| Titel: | Ueber die beim Aehmen der Proben zur Bestimmung des Feingehaltes von Silberwaaren zu beobachtenden Vorsichtsmassregeln; von G. Sire in Besançon. | 
| Fundstelle: | Band 215, Jahrgang 1875, S. 431 | 
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                        Ueber die beim Aehmen der Proben zur Bestimmung
                           des Feingehaltes von Silberwaaren zu beobachtenden Vorsichtsmassregeln; von G. Sire in
                           Besançon.
                        Aus den Annales de Chimie et de Physique, 1874 S.
                              131.
                        Mit Abbildungen.
                        Sire, über die bei Bestimmung des Feingehaltes von Silberwaaren zu
                           beobachtenden Vorsichtsmaßregeln.
                        
                     
                        
                           Kraft des Artikels 48 des Gesetzes vom 19. Brumaire des Jahres VI sind die
                              Gold- und Silberwaaren in noch unvollendetem Zustande an das Punzirungsamt
                              abzuliefern, um dort probirt und mit dem ihren Feingehalt angebenden Stempel
                              versehen zu werden; jedoch muß ihre Anfertigung bereits soweit gediehen sein, daß
                              sie zum Behufe ihrer gänzlichen Vollendung keine wesentliche Gewichtsveränderung
                              erleiden.
                           Die Form mancher Gold- und Silberarbeiten ist so beschaffen, daß dieselben
                              mehr oder weniger oft abgebeizt werden müssen, wodurch die Stücke an ihrer
                              Oberfläche eine Färbung, nicht aber die wirkliche „Farbe“
                              erhalten. In dieser Beziehung hat es namentlich mit den Gehäusen der silbernen
                              Taschenuhren eine eigene Bewandtniß. Ihre Anfertigung erfordert zahlreiche Löthungen
                              und bei jedesmaligem Löthen eines Bestandtheiles muß derselbe zum Rothglühen erhitzt
                              werden. Dadurch wird das Kupfer der äußeren oberflächlichen Schicht mehr oder
                              weniger tief oxydirt, so daß die Gehäuse nach dem Erkalten ganz schwarz sind. Um sie
                              nun weiter bearbeiten zu können, kocht man die verschiedenen Stücke einige Minuten
                              lang in Wasser, welches mit etwa 1/20 Schwefelsäure versetzt ist. Dadurch wird das
                              Kupferoxyd aufgelöst, während das Silber unangegriffen zurückbleibt; die Stücke
                              werden hierauf mit gewöhnlichem Wasser abgespült und mit Sägespänen getrocknet, und
                              ihre Oberfläche zeigt alsdann ein schönes, mattes Silberweiß.
                           Durch diese mit einem und demselben Stücke mehr oder weniger oft zu wiederholenden
                              Operationen erleidet die äußere Oberfläche des Gehäuses einen gewissen Grad von
                              Feinung, so daß sie einen von dem der übrigen Metallmasse des Stückes beträchtlich
                              verschiedenen Feingehalt bekommt, und es braucht wohl kaum bemerkt zu werden, daß es
                              für den Probirer, sobald er zum Behufe der Bestimmung des Feingehaltes der in
                              angegebener Weise behandelten Arbeiten zum Probeziehen schreitet, eine der ersten
                              Vorsichtsmaßregeln sein muß, diese äußere Schicht zu beseitigen. Indessen sind die
                              Probirer hinsichtlich des möglichen Einflusses einer Unterlassung dieser
                              Vorsichtsmaßregel auf den wirklichen Feingehalt nicht gleicher Ansicht.
                           
                           Dies rührt vielleicht von einer von Vauquelin in der
                              Einleitung zu seinem i. J. 1812 erschienenen „Handbuche der
                                 Probirkunst“ ausgesprochenen Behauptung her. Derselbe sagt nämlich:
                              „Wenn das Silber gesotten ist und das Gold gefärbt worden ist, so muß
                                 man die oberste Schicht sorgfältig entfernen, da der Feingehalt derselben bei
                                 Silberarbeiten geringer ist als derjenige des unter ihr liegenden Metalles, bei
                                 Goldsachen dagegen höher ausfällt. In Bezug auf gefärbtes Gold ist diese
                                 Thatsache schon lange bekannt; hinsichtlich des Silbers aber war man im Irrthum,
                                 indem man die Oberfläche dieses Metalles nach erfolgtem Sieden als aus reinem
                                 Silber bestehend ansah. Es bleibt nämlich in der oberflächlichen Schicht stets
                                 Schwefelsäure in gebundenem Zustande zurück, deren Menge größer ist als die des
                                 weggebeizten Kupfers.“
                              
                           Demnach muß nach Vauquelin's Angabe die äußere Schicht der
                              gesottenen Silbersachen beim Probiren derselben aus dem Grunde entfernt werden, weil
                              dieselbe, wenn man sie bis zur Probenahme mit berücksichtigte, den Feingehalt der
                              Waare herabniedrigen würde. Ich habe mich nun aber bei den in das Punzirungsamt in
                              Besançon zur Feststellung ihres Feingehaltes gelangenden Silberwaaren vom
                              Gegentheil zu überzeugen vielfach Gelegenheit gehabt. Diese Silberarbeiten bestehen
                              zum größten Theile in Taschenuhrengehäusen, deren Oberfläche in Folge des durch ihre
                              Fabrikationsweise bedingten wiederholten Abbeizens mehr oder weniger gefeint worden
                              ist. Wie bereits bemerkt wurde, sind die Ansichten in dieser Beziehung getheilt.
                              Manche Probirer beseitigen die oberflächliche Silberschicht aus dem von Vauquelin angegebenen Grunde, wohingegen Andere sie aus
                              entgegengesetztem Grunde entfernen, während diejenigen, welche man als Anhänger
                              eines Compensations- oder Ausgleichungssystems bezeichnen könnte, die
                              oberflächliche Schicht beim Probeziehen mit berücksichtigen, indem sie auf diese
                              Weise ein dem wahren Feingehalt näher kommendes, durchschnittliches Resultat zu
                              erhalten glauben. Diese Verschiedenheit der Ansichten hinsichtlich des Einflusses
                              der oberflächlichen Metallschicht auf die Ergebnisse der Silberund Goldprobe wirkt
                              höchst nachtheilig und kann jeden Augenblick zu sehr bedauerlichen Mißverständnissen
                              Anlaß geben.
                           Vauquelin spricht sich über die Beschaffenheit der in der
                              äußeren Schicht der gesottenen Silberarbeiten vorhandenen Schwefelsäureverbindung
                              nicht näher aus. Ich habe mich davon überzeugt, daß dieselbe fast ausschließlich aus
                              schwefelsaurem Kupferoxyd besteht. Dieses Salz wird
                              in den Poren der in Folge der Oxydation des Kupfers schwammig gewordenen Oberfläche
                              des Metalles durch Capillarität zurückgehalten. Indessen ist die Menge des in dieser
                              Weise fixirten Sulfats keineswegs von der Bedeutung, welche Vauquelin ihr zuschreibt; denn ich habe stets beobachtet, daß, wenn die
                              gesottene Schicht der silbernen Gehäuse zum Probirgute mitgenommen und vor dem
                              Probeziehen nicht beseitigt ward, der Feingehalt stets höher gefunden wurde, als der
                              wirkliche Feingehalt der vor ihrer Verarbeitung entweder durch Kupellation oder auf
                              nassem Wege probirten Legirung. Bestimmt man diese Zunahme des Feingehaltes auf die
                              Weise, daß man von den Producten eines und desselben Fabrikanten die Probe nimmt, so
                              bemerkt man, daß diese Zunahme sehr veränderlich ist – und zwar umsomehr, je
                              weiter man diese Untersuchungen auf die Erzeugnisse verschiedener Fabrikanten
                              ausdehnt. Derartige Fälle führen zu dem Schlusse, daß die Erhöhung des Feingehaltes
                              bleibende Thatsache ist.
                           Während eines vierjährigen Aufenthaltes in Lachauxdefonds (im Schweizercanton
                              Neuenburg) habe ich die Gewißheit erlangt, daß das Verfahren bei der Anfertigung der
                              Taschenuhrgehäuse im Canton Neuenburg ganz dasselbe ist wie das in Besançon
                              übliche. Die zu diesen Fabrikaten verwendete Legirung hat denselben Feingehalt, die
                              Art und Weise der Fertigstellung der Gehäuse ist ebenfalls die gleiche. Aus dieser
                              Uebereinstimmung ergibt sich, daß die beobachteten Thatsachen, die erhaltenen
                              Resultate und die im Nachstehenden angeführten Folgerungen auf mehr als eine Million
                              Stück silberner Taschenuhrgehäuse, welche jährlich in den Handel gelangen, Bezug
                              haben.
                           Zunächst muß ich bemerken, daß der Grad der Feinung der gesottenen Silberwaaren sehr
                              veränderlich ist. Dieselbe wird nämlich bedingt durch die Temperatur, bis zu welcher
                              die Legirung erhitzt, durch die Länge der Zeit, während welcher sie auf dieser
                              Temperatur erhalten wird, durch den Säuregehalt des zum Sieden verwendeten Bades,
                              durch die längere oder kürzere Dauer und verschiedenfache Wiederholung des Siedens
                              in diesem Bade – Operationen, deren ganz gleichmäßige Ausführung selbst durch
                              einen und denselben Arbeiter nicht wohl anzunehmen ist.
                           Zur Beseitigung aller dieser so mannigfachen Ursachen der erwähnten Schwankungen ließ
                              ich die Oberfläche der aus dem größeren Theile der Besançoner Werkstätten
                              kommenden Silberarbeiten abschaben – und zwar in ziemlich langen
                              Zwischenräumen, in deren Verlauf jeder Fabrikant dem Punzirungsamte mehrere
                              Lieferungen übergeben hatte, und somit alle Verschiedenheiten in den Leistungen
                              seiner Arbeiter zum Vorschein gekommen sein mußten. Auf diese Weise wurden die
                              beiden Staubdeckel (cuvette, fond) von 7236 silbernen
                              Uhrgehäusen, im Ganzen also von 14.472 einzelnen Bestandtheile, welche von 39
                              verschiedenen Werkstätten geliefert worden waren, das Material zu meinen
                              Versuchen.
                           Jedes Stück wurde zweimal abgeschabt. Das erste Mal ließ ich an einer bestimmt
                              umgrenzten Stelle nicht allein die ganze Dicke der durch das Abbeizen mit verdünnter
                              Schwefelsäure gefeinten Schicht, sondern auch noch etwas von der unter derselben
                              befindlichen Legirung wegnehmen, und beim zweiten Male wurde dieselbe Stelle, aber
                              auf einer kleineren Fläche, noch tiefer abgeschabt, um Untersuchungsmaterial von der
                              unveränderten Legirung zu gewinnen.
                           Zum Probeziehen verwendete ich innige Gemenge der bei einer jeden dieser Operationen
                              durch das Schaben erhaltenen Silberspäne. Die Proben selbst umfaßten fünf
                              Versuchsreihen. Die bei diesen erhaltenen einzelnen Zahlen sind Mittel aus den
                              Resultaten von je drei verschiedenen Proben. Ich wendete den nassen Weg an und
                              bestimmte jeden Feingehalt bis auf nahe 1/2 Tausendtheile. Die Ergebnisse dieser
                              Proben sind in der nachstehenden Tabelle verzeichnet.
                           
                              
                                 Nummer derVerschsreihen.
                                 Anzahl derabgeschabtenBestandtheile.
                                 Gefundener Feingehalt.
                                 Differenz.
                                 
                              
                                 
                                 
                                 Erstes Beschaben.
                                 Zweites Beschaben.
                                 
                                 
                              
                                    I.
                                 1734
                                 839,8
                                 798,8
                                 41,2
                                 
                              
                                   II.
                                 1932
                                 835,8
                                 803,6
                                 32,2
                                 
                              
                                  III.
                                 4380
                                 837,4
                                 800,4
                                 37,0
                                 
                              
                                 IV.
                                 4014
                                 839,0
                                 802,3
                                 36,7
                                 
                              
                                  V.
                                 2412
                                 843,0
                                 799,6
                                 43,4
                                 
                              
                                 Im gesammten
                                    Durchschnitt.
                                 839,0
                                 801,0
                                 38,0
                                 
                              
                           Die vorstehenden Zahlen sind lehrreich; sie beweisen, daß bei den in Besançon
                              verfertigten silbernen Taschenuhrgehäusen in dem rohen, unvollendeten Zustande, in
                              welchem sie dem Punzirungsamte übergeben werden, zwischen dem Feingehalte einerseits
                              des durch eine erste Behandlung mit dem Schaben von der Oberfläche weggenommenen
                              Metalles, und andererseits dem Feingehalte des beim zweiten tiefer gehenden Schaben
                              erhaltenen Silbers eine Differenz von 38 Tausendtheilen stattfindet.
                           Es ist demzufolge festgestellt, daß, wenn die oberflächliche Schicht beim Probeziehen
                              mitgenommen wird, der gefundene Feingehalt stets höher ausfällt, als dem wirklichen
                              Feingehalt entspricht. Der dadurch verursachte Fehler kann so beschaffen sein, daß
                              der Feingehalt einer derartigen Silberarbeit als innerhalb der Grenzen des
                              gesetzlichen Remediums liegend betrachtet werden wird, obgleich der Titer in
                              Wirklichkeit nur 757 Tausendtheile beträgt. Daraus ergibt sich, einen wie großen
                              Fehler man zu begehen
                              Gefahr läuft, wenn man unvorsichtiger Weise die oberflächliche Schicht beim
                              Probeziehen einbezieht. Ich muß indessen ganz besonders darauf aufmerksam machen,
                              daß die vorstehend mitgetheilten Resultate nur für die noch im rohen Zustande
                              befindlichen Silberwaaren Geltung haben, deren weiße Oberfläche lediglich von dem
                              wiederholten, in den verschiedenen Stadien ihrer Fabrikation durchaus nothwendigen
                              Abbeizen herrührt. Es handelt sich demnach hier nicht von einer absichtlichen
                              Affinirung. Ist somit nicht ein noch größerer Fehler zu befürchten, wenn man es mit
                              einem Stücke zu thun hat, der einem wirklichen Färben unterworfen gewesen ist?
                           Es ist leicht nachzuweisen, daß der Einfluß der Feinung der oberflächlichen
                              Metallschicht nach Verschiedenheit der Ausführung der Probenahme ebenfalls ein
                              verschiedener ist. Wendet man z.B. zum Probenehmen ein Durchschlageisen an, so
                              besteht die Probe in einem Scheibchen, dessen beide kreisförmige Flächen affinirt
                              sind, so daß also der beim Probiren gefundene Feingehalt noch höher ausfällt als der
                              wirkliche, und keineswegs etwa dem durchschnittlichen Feingehalte des durchlochten
                              Stückes entspricht; um so weniger kann dieser Feingehalt für sämmtliche Stücke einer
                              und derselben Lieferung Geltung haben; denn alsdann müßte man voraussetzen, daß
                              diese sämmtlichen Stücke gleiche Stärke (Dicke) haben und daß ihre Oberflächen in
                              gleichem Grade gefeint sind. Davon findet aber gerade das Gegentheil statt. Zur
                              Erzielung eines der Wahrheit näher kommenden Resultates müßte man die Proben bei
                              einer möglichst großen Anzahl von Stücken nehmen. Da die letzteren aber durch das
                              Lochen unbrauchbar werden, so ist dies Verfahren nicht anwendbar; es ist falsch im
                              Principe und unausführbar in der Praxis, somit durchaus zu verwerfen.
                           Man ist also genöthigt, die Probenahme an der Oberfläche auszuführen, und verordnet
                              thatsächlich das Gesetz, die Proben mittels Schaben der sämmtlichen Stücke einer und
                              derselben Lieferung zu nehmen. Im hiesigen Punzirungsamte beträgt die jedesmalige
                              Lieferung eines Fabrikanten durchschnittlich ungefähr 60 Gehäuse. Jedes Gehäuse
                              begeht aus drei verschiedenen Theilen, nämlich aus dem äußeren und inneren
                              Staubdeckel (Cuvette und Fond) und dem Gehäusereif (Carrure), sonach jede Lieferung
                              aus 180 einzelnen Bestandtheilen. Die Reife werden für sich probirt, die Deckel
                              dagegen gemeinschaftlich, da sie einem und demselben Fabrikationsstadium entsprechen
                              und gewöhnlich einen von demjenigen der Reife etwas abweichenden Feingehalt haben.
                              Ist die Anzahl der, eine und dieselbe Lieferung ausmachenden, Gehäuse größer, so
                              vervielfacht man das Probenehmen. Ich werde indessen bei den nachstehenden Erörterungen immer von
                              der Annahme ausgehen, daß eine Lieferung durchnittlich aus 60 Stück Gehäusen
                              besteht.
                           Das Beschaben der Reife gibt zu merklichen Fehlern keinen Anlaß und der erhaltene
                              Feingehalt repräsentirt den der Legirung recht gut; bei den Staubdeckeln dagegen ist
                              es anders. Jedes Stück wird nämlich auf einer Stelle beschabt, deren Oberfläche
                              durchschnittlich auf 3 Quad.-Centim. geschätzt werden kann, und da gewöhnlich
                              die Hälfte der Stücke von jeder Sorte abgeschabt werden, so wird das zum Probiren
                              des Feingehaltes der Gehäusedeckel verwendete Material von einer 180
                              Quad.-Centim. großen Fläche mit dem Schaber weggenommen. Man kann sich kaum
                              einen Begriff machen von der Menge der Unreinigkeiten, welche die oberflächliche
                              Schicht einer ungefähr 2 Quadr.-Decim. großen Fläche enthält.
                           Da die zu einer und derselben Lieferung gehörenden Bestandtheile die Leistung
                              mehrerer Arbeiter repräsentiren, so hat ihre Oberfläche eine verschiedene
                              Zusammensetzung, so daß der Schaber von jedem Stücke gleichfalls Späne von sehr
                              verschiedenartiger Beschaffenheit wegnimmt, und wenn man nur einmal abschabt, so
                              bildet das Gemenge von allen diesen Spänen eine ganz heterogene Masse. Es ist
                              leicht, sich davon zu überzeugen, daß dies nicht anders sein kann.
                           Untersucht man einen zur Oberfläche eines weißgesottenen Stückes senkrecht geführten
                              Schnitt, so bemerkt man, daß jeder gleich kräftig geführte Strich des Schabers Späne
                              von verschiedener Beschaffenheit wegnehmen kann, wie aus den punktirten Linien der
                              nachstehenden Skizzen hervorgeht. Da man nämlich die Dicke der affinirten Schicht
                              nicht kennt, so können drei verschiedene Fälle eintreten: 1. die gefeinte Schicht
                              wird vom Schaber nur zum Theil angegriffen; 2. dieselbe wird gänzlich weggenommen;
                              oder 3. mit der gefeinten Schicht wird gleichzeitig ein mehr oder weniger
                              bedeutender Theil von der unmittelbar unter ihr befindlichen Legirung
                              abgeschabt.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 215, S. 436
                              
                           Aus dem Gesagten wird begreiflich, daß die von der ersten Beschabung herrührende
                              Substanz nothwendiger Weise von sehr verschiedenartiger Natur sein muß; dadurch wird
                              aber auch erklärlich, weshalb man nicht sicher sein kann, daß den beim zweiten
                              Beschaben erhaltenen Spänen trotz aller angewendeten Sorgfalt nicht auch Theilchen
                              von der gefeinten Schicht beigemengt sind.Die beim zweiten Beschaben erhaltenen Späne zeigen gewöhnlich ein Plus im
                                    Feingehalte (über den der wirklichen Legierung), welches zwischen 1 und 3
                                    Tausendtheilen schwankt. Ich setzte dabei voraus, daß jeder Schaberstrich mit gleicher Kraft geführt
                              werde; dies kann aber leicht begreiflicher Weise nicht längere Zeit hindurch der
                              Fall sein, da die Leistungen der mit dieser Arbeit beschäftigten Personen in Folge
                              der Ermüdung ihrer Arm- und Handmuskeln nicht ganz gleichmäßig ausfallen
                              können, indem die den Schaber haltende Hand dieses Instrument ohne Unterbrechung 3
                              bis 4 Stunden hinter einander führen muß. Daß ich diesen Punkt ganz besonders
                              hervorhebe, geschieht aus dem Grunde, weil die vollständige Beseitigung der
                              gefeinten Schicht vor der eigentlichen Probenahme, besonders wenn es sich um feine
                              und zarte Arbeiten handelt, die sehr geschont werden müssen, keineswegs so leicht
                              ist, als man wohl glauben könnte. Die theoretischen Bedingungen sind leicht
                              aufzustellen, aber der praktischen Ausführung treten zahlreiche Schwierigkeiten
                              entgegen.
                           Unabhängig von der Dicke der gefeinten Schicht und von der Menge des in dieser
                              Schicht zurückgebliebenen Kupfervitriols – Mengen, die übrigens von einem
                              Stücke zum anderen schwanken – findet man in der Oberfläche der silbernen
                              Taschenuhrgehäuse auch andere Elemente, welche die Zusammensetzung dieser Schicht
                              noch verwickelter machen. Im Verlaufe der Fabrikation dieser Gehäuse werden gewisse
                              Theile derselben, entweder mit Bimsstein oder mit einer harten Holzkohle (von
                              Spindelbaumholze herstammend) gerieben. Da nun die Silberlegirung von 800
                              Tausendtheilen ziemlich weich ist, so drückt sich eine nicht unbeträchtliche Menge
                              von diesen Schleifmitteln in das Metall ein und haftet demselben so fest an, daß sie
                              selbst durch das spätere wiederholte Abbeizen nicht entfernt werden; zuweilen sind
                              sie in solcher Menge vorhanden, daß man sie mit freiem Auge sehen und mit den
                              Fingerspitzen wahrnehmen kann. Auch finden sich in der affinirten Oberfläche aus den
                              Werkstätten herrührende Staubtheilchen, welche in Folge der schwammartigen
                              Beschaffenheit der ersteren von ihr aufgenommen und festgehalten werden. Alle diese
                              Unreinigkeiten kommen bei der Auflösung der ersten Schabspäne in Salpetersäure sehr
                              deutlich zum Vorschein; sie bleiben in der Flüssigkeit lange suspendirt und
                              verzögern das Klären derselben in hohem Grade.
                           Die Gegenwart dieser fremden Substanzen in dem Probirgute wirkt allerdings dem
                              Einfluß des Feinens der oberflächlichen Schicht entgegen; allein ihre Summe reicht
                              niemals hin, die durch das Weißsieden hervorgerufene Erhöhung des Feingehaltes
                              auszugleichen. Wie kann man nun beim Vorkommen solcher Verunreinigungen vernünftiger
                              Weise daran denken, beim Probeziehen eine Substanz von so verschiedener
                              Zusammensetzung, wie die äußere Schicht der silbernen Taschenuhrgehäuse mit zu
                              berücksichtigen?
                           
                           Zu allen diesen Fehlerquellen gesellen sich noch diejenigen, welche vom Abbeizen, vom
                              Auswaschen und von einem unvollständigen Trocknen herrühren, und die Aufmerksamkeit
                              des Probirers muß unabläßig darauf gerichtet sein, den nachtheiligen Einflüssen
                              einer Nachlässigkeit der Arbeiter und der übereilten Hast der Fabrikanten zu
                              begegnen, welche letztere durch die Zeit gedrängt, nur zu oft die auf ihren
                              Feingehalt zu prüfenden Arbeiten dem Punzirungsamte in einem Zustande von
                              Unsauberkeit einreichen, welcher hinsichtlich der zweideutigen Zusammensetzung der
                              äußeren Schicht der Uhrgehäuse keinen Zweifel aufkommen läßt.
                           Manche Probirer, welche ohne Zweifel das Vorhandensein der näher erwähnten fremden
                              Substanzen nicht kennen, und die in der gefeinten Oberfläche nur eine geringe Menge
                              eines etwas feineren Silbers sehen, als im übrigen Theile der Legirung enthalten
                              ist, halten eine Ausschließung derselben von der Probenahme nicht für erforderlich,
                              indem sie der Meinung sind, ein den mittleren Feingehalt der Waare besser
                              vertretendes Proberesultat zu erhalten. Diese Meinung ist aber irrig. Ich bemerkte
                              schon vorhin, daß dieser mittlere Feingehalt dadurch, daß man beim Probenehmen nur
                              das durch Beschaben der Oberfläche der Gegenstände erhaltene Material probirt,
                              durchaus nicht festgestellt werden kann; es ist nun auch leicht, sich davon zu
                              überzeugen, daß man bei Anwendung des Ausschlageisens kein besseres Resultat
                              erlangt. Wenn die Metalldicke der Stücke, die zum Ausschlagen des Probirgutes
                              verwendet werden, eine gleichförmige wäre, so würde man ein der Wirklichkeit näher
                              kommendes Resultat erhalten; da nun aber diese Dicke an einem und demselben
                              Bestandtheil verschieden ist, so würde der gefundene Feingehalt immer nur ein
                              annähernder sein. Ich gebe indessen zu, daß es in Folge eines freilich sehr selten
                              zu beobachtenden Zusammentreffens von Umständen möglich wird, mit Hilfe dieses
                              Verfahrens denselben Feingehalt zu bestimmen, welcher sich durch Einschmelzen des
                              Probirgutes vor Ausführung der Probe ergeben würde, d.h. jenen Feingehalt, welchen
                              die gleichmäßige Vertheilung der gefeinten Schicht durch die ganze Metallmasse
                              dieses Stückes ergeben müßte; selbst noch in diesem Falle, behaupte ich, würde der
                              gefundene Feingehalt unrichtig bleiben, da man beim Probenehmen Metallschichten
                              mitnimmt, welche bei der Vollendung der Waare gänzlich verschwunden sind. Diese
                              Behauptung ist, soweit sie die Taschenuhrgehäuse anlangt, unbestreitbar; denn diese
                              Waaren werden ziemlich stark decorirt. Die Staubdeckel werden auf ihrer ganzen
                              Außenfläche polirt, gravirt und guillochirt, und man kann sicher sein, daß durch
                              diese verschiedenen Operationen die ganze gefeinte Schicht beseitigt wird, denn
                              sonst würde die mattweiße Farbe der letzteren unangenehm abstechen und dem beabsichtigten
                              Effecte Abbruch thun; die übrigen Theile der Gehäuse erhalten innen sowohl wie außen
                              eine starke Politur, so daß man auch hier mit Gewißheit annehmen kann, daß die ganze
                              gefeinte Schicht, ja sogar noch mehr, selbst etwas von der darunter liegenden
                              Legirung weggenommen wird. Sehr häufig ist die Ordnungsnummer und das eingeprägte
                              Fabrikszeichen, zuweilen auch sogar der Punzirungsstempel durch das Poliren
                              theilweise verwischt. Man wird sich von dem Gesagten noch mehr überzeugen, wenn ich
                              bemerke, daß die Arbeiterinnen, welche die Uhrgehäuse poliren, gar keinen anderen
                              Lohn beziehen, als den von ihrer Arbeit herrührenden Abfall. Um nun ihren Eifer in
                              dieser Hinsicht einigermaßen in Schranken zu halten, stellen die Fabrikanten per
                              Dutzend Gehäuse ein bestimmtes Maximum für den Abfall fest und sobald die
                              Polirerinnen dieses Maximum überschreiten, müssen sie den Werth des überschüssigen
                              Abfalles baar bezahlen. Diese Regel wird bei goldenen Taschenuhrgehäusen mit noch
                              größerer Strenge gehandhabt.
                           Was ich soeben bezüglich des gänzlichen Verschwindens der affinirten Schicht im Lauf
                              der Fertigstellung der Taschenuhrgehäuse bemerkte, gilt auch für andere
                              Silber- und Goldarbeiten, welche ähnliche Decorirungen erhalten. Dasselbe
                              Resultat tritt endlich nach Verlauf längerer oder kürzerer Zeit auch bei solchen
                              Arbeiten ein, welche gar nicht künstlerisch decorirt werden, indem sie zum täglichen
                              Gebrauche bestimmt sind; die oberflächliche, affinirte Schicht verschwindet in Folge
                              der unvermeidlichen Abnützung sehr bald.
                           Diesen Thatsachen gegenüber dürfte sich also dafür kein stichhaltiger Grund anführen
                              lassen, bei der Bestimmung des Feingehaltes von Uhren und Schmucksachen ein Element
                              in Rechnung zu ziehen, dessen sie vollständig verlustig gehen, bevor die Waare nur
                              in den Handel kommt, oder welches bei vielen Waaren die Oberfläche sehr
                              vorübergehend bedeckt, da es beim Gebrauche rasch verschwindet. Diese Thatsachen
                              rechtfertigen, meiner Ansicht nach, die Ausschließung der oberflächlichen Schicht
                              bei dem Nehmen der Probe von den einem Punzirungsamte zur Prüfung übergebenen
                              Gegenständen vollständig.
                           
                              H. H.