| Titel: | Die Producte der trockenen Destillation auf der Wiener Welt-Ausstellung 1873; von Dr. Heinrich Schwarz, Professor in Graz. | 
| Fundstelle: | Band 210, Jahrgang 1873, Nr. XXXV., S. 205 | 
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                        XXXV.
                        Die Producte der trockenen Destillation auf der
                           Wiener Welt-Ausstellung 1873; von Dr. Heinrich Schwarz, Professor in Graz.Aus dem officiellen
                                       Ausstellungsbericht, Druck und Verlag der k. k. Hof- und
                                    Staatsdruckerei, Wien 1873, mit Genehmigung des Verfassers
                                    aufgenommen.
                           
                        Schwarz, über die Producte der trockenen Destillation
                           etc.
                        
                     
                        
                           Unter den Producten der trockenen Destillation haben wir mehrere Gruppen zu
                              unterscheiden, je nach dem Material, welches der Destillation unterworfen wird.
                           Die zuerst zu berührende Harzindustrie ist gerade in Oesterreich hoch entwickelt. Ein
                              ziemlich ausgedehnter Landstrich zwischen Wiener-Neustadt und Gloggnitz, das
                              sogenannte Steinfeld, ist allein durch den Anbau der Schwarzföhre und die rationelle
                              Gewinnung des Harzes und anderer Producte daraus nutzbar zu machen gewesen. Andes und Fröbe in Simmering
                              zeigen in einer hübschen Zusammenstellung die Art der Gewinnung, die dazu
                              verwendeten Werkzeuge und das gewonnene Product. Mehrere ausgedehnte Fabriken, so
                              Franz Furtenbach in Wiener-Neustadt, Emanuel Biach in Theresienfeld (Niederösterreich) und andere
                              verarbeiten den Terpenthin durch Dampfdestillation auf Terpenthinöl, Kolophonium
                              u.s.w., und verwandeln außerdem das Harz durch trockene Destillation in Harzessenz
                              oder Pinolin, in schweres Harzöl und Pech. Das Harzöl dient endlich durch
                              Zusammenbringen mit wenig Kalkhydrat zur Herstellung verschiedenfarbigen, oft durch
                              Kienruß bläulich gefärbten Wagenfettes. Auch Gustav Wagemann in Wien und J. Wille in Carolinenthal
                              bei Prag leisten in dieser Branche Vortreffliches. Amerika, welches in Virginien,
                              Frankreich, welches in dem sandigen Lande zwischen Bayonne und Bordeaux ähnliche
                              Harzgewinnungen im ausgedehntesten Maaße betreibt, waren auf der Ausstellung in
                              dieser Branche kaum vertreten.
                           Aufmerksam ist darauf zu machen, daß Portugal im Staatsforste Leiria seit Jahren ein
                              Terrain von 1600 Hektaren, mit Pinus maritima bestanden,
                              dieser Industrie gewidmet hat. Das erhaltene Product enthält viel Terpenthinöl. Im
                              Jahre 1871 – 72 wurden dort 275 Millionen Kil. Terpenthin gesammelt, welche
                              circa 45 Millionen Kil. Terpenthinöl, 189 Millionen
                              Kil. Kolophonium und 36 Millionen Kil. gelbes Harz lieferten, während der Rest als
                              Rohterpenthin in den Handel kam, dessen Absatz nach London und Lissabon ging. Ebenso
                              stellte Spanien Harz von Guadarama aus. In Schweden und Rußland wird weniger Harz,
                              als vielmehr durch trockene Destillation kienigen, harzhaltigen Holzes Holztheer und
                              Kienöl gewonnen und weiter gereinigt. Die schwedische Domäne Finspong, welche das
                              vorzügliche Kanoneneisen liefert, benutzt einen Theil des ihr zu Gebote stehenden
                              Holzes zur Destillation und stellte den gewonnenen Theer, das daraus erhaltene,
                              gereinigte Kienöl u.s.w. in ihrem Separatpavillon aus. Aehnliche Producte brachte in
                              der russischen Abtheilung Rakowicki, Gouvernement Mohilew, zur Ausstellung, ebenso
                              die Fabrik zu Tarenguis in Finnland. Deutschland hat nur eine geringe einheimische
                              Harzproduction, die z.B. im Thüringer Wald nur eben noch geduldet wird. Es
                              verarbeitet indessen viel fremdes, besonders amerikanisches Harz. Meguin aus Saarlouis verarbeitet jährlich 15,000 Centner
                              Harzöl zu Maschinenschmieren und gewinnt nebenbei noch Pinolin, Pech und andere
                              Producte.
                           Eine zweite Gruppe bilden das Petroleum, das Photogen und Paraffin, diese
                              vortrefflichen Beleuchtungs-Kohlenwasserstoffe. Streng genommen ist das
                              Petroleum keineswegs als Product der trockenen Destillation aufzufassen. Es stimmt
                              indessen in seinen Eigenschaften und seiner Verwendung so vollkommen mit dem
                              Photogen etc. überein, daß wir uns über diese theoretische Frage hinwegsetzen können. Wenn
                              auch das Petroleum in kleinen Mengen in den verschiedensten Gegenden der Erde
                              aufgefunden wurde, so sind doch nur einige Länder in dieser Beziehung von größerer
                              Bedeutung. Den ersten Rang nimmt darunter ohne Zweifel Nordamerika ein, und kommt
                              der jährliche Productionswerth des Petroleums dort unmittelbar hinter dem der
                              Baumwolle und des Weizens zu stehen. Oesterreich in Galizien, Rußland in den
                              transkaukasischen Ländern und am kaspischen Meere, Hinterindien (Rangoon), endlich
                              Rumänien schließen sich mit nahezu gleicher Bedeutung an.
                           Amerika hatte keineswegs seine Production entsprechend ausgestellt. Die Oleophene-Oel-Company in New-York
                              lieferte Kerosenöl und Gebrüder Stephenson in
                              Philadelphia gereinigtes Paraffin, das wahrscheinlich auch aus dem Petroleum stammt.
                              Rußland ist durch die Gebrüder Siemens in Zarskoe Kolodzi
                              in Transkaukasien, sowie durch einige Aussteller, welche sich mit der Raffination
                              vielleicht amerikanischer Oele beschäftigen, und interessanter Weise auch durch den
                              Sibirier Sidorow repräsentirt, der in seiner
                              Specialausstellung in Sibirien gefundenes Rohpetroleum vorführt. Rumänien zählt
                              zahlreiche Aussteller sowohl von Erdöl, als von Erdwachs und fängt in der That an,
                              eine bedeutende Rolle in diesen Artikeln zu spielen, zumal die Gewinnungskosten dort
                              so niedrig sind, daß z.B. das Rohpetroleum trotz Eingangs- und Ausgangssteuer
                              und 30 Meilen Land- und Eisenbahn-Transport in Galizien mit dem
                              dortigen Product concurriren kann. Rangoon war in der englischen Abtheilung mit
                              Petroleum nicht vertreten. Oesterreich ist in Galizien mit reichen Petroleumschätzen
                              gesegnet. Am Nordende der Karpathen, in den untersten Stufen des Gebirges findet
                              sich Petroleum von Bochnia bis zur Grenze der Bukowina auf eine Erstreckung von 60
                              Meilen und ist in nicht weniger als 151 Ortschaften nachgewiesen. Es ist dort schon
                              seit langer Zeit bekannt, wie die zahlreichen, von der Provinciellen Bezeichnung
                              desselben (ropa) abgeleiteten Ortsnamen beweisen.
                              Gleichwie in Nordamerika das Petroleum, das in stehenden Wässern, an den Ufern der
                              Bäche, in flachen Gräben auf dem Wasserspiegel sich sammelte, schon von den
                              Indianern abgeschöpft und als Heilmittel verwendet wurde, wird Aehnliches auch aus
                              Galizien berichtet. Der Unterschied liegt nur darin, daß in Amerika die
                              Berg-Gesetzgebung über Petroleum außer allem Zweifel gestellt war, in
                              Galizien dagegen noch heutzutage höchst schwankend ist, daß dort Unternehmungsgeist,
                              Capital und leichte Communication vorhanden waren, während Galizien gerade in diesen
                              Beziehungen sehr zurückgeblieben ist. Nachdem schon seit dem Jahre 1848 jüdische
                              Unternehmer die Gewinnung des Petroleums eingeleitet, entwickelte sich auf dieser Grundlage seit
                              1853 ein wilder Raubbau mittelst flacher Schächte, die auf die oberen Schichten des
                              Petroleum führenden Mergels abgeteuft, und, nachdem der nächste Umkreis erschöpft,
                              verlassen und durch neue Schächte ersetzt wurden. Seltener wurde der geförderte
                              Mergel in Wasser aufgeschlämmt, wo dann das anhaftende Petroleum zur Oberfläche
                              stieg. Allmählich trat indessen ein etwas energischerer industrieller Betrieb ein,
                              so daß die Ausbeute im Jahre 1866 etwa die Größe von 166,000 Centnern
                              erreichte.Auf Wunsch des Dr. H. Gintl bemerke ich, daß die hier erwähnten Zahlenangaben über
                                    galizische Petroleumproduction einer Broschüre desselben, welche in der
                                    Ausstellung auf lag, entnommen sind.h. S. Leider ist sie seitdem wieder bis auf 70,000 Centner im Jahre 1871
                              herabgegangen. Große Verdienste um diese Industrie hat sich der frühere Apotheker
                              Lukasiewicz erworben, der zu Bobrka 35 Schächte oft
                              bis zu einer Tiefe von 700 Fuß niedergetrieben und dabei in den unteren Teufen das
                              amerikanische Bohrsystem in Anwendung gebracht hat. Daß auf diese Art günstigere
                              Resultate, ebenso wie in Amerika zu erreichen sind, ergibt sich aus der Thatsache,
                              daß einzelne dieser Schächte täglich bis zu 100 Centner Petroleum geliefert haben.
                              So lange die Photogen-, resp. Petroleumpreise hoch standen, waren die Kosten
                              des Transportes (per Centnermeile Landfracht 60 Kreuzer)
                              und die unvollkommene Reinigung die Veranlassung, den Preis des Rohproductes loco Grube niedrig zu halten; jetzt haben sich diese
                              Uebelstände etwas vermindert, doch dafür ist der Preis des gereinigten Oeles stark
                              gesunken. So finden wir die Erscheinung, daß in dem Zeitraume von 1854 – 1872
                              die Preise des Rohöles loco Lemberg per Centner nur zwischen 7 – 5 3/4 Gulden
                              schwanken. So viel scheint festzustehen, daß noch genügend Rohmaterial durch
                              rationellen Betrieb zu gewinnen, und daß dieses ebenso leicht und vollständig, wie
                              das amerikanische Oel zu reinigen ist, ja vor diesem noch den Vorzug besitzt, daß es
                              weniger leichtflüchtige und daher mehr eigentliche Beleuchtungsöle enthält, die bei
                              einigen Oelen vollkommen frei von Paraffin sind, daher selbst bei strenger Kälte
                              nicht gefrieren. 14 Aussteller stellten theils gereinigtes, theils rohes Petroleum
                              aus, von denen ich die galizische Aktiengesellschaft für Naphtafabrication, Jg. Lukasiewicz zu Chorkowa, Lauterbach, Goldhammer, Gartenberg u. Comp. in
                              Drohobycz, endlich T. G. Delaval zu Grybow als
                              Producenten, Dingler in Mährisch-Ostrau, Hochstetter und G. Wagemann in
                              Wien als Raffinateure hervorheben will. Die Reinigung des Petroleums ist gut
                              durchgeführt, das Paraffin läßt eher etwas zu wünschen übrig.
                           
                           Als Curiosität will ich noch berühren, daß der Amerikaner Ch. Pratt in New-York ein so schwer entzündliches Petroleum (Astralöl)
                              erzeugt zu haben angibt, daß das Oel, in Blechkästen und Holz gut verpackt, in einem
                              Waarenspeicher selbst einen Brand ohne Entzündung durchgemacht haben soll. (?)
                           Auch ein Modell zur Aufbewahrung von Petroleum unter Wasser von P. Jakovenko in Odessa und ein Meßapparat zum Detailverkauf
                              von Petroleum verdienen Beachtung.
                           Das Petroleum erschien nach dem ungeheuren Aufschwunge, den seine Gewinnung in
                              Nordamerika nahm, bestimmt, der kurz vorher aufgeblühten Industrie der
                              Photogen- und Paraffingewinnung den Garaus zu machen. Freilich sind alle
                              Fabriken, welche mit armem Material, wie Schiefer, Torf etc. arbeiteten, zu Grunde
                              gegangen; dagegen erhielt sich einerseits die Destillation der Bogheadkohle in
                              England, andererseits die der hellen Braunkohle in Sachsen-Thüringen aufrecht
                              und im lohnenden Betriebe. Ersteres Material, das von Young in England in großartiger Weise ausgebeutet wird, liefert bei der
                              Destillation bis zu 50 Proc. Theer, der besonders reich an Oelen von hohem
                              Siedepunkte, aber geringem specifischem Gewichte ist, die mit glänzendem Lichte und
                              vollkommen gefahrlos verbrennen. Die von der Murajewnischen
                              Kohlengruben-Gesellschaft im Gouvernement Rjäsan ausgestellte Bogheadkohle
                              ist dem englischen Material sehr ähnlich, und die daraus dargestellten Producte
                              lassen nichts zu wünschen übrig.
                           Die Braunkohlentheer-Industrie dagegen verdankt ihre Erhaltung dem Umstande,
                              daß der aus dem vorliegenden Material gewonnene Theer besonders paraffinreich ist,
                              und haben daher die Aussteller mit Recht dieses schöne Product in den Vordergrund
                              gestellt.
                           Nicht jede Braunkohle ist zu lohnender Verarbeitung auf Theer geeignet. In ganz
                              Deutschland existirt nur ein verhältnißmäßig kleines Terrain in der preußischen
                              Provinz Sachsen-Thüringen, zwischen den Städten Halle, Weißenfels, Zeitz
                              gelegen, wo eine eigenthümliche, fein pulverige, in trockenem Zustande hellgelbe
                              Braunkohle, meist im Ausgehenden der Flötze, in Nestern und schwachen Lagern
                              vorkommt und sich durch eine bis zu 16 Proc. des Gewichtes der frischen Kohle
                              steigende Ausbeute hellgefärbten, specifisch leichten Theeres auszeichnet, der
                              überdieß durch seinen starken Paraffingehalt selbst bei Sommertemperatur seine
                              butterartige Consistenz bewahrt. Diese Schmier- oder Schweelkohle wird von
                              der gleichzeitig gefundenen dunkelbraunen Feuerkohle getrennt gehalten und mit
                              größter Sorgfalt gewonnen. Der preußische Morgen solcher Kohle, d.h. das
                              Ausbeutungsrecht wird den Grundbesitzern mit 3000 Thalern, ja noch höher bezahlt. Es
                              scheint, daß nur noch in Böhmen einige wenige Vorkommnisse dieser Schweelkohle
                              existiren. Bei der Analyse zeichnet sie sich durch ihren bis auf 11 Proc. steigenden
                              Wasserstoffgehalt aus. Sie schmilzt am Licht gleich Siegellack und läßt sich daraus
                              durch kochenden Alkohol ein bei ca. 70° Cels.
                              schmelzendes, hellgelbes Harz ausziehen. Aus dieser Kohle wird bei schwacher
                              Rothgluth durch Destillation in liegenden oder stehenden Eisenretorten der Theer
                              gewonnen.
                           Letztere gewähren durch das Einsetzen einer Säule von übereinandergestülpten eisernen
                              Glocken den Vortheil, daß nur eine dünne Schichte Kohlen von der Hitze zu
                              durchdringen ist und der erzeugte Theer unmittelbar abgeleitet wird. Bei der
                              Reinigung des Theeres strebt man jetzt dahin, unnöthige Destillationen zu vermeiden,
                              weil man gefunden hat, daß dadurch die Ausbeute an werthvollem Paraffin vermindert
                              wird. Es ist das Verdienst Dr. B. Hübner's in Zeitz, daß er durch directe Behandlung des Theeres mit etwas
                              Schwefelsäure und nachträgliche Destillation über Kalk eine Destillation des
                              Paraffins entbehrlich macht und so über 2 Proc. mehr davon gewinnen kann. Seitdem
                              das weiche Paraffin, das man sonst bei der schließlichen Reinigung durch viele heiße
                              Schwefelsäure zerstörte, als Zusatz zu Stearin Verwendung findet, ist man auch
                              hiermit auf das geringste Maaß zurückgegangen. Die großen Fortschritte, welche diese
                              Industrie gemacht, zeigen sich nicht allein in der vorzüglich arrangirten
                              Ausstellung, welche von den zu diesem Zwecke vereinigten Firmen, Hübner in Zeitz, Sächsisch-Thüringen'sche
                              Actiengesellschaft zu Halle, Werschen-Weißenfelser Actiengesellschaft zu
                              Weißenfels, Hallische Mineralöl- und Paraffinfabrik von König u. Comp., C. R. Riebeck in Halle, Bunge u. Corte in Ober-Röblingen und Vehrigs u. Söhne in Teuchern gemacht, sowie in
                              der isolirten Ausstellung von Rößner, Schneider u. Comp. in Zeitz, sondern vor Allem in den statistischen
                              Zahlen, welche die sehr bedeutende Ausdehnung dieser Fabrication nachweisen. Im
                              Jahre 1871 producirten 41 Theerschweelereien in diesem Bezirke in 1844 liegenden und
                              610 stehenden Retorten aus 2,639,676 Bergtonnen (à 250 Pfund) Schweelkohle mit Aufwand von 2,353,551 Tonnen
                              Feuerkohlen (à 300 Pfd.) 676,477 Centner Theer.
                              Es wurden 1350 Arbeiter (incl. Familienglieder 4650
                              Personen) beschäftigt. Das Anlagecapital betrug circa
                              2,298,882 Thaler. Die Fabriksanlagen stammen aus der Zeit von 1656 – 71. Der
                              so erhaltene Theer wurde in 17 Raffinerien verarbeitet. Das Quantum betrug 704,349
                              Centner. Es wurde mit 870,779 Tonnen Feuerkohle, 1318 Arbeitern (incl. Familien 3939 Köpfe) und einem Anlagecapital von 2,952,000 Thalern
                              auf Photogen, Solaröl, Paraffinöl, Paraffin und Asphalt verarbeitet. Die zur
                              Reinigung angewendete Soda wird vielfältig durch Eindampfen und Glühen regenerirt,
                              auch mit der Reinigungs-Schwefelsäure Glaubersalz daraus bereitet und Theeröl
                              (Carbolsäure) daraus gewonnen. Die Schwefelsäure dient nach Abscheidung des
                              gebundenen Theeres zu Superphosphat, Ammoniaksalz und Eisenvitriol; der aus ihr
                              abgeschiedene Theer zur Rußbereitung.
                           Gegen diese mächtige Industrie der Braunkohle müssen analoge Darstellungen aus
                              Liasschiefer etc. zurücktreten, zumal hier die Aushülfe durch das gewonnene Paraffin
                              fehlt. Sehr zu beachten ist es, daß gewisse Sorten des durch Dr.
                              Hübner z.B. dargestellten Paraffins einen Schmelzpunkt
                              von ca. 63° Cels. zeigten, während sonst ein
                              solcher von 53–55° Cels. der normale war. Die schwersten Oele werden
                              jetzt, wie die analogen Petroleumrückstände durch Einfließenlassen in stark erhitzte
                              eiserne Retorten in schweres Leuchtgas verwandelt, das sehr sparsam und mit guter
                              Lichtentwickelung verbrennt. P. Suckow aus Breslau
                              stellte einen hierzu bestimmten completen Apparat aus, der überall leicht
                              anzubringen und so construirt ist, daß er ungemein leicht eingemauert werden
                              kann.
                           Weit verschieden von diesem leichten Braunkohlen-Theer (0,905 bis 0,920 spec.
                              Gewicht) ist der viel schwerere Steinkohlengas-Theer, welcher bei viel
                              höherer Temperatur aus Steinkohlen in Chamotteretorten als Nebenproduct der
                              Leuchtgas-Erzeugung gewonnen wird. Obwohl nur durchschnittlich 5 Proc. der
                              verwendeten Kohlen an Theer erhalten werden, so macht dieß doch bei der großen
                              Verbreitung der Gasbeleuchtung eine kolossale Gesammtmenge aus. Man nimmt an, daß in
                              London allein alljährlich 30 Mill. Centner Kohlen, in ganz England 200 Mill. Centner
                              zu Gas verarbeitet werden, was dem obigen Verhältnisse entsprechend 1,5, respective
                              1,11 Millionen Centner Theer ergeben würde. Die Production der übrigen Welt kann man
                              auf ein gleiches Quantum veranschlagen. Es hat Zeiten gegeben, wo man nicht wußte,
                              wie man über dieses Nebenproduct disponiren sollte, und solche Massen davon sich
                              anhäuften, daß man den Theer als Brennmaterial verwenden mußte. Immer aber hat die
                              Technik und die Wissenschaft dann auch eine neue Verwendung des Theeres oder seiner
                              Bestandtheile gefunden, durch welche wieder ein Mangel statt des Ueberflusses
                              eintrat. So ist auch jetzt eine stark steigende Tendenz der Theerpreise vorhanden.
                              Es dient der Theer direct zu Dachpappen und anderem Dachdeckungs-Material,
                              zur Herstellung von
                              Asphalt, zu Asphaltröhren, zum Anstrich von Holz u.s.w. Noch viel mannichfaltiger
                              wird seine Verwendung, wenn man ihn der Destillation unterwirft. Heben wir nun die
                              wesentlichsten Körper, die so gewonnen werden, das Benzol, die Carbolsäure, das
                              Naphtalin und schließlich das Anthracen hervor, so eröffnet jede dieser Substanzen
                              eine Reihe höchst interessanter und für die Bedürfnisse des Menschen wichtiger
                              Verwendungen. Es würde hier zu weit führen, auf diesem Gebiete in's Detail zu gehen.
                              Ganz naturgemäß ist diese Industrie auf hochentwickelte Staaten beschränkt, die
                              einmal Leuchtgas consumiren, andererseits so viel wissenschaftliche Bildung
                              besitzen, um diese auf rein wissenschaftlicher Basis ruhende Industrie betreiben zu
                              können. Deutschland steht in dieser Beziehung derzeit an der Spitze und beherrscht
                              z.B. in der Industrie der Theerfarben fast ausschließlich den Markt. Es kann uns
                              daher nicht Wunder nehmen, daß zahlreiche Aussteller von dort die Ausstellung mit
                              Theerproducten beschickt haben. Ich nenne darunter Julius Rütgers in Breslau, der in 3 Etablissements, Erkner bei Berlin (65,000
                              Centner), Angern an der Nordbahn (40,000 Centner) und Niederau bei Meißen (25,000
                              Centner), zusammen 125,000 Centner Theer destillirt. Hr. Rütgers ist bekanntermaßen einer der größten
                              Schwellen-Imprägnateure Europa's. Er benutzt dazu theils Chlorzink, theils
                              das carbolsäurehaltige, schwere Oel des Steinkohlen-Theeres, das zuerst von
                              Bethell in England hierzu angewendet wurde. Er ist
                              gezwungen, einen beträchtlichen Antheil solchen Oeles aus England zu beziehen neben
                              dem, welches er selbst in den eigenen Fabriken gewinnt. Er stellte sehr schönes
                              Benzol, krystallisirte Carbolsäure u.s.w. aus.
                           Ich erwähne ferner Brönner in Frankfurt a. M., eine der
                              ältesten Fabriken, die schon 1846 errichtet wurde, und sich durch ihr Brönner'sches Fleckenwasser einen Weltruf verschafft hat.
                              Neben dem leichten Oele wurde auch Carbolsäure, Naphtalin, künstliches Alizarin en pâte, trocken und in Krystallen ausgestellt.
                              Blumberger und Comp. in
                              Oberhausen hat seine Specialität mehr in Dachpappen und Desinfectionsmitteln. Leie u. Comp. in Bochum hat
                              seine Specialität in Asphaltröhren aus eingedicktem Steinkohlen-Theer und
                              endlosem Papier, für Gas- und Wasserleitungen, die sehr billig, sehr haltbar,
                              dem Roste nicht unterworfen und leicht zu verlegen sind. F. Rudolf in Höchst, welcher neben Steinkohlen-Theer auch Petroleum
                              destillirt, zeichnet sich durch besonders feinen Lampenruß aus Naphtalin aus. Die
                              Gesellschaft für Anilinfabrication in Rummelsburg bei Berlin tritt wesentlich als
                              Consument der ersten Raffinationsproducte, Benzol etc. auf, die sie auf Anilin und andere Verbindungen
                              von hoher Reinheit verarbeitet. Man erkennt leicht, daß zwei ausgezeichnete Chemiker
                              Dr.
                              Martius und Dr. Mendelssohn, Schüler des berühmten Professors Hofmann, die Fabrik dirigiren.
                           Auch J. W. Weiler und Comp. in
                              Cöln lieferten in ihrem chemisch reinen Anilin und Toluidin werthvolle Präparate.
                              Aus Oesterreich fanden wir die Firma Mayer und Müller mit Producten aus Steinkohlen-Theer,
                              hauptsächlich Schmiermaterialien angeführt, doch ist auch ein Theil der oben
                              erwähnten Ausstellung von Rütgers für uns so in Anspruch
                              zu nehmen. Es ist zu bedauern, daß diese Industrie des Steinkohlen-Theeres in
                              ihrer höheren Entwicklung in Oesterreich bis jetzt noch keinen Boden gefunden hat.
                              Unseres Wissens wird in Oesterreich nirgends in Anilin- und
                              Anilinfarben-Erzeugung gearbeitet, und dürfte es in der That jetzt zu spät
                              seyn in diesen Artikeln Deutschland Concurrenz machen zu wollen. In der englischen
                              Abtheilung ist nur die Ausstellung des bekannten technischen Chemikers Crace Calvert in Manchester zu erwähnen, dessen farblose
                              krystallisirte Carbolsäure zu medizinischem Gebrauche in England und auf dem
                              Continente sehr beliebt ist. Gleichzeitig stellte er mit Carbolsäure gefüllte Seife,
                              sowie Pikrinsäure, ihre Salze, Corallin und damit gefärbte Stoffe aus.
                           Von Frankreich ist hier die große Pariser Gasgesellschaft mit ihren aus den
                              Nebenproducten, Theer und Ammoniak, gewonnenen Präparaten, ferner H. Vedles, Pont d'Asnières, Clichy, zu erwähnen, der
                              neben dem aus Benzol dargestellten Anilin, auch solches direct aus dem Theer erzeugt
                              hat. Im Allgemeinen sind bei den Grundmaterialien für die Theerfarben in neuerer
                              Zeit keine wesentlichen Verbesserungen zu verzeichnen. Nur das Anthracen hat
                              besondere Bedeutung gewonnen, das in den letzten schweren Oelen enthalten ist, und
                              zu dessen Darstellung jetzt vielfältig der Theer bis zur Kohksbildung abdestillirt
                              wird, um dieses für die Darstellung des künstlichen Alizarins so wichtig gewordene
                              Product in möglichst großer Menge zu gewinnen. Dasselbe kommt in mehr oder weniger
                              gereinigter Form bei den meisten der erwähnten Aussteller vor.
                           Es bleibt noch die Destillation des Holzes und analoger Substanzen zu Holztheer und
                              Holzessig übrig. Auf diesem Gebiete hat Oesterreich zahlreiche Aussteller
                              aufzuweisen. Die alte Tradition der Holzdestillation in Blansko, wo Reichenbach seine berühmten Untersuchungen anstellte, die
                              in verschiedenen Richtungen das Fundament unserer Kenntnisse der trockenen
                              Destillation geworden sind, wirkt noch heutzutage fort. Von diesen unseren
                              Ausstellern will ich Gebrüder Dollfuß in Stresowitz bei
                              Prag, die rohen und
                              gereinigten Holzessig und aus Kohlenstaub gefertigte Briquettes darstellen, und
                              Johann Ramach in Ramiest in Mähren erwähnen, der
                              Holzessig, holzessigsaure Salze und Holztheer vorführte. In Deutschland ist Dr. Oppler in Fürther
                              Kreuzung bei Nürnberg zu nennen, der wahrscheinlich aus den Abfallproducten von
                              Holzgas-Anstalten Holzessig, Eisenbeize etc. neben Ammoniaksalzen und
                              Zinnpräparaten producirte, sowie der chemische Verein zu Mainz, dessen Erzeugnisse
                              eine nähere Besprechung verdienen. Es wird bekanntlich im Großherzogthum Hessen sehr
                              viel Eichen-Schälwald cultivirt, dessen vorzügliche Spiegelrinde wesentlich
                              den Ruf des rheinischen, speciell des Mainzer Leders begründet hat. Nach dem
                              Abschälen der Rinde bleibt das Holz in etwa zolldicken, kurzen Knüppeln zurück.
                              Dieses Holz wird nun, wie man uns mittheilt, als Destillationsmaterial benutzt;
                              durch sorgfältige Regelung der Temperatur erhält man eine hohe Ausbeute von sehr
                              guter Rothkohle und daneben werthvollen Holzessig, der in der bekannten Art
                              gereinigt wird, an Holzgeist und Theer. Im Ganzen besitzt der Verein 7 Fabriken, die
                              im Jahre 1871 für 380,000 Thaler Waaren producirten. Etwa 500 Arbeiter und 20 Beamte
                              sind dabei beschäftigt. Außer diversen essigsauren Salzen (darunter schöner
                              Grünspan) und der aus Holzkohlen-Abfall erzeugten Preßkohle sind interessante
                              Proben von Butter-, Valerian- und Capronsäure vorgeführt, die aus den
                              Mutterlaugen des holzessigsauren Natrons dargestellt worden sind. Das Vorkommen
                              dieser Säuren darin ist erst in neuerer Zeit nachgewiesen worden. Die Destillation
                              des Holzes in Finspong (Schweden) habe ich schon früher erwähnt.
                           Zum Schlusse soll noch der British Seaweed Company zu
                              Dalmuir bei Glasgow Erwähnung gethan werden, welche nach Stanford's Patent das Seegras oder den Tang, statt ihn zu Asche zu
                              verbrennen, nach dem Trocknen und Comprimiren in Retorten bei mäßiger Temperatur
                              destillirt. So erhält man Theer und eine, Essigsäure und Ammoniak haltende wässerige
                              Flüssigkeit. Die rückständige Kohle gibt durch systematisches Auslaugen einen
                              bedeutend höheren Ertrag an Jod- und Kalisalzen als die alte Methode der
                              Einäscherung. Die ausgelaugte Kohle könnte statt Knochenkohle zur Entfärbung benutzt
                              werden. Man zieht es vor, sie zur Desinfection von Fäcalien anzuwenden, dann das
                              Gemisch zu trocknen und auf's Neue zu destilliren, wodurch man reichlich Ammoniak
                              erhält. Die hier rückständige Kohle dient auf's Neue zur Desinfection und reichert
                              sich dadurch so stark mit Kali und Phosphaten an, daß sie schließlich, besonders
                              nach Zusatz des gewonnenen schwefelsauren Ammoniaks, einen sehr werthvollen Dünger
                              bildet. Dieser Dünger, die Kohle für sich, das Ammoniaksalz, der essigsaure Kalk, Holzgeist und endlich,
                              die aus der Asche dargestellten Präparate der Jod- und Kalireihe bilden eine
                              sehr reiche, werthvolle Collection.