| Titel: | Weitere Mittheilungen über Wirkungen der Salicylsäure; von H. Kolbe. | 
| Fundstelle: | Band 215, Jahrgang 1875, S. 345 | 
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                        Weitere Mittheilungen über Wirkungen der
                           Salicylsäure; von H.
                              Kolbe.
                        (Schluß von Seite 251 des vorhergehenden Heftes.)
                        Kolbe, weitere Mittheilungen über Wirkungen der
                           Salicylsäure.
                        
                     
                        
                           Die Salicylsäure hat in Folge ihrer Eigenschaft, Gährung und Fäulniß erregende
                              Substanzen wirkungslos zu machen, Pilzbildung zu verhindern, und demnach
                              wahrscheinlich auch die schädlichen Einflüsse contagiöser Stoffe zu vernichten, als
                              Heilmittel wie auch zur Pflege des KörpersSeit Jahresfrist benütze ich mit Salicylsäure und ein paar Tropfen
                                    künstlichem Salicylsäure-Methyläther vermischtes Zahnpulver, wie auch eine mit etwas reinem
                                    künstlichen Gaultheriaöl versetzte alkoholische Lösung von Salicylsäure,
                                    welche, in kleiner Menge in lauwarmem Wasser vertheilt, ein vorzügliches
                                    sogen. Mundwasser liefert, mit Erfolg zur
                                    Reinhaltung der Zahne und des Mundes. Der Gebrauch von solchem Wasser, zumal
                                    nach genommener Mahlzeit, nach dem Genuß von Kaffee etc., stellt sofort
                                    reinen Geschmack im Munde her und benimmt meist auch üblen Geruch des
                                    Mundes, woran manche dauernd leiden.Ebenso hat sich die Salicylsäure als vortreffliches Mittel bewährt, dem
                                    riechenden Fußschweiß, woran manche leiden, den üblen Geruch zu benehmen,
                                    also die Bildung der Buttersäure, Valeriansäure und der verwandten Säuren,
                                    welche die Füße corrodiren, zu verhindern, ohne den Schweiß selbst zu
                                    unterdrücken. – Apotheker Paulcke in
                                    Leipzig, welcher auch die eben erwähnten Mischungen zum Reinhalten der Zähne
                                    und des Mundes in vorzüglicher Qualität in den Handel bringt, hat aus
                                    Salicylsäure, Talg, pulverisirter Seife und Amylum ein Streupulver bereitet,
                                    welches dem damit betupften Fuße außer Beseitigung des Geruches auch eine
                                    angenehme Weichheit gibt. Die Wirkung dieses Pulvers ist so vorzüglich, daß
                                    ich überzeugt bin, es wird demnächst jeder Soldat auf dem Marsche eine
                                    Büchse mit Salicylsäure-Streupulver im Tornister bei sich führen
                                    müssen. bereits mannigfache Verwendung gefunden. Sie zeichnet sich vor der in
                              manchen Fällen ähnlich wirkenden und vielfach benützten Carbolsäure vortheilhaft
                              dadurch aus, daß sie, wie schon bemerkt, keinen Geruch und nur wenig
                              süßlich-sauren Geschmack hat, daß sie, innerlich genommen, der Gesundheit
                              nicht nachtheilig ist und nicht oder nur wenig corrodirend wirkt.
                           Zahlreiche Versuche über ihre Verwendbarkeit bei chirurgischen Operationen, welche im
                              Leipziger Hospital vom Geh. Rath Prof. Thiersch und auch
                              anderwärts angestellt sind und fortgesetzt werden, haben dem Vernehmen nach sehr
                              günstige Resultate gegeben.Auch bei geburtshilflichen Operationen ist sie mit gutem Erfolg an Stelle der
                                    Karbolsäure angewendet worden. Dr. Fehling, Assistenzarzt an der Leipziger (unter Direction
                                    des Geh. Rath Prof. Credé stehenden)
                                    gynäkologischen Anstalt, hat mir darüber (im December v. J.) eine briefliche
                                    Mittheilung gemacht, der ich folgendes entnehme: „Seit Juli d. J.
                                       wird die Salicylsäure in der hiesigen gynäkologischen Klinik
                                       ausschließlich an Stelle der Karbolsäure verwendet: zur Desinfection der
                                       Hände, zu Vaginaldouchen, Bestreuen der Ulcera
                                          puerperalia etc., und zwar in Lösungen von 1 : 300 bis 1 : 900
                                       oder als Pulver, gemischt mit Amylum im Verhältniß von 1 : 5. Diese
                                       Anwendung der Salicylsäure hat bislang so günstige Erfolge gezeigt daß
                                       dieselbe schon jetzt allgemein für geburtshilfliche Praxis dringend
                                       empfohlen werden soll. Ein ausführlicher Bericht soll später im Archiv
                                       für Gynäkologie folgen.“
                                    
                              
                           
                           Als Arzneimittel für innerlichen Gebrauch scheint die Salicylsäure bis jetzt noch
                              wenig benützt worden zu sein, und doch verspricht dieselbe wegen ihrer
                              antiseptischen Eigenschaften bei allen Blutkrankheiten, speciell bei solchen, welche
                              durch Contagien erzeugt sind, ein Heilmittel zu werden. Ich habe von einigen Aerzten
                              das Bedenken aussprechen hören, die Salicylsäure möchte deshalb, weil sie sehr rasch
                              resorbirt, und wegen schneller Circulation durch den Körper mit dem Harn meist
                              unverändert wieder ausgeschieden wird, bei innerlichem Gebrauche nicht die gehofften
                              Wirkungen haben. Ich möchte gerade das Gegentheil glauben. Je rascher nämlich die in
                              den Magen gebrachte Salicylsäure absorbirt wird und in die Blutcirculation gelangt,
                              desto schneller und – bei öfter wiederholtem Genuß derselben – mit
                              desto weniger Unterbrechung kommt sie mit den, abnorme Veränderungen des Blutes
                              bewirkenden, contagiösen Stoffen in Contact, desto günstiger sind also die
                              Bedingungen für schnelle und nachhaltige Vernichtung dieser Stoffe durch die im
                              Blute in innigste Berührung damit gelangende Salicylsäure. Möchten doch die Aerzte
                              und insbesondere die Kliniker sich bewogen finden, die Wirkungen der Salicylsäure
                              bei innerlichem Gebrauche zu studiren, insbesondere zu versuchen, ob und in welchem
                              Maße größere oder kleinere Dosen von Salicylsäure bei Scharlach, Diphteritis,
                              Masern, Pocken, Syphilis, Dyssenterie, Typhus, Cholera u.a.m. auf den Verlauf der
                              Krankheiten influiren, ob nicht auch Pyämie damit geheilt und die Folgen des Bisses
                              eines von Hundswuth ergriffenen Thieres abgewendet werden können. Wenn endlich die
                              Thierärzte sich entschließen wollten, die Wirkungen der Salicylsäure bei Thieren zu
                              beobachten, welche von Milzbrand, Klauenseuche, Rotz etc. befallen sind, oder zu
                              prüfen, ob die Salicylsäure gegen jene Krankheiten Schutz gewährt, so dürften nicht
                              uninteressante Resultate herausspringen.
                           Es ist mir und wohl mit Recht mehrfach entgegengehalten worden, daß, ehe man die
                              Salicylsäure als Arzneimittel zum innerlichen Gebrauche darreiche, Erfahrungen
                              darüber gesammelt sein müßten, ob sie keine der Gesundheit nachtheilige Wirkungen
                              habe, und in welchen Dosen man dieselbe geben dürfe. Um hierüber Sicherheit zu
                              gewinnen, habe ich
                              mehrere Tage hintereinander in je vier Portionen täglich 1/2 Grm. Salicylsäure
                              (wässerige Lösung im Verhältniß von 1 : 1000) genommen, ohne die geringste
                              Belästigung davon zu spüren. Nach achttägiger Unterbrechung habe ich sodann fünf
                              Tage nacheinander die doppelten Portionen Salicylsäurelösung, also pro Tag 1 Grm.,
                              consumirt und hierauf noch zwei Tage hintereinander in verdünnter alkoholischer
                              Lösung als Liqueur je 1,5 Grm. pro Tag davon eingenommen. (Dieser Liqueur enthielt
                              in 300 Grm.: 5 Grm. Salicylsäure, 95 Grm. Spiritus vini,
                              140 Grm. Wasser und 60 Grm. Syr. Cort. Aurant.) Auch bei
                              diesen größeren Dosen von Salicylsäure war die Verdauung durchaus normal; der Harn,
                              welcher die ganze Zeit über mit Eisenchlorid die intensive violette
                              Salicylsäurereaction gab (nachdem die ersten Tropfen der Eisenlösung jedesmal eine
                              reichliche Ausscheidung von weißem phosphorsaurem Eisenoxyd bewirkt hatten), war
                              klar und ohne fremden Geruch, und zu keiner Zeit wurde Druck im Magen, noch sonst
                              eine Unbequemlichkeit verspürt. In den mit Wasser zerrührten Fäces war durch
                              Eisenchlorid Salicylsäure nicht nachzuweisen. Um sicher zu sein, daß auch bei
                              Anderen der Genuß von Salicylsäure keinerlei Störungen der Verdauung und überhaupt
                              im Gesundheitszustande bewirkt, habe ich in Gemeinschaft mit acht meiner HHrn.
                              Assistenten und Praktikanten zwei Tage lang Salicylsäure, auch in Form von jenem
                              Liqueur, genommen, und zwar Jeder den ersten Tag 1 Grm., den zweiten Tag je 1,25
                              Grm., so daß wir zusammen gegen 20 Grm. Salicylsäure consumirten. Ein Jeder von uns
                              hat während dem und noch nachher auf sich genau Acht gegeben, aber Keiner hat in den
                              Functionen der Organe seines Körpers, noch in dem Wohlbefinden überhaupt eine
                              Störung wahrgenommen.Von den neuen Personen, welche obige 20 Grm. Salicylsäure genossen haben ist
                                    der Harn an beiden Versuchstagen resp. Nächten wie auch noch während der
                                    ersten Hälfte des dritten Tages sorgfältig gesammelt. Ich habe denselben
                                    gleich eingedampft und will nun weiter prüfen, wie viel von jenen 20 Grm.
                                    Salicylsäure in Salicylursäure umgewandelt und wie viel davon unverändert
                                    mit dem Harn abgegangen ist. Es darf demnach behauptet werden, daß die Salicylsäure, in Dosen von 1 bis
                              1,5 Grm. pro Tag genommen, in dem normalen Gesundheitszustande des Körpers in keiner
                              Weise eine Aenderung hervorbringt.
                           In welcher Form die Salicylsäure am zweckmäßigsten verabreicht wird, darüber haben
                              die Aerzte zu bestimmen. Doch sei hier meinerseits bemerkt, daß es nur in seltenen
                              Fällen rathsam sein dürfte, die Salicylsäure als Pulver, etwa mit Wasser angerührt,
                              zu geben, weil sie in fester Form die Schleimhäute des Mundes und der Speiseröhre
                              wie auch des Magens angreift. Bringt man eine kleine Menge fester Salicylsäure auf die Zunge oder mit
                              der inneren Seite der Lippen in Berührung, so färben sich die Stellen, wo sie liegt,
                              vorübergehend weiß.
                           Geh. Rath Prof. Wunderlich, welcher eben im hiesigen
                              Universitätshospital die Salicylsäure als Arzneimittel zum innerlichen Gebrauche
                              anzuwenden angefangen hat, empfiehlt sie als Emulsion zu geben, bereitet aus 1 Grm.
                              Salicylsäure, 20 Grm. Oleum Amygdalar. dulc., 10 Grm.
                              Gummi arab., welchem Gemisch dann noch 25 Grm. Syr. Amygdalarum und 45 Grm. Aq.
                                 Florum Aurantii zugesetzt werden. Diese angenehm süße Emulsion verdeckt
                              ganz den Geschmack der Salicylsäure, welche letztere in Folge ihrer antiseptischen
                              Eigenschaften zugleich bewirkt, daß die Emulsion sich tagelang unverändert hält.
                           Es schien mir von Interesse zu wissen, ob die Salicylsäure aus wässeriger Lösung von
                              der Haut resorbirt wird und auf diesem Wege in die Blutcirculation gelangen könne.
                              Ich habe zu diesem Zwecke ein warmes Bad von 27° R. mit 250 Kilogrm. Wasser
                              bereitet, worin 250 Grm. Salicylsäure gelöst waren, und habe darin 10 Minuten
                              verweilt. Ueber den ganzen Körper war danach die Haut in keiner Weise afficirt, sie
                              blieb weich wie zuvor; nur die Fingerspitzen wurden etwas rauh und faltig, was sich
                              jedoch nach ganz kurzer Zeit wieder verlor. Nach diesem Morgens 10 Uhr genommenen
                              Salicylsäurebade habe ich den Harn bis zum Abend wiederholt mit Eisenchloridlösung
                              auf Salicylsäure geprüft, aber deutlich nachweisbare Spuren davon nicht darin
                              entdecken können. Salicylsäure scheint demnach durch die Epidermis hindurch nicht
                              resorbirt zu werden.
                           Ich werde meine Versuche über die Wirkungen, speciell über die physiologischen
                              Wirkungen der Salicylsäure, soweit ich dazu im Stande bin, fortsetzen und nächstens
                              in Verbindung mit einem unserer Aerzte versuchen, ob bei Kindern, welche vor und
                              nach dem Impfen Salicylsäure einnehmen, die Lymphe ihre Wirkung verliert, während
                              andere mit derselben Lymphe geimpfte Kinder die Impfpusteln bekommen. Wenn der
                              Versuch, auf dessen Wichtigkeit Geh. Rath Benecke in
                              Marburg mich zuerst aufmerksam machte, wirklich das erwartete Resultat liefert, so
                              gewinnt damit die Vermuthung Halt, daß die in die Blutcirculation gelangte
                              Salicylsäure die Wirkungen auch anderer Stoffe im Blut, welche Krankheiten erzeugen,
                              vernichten werde. Ich hoffe über die Ergebnisse dahin zielender Versuche in nächster
                              Zeit berichten zu können.
                           Leipzig, 31. December 1874.