| Titel: | Ueber Krystallisations-Producte im gewöhnlichen Glase; von Dr. Otto Schott in Leipzig. | 
| Fundstelle: | Band 218, Jahrgang 1875, S. 151 | 
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                        Ueber Krystallisations-Producte im
                           gewöhnlichen Glase; von Dr. Otto Schott in Leipzig.Vom Verf. gütigst eingesendeter Separatabdruck aus Poggendorff's Annalen, 1875
                                    Bd. 155 S. 422.
                           
                        Mit Abbildungen auf Taf.
                              III [d/1].
                        Schott, über Krystallisationsproducte im gewöhnlichen
                           Glase.
                        
                     
                        
                           Mit dem Worte Glas ist der Begriff des amorphen Zustandes so eng verknüpft, daß man
                              im Gegensatz dazu ein auf dieselbe Weise entstandenes und gleich zusammengesetztes,
                              nur durch Krystallisation modificirtes Product „entglast“
                              nennt.
                           Man hat bei der Glasfabrikation sehr häufig Gelegenheit, die Entstehung von
                              Krystallen oder krystallartigen Producten zu beobachten. Sie finden sich theils in
                              Form wohlausgebildeter, mikroskopisch kleiner Krystalle, einen Glasfehler bei der
                              Tafelglasfabrikation, das sogen. „rauhe Glas“ bildend, theils
                              als eigentliche Entglasungsproducte im sogen. Reaumur'schen Porzellan. Im Folgenden
                              will ich jenen Punkt zuvörderst behandeln und mich dann zur eigentlichen Entglasung
                              wenden.
                           
                           „Rauh“ nennt man Tafelglas, wenn es an der Oberfläche in mehr
                              oder minder hohem Grade mit kleinen pockenartigen Erhöhungen übersäet ist, durch
                              welche es sich rauh anfühlt.
                           Die Entstehung dieser kleinen bis 2mm großen
                              Erhöhungen findet ihre Erklärung darin, daß von den unzähligen, in festem Zustande
                              in der Glasmasse sich ausscheidenden Krystallen bei der Verarbeitung zu Walzen
                              (Cylindern) die an der Oberfläche lagernden mit Glas überfangen bleiben. (Siehe Fig. 26.)
                           Die Krystalle haben nicht immer dieselbe Form; man hat vielmehr, je nachdem sie
                              säulenförmig oder hexagonal-tafelartig sind, zwei Arten „rauhen
                                 Glases“ zu unterscheiden. Fig. 26 veranschaulicht
                              im vergrößerten Maßstabe das Vorkommen des „Rauh“ der ersten
                              Art. Die Krystalle, welche selten gut ausgebildet sind, gehören dem rhombischen
                              System an und sind Combinationen von: ∞ P
                                 , ∞ P und P
                                  (Fig. 27). Meistens findet man die in Fig. 28 und 29
                              dargestellten, noch im Wachsen begriffenen Körper, deren Enden häufig unvollkommen
                              sind und nach der Verlängerung der Seitenkanten in Spitzen auslaufen. Diese beiden
                              letzten Körper scheinen mit den Beloniten des Obsidians und der natürlicher Gläser
                              identisch zu sein.
                           Die Krystalle selbst sind farblos und klar wie das Glas, sie werden erst durch die
                              Verschiedenheit der Brechungs- und Reflexionsbedingungen sichtbar. Zwischen
                              gekreuzte Nicols gebracht, äußern sie eine Wirkung auf das polarisirte Licht.
                           Die zweite Art des rauhen Glases läßt sich mit bloßem Auge von der vorigen fast gar
                              nicht unterscheiden. Bringt man es aber unter das Mikroskop, so sieht man
                              eigenthümliche Gebilde. Sechs von einem Punkte ausgehende, federförmige Strahlen,
                              die wie die Radien in einem Sechseck stehen, lassen den hexagonalen Typus derselben
                              gar nicht verkennen. Die Figuren 30 bis 34 zeigen uns
                              ziemlich regelmäßige Vorkommnisse dieser Art.
                           Die letzteren Formen sind zum größten Theil schon von Vogelsang in Bezug auf ihre morphologischen und optischen Eigenschaften
                              untersucht worden, und verweise ich auf dessen Abhandlungen (Sur les crystallites, Archives Néerlandaises, 1872 Bd. 3), in denen
                              er nachweist, daß jene Ausscheidungen zu den KrystallitenKrystalliten sind embryonale, im Entstehen begriffene, Krystalle. gehören und die ersten Anfänge zur Bildung hexagonaler Krystalle sind. Die
                              Endproducte dieser krystallitischen Aneinanderlagerungen sind Tafeln, deren Existenz
                              schon Vogelsang vermuthete und voraussagte, und die ich,
                              wenn auch ziemlich
                              selten, wirklich beobachtet habe. Ich fand solche einzeln und in
                              Durchwachsungszwillingen OP, P, wie Fig. 36 zeigt, bei denen
                              manchmal die Seitenkanten des Sechsecks nach dem Centrum des Krystalles zu
                              durchbogen waren, und Tafeln OP, ∞ P, welche gewöhnlich einzelne, vorherrschend
                              ausgebildete Kanten besaßen, wodurch die Form des Sechsecks verzerrt wurde. Waren
                              die Krystalle zur Achse des Mikroskops geneigt, so lieferten sie zwischen gekreuzten
                              Nicols ebenfalls farbige Bilder.
                           Nach den Angaben des Fabrikanten ist das Entstehen des rauhen Glases meistens die
                              Folge eines vermehrten Zusatzes an Kalk oder des Vorhandenseins von Thonerde im
                              Glase, wie derartige Vorkommnisse sich sowohl durch Unaufmerksamkeit beim Abwägen
                              des Satzes, als bei Unreinheit der Rohmaterialien ereignen können. Fremdartige
                              Beimengungen sind besonders im Sande vorhanden, und da das Glas zu 0,7 aus
                              Kieselsäure besteht, so genügt eine nicht sehr bedeutende Verunreinigung des Satzes
                              durch obige Substanzen, um den Fehler zu erzeugen. In einer mir bekannten
                              Tafelglashütte beträgt der Zusatz an Sand zum Glassatz für eine Schmelze 2000k; nimmt man nun eine Verunreinigung
                              desselben durch Thonerde oder Kalk zu 2,5 Proc. an, so gelangen auf Kosten der
                              Kieselsäure beinahe 50k eines Materiales in
                              den Glassatz, welches unter normalen Umständen nicht vorhanden ist, im ersteren Fall
                              also wohl im Stande sein könnte, abnorme Erscheinungen zu verursachen. Vor kurzer
                              Zeit habe ich selbst Gelegenheit gehabt, ein Beispiel im Großen zu beobachten,
                              welches sehr geeignet ist, obige Ansicht zu unterstützen. Man setzte nämlich
                              zufällig zum Glassatz Sand aus einer Grube, in welcher, wie sich später ergab,
                              einige Tage vorher ein Erdrutsch stattgefunden hatte und der Sand durch Thon resp.
                              Lehm verunreinigt worden war. Das aus diesem Material resultirende Product zeigte
                              den Fehler in hohem Maße.
                           Auch unter sonst normalen Verhältnissen kann das Glas rauh werden, wenn das
                              Verarbeiten der geschmolzenen, im Ofen befindlichen Masse lange andauert, das Glas
                              sich abkühlt und einige Zeit in diesem Zustande verbleibt. Den alsdann entstehenden
                              Fehler kann man leicht wieder zum Verschwinden bringen, wenn man das Verarbeiten
                              einstellt und den Ofen von Neuem stark anheizt. Um nun den Einfluß, welchen
                              Kalk- und Thonerde auf das Rauhwerden und Entglasen ausüben, richtig
                              beurtheilen zu können, hat man das Verhalten einiger geschmolzenen Silicate beim
                              Erstarren in Erwägung zu ziehen. Es erstarren nämlich amorph: Natrium-,
                              Kalium- und Bleisilicate, krystallinisch: Calcium-, Mangan-,
                              Eisensilicate und noch viele andere, welche hier uns aber nicht interessiren. Hat man also
                              ein Gemenge geschmolzener Silicate, so werden die nicht krystallinisch erstarrenden
                              amorph bleiben, die krystallinischen sich dagegen in Krystalle ausscheiden, wenn man
                              den Schmelzfluß langsam erkalten läßt oder ihn andauernd einer Temperatur aussetzt,
                              welche den Schmelzpunkt des Glases nicht viel übersteigt.Wunder äußert sich in seiner Abhandlung:
                                    „Ueber die Bildung von Krystallen in Glasflüssen bei
                                       Behandlung derselben vor dem Löthrohr“ (Programm der
                                    Chemnitzer Gewerbeschule, 1870) in sehr treffender Weise folgendermaßen.„Bekanntlich sieht man das gewöhnliche, zu den verschiedenartigen
                                       technischen Zwecken verwendete Glas als ein zusammengeschmolzenes
                                       Gemenge von Silicaten oder Doppelsilicaten an, von denen einige für sich
                                       krystallisirbar, andere, insbesondere die Alkalisilicate amorph sind.
                                       Durch das Zusammenschmelzen sind die ersteren ihrer
                                       Krystallisationsfähigkeit nicht beraubt, der Act der Krystallisation ist
                                       dadurch nur erschwert, indem die zwischen den Molecülen des
                                       krystallisirbaren Silicats liegenden Molecüle des fremdartigen amorphen
                                       Silicats der Vereinigung der ersteren zu Gruppen, welche die Krystalle
                                       bilden, hindernd im Wege stehen. Wenn nun ein solches im geschmolzenen
                                       Zustande sich befindendes Gemenge durch Abkühlen relativ rasch über die
                                       Temperatur hinweggeführt wird, innerhalb welcher die einzelnen Silicate
                                       erstarren, so finden die Molecüle der krystallisirbaren Verbindung
                                       „möglicherweise“ nicht Zeit, die Widerstände
                                       der nicht krystallisirbaren Verbindung zu überwinden und sich zu
                                       Krystallen zusammenzulagern; das Gemenge erstarrt dann, ohne daß es
                                       durch sich ausscheidende Krystalle getrübt wird, amorph, glasig. Wird
                                       hingegen ein solches geschmolzenes Gemenge während der Abkühlung längere
                                       Zeit innerhalb der Temperaturgrenzen erhalten, bei welchen die
                                       Gemengtheile aus dem flüssigen in den festen Zustand übergehen, liegt
                                       insbesondere der Erstarrungspunkt des krystallisirbaren Silicats
                                       wesentlich höher als der des amorphen, und bleibt das Gemenge einige
                                       Zeit einer mittleren Temperatur ausgesetzt, so muß, wenn nicht besondere
                                       Umstände hindernd im Wege stehen, die Krystallisation vor sich gehen.
                                       Dieselbe wird um so vollständiger erfolgen, je länger die der
                                       Krystallisation günstige Temperatur erhalten wird, und um so rascher, in
                                       je größerer relativer Menge die krystallisirbaren Silicate neben den
                                       nicht krystallisirbaren auftreten; auch die Differenz des
                                       Erstarrungspunktes beider wird hierbei von Einfluß sein. Die Masse
                                       erscheint dann durch ausgeschiedene Krystalle getrübt, sie befindet sich
                                       im Zustande der Entglasung.“
                              
                           Was die Zusammensetzung der ausgeschiedenen Verbindungen betrifft, so ist eine
                              quantitative Analyse wegen der Kleinheit der Objecte wohl kaum auszuführen; es
                              dürfte sich jedoch auf Grund späterer Erörterungen ergeben, daß das Kalkrauh von
                              Krystallen kieselsauren Calciums herrührt. Ob indessen das Molecularverhältniß der
                              Kieselsäure zum Calcium ein bestimmtes einfaches ist, läßt sich noch nicht
                              beurtheilen. Die Krystalle im thonerde-rauhen Glase bestehen jedenfalls aus
                              reiner krystallisirterer Al₂O₃ denn Wunder
                              hat in der oben citirten Abhandlung durch Auflösen von Thonerde in Borax- und
                              Phosphorsalzperlen krystallisirte Erstarrungsproducte erhalten, deren Formen keinen
                              Zweifel übrig lassen, daß dieselben mit den hier beschriebenen hexagonalen identisch
                              sind.
                           Die Beobachtung der Krystallformen in rauhem Glase ist für den Glasfabrikanten
                              insofern von Wichtigkeit, als es leicht sein wird, zu constatiren, welches Material
                              das Kalk, resp. Thonerde haltige gewesen ist, wenn sich in der Fabrikation jener
                              Fehler eingestellt hat.
                           
                           Mit den bisher beschriebenen Krystallisationsproducten des Glases steht die
                              eigentliche Entglasung, welche zuerst im J. 1727 von Reaumur (1874 213 331) beobachtet wurde, eng in
                              Verbindung. Industrieproducte, welche aus solchem entarteten Glase hergestellt
                              waren, erhielten daher die Bezeichnung Reaumur'sches Porzellan. Der Versuch des
                              Entdeckers, dieses Material an Stelle des damals sehr theuren Porzellans
                              einzuführen, mißlang; die zu diesem Zwecke angelegte Fabrik ging zu Grunde. Aus
                              derselben stammen meistens noch die Muster solchen Glases in unseren technologischen
                              Sammlungen. In neuerer Zeit scheint man denselben Gedanken wieder aufgegriffen zu
                              haben, wie die Wiener Ausstellung 1873 zeigte.
                           Dumas war der erste, welcher eine wissenschaftliche
                              Erklärung dieser Erscheinungen zu geben versuchte; er fand durch Analyse in
                              entglasten Partien geringere Mengen von Alkali als in amorphen und erklärte das
                              Eintreten der Entglasung als die Folge einer Verflüchtigung von Alkali. Reaumur und Dumas hatten sich
                              ihre Producte dargestellt, indem sie Bouteillenglas, von Gyps und Sand umgeben,
                              längere Zeit in glühendem Zustande erhielten, wobei Dumas annahm, daß der Sand eine
                              gewisse Anziehungskraft auf das Alkali ausübe und so die Verflüchtigung desselben
                              beschleunige. Als man aber später im Inneren großer Glasmassen, von wo aus keine
                              Verflüchtigung angenommen werden konnte, Entglasung beobachtete, nahm Dumas eine zweite Art der Bildung an, hervorgerufen durch
                              eine freiwillige Trennung alkalireicher, amorph bleibender Partien von dem Uebrigen,
                              welches durch diesen Verlust krystallinisch werde. Diese Ansicht erwies sich
                              ebenfalls als unhaltbar, da große Massen von vollständig krystallinischem Glase,
                              nach einem nochmaligen Umschmelzen, gutes Glas mit dem ursprünglichen Alkaligehalt
                              ergaben.
                           Pelouze (1855 137 182) sprach
                              deshalb die Ansicht aus, die Entglasung beruhe auf einer molecularen Umlagerung; es
                              befinde sich das Glas nur in einem krystallisirten Zustande, habe also keine
                              chemische, sondern eine physikalische Aenderung erlitten. Er verglich diese
                              Erscheinung mit dem Uebergang der amorphen, geschmolzenen, arsenigen Säure in den
                              krystallinischen Zustand. Pelouze zeigte bei dieser
                              Gelegenheit, daß die Entglasung beim Erkalten sehr viel schneller und vollständiger
                              erfolge, wenn man dem geschmolzenen, zähflüssigen Glase Sand, Herdasche, Glaspulver
                              etc. so zumenge, daß keine Verschmelzung stattfinde.
                           Später vielfach ausgeführte Analysen, unter anderen solche von Terreil (1858 148 58) bewiesen, daß die
                              procentische Zusammensetzung des entglasten und nicht entglasten Theiles einer
                              Glasmasse bis auf die Fehlergrenzen übereinstimmen kann.
                           Splittgerber und Fournet
                              machten ferner die Mittheilung, daß, außer krystallinischen Partien in solchem
                              Glase, auch amorphe zu finden seien.
                           Endlich sagt Schür in seiner „Praxis der
                                 Hohlglasfabrikation“ S. 84: „Nach meinen Erfahrungen tritt
                                 die Entglasung nur dann ein, wenn in der Glasmasse ein großer Ueberschuß von
                                 Alkali vorhanden ist, und der Ofen während des Schmelzens nicht den richtigen
                                 Hitzegrad besitzt. Das Glas hat dann ein blindes Aussehen, ähnlich dem des
                                 Alabasterglases.“
                              
                           Da mir die Gelegenheit geboten war, sehr viele Entglasungsproducte von
                              Alkali-Kalkgläsern in allen Stadien der Entwickelung zu studiren, so habe ich
                              es im Folgenden versucht, die Formen derselben nach einander zu beschreiben.
                           „Entglast“ ist jedes Glas zu nennen, welches in einer homogenen
                              Grundmasse Ausscheidungen irgend welcher Art zeigt, die sich bei gewöhnlichem oder
                              zweckmäßig geleitetem Erkalten eingestellt haben. Splittgerber und Fournet haben angeführt, daß
                              neben krystallinischen auch amorphe Ausscheidungen vorhanden sein können. Ich kann
                              aber dieser Ansicht durchaus nicht beitreten, denn was meine Erfahrungen anlangt, so
                              zeigten sich mir allerdings einige Ausscheidungen, welche dem unbewaffneten Auge und
                              selbst unter der Loupe amorph schienen, doch ließ sich unter dem Mikroskop bei der
                              nöthigen Vergrößerung die krystallinische Structur deutlich erkennen. Die Angabe Splittgerber's und Fournet's
                              mag hiernach wohl auf einem Irrthum beruhen. Die Entglasung ist somit kurz als eine
                              Krystallisation innerhalb des Glases zu bezeichnen. Die Ausscheidungsproducte sind
                              selten gut ausgebildete Krystalle, häufig nur unregelmäßig begrenzte, säulenförmige
                              Aggregate; ja in den meisten Fällen ist die Krystallisation bei der Bildung von
                              Krystalliten stehen geblieben.Das Nähere über Krystalliten findet man in den Archives Néerlandaises zerstreut (Bd. 5 bis 7). Vogelsang: „Sur
                                          les crystallites“, études crystallogénétiques.
                              
                           Betrachten wir zuerst die successiven Veränderungen bei der Entglasung des
                              Fensterglases im Streckofen, so veranlaßt die Wärme anfänglich die Entstehung einer
                              dünnen Haut auf der Oberfläche der Glastafel, welche Anfangs die Farben dünner
                              Blättchen zeigt, später aber bei zunehmender Dicke einen mattweißen Ton annimmt.
                              Diese Haut findet sich auch häufig bei fehlerhaften Strecken an solchen Stellen, wo
                              das Glas eine hohe
                              Temperatur angenommen hatte, und zwar schillert sie im Sonnenlicht in allen Farben
                              des Spectrums, im diffusen Licht dagegen nimmt sie einen zumeist blauscheinenden Ton
                              an, weshalb man ein derartiges Glas auch blitzblau genannt hat. Die Entstehung der
                              Haut hat in einer ganz geringen oberflächlichen Verflüchtigung des Alkalis ihren
                              Grund, wodurch sich ein Ueberzug von Glas mit anderer Zusammensetzung und
                              veränderten optischen Eigenschaften bildet. Unter dem Mikroskop bemerkt man, daß die
                              sonst ebene Oberfläche des Glases im „blitzblauen“ Zustande
                              eine eigenthümlich wellenartige Form annimmt (Fig. 37). Hat nun aber
                              die Haut eine gewisse Dicke erreicht, so sieht man unter derselben zumeist auf der
                              dem Feuer zugewendeten Seite der Glastafel eigenthümliche kleine Gasbläschen sich
                              bilden, für deren Entstehung ich denselben Grund wie oben, nämlich eine weitere
                              Verflüchtigung von Alkali annehme, indem es von der überliegenden Haut nicht mehr
                              durchgelassen wird und auf diesem Wege Bläschen hervorruft.
                           Die bisher beschriebenen Veränderungen gehören, streng genommen, nicht unter die
                              Entglasungserscheinungen, da jene Haut unkrystallinisch ist; ich führe diese
                              Erscheinungen nur deshalb hier an, weil sie der Entglasung des Fensterglases
                              vorausgehen.
                           Die ersten krystallartigen Ausscheidungen erscheinen jetzt zwischen den Bläschen an
                              der ganzen Oberfläche. Dort lagern sich zunächst Krystallnadeln von
                              radial-sphärischer Anordnung zu kleinen Kugeln zusammen, welche man unter dem
                              Mikroskop auf den ersten Blick mit den Bläschen verwechseln könnte. Von der
                              Oberfläche der Glastafel aus wachsen die Krystallaggregate zu weißen
                              krystallinischen Krusten stetig fort und nähern sich den zugleich im Inneren
                              entstehenden ähnlichen Producten mehr und mehr, bis zuletzt die Entglasung der Tafel
                              vollständig zu einem porzellanartigen Körper vor sich gegangen ist. Die
                              morphologischen Eigenschaften dieser Nadeln, welche unzweifelhaft zu den
                              Krystalliten gehören, hat schon Vogelsang in der oben
                              citirten Abhandlung (Bd. 7) beschrieben. An jener Stelle wird ein Object angeführt,
                              wie es sich häufig in der Glasfabrikation findet, und welches aus den oben
                              beschriebenen Krystalliten von „Thonerderauh“ besteht, die mit
                              Entglasungsnadeln kranzartig umgeben sind.
                           Uebereinstimmend mit den Beobachtungen Vogelsang's fand
                              ich, daß diese Krystalliten gewöhnlich keinen Einfluß auf das polarisirte Licht
                              zeigten; nur in einigen seltenen Fällen jedoch bemerkte ich, daß Gruppen solcher
                              zusammengelagerten Nadeln das Licht chromatisch polarisiren. Es läßt sich hieraus
                              vermuthen, daß innerhalb der Gruppen von Nädelchen noch eine vielleicht
                              unvollkommene Zusammenlagerung von Krystalliten zu Krystallen stattfindet, deren
                              Formen aber nicht sichtbar werden, weil andere, neu sich bildende Krystalliten
                              dieselben umgaben.
                           Geht die Entglasung in größeren Massen und bei höherer Temperatur, d.h. in einer mehr
                              erweichten Grundmasse vor sich, so sind die entstehenden Producte von den vorigen
                              verschieden. Es bilden sich dann säulenartige Formen, wie sie Fig. 38 in Gruppen zeigt,
                              die ich sehr häufig als Anfangsstadien der Entglasung zu beobachten Gelegenheit
                              hatte. Fig.
                                 39 bis 41 stellen uns ein Individuum in großem Maßstabe mit Durchschnitten an
                              verschiedenen Stellen des Krystalles dar. Es geht aus diesen Abbildungen hervor, daß
                              die sich bei der Erkaltung bildenden Nadeln eine Lamelle zusammensetzen, die durch
                              Anfügung daneben entstehender gleichartiger Aggregate eine dickere Lamelle ausmacht.
                              Solche dickere Lamellen vereinigen sich dann zu einem säulenförmigen Krystall von
                              büschelartigem Ansehen. Der Krystall selbst hat keine vollständige regelmäßige
                              Gestalt, die Seitenflächen sind uneben; Endflächen habe ich nie beobachten können.
                              Bringt man ein solches Individuum zwischen gekreuzte Nicols, so sind die äußeren
                              Nadeln und dünneren Lamellen ohne Wirkung auf das durchfallende Licht, während der
                              eigentliche Stamm des Krystalles ein lebhaftes Farbenspiel hervorruft. Uebrigens
                              habe ich auch andere Krystalle von sehr dünner Beschaffenheit gefunden, welche keine
                              Farbe zeigten. Mehrten sich solche Individuen sehr stark im Glase, so bekam dasselbe
                              ein mattweißes, durchscheinendes Ansehen. Bei vollständiger Entglasung war die Masse
                              weiß, wenig kantendurchscheinend und krystallinisch. Auf dem Bruch zeigten sich
                              vielfach glänzende Spaltungsflächen von obigen Krystallen bis zu 15mm Länge.
                           Eine dritte Form krystallinischer Ausscheidungen im Glase habe ich bei der
                              Beschreibung des rauhen Glases als Kalkrauh charakterisirt. In günstigen Fällen
                              waren es schöne rhombische Krystalle, welche eine gewisse Aehnlichkeit mit den
                              soeben behandelten nicht verkennen ließen.
                           Es stehen demnach die drei beschriebenen, durch Entglasung hervorgerufenen
                              Krystallisationsproducte in engem Zusammenhang, denn bei gleicher chemischer
                              Zusammensetzung wird die Ursache ihrer abweichenden Gestaltung einzig und allein
                              durch die Zähflüssigkeit des Mediums bedingt. Ebenso lassen sich für Glas jeder
                              Zusammensetzung innerhalb gewisser Grenzen alle drei Krystallformen erzeugen.
                           Wie wir bei der Entglasung des Fensterglases im Streckofen gesehen haben, beobachtet
                              man dort nur Ausscheidungen in Krystallitenform und zwar deshalb, weil die
                              Temperatur eine verhältnißmäßig niedrige und der Flüssigkeitsgrad, wenn man von
                              einem solchen hier überhaupt sprechen darf, ein so außerordentlich geringer ist, daß
                              das Glas nur in einem
                              glühenden und eben biegsamen Zustande sich befindet. Ist der Flüssigkeitsgrad des
                              Glases dagegen ein ziemlich hoher, wie z.B. bei der Verarbeitung zu Gegenständen, so
                              erhalten wir die bei der Besprechung des rauhen Glases ausführlich beschriebenen
                              Ausscheidungen in Form von wohl ausgebildeten rhombischen Krystallen. Liegt nun aber
                              die Consistenz der Glasmasse zwischen der von den beiden obigen Formen, so findet
                              die Entglasung in Gestalt jener büschelförmigen, in Fig. 39 dargestellten
                              Producte statt. Es scheint also im Glasfluß ein Bestreben zur Bildung jener
                              rhombischen Krystalle vorhanden zu sein, welches aber wegen der zähflüssigen
                              Beschaffenheit des Mediums nicht hat zur vollständigen Wirkung gelangen können.
                           Vergleichen wir, um auch die Bedingungen für die Entglasung noch leichter zu
                              verstehen, das geschmolzene Glas mit einer heißgesättigten Salzlösung, und sehen wir
                              das leicht schmelzbare kieselsaure Natrium als das Lösungsmittel, das für diese
                              Temperaturen aber unschmelzbar zu nennende kieselsaure Calcium als die zu lösende
                              Substanz an, so finden wir als erste Analogie, daß ganz wie bei gewöhnlichen
                              Salzlösungen die Sättigungscapacität des kieselsauren Natriums für das kieselsaure
                              Calcium mit der Erhöhung der Temperatur steigt und beim Erkalten wieder abnimmt,
                              wobei sich letztere Substanz in Krystallen ausscheidet und das sogen. rauhe Glas
                              erzeugt.
                           Läßt man die Temperatur der flüssigen kieselsauren Salze ganz allmälig sinken, so
                              findet eine vermehrte Ausscheidung des Calciumsilicats statt. Ist der Zustand des
                              Glases hierbei schon ein gewisser zähflüssiger, so wird es den Molecülen des
                              kieselsauren Calciums immer schwerer, die zähe Substanz zu durchdringen; sie lagern
                              sich deshalb erst als Krystalliten, dann als Lamellen und diese zu einem
                              säulenförmigen Krystall an einander, wobei wir die zweite Form der Ausscheidungen
                              erhalten.
                           Bei weiterem Abkühlen des Glases gruppiren sich die Molecüle, da es ihnen unmöglich
                              ist, die zähe Masse zu durchdringen, nur noch zu Krystalliten. Eine vollkommene
                              Trennung der beiden Silicate läßt sich hierbei ebensowenig erwarten, als ein
                              vollständiges Auskrystallisiren eines Salzes aus einer Lösung.
                           Unsere Calciumsilicatlösung hat ferner die bemerkenswerthe Eigenschaft mit
                              gewöhnlichen Salzlösungen in hohem Grade gemein, bei langsamer Abkühlung unter den
                              Erstarrungspunkt des kieselsauren Calciums gebracht werden zu können, ohne daß sich
                              dasselbe vollständig ausscheidet. Es befindet sich die Auflösung also in einem
                              übersättigten Zustande, der sich vermeiden läßt, wenn man, wie schon Pelouze gezeigt hat, feste Körper in der Masse
                              suspendirt. Hiernach scheint es also, daß ein gewisser Anstoß von Außen her die
                              Anordnung der Molecüle zu Krystallen erleichtert und begünstigt. Würde die
                              Erstarrung in der Weise erfolgen, daß der Ueberschuß von Calciumsilicat für eine
                              gewisse Temperatur sich vollständig ausscheidet, so müßte die Entglasung in der
                              ganzen Masse gleichzeitig vor sich gehen. Da dieselbe bei lauterem Glase aber nur
                              von einzelnen Punkten aus erfolgt, so verbleibt der amorphe Rest in einem
                              übersättigten Zustande. Diese Thatsache wird nicht Wunder nehmen, wenn man sich
                              vergegenwärtigt, wie äußerst wenig solche geschmolzene und erstarrende Massen in der
                              Technik Erschütterungen ausgesetzt sind. Ein eigenthümliches Beispiel für den
                              Einfluß der Ruhe und Bewegung auf erstarrende Substanzen erhielt ich im
                              Laboratorium. Als ich hier ein stark mit Kalk versetztes borsaures Natrium schmolz
                              und auf dem Stativ erkalten ließ, erstarrte dasselbe amorph; kühlte ich jedoch den
                              Tiegel unter Umschwenken ab, so fanden sich krystallartige Ausscheidungen in dem
                              Glase vor.
                           Die Eigenschaft des Glases, beim Uebergang aus dem flüssigen in den festen Zustand so
                              ausgezeichnete, zähflüssige Zwischenstadien zu passiren, bedingt seine Benützung und
                              Darstellung in der Technik. Wahrscheinlich ist in dieser Eigenschaft auch die
                              amorphe Natur des gewöhnlichen Glases begründet, da durch diese Fähigkeit das
                              kieselsaure Natrium im Stande ist, die Krystallisation des Calciumsilicats zu
                              unterdrücken, welche erst dann wieder zum Vorschein kommt, wenn man das Glas längere
                              Zeit in glühendem Zustande erhält, d.h. den Molecülen des kieselsauren Calciums die
                              Zeit läßt, sich zu Krystallen oder Krystalliten zu gruppiren.
                           Der ausgesprochenen Meinung, daß das Glas eine erstarrte Lösung von Calciumsilicat in
                              Natriumsilicat sei, steht freilich der Umstand entgegen, daß durch Zusammenschmelzen
                              dieser beiden Körper eine Substanz entsteht, deren Eigenschaften nicht in der Mitte
                              zwischen denjenigen der zusammensetzenden Theile liegen. Von vielen Seiten wird
                              daher das Glas als chemische Verbindung zweier oder mehrerer Silicate aufgefaßt.
                              Indessen ist es dann wohl mehr als gerechtfertigt, dieselbe als eine äußerst lose zu
                              bezeichnen, da die Krystallisationskraft des kieselsauren Calciums allein schon im
                              Stande ist, die Verbindung zu zerlegen. Von dem Standpunkte derer, welche das Glas
                              als chemische Verbindung betrachten, wäre die Entglasung als Dissociation zu
                              bezeichnen.
                           Um nun über den Character der aus dem Schmelzfluß ausgeschiedenen Verbindungen
                              Aufschlüsse zu bekommen, pulverte ich ein vollständig entglastes Stück in der
                              Achatschale, brachte einen Theil davon mit Canadabalsam und Deckplättchen auf einen
                              Objectträger. Den mit kochender Salzsäure behandelten und durch Decantiren ausgewaschenen
                              Rest trocknete ich und brachte dann den Rückstand ebenfalls unter das Mikroskop. Im
                              ersteren Falle fand ich zum Theil zermalmte Krystalle neben amorphen Stückchen, die
                              man zwischen gekreuzten Nicols deutlich erkennen konnte. Bei letzterem zeigten sich
                              an den Krystallen Unebenheiten, welche zu erkennen gaben, daß die Salzsäure lösend
                              gewirkt hatte, während die amorphen Theile unverändert blieben. In der That ließ
                              sich in der gebrauchten Salzsäure Kalk in ziemlich bedeutender Menge nachweisen.
                           Eng in Verbindung mit der Auflöslichkeit dieses Glases steht auch eine leichte
                              Verwitterbarkeit. Ich habe im Freien lagernde große Stücke gefunden, welche in einer
                              Schicht von 10cm Dicke verwittert waren,
                              während der Kern sich noch in dem ursprünglichen Zustande befand. Die verwitterte
                              Partie brauste mit Säuren und löste sich, wenn man das Pulver davon einige Male nach
                              einander mit Salzsäure und Kalilauge behandelte, vollständig auf. Es war hier im
                              Laufe der Zeit das kieselsaure Natrium ausgewaschen worden, während der Rest noch
                              derartig in Zersetzung begriffen war, daß unter Abscheidung von Kieselsäure sich
                              kohlensaures Calcium bildete. Im Laboratorium verwitterten einzelne entglaste Stücke
                              so leicht, daß sich nach mehreren Wochen ihre Oberfläche in einer Dicke von einigen
                              Millimetern mit Natriumsilicat bedeckt hatte.
                           Es ist mir gelungen, die meisten Entglasungsproducte im Laboratorium nachzubilden
                              unter Beobachtung der Bedingungen, welche für die einzelnen Ausscheidungsformen
                              nöthig sind. Da man jedoch im Kleinen die nöthigen hohen Temperaturen nicht lange
                              und andauernd genug zur Verfügung hat, und auch die Thonerde der Tiegel sehr störend
                              war, so fielen diese Producte gewöhnlich nicht so schön aus, wie die in der
                              Glasfabrikation, die Analogie mit denselben war aber nicht zu verkennen.
                           Wie schon mitgetheilt, hatte sich zwischen Dumas und Pelouze ein Streit über die Ursachen der Entglasung
                              entsponnen, besonders darüber, ob in entglasten Stücken die amorphe Partie mehr
                              Alkali enthalte als die krystallinische. Da die beiderseitigen Behauptungen durch
                              Beleganalysen unterstützt wurden, so war mir dies ein Fingerzeig, den Weg der
                              Analyse nicht einzuschlagen, um zu einer richtigen Ansicht zu gelangen.
                           Auch aus den bisherigen Auseinandersetzungen ist bereits zu ersehen, daß der Theorie
                              der Entglasung eine Anschauung zu Grunde gelegt werden muß, nach welcher die
                              entglasten und amorphen Theile in ihrer Zusammensetzung gleich oder ungleich sein
                              können. Bei einer Ausscheidung von Krystalliten aus der vollkommen homogenen zähen
                              Masse ist es ja denkbar,
                              daß die Vertheilung des kieselsauren Calciums und Natriums sich nur in einem der
                              mikroskopischen Kleinheit der Nädelchen entsprechend kleinen Raume geändert haben
                              kann. In dem englasten Theile sind daher die Molecüle des Calciumsilicats in kleinen
                              Partien zusammengelagert und durch eben so kleine Anhäufungen von kieselsaurem
                              Natrium von einander getrennt, während in dem amorphen Theile jedes Molecül der
                              einen Verbindung neben einem solchen der anderen liegt. Die Analyse würde im
                              vorliegenden Falle im entglasten sowohl, als amorphen Theile desselben Glases eine
                              gleiche Zusammensetzung ergeben müssen.
                           Im zweiten Falle dagegen, bei krystallartig säulenförmigen Endproducten der
                              Ausscheidung, bilden sich in einer leichter flüssigen Masse zunächst nur
                              Krystalliten, deren Anziehungskraft aber die geringere Cohäsion des Mediums
                              überwinden kann. In Folge dessen aggregiren sich die Nädelchen zu Lamellen und diese
                              sich unter einander aus demselben Grunde zu krystallartigen Gebilden, zwischen
                              welchen alsdann zwar noch amorphe Theile verbleiben; aber die Anziehungskraft der
                              Krystalliten ist so groß, daß eine theilweise Verdrängung der amorphen Partien
                              erfolgen kann, welche weniger Kalk und daher mehr Alkali enthalten. Die Sonderung
                              zwischen amorpher und krystallisirbarer Substanz geht natürlich nur so lange vor
                              sich, als die Krystalliten im Stande sind, sich den Weg zu einander durch die
                              geschmolzene Masse zu bahnen.
                           Pelouze hat mitgetheilt, daß sogen. 3 1/2fach
                              kieselsaures Natron dasjenige Glas sei, welches der Entglasung am leichtesten
                              unterliege und sogar bei raschem gewöhnlichem Erkalten dieselbe zeige. Es ist dieses
                              Resultat erstaunlich, da für gewöhnlich alle Alkalisilicate amorph erstarren.
                              Jedenfalls kann von einer Entglasung in dem Sinne, in welchem bisher dieselbe
                              besprochen wurde, nicht die Rede sein. Man könnte zur Erklärung höchstens annehmen,
                              daß entweder eine unvollkommene Verschmelzung oder eine Ausscheidung von Kieselsäure
                              vorgelegen habe.
                           Im Allgemeinen, kann man sagen, ist die Fähigkeit zu entglasen von dem Verhältniß der
                              amorph und krystallinisch erstarrenden Substanzen, gewöhnlich also vom Gehalt an
                              Kalk abhängig.
                           Da Bleisilicat amorph erstarrt, so kann Bleiglas nicht entglast werden. Es soll dies
                              zwar schon gelungen sein; ich glaube aber wohl annehmen zu dürfen, daß die Ursache
                              der Entglasung hier in einer Beimengung von Thonerde zu suchen war, die jedenfalls
                              aus den Schmelzgefäßen stammte. Die Beobachtung der Krystallform unter dem Mikroskop
                              hätte darüber am besten Aufschluß geben können.
                           Wir haben also im Verlauf dieser Arbeit gefunden, daß die Entglasung eine unter
                              günstigen Umständen im Glase herbeigeführte Trennung der amorphen von den
                              krystallinischen Bestandtheilen zu nennen ist, wobei erstere als Bindmittel für
                              letztere dienen. Die Ausscheidungsformen für den krystallinischen Theil
                              (Calciumsilicat) sind je nach der Consistenz der amorphen Masse verschieden, indem
                              dieselbe in reinen rhombischen Krystallen, in krystallartigen Säulen mit Büscheln an
                              den Enden oder in Krystalliten erfolgt.
                           Die zu Anfang dieses Kapitels beschriebenen hexagonalen Krystalliten von Thonerderauh
                              gehören streng genommen nicht unter die Entglasung von Alkali-Kalkgläsern, da
                              dieselben von aufgelöster und beim Erkalten auskrystallisirender Al₂O₃
                              herrühren.
                           Zum Schluß will ich es nicht unterlassen, auf die Ansichten von Benrath (1872 203 19) einzugehen. Hiernach soll
                              die Entglasung in einigen Fällen in Ausscheidungen krystallisirter Kieselsäure, in
                              anderen Fällen aus einem Gemenge von Feldspathen mit krystallisirter Kieselsäure
                              bestehen. Die Methode, welcher sich Benrath bediente, um
                              den Nachweis für die Ausscheidung obiger Körper zu liefern, besteht darin, daß er
                              das gepulverte Gemenge entglaster Partien der unzureichenden Einwirkung wässeriger
                              Flußsäure aussetzte, den verbleibenden Rest mit Schwefelsäure behandelte und nach
                              dem Auswaschen mit Wasser analysirte. Aus der Thatsache nun, daß in dem Rückstande
                              von der Behandlung mit Flußsäure eine größere Menge Kieselsäure verblieb, als die
                              ursprüngliche Glassubstanz enthielt, glaubt Benrath den
                              Schluß ziehen zu dürfen, daß die in Krystallen ausgeschiedene Substanz aus
                              abgeschiedener Kieselsäure bestehe.
                           Sehen wir uns die Voraussetzung an, von welcher Benrath
                              bei diesen Versuchen ausgeht, so ist die erste die, daß durch Behandlung mit
                              Flußsäure der krystallisirte Theil der entglast scheinenden Masse in geringerem Maße
                              zersetzt werde als der amorphe, und zweitens, daß die das Glas zusammensetzenden
                              Elemente in der Quantität, wie sie das Glas bilden, gleichmäßig in Fluorverbindungen
                              verwandelt werden. Es soll also gewissermaßen der amorphe Rest von den Krystallen
                              abgewaschen werden, zu welcher Voraussetzung aber die Beobachtungen Leidholt's an amorphen Gläsern, bei welchen von
                              wirklichen Krystallen keine Rede sein kann, und auf welche sich Benrath stützt, nicht die Berechtigung geben.
                           Auch ich glaubte bei meinen Untersuchungen über Entglasung, durch Anwendung von
                              Flußsäure zu einem Resultat zu kommen, und behandelte halb entglaste, genäßte
                              Stückchen mehrere Tage mit gasförmiger Flußsäure. Es resultirte mir dabei ein
                              Product, welches in seiner Form dem ursprünglichen gleich geblieben und mit einer weißen
                              Kruste (wahrscheinlich Fluornatrium und Fluorcalcium) überzogen war, aber es ließ
                              sich nicht daran erkennen, daß die Flußsäure auf den amorphen Theil intensiver
                              zersetzend gewirkt habe, als auf den krystallinischen, so daß ich auf dieses
                              Resultat hin von weiteren Versuchen dieser Art abstand.
                           Ich erkläre mir die Resultate, welche Benrath erhalten
                              hat, dahin, daß die Zersetzung des Glases, sowohl des krystallinischen als amorphen
                              Theiles, durch Flußsäure zuförderst hauptsächlich in einer Verwandlung des im Glase
                              erhaltenen Calciums und Natriums in Fluorcalcium und Fluornatrium besteht, während
                              die Einwirkung auf die Kieselsäure zwar auch von vornherein vor sich geht, aber erst
                              bei längerer Einwirkung vollständig stattfinden würde. Ich nehme also an, daß das
                              Fluor ein größeres Vereinigungsstreben zum Calcium und Natrium als zum Silicium habe
                              und erst dann mit diesem vollständig in Verbindung übergehe, wenn die übrigen Körper
                              in Fluormetalle verwandelt sind.
                           Die Beobachtungen mittels des Mikroskops sind nicht zuverlässig, da in vielen Fällen
                              das entglaste Glas krystallinisch erscheint und nur von ganz äußerst feinen
                              Entglasungsnadeln durchsetzt ist, zwischen welchen sich noch amorphe Theile
                              befinden. Sogar die chromatische Polarisation zwischen zwei gekreuzten Nicols ist
                              nicht entscheidend für die vollständig krystallinische Structur.
                           Ein gewichtiger anderer Grund, der noch gegen die von Benrath angeführten Ansichten spricht, ist die Krystallform der aus
                              Kalknatrongläsern resultirenden entglasten Massen, wie ich dieselben im
                              Vorhergehenden mitgetheilt habe.
                           Bekanntlich krystallisirt die Kieselsäure hexagonal als Quarz oder in der hexagonalen
                              Form von Tridymit meistens in Zwillingen aus. Da die von mir beschriebenen Formen
                              jedoch rhombisch sind oder wenigstens das Bestreben zeigen, darin überzugehen, so
                              müßte man hier im Glase eine neue Krystallform für Kieselsäure annehmen, wozu
                              jedoch, wenn nicht gewichtigere Argumente vorgebracht werden, vorläufig noch kein
                              Grund vorliegt.
                           Zur weiteren Aufklärung der Entglasungserscheinungen hat Benrath Glas aus der Friedr. Siemens'schen Fabrik benützt, welches neben
                              Natrium, Calcium und Kieselsäure noch Thonerde und Eisen in größerer Menge (13,97
                              Proc.) enthielt. Dieses Glas zeigte nach der oben beschriebenen Behandlung mit
                              Flußsäure unter dem Mikroskop neben säulenförmigen Krystallen und angefressenen
                              Glasfragmenten auch farrnkrautähnliche Krystallcomplexe und ergab eine
                              Zusammensetzung, welche der eines Feldspathes nahe kommt, so daß Benrath sich dadurch für berechtigt hält, den Schluß zu ziehen, im
                              Glase seien Feldspathe oder feldspathartige Krystalle vorhanden.
                           Nach meinen Versuchen und Beobachtungen löst sich Thonerde zwar im Glase auf,
                              scheidet sich aber daraus bei langsamem oder schnellem Erkalten je nach dem
                              relativen Gehalt in hexagonalen Krystallen oder Krystalliten von Al₂O₃
                              wie ich solche regelmäßigen Vorkommnisse in Fig. 30 bis 34 gezeichnet
                              habe, wieder ab.
                           Mir scheint, daß auch Benrath Thonerde-Krystalliten
                              vor sich gehabt hat, denn die oben angegebenen, unter dem Mikroskop von ihm
                              beobachteten farrnkrautähnlichen Krystallcomplexe sind nichts weiteres als in der
                              Krystallisation gestörte Thonerde-Krystalliten gewesen, wie ich solche bei
                              mikroskopischen Untersuchungen am Glase und in selbst dargestellten Glasflüssen im
                              Laboratorium häufig beobachtet habe.
                           Es ist aus diesen Gründen sehr wahrscheinlich. daß Benrath
                              ein Gemenge von Thonerde-Krystalliten mit den gewöhnlichen
                              Kalkentglasungsnadeln in Untersuchung genommen hat.
                           Daß die Thonerde durch ungenügende Behandlung mit Flußsäure zurückblieb, kann nach
                              den obigen Auseinandersetzungen nicht Wunder nehmen. Es ist demnach wohl nicht
                              gerechtfertigt, aus den Resultaten der Analyse ohne genauere Beobachtung der
                              Krystallform von feldspathähnlichen Krystallen zu reden.
                           Ueberhaupt kann die Thonerde nicht in die Erklärung über die Entglasung aufgenommen
                              werden, da ja alle Gläser mit Ausnahme der Bleigläser in den entglasten Zustand
                              übergeführt werden können, ohne Thonerde in nennbarer Menge zu enthalten; es könnte
                              dies also nur ein besonderer Fall der Entglasung sein.
                           Benrath führt nur solche Analysen von englastem Glase
                              auf, welche im krystallinischen Theile mehr Kieselsäure als im amorphen enthalten.
                              Daß dies jedoch auch umgekehrt sein kann, beweist eine Analyse Terreil's (1858 148 59).
                           
                        
                     
                  
               Tafeln
