| Titel: | Dampfkessel auf der Wiener Weltausstellung 1873; von Professor J. F. Radinger. | 
| Fundstelle: | Band 212, Jahrgang 1874, Nr. II., S. 9 | 
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                        II.
                        Dampfkessel auf der Wiener Weltausstellung 1873;
                           von Professor J. F.
                              Radinger.Mit besonderer Genehmigung des Hrn. Verfassers aus dem officiellen Ausstellungsbericht über
                                 „Dampfkessel“ von J. F. Radinger, a. o. Professor an der k. k. technischen Hochschule in Wien;
                                 Druck und Verlag der k. k. Hof- und Staatsdruckerei, Wien 1874.Dieser ausgezeichnete Bericht bildet das 55. Heft des
                                 von der General-Direction der Weltausstellung herausgegebenen und von
                                 Prof. Dr. Carl Th. Richter redigirten officiellen Ausstellungsberichtes; jedes Heft
                                 desselben bildet ein abgeschlossenes Ganze und kann einzeln bezogen werden. A.
                                 d. Red. v. D. p. J.
                           
                        Radinger, über Dampfkessel auf der Wiener Weltausstellung
                           1873.
                        
                     
                        
                           In der Ausstellung waren fast alle der bestehenden und eine Anzahl neuer Systeme
                              jener Apparate vertreten, in welchen Wasser unter hohem Drucke zu sieden und zu
                              verdampfen hat. Die größeren derselben lagen meist im Feuer und ihr Dampf strömte zu den Motoren der
                              Maschinenhalle und schaffte Leben in die Massen oder trieb die Pumpwerke für das
                              Nutzwasser und den springenden Strahl. Diese arbeitenden Kessel waren mit Ausnahme
                              der letzteren in einzelnen Kesselhäusern an der hinteren Langseite der
                              Maschinenhalle nach Ländern zusammengefaßt, und ihre Mehrzahl diente also sowohl der
                              eigenen Ausstellung als dem öffentlichen Zwecke. Die kleineren transportablen Kessel
                              standen meist kalt bei ihren Motoren in der Maschinenhalle oder in der
                              landwirthschaftlichen Ausstellung und nur einige Locomobile betrieben entlegenere
                              Transmissionen.
                           Die Kesselhäuser waren sämmtlich halb in den Boden versenkt und unten mit massiv
                              gemauerten Wänden versehen, welche oben das hochgelegene Dach mit einer allseitig
                              offenen, einfach geschmackvollen Holzconstruction trugen.
                           So war ein bequemer Einblick von außen gestattet, während seitliche Stiegen nach
                              abwärts und an den Kesseln vorbei führten.
                           Vorne, nächst dem Schienenstrange, lagen gleichfalls versenkt die Kohlenkammern, und
                              hinter den Kesselhäusern standen die 30 Meter hohen eisernen Kamine.
                           Unterirdische Dampfleitungen zur Maschinenhalle hin ergaben sich nun von selbst, und
                              deren gewünschte zwangslose Möglichkeit war nebst den Verhältnissen des abfallenden
                              natürlichen Terrains, welches noch immer die Wasserentleerung zuließ, mit der
                              Beweggrund für diese glückliche Anlage der Kesselhäuser.
                           Was die Systeme der Kessel betrifft, so finden wir manche derselben neu, und diese
                              streben nach der doppelten Richtung: Vergrößerung der Heizfläche und Erhöhung des
                              Druckes.
                           Um Beides zu gewinnen, kommen die Röhrensysteme mehr und mehr zur Geltung. Manche
                              dieser neuen Systeme sind mißglückt, indem sich der Rost in ihnen nicht in gleichem
                              Maaße als die Heizfläche vergrößern ließ oder als sich der benöthigte
                              Zug-Querschnitt ergab; einzelne geben zu nassen Dampf, tragen den
                              Wärmedehnungen keine Rechnung oder sind in den Detaillösungen noch nicht
                              wünschenswerth klar; aber wieder andere stehen auf der Höhe heutiger Erkenntniß und
                              alle Beurtheilung spricht für ihren bleibenden Bestand.
                           Sogenannte Verdampfversuche wurden (mit Grund) nicht vorgenommen, obgleich die
                              Gelegenheit dazu aufzufordern schien Es ist aber bekannt, daß viele Kesselsysteme
                              nässeren Dampf geben als andere, und da bis heute kein anderes Mittel bekannt ist
                              die „Dampfmenge“ zu bestimmen als durch Messung des in den
                              Kessel gebrachten Wassers, so würde ein speiender Kessel besser scheinen, als ein
                              besserer ist.
                           
                           Meiner Ansicht nach wäre nur durch Aichung des erzeugten Dampfes ein Schluß auf
                              seinen Erzeuger möglich. Würde nämlich eine und dieselbe Dampfmaschine, ohne
                              demontirt zu werden, von Kessel zu Kessel gebracht und von diesem betrieben, so
                              müßte sich unter Einhaltung gleicher Verhältnisse durch die Bremsung bei gleichem
                              Druck und Füllung ein völlig zutreffender Schluß auf die Güte der Kessel ergeben.
                              Die verschiedene Tourenzahl bei gleicher Kohlenmenge wäre das directe Maaß und dies
                              um so leichter zu erhalten, wenn schon vor der Ausstellung auf annähernd gleiche
                              Größe der Concurrenzkessel hingewirkt würde, welche überdies hier von selbst
                              auftrat.
                           Ich habe mich bei dem Studium der Kessel bemüht, einen Anhalt für die Beurtheilung
                              nach dieser Richtung hin zu gewinnen und stelle, bis Besseres vorliegt, jene
                              Dampfmenge als Maaß hin, welche bei gleich angenommener Heizung dem Quadratmeter der
                              Wasserspiegelfläche im Kessel per Stunde entsteigt.
                              Diese Dampfmenge, welche bei einer Verdampfung von 20 Kilogrm. per Quadratmeter Heizfläche im einfachen Cylinderkessel
                              40 Kilogrm. beträgt, steigt bei einzelnen neueren Systemen bis 600 und 800 und
                              wächst in einem Falle über 4000 und einem anderen über 16,000 Kilogrm. hinaus. Dort
                              wo der Dampf mit der Geschwindigkeit, wie die Luft durch die Rostspalten, durch die
                              oberste Wasserschichte bricht, wo er gleichsam in Schaum geboren wird, geht
                              natürlich ein Schluß von dem zugebrachten auf das verdampfte Wasser nicht an.Prof. Radinger theilte uns persönlich mit, daß er
                                    ursprünglich die Absicht hatte, einfach das Verhältniß
                                    Wasserspiegel/Heizfläche als Maaß für die Trockenheit des Dampfes
                                    hinzustellen und auch dies für die Folge empfehle, indem dadurch jede
                                    Willkür über die angenommene Intensität der Heizung ausgeschlossen würde.
                                    Nachdem aber bei mehreren Ausstellungskesseln die Dampfmenge angegeben war,
                                    für welche dieselben beansprucht werden sollen, und nachdem ein auf den
                                    Quadratmeter entfallendes Gewicht anschaulicher erscheint als ein noch nicht
                                    lebendig gewordenes Verhältniß, so führte er inzwischen obiges an. Z. Dieses Nässerwerden des Dampfes bei concentrirterer Heizfläche ist mit der
                              Grund, welcher große stehende Kessel nicht aufkommen läßt. Bei steigenden
                              Dimensionen wächst nämlich die Wasserspiegelfläche eines Verticalkessels mit dem
                              Quadrat, die Heizfläche aber mit dem Cubus der Vergrößerung, während bei liegender
                              Construction das Wachsen beider in gleichem quadratischen Verhältnisse erfolgt und
                              in dieser Hinsicht ihre Güte gleichbleibt. Von diesem Standpunkte aus erkennt man,
                              daß jede der neueren Kesselformen nässeren Dampf liefert als die alten Systeme.
                           Eine weitere Rücksicht ist den Blechdicken gewidmet, und um einen Vergleich zu
                              erhalten, zwängte ich sämmtliche in die Formel
                           δ = x . Dp + 3 Millimeter
                           
                           wobei D den jedesmal bekannten
                              Kesseldurchmesser in Meter und p die Spannung in
                              Atmosphären-Ueberdruck bedeutet, für welche jeder Kessel bestimmt und wobei
                              jedesmal angeführt ist, ob die Vernietung einfach oder doppelt war.
                           Da ergibt sich die merkwürdige Thatsache, daß Oesterreich die relativ schwächsten
                              Bleche verwendet; dann kommt England mit wohl etwas dünneren, aber stets in den
                              Langnäthen doppelt genieteten Blechen, dann Deutschland, dessen Tafeln trotz
                              doppelter Nietung dicker als die österreichischen sind, und endlich Frankreich mit
                              den dicksten Platten. Eigentlich sollte der amerikanische Kessel weit zu oberst
                              stehen, denn er besaß bei einfacher Nietung nur circa
                              halb so dicke Bleche, als die europäischen nach dem Vergleiche sind.
                           Im großen weiten Durchschnitt gibt aber die Formel δ = 1,1 Dp + 3 Millimeter die
                              Wandstärke der europäischen Kessel mit innerem Druck, welche sich sowohl aus dem
                              Ganzen aller ausgestellten, als auch aus den Kesseln jedes einzelnen Landes für sich
                              annähernd ermitteln läßt.
                           Stahlblech kam auf der Ausstellung nur an zwei englischen Stabilkesseln vor. Einer
                              war ganz daraus gefertigt, während der andere nur einige Feuerplatten dieses
                              Materiales besaß. Stahlblech scheint trotz seiner höheren Festigkeit bis heute noch
                              weniger in Verwendung zu kommen, als man vorauszusetzen begann, weil –
                              abgesehen vom höheren Gesammtpreise des Kessels gleicher Fläche bei dünneren
                              Wandungen – die vorkommenden ungleichen Härten sowohl der Anfertigung als dem
                              Bestande drohen.
                           Ein bedeutender Schritt nach vorwärts wäre durch die Herstellung ganz gewalzter
                              Blechtrommeln (ähnlich den Tyres ohne Schweißung) gethan, welche höhere Sicherheit
                              und besseren Effect bei zwei Dritteln des Gewichtes genieteter Bleche gewähren
                              würden.
                           Diese können aber die Hüttenmänner noch nicht liefern, und so müssen sich die
                              Kesselschmiede noch fort mit guten und mit doppelten Vernietungen helfen oder das
                              Schweißen der Fugen versuchen, wie es bei den einzelnen Kesseln zu finden ist.
                           Im Allgemeinen läßt sich dagegen ein bedeutender Fortschritt in der Herstellung und
                              der Behandlung des Materiales constatiren. Die Größe der Blechtafeln (weniger deren
                              gute Beschaffenheit) steigt, und das Winkeleisen wird durch die aufgebogenen Ränder
                              verdrängt. Deren mannigfaltige Formen, das häufige Nieten mit Maschinen, das genaue
                              Einpassen der Röhren etc. im Einzelnen, sowie die neuen Kesselsysteme im Großen
                              lassen ersehen, wie sehr die Natur des Eisens mit steigender Erkenntniß erfaßt und
                              darnach behandelt wird.
                           
                           
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 212, S. 12–13
                              Land; Aussteller der Kessel;
                                 Dampfdruck p Atmosphären; Längs-Nietung;
                                 Formel der Blechdicke δ = xDp + 3 x =;
                                 Durchmesser D Meter; Heizfläche Quadratmeter;
                                 Rostfläche/Heizfläche; Röhrenquerschinitt/Rostfläche; Amerika; Pilkin Brothers
                                 u. Comp. in Hartford, Connect; einfach; England; W. u. J. Galloway in
                                 Manchester; D. Adamson in Manchester; Cater u. Walker in London; Howard in
                                 Bedford; doppelt; geschweißt; Frankreich; Compagnie de Fives Lille; Claparède u. Comp. in St. Denis; Belleville
                                 u. Comp. in Paris; Belgien; J. Cockerill in Seraing; Schweiz; Gebr. Sulzer in
                                 Winterthur; Deutschland; Carlshütte bei Rendsburg; Paucksch u. Freund in
                                 Landsberg a. W.; J. Affolter in Chemnitz; Dingler in Zweibrücken; Bergmann in
                                 Hattingen; Oesterreich; G. Sigl in Wien; Erste Brünner Maschinenfabrik; Bolzano,
                                 Tedescou. Comp. in Schlan; Baechle u. Comp. in Wien; Grazer Maschinenfabrik;
                                 Prager Maschinenbau-Actiengesellschaft (vorm. Ruston u. Comp.);
                                 Zugquerschnitt/Rostfläche; Schornsteinfläche/Rostfläche; Gewicht des Kessels
                                 ohne Armirung; Gewicht pro Quadratmeter Heizfläche;
                                 Dampf entsteigend pro Stunde und 1 Quadratmeter
                                 Wasserspiegel; Anmerkung; System der Kessel; Kilogramm; Wird nur mit 100 Kil.
                                 benützt; Röhrenkessel; Schornstein gemeinsam; Wird nur mit 155 benützt Gewicht
                                 mit Armatur Dampftrocknung; Galloway-K.; Feurrohrkessel; Röhrenkessel;
                                 Howard-Kessel; Mit Dampftrocknung; Röhrenkessel mit Sieder;
                                 Belleville-K.; Wird höher benützt; Dampftrocknung; Wird nur mit der
                                 Hälfte benützt; Wird nur mit 96 benützt Dampftrocknung; Wird höher benützt;
                                 Meyn's Kessel; Field-Kessel; Gewicht sammt Armatur; Siederkessel;
                                 Dupuis-Kessel; Fink's Kessel; Fairbairn-K.; Rux-Kessel
                              
                           
                           Die Heiz- und Sicherheitsarmatur ist fast auf der ganzen Erde dieselbe. Amerika setzte
                              nur ein Sicherheitsventil auf seinen großen Kessel, alle andere Welt deren zwei. In
                              England sind schmelzbare Pfropfen oder Alarmschwimmer (und Entschäumer) beliebt, und
                              ein französischer Kessel war mit Automaten überbürdet, während man sich in
                              Deutschland und Oesterreich mit Recht auf die Treue der Wärter allein verläßt.
                           In der Tabelle (welche auf Seite 12 und 13 eingeschaltet werden mußte) stellte ich
                              die wesentlichen Constructionsverhältnisse der auf der Ausstellung thatsächlich ausgestellten Stabilkessel zusammen. Die
                              eingesetzten Kesselgewichte sind stets die Resultate von Wägungen und nicht von
                              Berechnungen. Wo ich diese oder andere Werthe nicht bestimmt wußte, folgt ein Strich
                              statt der blos vermutheten Zahl.
                           Die Rost-, Zug- und Schornstein-Querschnitte erscheinen nicht
                              direct, sondern nur in der maaßgebenden relativen Größe eingesetzt.