| Titel: | Ueber Restfarben; von Prof. W. Stein. | 
| Fundstelle: | Band 205, Jahrgang 1872, Nr. CVIII., S. 443 | 
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                        CVIII.
                        Ueber Restfarben; von Prof. W. Stein.
                        Aus dem Journal für praktische Chemie, 1872, Bd. V
                              								S. 328.
                        Stein, über Restfarben.
                        
                     
                        
                           In meiner Abhandlung „zur Theorie der Körperfarben“ (polytechn.
                              									Journal, 1871, Bd. CCII S. 544) habe ich für die Entstehung einer gewissen Art
                              									derselben eine Erklärung auf die besondere Mitwirkung von weißem Lichte gegründet,
                              									welche sich in folgende allgemeine Sätze zusammenfassen läßt:
                           1) Alle Farben, welche die zur Bildung von Weiß erforderlichen (leukogenen) Elemente
                              									enthalten, erleiden unter dem vorherrschenden Einflusse weißer Lichtschwingungen
                              									eine Zerlegung.
                           2) Diese Zerlegung besteht darin, daß durch die vorherrschende Bewegung des weißen
                              									Lichtes die leukogenen Elemente genöthigt werden, in den entsprechenden
                              									Verhältnissen zu Weiß zusammen zu treten.
                           So ausgedrückt, ist die Erklärung unabhängig von dem, was man als die leukogenen
                              									Elemente ansehen will. Ich habe dafür Roth, Gelb und Blau genommen, nicht um den
                              									durch unseren verdienten Forscher Helmholtz eingeführten
                              									Ansichten entgegen zu treten, – dieß würde mir als einem Laien auf diesem
                              									Gebiete schlecht anstehen, – sondern einestheils, weil sie zur Erklärung der
                              									von mir untersuchten Fälle ausreichten, anderentheils aber, weil sie in der That die
                              									denkbar einfachsten Farben, wirkliche Farbenelemente sind. Ich möchte daher um der Sache willen darauf
                              									hinweisen, daß mutato nomine meine Erklärung sich mit
                              									jeder Anschauungsweise verträgt, welche zugibt, daß Weiß aus farbigen Elementen
                              									entstehen kann. So wenig dieß bestritten wird und bestritten werden kann, so sicher
                              									ist es auch, daß die Bildung von Weiß nur bei einem bestimmten
                                 										Mischungsverhältnisse jener farbigen Elemente stattfindet. Daraus folgt,
                              									daß in mehrtheiligen Farben, welche uns ja nur darum als Farben erscheinen, weil sie
                              									die leukogenen Elemente in anderen Mischungsverhältnissen enthalten, der im
                              									Ueberschusse vorhandene Theil zum Vorschein kommen muß, nachdem der leukogene Theil
                              									in Weiß übergeführt worden ist. Die auf solche Weise zu Stande gekommenen Farben,
                              									sie seyen einfach oder zweitheilig, kann man Restfarben
                              									nennen.
                           Man darf annehmen, daß es viele hierher gehörige Farben gibt, ohne daß wir uns dessen
                              									bewußt sind. Denn so scharf unser Gesichtssinn, verglichen mit den übrigen Sinnen,
                              									ist, so schwer und meist unmöglich wird es uns, in einer gegebenen Farbe kleine
                              									Beimengungen einer zweiten oder dritten Farbe zu erkennen. Es steht uns jedoch, wenn
                              									ich nicht irre, in dem Weiß ein Mittel zu Gebote, durch welches bei sachgemäßer
                              									Anwendung eine Analyse solcher Farben möglich werden kann. Daß das Braun zu dieser
                              									Kategorie zu rechnen sey, wird wohl nicht beanstandet werden, und für das Schwarz,
                              									von dem ich in meiner Abhandlung über UltramarinPolytechn. Journal, 1871, Bd. CC S. 299. ausgegangen bin, läßt es sich leicht beweisen. Dem, was ich schon früher in
                              									dieser Beziehung beigebracht habe, füge ich noch Folgendes bei. Wir können an allen
                              									zweitheiligen Farben mindestens drei Varianzen unterscheiden, nämlich 1) die
                              									neutrale Mischung, in welcher keiner der beiden Bestandtheile sich besonders
                              									bemerklich macht, 2) eine Mischung worin der eine, und 3) eine solche worin der
                              									andere Bestandtheil vorherrscht; beispielsweise beim Violett 1) neutrales, 2)
                              									Blauviolett, 3) Rothviolett. Dem entsprechend sind an dreitheiligen Farben
                              									mindestens vier Varianzen möglich, und wir unterscheiden in der That an dem Braun
                              									außer dem neutralen Tone noch Gelbbraun, Rothbraun und Schwarzbraun (eigentlich
                              									Blaubraun). Wäre nun für das Schwarz das sogenannte Kohlschwarz der neutrale
                              									Zustand, so würden die Varianzen seyn: Blauschwarz, Rothschwarz, Gelbschwarz. Die
                              									beiden letzteren sind indessen nicht sprachgebräuchlich, und man wird sogleich
                              									einsehen, warum. Wenn man z.B. Frankfurter Schwarz mit Chromroth und Weingeist,
                              									allgemein wenn man Schwarz mit Roth mischt, so geht es in Braun über. Das Braun ist also
                              									eigentlich nur eine Varianz des Schwarzen, d.h. Schwarz mit Roth. Da wir nun wissen,
                              									daß man Braun aus Roth, Gelb und Blau darstellen kann, so folgt von selbst, daß
                              									Schwarz dieselben Bestandtheile ohne alles oder mit einem geringeren Antheile von
                              									Roth enthalten muß. Das Erstere ist gänzlich unwahrscheinlich, da nur Blau und Gelb
                              									übrig bleiben würden, die ja eine grüne Mischung bilden. Ist daher nur das Letztere
                              									annehmbar, so fragt es sich noch, welcher Bestandtheil im Schwarzen vorherrscht;
                              									denn einer oder der andere muß im Vergleich zur Mischung des Braunen vorherrschen,
                              									weil sonst nur wieder Braun zum Vorschein kommen könnte. Die folgenden Versuche
                              									werden hierauf Antwort geben: 1) Wenn man gleich große Volumina Schweinfurter Grün
                              									einerseits und Frankfurter Schwarz andererseits mit je einem halben Volumen
                              									Chromroth und Weingeist mischt, so entsteht im ersten Falle Olivengelb, im zweiten
                              									Braunroth. Daraus folgt, daß im Schwarz weniger Gelb als im Braun nicht nur, sondern
                              									auch als im Grün vorhanden seyn muß, daß darin, mit anderen Worten, das Blau
                              									vorherrscht. Denn wenn man dem neutralen Grün Gelb entzieht, wird es Blaugrün. 2)
                              									Mischt man zu Frankfurter Schwarz Zinkgelb mit Weingeist, so entsteht ein tiefes,
                              									dem sogenannten Russischen ähnliches Grün, was gleichfalls das Vorherrschen des Blau
                              									im Schwarz bestätigt.
                           Bekanntlich erscheinen uns die tiefsten Töne von Blau, Grün, Violett und Braun als
                              									Schwarz, und wir erkennen erst die eigentliche Farbe, wenn wir sie im durchgehenden
                              									Lichte bei dünner Schicht, im reflectirten Lichte bei schief auffallenden Strahlen
                              									betrachten. Dieß heißt aber nach meiner Ansicht so viel, als wenn wir sie mit weißem
                              									Lichte mischen. Die angeführten Versuche sprechen dafür, daß diese tiefen und
                              									tiefsten Töne in der That Schwarz enthalten, also eigentlich Varianzen des Schwarz
                              									darstellen, welches unter den angeführten Umständen der Beobachtung nur zerlegt
                              									wird.
                           Die Natur des körperlichen Schwarz glaube ich hiermit zur Genüge dargethan zu haben,
                              									wie auch aus dem zuletzt Angeführten hervorgeht, daß dessen Mischung variiren
                              									kann.
                           Es könnte nun noch gefragt werden, wie es komme, daß, wenn meine Ansicht von den
                              									Restfarben richtig sey, dreitheilige Farben überhaupt bestehen können, mit anderen
                              									Worten, warum ihre leukogenen Bestandtheile nicht ohne Weiteres zu Weiß sich
                              									ergänzen? Darauf läßt sich per analogiam mit dem
                              									Hinweise auf viele chemische Verbindungen antworten, in denen die Elemente zur
                              									Bildung verschiedener einfacheren enthalten sind, z.B. von Kohlenoxyd und Wasser in
                              									der Ameisensäure, von Kohlensäure und Alkohol im Zucker etc., ohne daß diese dennoch
                              									entstehen, wenn die
                              									Gleichgewichtslage der Elemente nicht durch irgend welche Einwirkung gestört wird.
                              									Doch lassen sich auch zwei directe Antworten geben, von denen in verschiedenen
                              									Fällen wahrscheinlich bald die eine, bald die andere richtig ist. Entweder schwingt
                              									eine Lichtwelle, die fähig ist, in mehrere andere von verschiedener Länge zerlegt zu
                              									werden, als Ganzes und theilt ihre Bewegung direct dem Sehnerven mit, oder es
                              									schwingen jene Wellen von verschiedener Länge neben einander, ohne sich zu stören
                              									oder zusammenzufließen, versetzen aber, indem sie auf den Sehnerven treffen, diesen
                              									in dieselbe Bewegung, wie die erstere. In einem Falle ist also die Farbenschwingung
                              									schon außerhalb des Auges fertig, im anderen kommt sie erst im Sehnerven zu Stande.
                              									In beiden Fällen aber läßt sich voraussagen, daß eine Aenderung der Erscheinung nur
                              									durch eine Abänderung der ursprünglichen Bewegung erfolgen werde. Von anderen
                              									Möglichkeiten abgesehen, geschieht dieß, wenn weihe Lichtwellen die des betreffenden
                              									farbigen Lichtes vollständig durchdringen und in sich aufnehmen. Es kann aber auch
                              									geschehen, wenn an die Stelle des weißen Lichtes ein farbiges tritt, wenn also zwei
                              									oder mehrere Wellensysteme von mehrfarbigem Lichte auf einander treffen und zu einer
                              									Welle von mittlerer Länge in einander fließen.
                           Bei körperlichen Mischungen findet das vollständige Ineinanderfließen nicht leicht
                              									statt, wird jedoch befördert durch Zumischung weißer Körper. So z.B. erhält man
                              									durch nasse Mischung von Chromorange mit Manganviolett ohne Weiteres nur Braunroth,
                              									welches jedoch durch Beimischung einer angemessenen Menge von kohlensaurer Magnesia
                              									in Rosa übergeht. Läßt man dagegen spectrales Orange über Violett fallen, so
                              									entsteht, wie Helmholtz gezeigt hat, Rosa sofort. Mit
                              									Hülfe von Spectralfarben läßt sich demnach Braun, ebenso Schwarz überhaupt, nicht
                              									erhalten, weil die verschiedenen Wellensysteme sich sofort in einander auflösen, und
                              									nur Restfarben übrig bleiben.
                           Wenn nun beim Uebereinanderfallen des gelben und violetten Spectrums Blaßrosa
                              									erhalten wird, so ist dieses eben so gut, wie im ersten Falle, eine Restfarbe, und
                              									ihr Auftreten findet nach meiner Theorie in der Annahme eine Erklärung, daß in den
                              									genannten Spectralfarben mehr Roth im Verhältniß zum Gelb und Blau enthalten ist,
                              									als zur Bildung von Weiß erfordert wird. Doch überlasse ich selbstverständlich die
                              									Entscheidung den Fachmännern und möchte schließlich nur noch darauf hinweisen, daß,
                              									wie aus dem Vorstehenden sich erkennen läßt, die Restfarben-Theorie in ihrem
                              									Wesen gar nicht neu, sondern nur eine consequente und erweiterte Anwendung von der
                              									Theorie der Complementärfarben ist.