| Titel: | Ueber den Einfluß des Rübengummis (der Arabinsäure) auf die Praxis der Rübenzucker-Fabrication; von Dr. C. Scheibler. | 
| Fundstelle: | Band 210, Jahrgang 1873, Nr. LXXV., S. 452 | 
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                        LXXV.
                        Ueber den Einfluß des Rübengummis (der
                           Arabinsäure) auf die Praxis der Rübenzucker-Fabrication; von Dr. C. Scheibler.
                        Scheibler, über den Einfluß des Rübengummis.
                        
                     
                        
                           In der in diesem Bande des polytechn. Journals S. 302
                              aufgenommenen Abhandlung des Hrn. Scheibler ist
                              mitgetheilt, was derselbe bezüglich des Vorkommens von Arabinsäure (Gummi) in den Runkelrüben gefunden hat. Daß man diesen
                              Bestandtheil der Rüben nun genau kennen gelernt hat, ist für die Fabrication von
                              Zucker aus denselben von Wichtigkeit, und hierauf beziehen sich die folgenden
                              Bemerkungen.
                           Wie in der citirten Abhandlung erwähnt ist, kommt die Arabinsäure unter normalen
                              Verhältnissen in dem Marke reifer und gesunder Rüben höchst wahrscheinlich
                              vollständig oder wenigstens zum größeren Theile in unlöslicher Form, d.h. als Meta-Arabinsäure vor, in welcher Form sie sich auch im Kirschgummi
                              findet. In dieser Form quillt sie in reinem Wasser nur zu einer gallertartigen Masse
                              auf. Unter anderen Verhältnissen aber, so in den alterirten Rüben, den Rüben
                              erhitzter Mieten, sowie in Rüben gewisser Jahrgänge (Campagne 1872–1873)
                              findet sich die Arabinsäure in der unmittelbar löslichen Form, zum größten Nachtheil
                              der Qualität der zu gewinnenden Säfte. Aber auch in der unlöslichen Form der
                              Meta-Arabinsäure verflüssigt sie sich sogleich bei der Einwirkung alkalisch
                              reagirender Flüssigkeiten, um dann in diese einzutreten. Daher bezeichnete Scheibler schon früher als eine mit Nachtheilen
                              verbundene Eigenthümlichkeit gewisser Saftgewinnungs-Methoden, Säfte zu
                              liefern, welche reich an Markfasern (Pülpe) seyen; jetzt haben wir die Erklärung
                              hiervon darin, daß diese letzteren bei der alkalischen Scheidung ihre
                              Meta-Arabinsäure als lösliche arabinsaure Kalkerde an den Saft abgeben. Die
                              Praxis hat seitdem den Nutzen dieser Entfaserung hinlänglich festgestellt.
                           Aus der Erkenntniß der Natur des in Rede stehenden Bestandtheiles der Rüben ergeben
                              sich noch verschiedene andere Fingerzeige, welche bei der Saftgewinnung zu
                              nützlichen Methoden führen werden, und deren sich die Technik hoffentlich bald
                              bemeistern wird. Hierher gehört schon der von Scheibler
                              gemachte Vorschlag, die Diffusions-Saftgewinnung durch schwach saures
                              (phosphorsaures) Wasser zu bewirken. Es leitete ihn hierbei unter anderen
                              Gesichtspunkten die Thatsache, daß die zunächst unlösliche, aber aufquellende
                              Arabinsäure des Rüben-Zellgewebes in alkalischen Säften sich rasch verflüssigt
                              und in Lösung geht, nicht aber, oder doch ungleich langsamer, in schwach sauren
                              Flüssigkeiten.
                           Ein anderer bei der Saftgewinnung zu beherzigender Gesichtspunkt ist folgender: Die
                              im normalen Zellgewebe der Rüben sich findende Meta-Arabinsäure quillt in
                              Berührung mit Wasser langsam zu ihrem vielfachen Volum auf (Gallerte, wie
                              Froschlaich); sie ist in dieser Periode noch nahezu unlöslich oder sehr schwer
                              löslich. Einmal aufgequollen zu einer Gallerte, geht sie dann aber langsam in
                              Lösung, selbst in reinem, nicht alkalischem oder gar schwach saurem Wasser, sey es,
                              daß sie sich dabei in lösliche Arabinsäure umwandelt, oder daß sie, was vielleicht
                              wahrscheinlicher ist, sich nur als zarte, unsichtbar durchscheinende Gallerte
                              mechanisch im Safte vertheilt. Dieser Vorgang ist nun aber die Function einer
                              gewissen Zeitdauer, und es folgt daraus, daß diejenigen
                              Saftgewinnungs-Methoden, durch welche der Saft rasch gewonnen wird, nicht so
                              bald und nicht in solcher Menge Rübengummi in den Saft übergehen lassen, wie
                              diejenigen, bei welchen eine lange dauernde Einwirkung des Wassers stattfindet. Die
                              Erfahrung zeigt dem entsprechend nun auch, daß z.B. die Schützenbach'sche Maceration die schleimigsten, gummireichsten Säfte
                              liefert, weil hier nicht allein eine lange dauernde Einwirkung des Wassers
                              stattfindet, sondern auch die zur Gallerte gequollene Meta-Arabinsäure des
                              Zellgewebes durch die fortwährende Bewegung des Breies durch das Rührwerk, sowie
                              durch die Bürsten, leicht fein zertheilt (gleichsam abgebürstet, abgerieben) und in
                              Suspension oder in Lösung gebracht wird.
                           Unzweifelhaft dürfte für alle Saftgewinnung-Methoden, welchen Namen sie auch
                              führen mögen, eine lange fortgesetzte Einwirkung des Wassers von Uebel seyn, weil
                              dadurch, zumal in den letzten Perioden, das Uebertreten löslichen Rübengummis in den
                              Saft in beschleunigter Weise vor sich geht. Der Zucker als Krystalloid diffundirt
                              rasch aus der Zelle, das Rübengummi dagegen anfangs nicht; es quillt erst allmählich
                              zu einer Gallerte, einem Colloid, auf und verläßt viel später erst die Zelle als
                              Lösung. Die Praxis bestätigt dieß; wir wissen, daß die zuerst gewonnenen Säfte die
                              zuckerreichsten und an organischen Nichtzuckerstoffen ärmsten sind. Bei den
                              Nachsäften stellt sich das umgekehrte Verhältniß ein, und es ist ganz erklärlich, ja
                              es kann nicht anders seyn, daß bei einer gewissen Grenze der Auslaugung nothwendig
                              dünne Säfte erzielt werden, in denen der organische Nichtzucker, das Gummi, in so
                              vorwiegender Menge sich vorfindet, daß die geringe Zuckermenge nicht allein nicht
                              mehr auskrystallisirt, sondern sogar absichtlich zugesetzter Zucker am
                              Auskrystallisiren verhindert wird. Wir sehen bei systematischer Auslaugung die
                              Zuckerquotienten der periodisch erzielten Säfte mit der Zeitdauer der Wassereinwirkung constant
                              fallen, und ebenso wissen wir längst, welche Verschlechterung der Säfte eintritt,
                              wenn die mit Rübenmaterial gefüllten Apparate der Saftstationen in Folge von
                              Betriebsstockungen einmal längere Zeit stehen bleiben müssen, und das Wasser Zeit
                              gewinnt, das Rübengummi völlig aufzuquellen und für die Lösung vorzubereiten. Auch
                              das Sauerwerden (Umschlagen) der letzten, dünnen Säfte dürfte sich jetzt leicht
                              erklären lassen: In der letzten Periode der Einwirkung des Wassers auf die
                              Bestandtheile des Rübenkörpers, wenn die neutralen oder die basisch wirkenden
                              Nichtzuckerstoffe längst bis auf ein Minimum ausgelaugt sind, beginnt die inzwischen
                              gequollene und im Safte suspendirte unsichtbare Gummigallerte, welche in dieser
                              ungelösten Form noch nicht sauer wirken kann, als Arabinsäure träge in Lösung
                              überzugehen, und von diesem Augenblicke an stellt sich die saure Reaction und
                              schleimige Beschaffenheit der Säfte ein. Es dürfte somit für alle
                              Saftgewinnungs-Methoden eine goldene Regel seyn: „die Säfte so
                                 rasch als möglich zu erzielen und die Wassereinwirkung der Zeit nach auf ein
                                 Minimum zu beschränken.“
                              
                           Bei alterirten oder in den Mieten erhitzten Rüben, oder solchen eigen gearteten, die
                              von Hause aus schon Rübengummi in löslicher Gestalt im Zellgewebe bergen, liegt die
                              Sache freilich anders; aber es ist wahrscheinlich, daß auch selbst bei solchen Rüben
                              noch ein großer Theil des Gummis als Meta-Arabinsäure vorhanden ist, so daß
                              das eben Gesagte also immer noch zutrifft.
                           Rübensäfte, welche in etwas erheblicher Menge Rübengummi enthalten, zeichnen sich
                              durch starkes Schäumen aus, sind sehr schwer bei der Scheidung klar zu erhalten,
                              sind trübe-opalisirend und verkochen außerordentlich schwer. Sie sind sowohl
                              absolut als scheinbar (aräometrisch) sehr reich an organischem Nichtzucker, wie dieß
                              namentlich bei den Säften der letzten Campagne sich zeigte. Diese Säfte waren nicht
                              allein reicher an organischem Nichtzucker, weil das Gummi des Zellgewebes darin
                              gelöst war, sondern sie erschienen auch noch deßhalb um so reicher daran, weil das
                              meist linksdrehende Rübengummi die Polarisation herabdrückte, ein Theil des Zuckers
                              also optisch neutralisirt als Nichtzucker in Rechnung kam. Auch die aus solchen
                              Säften erzielten Rohzucker, namentlich die ersten Producte, welchen das Rübengummi
                              anhaftete, erschienen in der letzten Campagne aus denselben Gründen viel reicher an
                              organischem Nichtzucker, als die anderer Campagnen, und ließen sich, was für solche
                              gummihaltige Zucker (namentlich wieder Macerationszucker) sehr charakteristisch ist,
                              nur sehr schwer durch Bleiessig klären. Das Vorhandenseyn von Gummi neben dem Zucker
                              verhindert zwar nicht die Entstehung unlöslicher Verbindungen in den Lösungen, aber es
                              verhindert die Ausscheidung und das Absetzen derselben; die Fällungen bleiben
                              gleichsam auf halbem Wege in der Flüssigkeit stehen, der Niederschlag ist zum Theil
                              gefällt, zum Theil gelöst, und das Ganze bildet eine trübe, opalisirende Solution.
                              Gummireiche Zuckerlösungen, die für sich ganz gut durch Papier filtriren, filtriren
                              oft gar nicht mehr oder erst nach vielen Stunden in wenigen Tropfen, wenn sie mit
                              Bleiessig versetzt sind, weil der zwischen Gefällt- und Gelöstseyn gleichsam
                              in der Schwebe befindliche Bleiniederschlag sich in den Papierporen sofort festsetzt
                              und sie verstopft. Die Dünn- und Dicksäfte der Praxis sind oft
                              trübe-opalisirend (blind); hier gilt dasselbe für die fein vertheilten
                              Kalkniederschläge, was soeben für die Bleiniederschläge hervorgehoben wurde. Selbst
                              die unlöslichsten Niederschläge, wie schwefelsaurer Baryt und Schwefelblei, setzen
                              sich aus den gummihaltigen Lösungen nicht ab.
                           In dem Rübengummi erblicken wir jedenfalls einen der wichtigsten und interessantesten
                              Bestandtheile des Zellgewebes der Rüben, sowohl was seine mißliebigen Beziehungen
                              zur Technik der Saftgewinnung und seine Eigenschaft als unangenehmer Melassenbildner
                              anbetrifft, als auch in Bezug auf die physiologische (oder pathologische?) Rolle,
                              welche es offenbar während der Vegetation der Rüben spielt. Es hat dieselbe
                              chemische Zusammensetzung C¹²H²²O¹¹C = 12, O = 10. wie der Rohrzucker, und seine Entstehung hängt ohne Zweifel mit der Bildung
                              oder Umwandlung desselben innig zusammen, sey es, daß das Gummi eine Vorstufe bei
                              der Zuckerbildung ist und in Zucker selbst überzugehen vermag, oder daß der bereits
                              fertig gebildete Rohrzucker unter besonderen Vegetationseinflüssen sich in Gummi
                              verwandelt. Wäre Ersteres der Fall, so würde man schließen können, daß gummireiche
                              Rüben (wie die der Campagne 1872–1873) solche sind, bei welchen der
                              natürliche Vegetationsverlauf in Folge von Störungen (ungünstigen
                              Witterungsverhältnissen u.s.w.) sich nicht hat vollenden können, in Folge dessen die
                              chemischen Vorgänge in der Rübe mit der Gummibildung ihren Abschluß fanden und nicht
                              kräftig genug waren, die weitere Ueberführung des Gummis in Zucker zu bewirken.
                              Vielleicht aber ist das Rübengummi (wie das Gummi
                                 arabicum) nur ein Ausschwitzungsproduct der Zelle und dann also vielleicht
                              ein Rückbildungsproduct des Zuckers?! Jedenfalls eröffnet sich hier eine Reihe der
                              interessantesten und wichtigsten Fragen, und es erscheint zunächst geboten,
                              diejenigen Umstände (Witterung, Düngung, Beschädigung der Rüben durch Verletzungen,
                              Insectenfraß u.s.w.) näher zu erforschen, welche zur Entstehung von Rüben führen,
                              die einen besonders hohen Gehalt an Gummi aufweisen. (Zeitschrift des Vereines für die
                                    Rübenzucker-Industrie des deutschen Reiches, Bd. XXIII S.
                                 288.)