| Titel: | Das Musterzeichnen in der Wirkerei; von G. Willkomm, Director der Fachschule für Wirkerei in Limbach bei Chemnitz. | 
| Fundstelle: | Band 221, Jahrgang 1876, S. 121 | 
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                        Das Musterzeichnen in der Wirkerei; von G. Willkomm,Mit gef. Genehmigung des Verfassers, aus der diesjährigen Einladungsschrift zu
                                 der Ausstellung von Schülerarbeiten der oben genannten Fachschule.D. Red. Director der Fachschule für Wirkerei in Limbach bei Chemnitz.
                        Mit Abbildungen.
                        Willkomm, über das Musterzeichnen in der Wirkerei.
                        
                     
                        
                           Die Fadenverbindungen der Wirkwaaren zeigen fast nirgends geradgestreckte Fadenlagen
                              von nur einigermaßen erheblicher Länge, sondern haben in den Maschenformen fast
                              ausschließlich gebogene Fäden, welche bisweilen von ganz kurzen geradgestreckten
                              Stückchen unterbrochen sind. Diese vielfach gebogenen Fäden geben ja gerade der
                              Wirkwaare ihre charakteristische Eigenschaft: die Elasticität, vermöge welcher die
                              Waarenstücke nach allen Richtungen hin verzogen werden können und, nach Aufhören der
                              Kraftwirkung, doch ihre frühere Gestalt wieder annehmen. Jeder auf eine
                              Maschenverbindung wirkende Zug gibt den Maschen andere Formen als die sind, welche
                              sie bei ihrer Herstellung erhielten; die Steifigkeit der einzelnen Fäden entwickelt
                              aber eine Biegungselasticität derselben, vermöge welcher sie die ursprüngliche
                              Maschenform immer wieder herzustellen suchen. Diejenigen Wirkwaaren, in denen
                              ausnahmsweise erheblich lange geradlinige Fadenstrecken vorkommen, wie z.B.
                              Schußkettenwaaren oder gespannte Filetwaaren, sind auch nicht mehr elastisch, sie
                              haben ihren wesentlichen Charakter als Wirkwaaren verloren und gleichen nunmehr den
                              steifen Webwaaren.
                           Für die letztern, die Webwaaren, ist nun wegen den fast ausschließlich geraden
                              Fadenlagen ihrer zwei rechtwinklig sich kreuzenden Fadenpartien, der Kette und des
                              Schusses, deren Fäden in jeder Partie unter sich parallel sind, die Zeichnung von
                              Mustern, Farb- oder Webmustern leicht ausführbar; man hat nur die einzelnen
                              Fäden als Doppellinien aufzuzeichnen, die Kettenfäden unter sich parallel und nach
                              einer Richtung hin liegend, die Schußfäden wiederum parallel in einer andern
                              Richtung, welche die erstere im rechten Winkel durchkreuzt, und hat nun an den
                              Stellen, an welchen sich je zwei Fäden treffen, anzugeben, welcher von beiden oben
                              auf, auf der Waarenvorderseite, liegen soll. Zur Vereinfachung dieses
                              Musterzeichnens in der Weberei benützt man bekanntlich carrirtes Papier, das sogen.
                              Patronenpapier, auf welchem man die Zwischenräume zwischen je zwei parallelen Linien
                              als Fäden betrachtet, so daß je ein Quadrat, welches da entsteht, wo zwei solcher
                              Linienpaare sich rechtwinklig schneiden, immer die Stelle bedeutet, an welcher
                              entweder der
                              Ketten- oder Schußfaden oben auf liegt. Je nach der Art des Musters
                              bezeichnet man nun z.B. nur die Quadrate, in denen ein Schußfaden oben auf liegt,
                              durch Punkte (wie in den Figuren I bis III) oder Kreuze, wenn es sich um einfarbige Webmuster
                              handelt, oder man füllt sie mit verschiedenen Farben aus, wenn es sich um Farbmuster
                              handelt. Die in solcher Weise bezeichneten Quadrate geben dann ein sehr
                              übersichtliches Bild des Musters, welches entweder von den Ketten- oder den
                              Schußfäden auf der Waarenoberfläche gebildet wird.
                           
                              
                              Fig. 1., Bd. 221, S. 122
                              
                           
                              
                              Fig. 2., Bd. 221, S. 122
                              
                           
                              
                              Fig. 3., Bd. 221, S. 122
                              
                           In solch einfacher Weise sind nun freilich die Fadenverbindungen der Wirkwaaren nicht
                              sofort zu zeichnen und ihre Unterschiede von einander nicht ohne Weiteres klar zu
                              legen; genau genommen müssen vielmehr ihre Maschenlagen immer auch genau gezeichnet
                              werden, indem man durch Doppellinien ihre Fäden darstellt und ihre Biegungen,
                              Verbindungen und gegenseitigen Lagen genau so wiedergibt, wie man sie in der
                              fertigen Waare ersehen oder sich nach der Art der Waarenherstellung construiren
                              kann. Solche Zeichnungen geben dann allerdings sehr deutliche Bilder der
                              betreffenden Fadenverbindungen; sie erfordern aber zu ihrer Herstellung schon
                              erhebliche Geschicklichkeit im Zeichnen und selbst damit noch, für größere
                              Ausdehnung als etwaige größere Muster von Tüchern und Decken, so viel Zeit, daß das
                              Entwerfen der Muster mit Hilfe dieser Zeichenmethode gar nicht im Einklange mit der
                              Fabrikation stehen würde; man benützt deshalb diese Methode nicht zum
                              Musterentwerfen, sondern nur zur Erklärung schwieriger Verbindungen und Entwicklung
                              der Herstellungsart der Waaren. Meines Wissens ist überhaupt das Aufzeichnen irgend
                              welcher Muster in der Wirkerei bislang so gut wie gar nicht bekannt gewesen und
                              vorgenommen worden, ausgenommen die wenigen Werkstätten, welche französische
                              Rundstühle für complicirte Preßmusterwirkerei bauen. Die Arbeiter haben die früher
                              am Handstuhle vielfach hergestellten Petinet- und Preßmuster sowie die
                              Werfmuster und die unterlegten und Jacquard-Farbmuster sich nicht erst
                              aufgezeichnet, sondern ohne Weiteres aus freier Hand in die Waare eingewirkt. Sehr
                              geübten Arbeitern ist dies wohl möglich, den Anfängern aber jedenfalls nicht, da ihnen
                              die Erfahrung fehlt, welche aus vielfacher Beobachtung sich ergibt, selbst wenn sie
                              das Vermögen, sich die Musterbilder im Geiste vorzustellen, besitzen. Daß aber
                              solche Arbeiten aus freier Hand schwierig sein mögen, kann man noch heut oft genug
                              aus den als Warenzeichen oder -Nummern verwendeten eingebrochenen oder
                              Werf-Mustern ersehen, welche der Arbeiter durch Ueberhängen halber Maschen
                              auf die Nachbarnadeln mit Hilfe der Mindernadel herstellt, und die allerdings
                              bisweilen recht unschön und uncorrect aussehen, so wie sie der betreffende Arbeiter
                              gewiß nicht aufgeschrieben oder gezeichnet haben würde, wenn dieses Zeichnen in
                              einfacher Weise, nicht etwa durch die complicirten wirklichen Fadenverbindungen, ihm
                              bekannt und möglich gewesen wäre.
                           Die Art des Musterzeichnens in der Weberei ist nun aber, nach meinem Dafürhalten,
                              auch auf die meisten Arbeiten der Wirkerei, zunächst wenigstens der Kulirarbeit,
                              anzuwenden; für das Entwerfen der Preßmuster ist sie auch von einzelnen Fabrikanten
                              bereits benützt worden, und ich will in Folgendem untersuchen, in wie weit sie für
                              Darstellung aller Arten der Farb- und Wirkmuster sich eignet. Die bildliche
                              Darstellung von Ziffern, Buchstaben und Flächenornamenten durch Ausfüllen der
                              Quadrate im Patronenpapiere ist ehedem schon für das Handstricken in Gebrauch
                              gewesen und wird noch heut zur Herstellung von Vorlagen für das Sticken und
                              „Zeichnen“ der Wäsche benützt; auch Wirkwaaren, z.B.
                              Strümpfe, werden in der Weise gezeichnet, d.h. mit Buchstaben und Ziffern versehen,
                              daß man die Linien dieser Zeichnung mit einem Garne von anderer Farbe, als die des
                              Strumpfes ist, aufnäht, und daß man diese Linien zusammensetzt aus einer Reihenfolge
                              von Maschen, welche man einzeln mit dem Nähfaden überdeckt. Zum gewöhnlichen
                              „Zeichnen“ genügen für dieses Ueberdecken einer Masche zwei
                              rechtwinklig sich kreuzende Linien oder Stiche, der sogen. Kreuzstich; zum Sticken
                              oder Bordiren (Brodiren, embroider, broder) der feinen
                              gewirkten Strümpfe benützt man die überwendliche Naht des Plattstiches, und dabei
                              dienen die Zeichenvorlagen von Patronenpapier als Führer. Je ein Quadrat des Bildes
                              entspricht einer Masche der Waare, die horizontalen Reihen der Quadrate entsprechen
                              also den Maschenreihen und die verticalen den Maschenstäbchen; die in der Zeichnung
                              durch Punkte bezeichneten oder ganz ausgefüllten Quadrate werden in der Waare
                              übernäht. Dieses längst bekannte Verfahren führt aber leicht zur Benützung derselben
                              Musterzeichnungen als Vorlagen für das Wirken irgend welcher Farbmuster, wenn die
                              Quadrate durch verschiedene Farben ausgefüllt werden, oder irgend welcher
                              Wirkmuster, wenn man nur deren Herstellungsart und ihren schließlich wahrzunehmenden Effect untersucht und
                              sich dann vorstellt, daß ein ausgefülltes oder irgend wie bezeichnetes Quadrat des
                              Musterbildes, z.B. bei Preßmustern eine nicht gepreßte Nadel oder eine Doppelmasche
                              in der Waare, bei Werfmustern eine zur Nachbarnadel übergehängte halbe Masche u.s.w.
                              bedeuten kann. Da man mit den einzelnen Quadraten immer nur gleichartige Größen
                              bezeichnen darf, so sind diese Zeichnungen nur für einflächige Waaren zu benützen,
                              nicht aber für Andeutung der doppelflächigen Ränder- und Fangwaaren in einem
                              Bilde; zu letztern müßte man vielmehr für jede Waarenseite ein Bild zeichnen, denn
                              es ist nicht wohl dem Beschauer zuzumuthen, daß er sich unter dem einen Quadrate
                              eine Stuhlmasche und unter dem daneben liegenden eine Maschinenmasche vorstellen
                              soll. Hiernach würden die Musterzeichnungen auf Patronenpapier folgende Bedeutungen
                              haben.
                           
                        
                           A. Für
                                 Kulirwaaren.
                           1. Als Farbmuster in glatter Kulirwaare kommen vor:
                           a) Ringelwaaren, zu denen man kaum eine Zeichnung nöthig
                              haben wird, da die verschiedenen Farben immer mindestens eine ganze Maschenreihe
                              ausfüllen und einfach schmale und breite Streifen bilden.
                           b) Jacquardmuster, in denen die verschiedenen Farben nur
                              Theile von Maschenreihen bilden, deren Breitenausdehnung in den sich folgenden
                              Reihen sehr erheblich von einander abweichen kann. Nur in seltenen Fällen, bei
                              schwierigen Musterformen, wird eine Zeichnung nöthig sein, aus welcher man dann jede
                              einzelne Zeile abzulesen hätte. Bedeutet z.B. Figur I
                              ein Stück eines solchen Jacquardmusters, so würde man aus irgend einer Zeile ad ersehen, daß man einen Faden, vielleicht weiß,
                              von a bis b, also über 3
                              Nadeln zu legen hätte, einen andern, vielleicht schwarz, von b bis c also über 3 Nadeln, weiter einen neuen
                              weißen Faden über 7 Nadeln von c bis d u.s.w. Da indeß in diesen Jacquardmustern die
                              Randnadeln jeder Farbe von beiden dort an einander grenzenden Fäden belegt werden
                              müssen (es entstehen sonst an den betreffenden Maschen keine Platinenmaschen und die
                              Waare erhält Oeffnungen), so muß jeder Faden um eine Nadel weiter, als in der
                              Zeichnung abzulesen ist, gelegt werden, und in der Grenzmasche wird derjenige Faden
                              oben (auf der Waarenvorderseite) liegen, welcher zuerst auf die Nadel, also am
                              weitesten nach hinten zu auf sie kommt.
                           c) Unterlegte Farbmuster verhalten sich genau so wie
                              Jacquardmuster. Die verschieden farbigen Fäden bilden ihre Maschen nur auf einzelne
                              Stücke jeder Reihe, aber der Faden von ein und derselben Farbe wird immer wieder verwendet zur
                              Herstellung von Maschen in derselben Reihe; er wird vor dem Kuliren über alle
                              diejenigen Nadeln gelegt, auf denen er Maschen herstellen, und unter diejenigen, auf
                              denen ein anderer Faden Maschen bildet. So lange diese Muster aus einfachen Bildern,
                              Rechtecken oder sonstigen einfachsten Figuren, sich zusammensetzen, so werden
                              Zeichnungen für ihre Herstellung nicht erforderlich sein; in schwierigem Fällen aber
                              kann von der Zeichnung leicht abgelesen werden, daß z.B. in Figur I zunächst ein weißer Faden über 3 Nadeln ab und der dabei hängende schwarze unter dieselben
                              zu legen ist, daß hierauf der letztere herauf zu nehmen und über die 3 Nadeln bc zu legen, der weiße aber hinab zu ziehen und
                              unter den Nadeln bc hin zu führen ist, worauf
                              wieder ein Wechsel stattfindet.
                           d) Plattirte Muster entstehen dadurch, daß man auf
                              einzelne Nadeln außer dem Faden, mit welchem man die ganze Reihe bildet, noch einen
                              Faden auflegt und zu Schleifen mit kuliren läßt, oder daß man ihn mit der Hand in
                              Form gekreuzter Schleifen „anschlägt“ – jedoch immer, so
                              daß die Schleifen des Extrafadens am weitesten zurück auf den Nadeln hinter denen
                              des gewöhnlichen Arbeitsfadens liegen. Da nun die Waare am Stuhle so hängt, daß sie
                              ihre Rückseite nach vorn dem Arbeiter zu kehrt, so sind die doppelten Fadenlagen in
                              jeder Masche nun so angeordnet, daß der Extrafaden auf der Waarenvorderseite oben
                              auf liegt und seine Maschen folglich diejenigen des andern Fadens überdecken,
                              überplatten oder Plattiren. Hat dieser Plattirungsfaden eine andere Farbe als die
                              übrige gewirkte Waare, so bildet er auf ihr eine Zeichnung ganz ähnlich den
                              bisweilen auf die Stoffe genähten oder gestickten Mustern; in solcher Weise werden
                              Namen, Wappenbilder u.s.w. in Strumpflängen, Jacken und andern Kleidungsstücken
                              plattirt angebracht, und zu ihrer Herstellung sind Zeichnungen nicht zu entbehren.
                              Man deutet sich die gewünschten Zeichen, etwa Buchstaben, auf dem Musterpapiere an,
                              so wie dies z.B. in Figur III mit den Buchstaben
                              „FD“ geschehen ist,
                              und zählt dann in jeder Reihe die Nadeln ab, welche man mit dem Plattirungsfaden zu
                              umwickeln hat, bevor der gewöhnliche Arbeitsfaden über die ganze Nadelreihe gelegt
                              und kulirt werden kann. Dabei ist nur noch zu bedenken, wie das Waarenstück am
                              Stuhle hängt, und wie man es später einmal im Gebrauche zu betrachten pflegt.
                              Strümpfe z.B. werden in der Regel so gearbeitet, daß sie mit dem Längen abwärts
                              hängen, während man sie später beim Verkaufe so betrachtet, daß der Fuß nach abwärts
                              gerichtet ist. Für diese letztere Stellung muß das Muster, vielleicht der Name,
                              richtig stehen, folglich werden am Stuhle die Buchstaben verkehrt, mit dem obern
                              Theile zu unterst hängen; man hat also die einzelnen Zeilen der Zeichnung in der
                              Reihenfolge von oben nach abwärts abzulesen, während man sie als Maschenreihen von
                              unten nach oben hin arbeitet. Hängt aber ein Waarenstück am Stuhle nicht gestürzt,
                              sondern aufrecht, so zeigt es doch dem Arbeiter die Rückseite, und da derselbe in
                              der Musterzeichnung die Vorderseite sich abgebildet hat, so muß er von dieser
                              Zeichnung die Linien zwar nach aufwärts, aber in Richtung von rechts nach links
                              ablesen und sie auf die Waare in der Richtung von links nach rechts übertragen.
                           
                              
                                 (Schluß folgt.)