| Titel: | Temperatur und Zusammensetzung der in Ultramarinöfen entwickelten Gase; von Ferd. Fischer. | 
| Autor: | Ferd. Fischer | 
| Fundstelle: | Band 221, Jahrgang 1876, S. 468 | 
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                        Temperatur und Zusammensetzung der in
                           Ultramarinöfen entwickelten Gase; von Ferd.
                              Fischer.
                        Fischer, über die in Ultramarinöfen entwickelten Gase.
                        
                     
                        
                           Obgleich bereits zahlreiche Arbeiten über Ultramarin veröffentlicht wurden (vgl. 1876
                              220 55), ist meines Wissens bis jetzt weder die zur
                              Ultramarinbildung erforderliche Temperatur noch die Zusammensetzung der aus
                              Ultramarinöfen entweichenden Gase genauer untersucht. Nachfolgende Versuche, welche
                              mit gütiger Erlaubniß des Hrn. Karl Reinecke in der von
                              ihm geleiteten Ultramarinfabrik „Egestorff's Salzwerke“ in
                              Linden vor Hannover ausgeführt wurden, dürften daher als Beitrag zur Kenntniß der
                              Ultramarinbildung einige Beachtung verdienen.
                           Die Temperatur der Oefen wurde mit einem von Siemens
                                 Brothers in London bezogenen elektrischen Pyrometer (*1875 217 291) bestimmt. Zahlreiche Vorversuche zeigten, daß
                              hierbei nur das untere kurze Eisenrohr (vgl. die Abbildungen Bd. 217 S. 295) der zu
                              messenden Temperatur ausgesetzt werden darf, der Conus und der zwischen diesem und
                              den Klemmschrauben X, C, X' liegende Theil des
                              Eisenrohres aber durch ein übergeschobenes, mit Infusorienerde gefülltes, weiteres
                              Rohr oder durch Lehmbeschlag geschützt werden muß. Wünschenswerth wäre ferner, wenn
                              die beiden Röhren A und B
                              des Differentialvoltameters einen etwas größern Durchmesser hätten, da sich jetzt
                              leicht Gasblasen in der verdünnten Schwefelsäure bilden, welche die Ablesung der
                              entwickelten Knallgasmengen erschweren. Im übrigen kann ich dem günstigen Urtheile
                              Weinhold's über diesen Apparat nur beistimmen.
                           Die Zusammensetzung der entweichenden Gase wurde mittels des von Aron verbesserten Orsat'schen Apparates (*1875 217 220) 1876 
                              221 284) bestimmt. Der Vorwurf Weinhold's (1876 219 421), daß die Dichtheit
                              der zahlreichen Verbindungsstellen schwer zu controliren sei, trifft nicht zu, da
                              die geringste Undichtigkeit derselben an dem augenblicklichen Fallen der
                              betreffenden Flüssigkeitssäulen leicht erkannt wird. Ich habe die kurzen
                              Verbindungsschläuche mit einem dünnen Lack überzogen und selbst nach mehreren
                              hundert Analysen noch keine Undichtigkeit bemerkt. Ebensowenig kann ein irgend
                              wahrnehmbarer Fehler dadurch entstehen, daß das kleine Volum Gas in den
                              Verbindungsröhren sich der Messung entzieht. Dasselbe besteht bekanntlich aus
                              Stickstoff der vorhergehenden Analyse, durch welchen die neue Gasprobe verdünnt
                              wird. Da aber das zu untersuchende Gas immer 8 bis 10 mal aus der Bürette in die
                              Absorptionsgefäße hinein getrieben wird, so haben auch die in dem kurzen Zinnrohre
                              eingeschlossenen Gase hinreichend Zeit zum Diffundiren. Da ferner die
                              Absorptionsflüssigkeiten sicher für 70 bis 80 Analysen ausreichen, so ist gar keine
                              Controle über die Wirksamkeit derselben erforderlich, wenn die Kalilauge und die
                              Pyrogallussäurelösung etwa nach der 60. Bestimmung erneuert wird; die Kupferlösung
                              reicht für mindestens 100 Analysen aus. Sollte schließlich durch Unvorsichtigkeit
                              eine der Absorptionsflüssigkeiten in die Hähne oder Verbindungsröhren gelangt sein,
                              so ist die Reinigung durch Heben des beweglichen Wasserbehälters in kaum einer
                              Minute auszuführen.
                           Gegenüber der Winkler'schen Bürette (*1876 219 413),
                              welche ich zu Laboratoriumsversuchen sehr gern anwende,
                              hat der Orsat'sche Apparat den Vorzug, daß die Absorption und das Messen der Gase in
                              zwei verschiedenen Röhren stattfindet und so die allmälige Bestimmung der einzelnen
                              Bestandtheile des einmal abgemessenen Gases gestattet. Uebrigens wurde dasselbe
                              Princip bereits von Liebig (*1873 207 44) angewendet. Ein wesentlicher Vortheil liegt ferner darin, daß die
                              Gasbürette von Wasser umgeben ist, Temperaturveränderungen während der 8 bis 10
                              Minuten, welche ein Versuch in Anspruch nimmt, somit nicht auf das eingeschlossene
                              Gasvolum einwirken können. Die Versuche können daher im Fabrikraum selbst ausgeführt werden.
                           Die genaue Untersuchung einer Durchschnittsprobe der Rauchgase, wie sie Weinhold ausgeführt hat (1876 219 20), ist zwar für die Beurtheilung eine Feuerungsanlage von Werth, zur
                              genauem Verfolgung des Verbrennungsprocesses selbst ist sie nicht ausreichend. Die
                              Zusammensetzung der Rauchgase unmittelbar nach dem Schüren des Feuers ist eben
                              völlig verschieden von den Gasen, welche entwickelt werden, wenn das Feuer
                              niedergebrannt ist. (Vgl. Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure, 1876 S.
                              313.)
                           
                           Nach längerm Gebrauch des Orsat'schen Apparates klemmen sich die Zinnhähne zuweilen
                              fest, werden auch wohl undicht, so daß sie nachgeschliffen werden müssen. Ich lasse
                              mir daher einen neuen Apparat anfertigen, wende aber wie beim ursprünglichen
                              Orsat'schen Apparat Glashähne an; auch wird der untere Theil der Gasbürette enger
                              gemacht, um die genaue Ablesung zu erleichtern.
                           Das Schwefeldioxyd (schweflige Säure = SO₂) wurde unter Berücksichtigung der
                              Temperatur mit Zwanzigstelnormal-Jodlösung bestimmt, die durch Kali
                              absorbirbaren Säuren mit dem Orsat'schen Apparat; nur wurde als Sperrflüssigkeit in
                              der Bürette Oel angewendet, um die Lösung der schwefligen Säure durch das Wasser zu
                              vermeiden; die Differenz beider Bestimmungen ist als Kohlendioxyd (Kohlensäure =
                              CO₂) aufgeführt. Da die Gase aber immer mehr oder weniger weiß sind von
                              Schwefelsäureanhydrit, welches ebenfalls von Kalilauge, wenn auch sehr langsam,
                              absorbirt wird, so ist der angegebene Gehalt an Kohlendioxyd etwas zu hoch. Eine
                              directe Bestimmung des Schwefeltrioxyds in 1l Gas, welches ganz besonders undurchsichtig weiß war, ergab 28mg SO₃ (vgl. 1876 219 512). Die schweren weißen Dämpfe, welche namentlich
                              gegen Ende der Operation dem Schornstein der Ultramarinfabriken entweichen, bestehen
                              daher wesentlich aus Schwefelsäureanhydrit.
                           Die Versuche in Tabelle I (S. 471) wurden an einem
                              Tiegelofen ausgeführt. Einige Tage früher an einem gleichen Ofen vorgenommene
                              Bestimmungen ergaben u.a. folgende Resultate.
                           Nach dem Anzünden verstrichene Zeit: 6 Stunden bez. 11 Stunden
                           
                              
                                 Temperatur
                                     644°
                                    710°
                                 
                              
                                 Schwefeldioxyd (SO₂)
                                     2,01
                                    1,50
                                 
                              
                                 Kohlendioxyd (CO₂)
                                   10,49
                                    6,50
                                 
                              
                                 Kohlenoxyd (CO)
                                     0
                                    0
                                 
                              
                                 Sauerstoff
                                     4,5
                                   11,0
                                 
                              
                                 Stickstoff
                                   83,0
                                   81,0.
                                 
                              
                           Die Versuche in Tabelle II (S. 472) und III (S. 473) wurden an zwei Muffelöfen angestellt;
                              hiervon steht der erstere dem Schornsteine näher und hat daher einen stärkeren
                              Zug.
                           Die bei den untersuchten Bränden erhaltenen blauen Rohultramarine, sämmtlich
                              kieselreiche, waren, wie sich beim spätem Oeffnen der Oefen zeigte, sehr schön.
                           Die für den Ultramarinproceß erforderliche Temperatur beträgt demnach für
                              Muffel- und Tiegelöfen etwa 700°. Wie vorauszusehen (1873 210 234), sinkt die Temperatur, wenn zu viel
                              überschüssige atmosphärische Luft zugeführt wird (vgl. Tabelle I Nr. 13 bis 15. Tabelle II
                              Nr. 13 bis 16); sie
                              steigt wieder, wenn bei gleichmäßigem Schüren der Luftzutritt beschränkt wird (vgl.
                              Tabelle I Nr. 15 bis 18).
                           Tabelle I. Tiegelofen. Morgens 6 Uhr
                              angezündet.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 221, S. 471
                              Versuchsnummer; Zeit;
                                 Schwefeldioxyd; Kohlendioxyd; Kohlenoxyd; Sauerstoff; Stickstoff; Temperatur;
                                 Bemerkungen; Feuer niedergebrannt. Weiße Dämpfe; Desgl. Schiebertheilweise
                                 geschlossen; Luftzuführung mit Steinen zugelegt; Gleich nach dem Schüren; Dämpfe
                                 nicht weiß; Die obere Steinschicht ist wieder fortgenommen und dadurch mehr Luft
                                 zugeführt; Unmittelbar nach dem Schüren. Schwache Rußabscheidung; Inzwischen
                                 nicht geschürt, daher völlig abgebrannt. Dämpfe undurchsichtig weiß; Etwa 10
                                 Minuten nach dem Schüren; Völlig abgebrannt. Dämpfe stark weiß; Desgl.
                                 Luftzuführungsöffnungen werden wieder zugesetzt; Gleich nach dem Schüren;
                                 Inzwischen nicht geschürt, daher abgebrannt; Seit 9 Stunden nicht mehr geschürt,
                                 alle Oeffnungen mit Lehm verstrichen
                              
                           Die Gasanalysen bestätigen, daß der Proceß in Tiegelöfen rascher verläuft als in
                              Muffelöfen. Schon 2 bis 3 Stunden nach dem Anfeuern des Ofens beginnt eine lebhafte
                              Entwicklung von schwefliger Säure; nach etwa 10 Stunden fällt der Gehalt der Gase an
                              Schwefeldioxyd von 2 bis 3 auf 0,5 Proc. Die Verbrennungsgase der Muffelöfen
                              enthalten in der Regel kaum 0,5 Proc. An eine vortheilhafte Verwerthung dieser
                              verdünnten und unregelmäßig entwickelten Gase für den Bleikammerproceß ist hiernach
                              kaum zu denken (1876 220 89). Auch die Verwerthung derselben
                              mittels Platinasbest (1875 218 128) verspricht wenig
                              Erfolg.
                           Inwieweit etwaige Belästigungen der Nachbarschaft dadurch verringert werden, daß man
                              die Verbrennungsgase in einem Kokesthurm einem Wasserstrahl entgegenführt, müssen
                              Versuche zeigen. Zweifelhaft dürfte namentlich sein, ob die eigenthümlich lauchartig
                              riechenden Gase, welche sich im Anfang des Brennprocesses entwickeln –
                              vielleicht schwefelhaltige, schwer verbrennbare Zersetzungsproducte des Colophoniums
                              – hierdurch beseitigt werden.
                           Die Ausnützung des Brennmaterials in den Tiegelöfen ist, wie der Kohlensäuregehalt
                              der Verbrennungsgase zeigt, sehr gut und ungleich besser als in Muffelöfen, welche
                              von viel überschüssiger atmosphärischer Luft durchstrichen werden. Dadurch erklärt
                              sich auch der unverhältnißmäßig größere Brennmaterialverbrauch derselben. Nach gef.
                              Mittheilung
                           Tabelle II. Muffelofen. Morgens 6 Uhr
                              angezündet.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 221, S. 472
                              Versuchsnummer; Zeit;
                                 Schwefeldioxyd; Kohlendioxyd; Kohlenoxyd; Sauerstoff; Sauerstoff; Stickstoff;
                                 Temperatur; Bemerkungen; Abgebrannt; 5 Minuten nach dem Schüren; Völlig
                                 abgebrannt; 10 Minuten nach dem Schüren; Seit 12 Uhr 40 Min. nicht geschürt.
                                 Weiße Dämpfe; Unmittelbar nach dem Schüren; Etwas Rußabscheidung; Abgebrannt.
                                 Luftzuführungscanäle werden zugelegt; Unmittelbar nach dem Schüren. Etwas
                                 Rußabscheidung; Inzwischen nicht geschürt; 10 Minuten nach dem Schüren;
                                 Unmittelbar nach dem Schüren; Temperatur etwas zu hoch, daher wird bis 11 Uhr 10
                                 Min. nicht geschürt; Unmittelbar nach dem Schüren. Schaulöcher, Risse u. dgl.
                                 sind völlig mit Lehm verschlossen
                              
                           
                           des Hrn. Reinecke erfordern 100k blauer Rohbrand im Tiegelofen 50k, im Muffelofen dagegen 146k einer guten westphälischen
                              Steinkohle.
                           Tabelle III. Muffelofen. Am 20. Juli
                              Morgens 6 Uhr angezündet.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 221, S. 473
                              Versuchsnummer; Zeit;
                                 Schwefeldioxyd; Kohlendioxyd; Kohlenoxyd; Sauerstoff; Sauerstoff; Stickstoff;
                                 Temperatur; Bemerkungen; Völlig abgebrannt; 5 Minuten nach dem Schüren;
                                 Abgebrannt; weiße Gase; Unmittelbar nach dem Schüren. Etwas Rußabscheidung;
                                 Abgebrannt; Gleich nach dem Schüren; Etwa 20 Min. nach dem Schüren; Inzwischen
                                 nicht gefeuert. 1l des Gases enthält
                                 28mg SO₃; Das Feuer ist seit
                                 16 Stunden gelöscht. Die Thüren sind mit Lehm dicht verschlossen
                              
                           Kohlenoxyd ist für gewöhnlich nicht vorhanden; nur unmittelbar nach dem Schüren
                              wurden einige Male geringe Mengen desselben aufgefunden. Von einer reducirenden
                              Flamme in den Ultramarinöfen ist demnach nicht die Rede. Im Gegentheil zeigt der
                              Sauerstoffverlust in den Verbrennungsgasen, der in Tiegelöfen selbst auf 3 Proc.
                              steigt, daß, abgesehen von dem zur Bildung von Schwefeltrioxyd erforderlichen
                              Sauerstoff, die Ultramarinmasse während des Brennprocesses Sauerstoff absorbirt.
                           Weitere Versuche müssen zeigen, ob diese Resultate allgemein Giltigkeit haben.
                           Hannover, August 1876.