim Herausnehmen und Erkaltenlassen ebenfalls jene auffallende
                              									Veränderung, woraus sich ergibt, daß eine gewöhnliche Streckofentemperatur
                              									vollständig hinreicht, um jene interessante Erscheinung hervorzurufen. In diesem
                              									Falle beginnt das Trübwerden auf der Oberfläche des Scheibchens und schreitet
                              									allmählich und gleichmäßig gegen die Mitte vor. Die Trübung beginnt nun auch auf der
                              									unteren Fläche und kommt der oberen gleichmäßig entgegen. Unterbricht man in diesem
                              									Momente den Vorgang, so bemerkt man auf dem Bruche dieses Scheibchens drei
                              									verschiedene Schichten, welche oben und unten milchweiß undurchsichtig, und in der
                              									Mitte klar und durchsichtig sind. Auffallend ist zugleich, daß zwischen den
                              									einzelnen Schichten die Cohäsion nur noch schwach ist, in Folge dessen sie sich
                              									leicht von einander trennen lassen. Dieses Trübwerden
                              										(„Entglasen“) beruht auf einer physikalischen Veränderung,
                              									auf einer Krystallisation des Glases. Betrachtet man die ersten weißen Punkte,
                              									welche wie Sandkörnchen aussehen, mit dem Mikroskop, so zeigt sich ein starker
                              									weißer Kern, um welchen sich, hauptsächlich nach sechs Seiten hin, federförmige
                              									haarfeine Kryställchen anlegen, um mit selbem ein äußerst zartes sechsseitiges
                              									Krystallgefüge zu bilden. Es ist dieß die Krystallbildung welche ich hauptsächlich
                              									in Fensterglas beobachtete. Anders aber sehen die Krystalle in größeren Glasmassen
                              									aus. In dunklem Weinflaschenglas entstehen vorzugsweise runde, dem Kapuzinerkressensamen ähnliche,
                              									dem hexagonalen System ungehörige Körperchen, während sich im sogenannten halbweißen
                              									Glase prachtvoll ausgebildete Kreuzchen, dem tesseralen System angehölig, bilden.
                              									Die einzelnen Krystalle lagern sich in hinreichender Temperatur an einander,
                              									Neubildungen schieben sich fortwährend dazwischen und das Glas wird in eine trübe
                              									porzellanähnliche Masse verwandelt, welche Reaumur als
                              									Ersatz für Porzellan zur Fabrication von Gefäßen aller Art verwenden wollte, jedoch
                              									ohne Erfolg.
                           Zu verschiedenen Malen hatte ich Gelegenheit solche veränderte Gläser zu analysiren.
                              									Ein Stück aus einer Schweizer Hütte stammend, ergab folgendes Resultat:
                           
                              
                                 Kieselsäure
                                 72,80 Proc.
                                 
                              
                                 Natron
                                 11,50    „
                                 
                              
                                 Kalk
                                 15,02    „
                                 
                              
                                 Thonerde und Eisen     
                                   0,47    „
                                 
                              
                                 Schwefelsäure
                                   0,21    „
                                 
                              
                           Es frägt sich nun, wie entstehen diese Krystalle und wie verhält sich ihre
                              									Zusammensetzung zu dem Glase aus welchem sie entstanden.
                           Die erste Frage suchte Pelouze zu beantworten, welcher
                              									nach zahlreichen Versuchen zu dem Resultat gelangte, daß die Krystalle durch einen
                              									Ueberschuß von Kieselsäure im Glase hervorgebracht werden. Sowohl synthetische, in
                              									der Spiegelmanufactur zu St. Gobain angestellte, als analytische Versuche
                              									bestätigten ihm dieses. Bontemps dagegen ist anderer
                              									Meinung und behauptet, daß die Krystallisation vom Kalke herrühre, welche Behauptung
                              									er durch einige Beweise bestätigen will. Erstens meint er, wissen die
                              									Glasfabrikanten sehr wohl, daß das Rauhwerden des Glases durch Verminderung des
                              									Kalkes sich vermeiden lasse; ferner sey die Kieselsäure durch die hohe Hitze eines
                              									Knallgasgebläses selbst zu einem klaren Gase zu schmelzen, und schließlich erwähnt
                              									er, daß Pelouze zu seinen Versuchen ein sehr kalkreiches
                              									Glas benutzt habe, daher auch hierbei der Kalk die Krystallisation habe bewirken
                              									können.
                           Allerdings ist es Thatsache, daß die stark kalkhaltigen Gläser sehr leicht entglasen,
                              									aber andererseits ist es auch bekannt daß zu dem Reaumur'schen Porzellan mit Vorliebe an Thonerde und Kieselsäure reiche
                              									Glassorten verwendet wurden, und daß hauptsächlich diese rasch und mit schönem Bruch
                              									entglasen. Ueberhaupt meine ich, daß es unter bestimmten Umständen möglich ist,
                              									sowohl mit Kieselsäure als mit Kalk oder anderen Oxyden krystallisationsfähiges Glas
                              									herzustellen.
                           Weit interessanter als die Umstände der Bildung von entglastem Glase, ist für den
                              									Chemiker die Zusammensetzung dieser Products. Dumas
                              									 theilte in seinem
                              									Handbuch der angewandten Chemie die ersten Analysen mit, und führt folgende
                              									Resultate an:
                           
                              
                                 Klare
                                       												Glasmasse.
                                 Krystallisirter
                                       											Theil.
                                 
                              
                                 Kieselsäure                  
                                 64,7      
                                 68,2
                                 
                              
                                 Thonerde
                                   3,5
                                   4,9
                                 
                              
                                 Kalk
                                 12,0
                                 12,0
                                 
                              
                                 Natron
                                 19,8
                                 14,9
                                 
                              
                           Er behauptet hiernach, daß sich bei der Entglasung ein Theil des Alkaligehaltes
                              									verflüchtige. Ich glaube jedoch annehmen zu müssen, daß Dumas zwei verschiedene Glassorten vor sich hatte, oder daß er ein Stück
                              									untersuchte dessen krystallisirte Seite während dem Entglasen nach außen gelegen und
                              									folglich der zersetzenden Einwirkung der hohen Temperatur preisgegeben war. Eigene
                              									Untersuchungen haben mir nie eine merkliche Differenz zwischen krystallisirter und
                              									unveränderter Glasmasse herausgestellt.
                           Basel, im Juni 1872.