| Titel: | Dampfmäntel für Locomotiven. | 
| Autor: | Otto H. Müller | 
| Fundstelle: | Band 222, Jahrgang 1876, S. 18 | 
| Download: | XML | 
                     
                        Dampfmäntel für Locomotiven.
                        Müller, über Dampfmäntel für Locomotiven.
                        
                     
                        
                           Seite 473 des 220. Bandes dieses Journals findet sich ein Aufsatz über Dampfmäntel,
                              dessen irrige Anschauungen zu widerlegen der Zweck nachfolgender Zeilen sein
                              soll.
                           Keine Locomotive auf der ganzen Welt arbeitet mit 0,10 (wie der Verfasser jenes
                              Artikels meint), sondern mit 0,30 bis 0,65 Füllung; somit entfällt die Voraussetzung
                              großer Temperaturdifferenzen zwischen Admissions- und Austrittsdampf und die
                              daraus abgeleitete Nothwendigkeit oder Zweckmäßigkeit eines Dampfmantels, und zwar
                              umsomehr, als der einfache, stark überlappende Schieber in Verbindung mit der
                              Stephenson'schen Coulisse für geringere Füllungen auch stärkere Compression bedingt,
                              somit das Correctiv bezüglich größerer Abkühlung bei stärkerer
                                 Expansion in sich selber trägt. Dieser sinnreichen Eigenschaft der
                              Locomotivsteuerung waren sich die Locomotivconstructeure von Stephenson bis zum heutigen Tage sehr wohl bewußt, und darum wird es
                              „den sonst so praktischen Engländern“ am wenigsten
                              einfallen, Dampfmäntel bei Locomotiven anzuwenden, wobei indessen noch andere Gründe
                              maßgebend sind, nämlich Kolbengeschwindigkeit und Gewicht (Masse) der abkühlenden
                              Flächen. Denn außer der Temperaturdifferenz zwischen Admissions- und
                              Austrittsdampf ist es vor Allem die Größe der pro Kilogramm arbeitenden Dampf oder
                              pro Pferdekraft entfallenden – aus
                              Kolbengeschwindigkeit und mittlerm Cylinderdrucke resultirenden – Abkühlungsfläche, welche den Constructeur veranlaßt,
                              Dampfmäntel anzuwenden oder nicht.
                           Wir wollen dies durch den Vergleich zweier Extreme klar zu machen versuchen. Nehmen
                              wir:
                           A) eine einfachwirkende Cornwaller Maschine mit 90 Zoll
                              engl. (2m,286) Cylinderdurchmesser, 12 Fuß
                              (3m,658) Hub, 5 Doppelhüben pro Minute
                              und 1k,4 pro 1qc
                                    20 Zollpfund (10k) mittlerm Cylinderdrucke und
                           
                           B) einen Locomotivcylinder von 16 Zoll engl. (406mm) Durchmesser, 22 Zoll (559mm) Hub, 210 Umdrehungen pro Minute und 3k,16 pro 1qc
                                    45 Pfd. (22k,5) mittlerm Cylinderdrucke an, so ergeben sich die in nachstehender Tabelle
                              verzeichneten Resultate, nämlich daß die Abkühlungsfläche und das Gewicht derselben
                              pro Indicatorpferdekraft bei der Cornwaller Maschine dreißigmal größer ist als bei der Locomotive, und daß die
                              Temperaturdifferenz zwischen Admissions- und Austrittsdampf bei der erstem
                              doppelt so groß als bei der letztern ist, daß somit
                              die Abkühlungsmomente bei den beiden Cylindern sich wie 1 : 60 – und wenn man
                              weiter erwägt, daß bei der Locomotive wegen der sehr bedeutenden Compression die
                              mittlere Cylindertemperatur eine viel höhere ist, als der Ziffer Col. 11 entsprechen
                              würde – vielleicht wie 1 : 100 verhalten, wobei noch nicht einmal der Einfluß
                              der abkühlenden Masse (Gewicht der Cylinder und Kolben) in Rechnung gezogen ist.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 222, S. 19
                              Art der Maschine;
                                 Kolbengeschwindigkeit pro Minute; Anzahl der Indicator-Pferdekräfte;
                                 Abkühlungsfläche des Cylinders und Dampfkolbens, pro Indicatorpferdekraft;
                                 Gewicht des Cylinders und Dampfkolbens, pro Indicatorpferdekraft; Absolute
                                 Spannung des Admissionsdampfes; Temperatur des Admissionsdampfes; Spannung des
                                 Gegendampfes im Condensor und Blasrohre; Temperatur d. Gegendampfes im Condensor
                                 und Blasrohre
                              
                           Darum versieht man Cornwaller und directwirkende
                              Pumpmaschinen mit Dampfmänteln, und darum kann man
                              dieselben bei Locomotiven, Allan- und schnellgehenden
                              Corliß-Maschinen, besonders wenn diese letztern ohne Condensation arbeiten,
                              entbehren.
                           Eines schickt sich eben nicht für Alle, und Diejenigen, welche den Dampfmantel ohne
                              Rücksicht auf die jeweiligen Umstände, sondern nur als solchen kritisiren, zeigen,
                              daß sie über die Sache wenig nachgedacht haben. Ebensowenig können Enthusiasten wie
                              Resal und Laboulaye etwas
                              an der Sache ändern, denn diese Herren haben ganz gewiß noch keine Dampfmaschine
                              selbstständig und unter bindender Kohlengarantie ausgeführt, sondern reden als reine
                              Theoretiker. Die ausführenden praktischen Constructeure kümmern sich auch nicht um
                              dergleichen, sondern gehen lediglich nach ihren
                              Erfahrungen und Versuchen vor. Da diese jedoch Zeit und Mühe und oftmals auch hohes
                              Lehrgeld kosten, und da die Veröffentlichung derselben gerade nicht im Interesse des
                              Constructeure liegt, so unterbleibt eine solche in weitaus den meisten Fällen. Was
                              aber von den von Zeit zu Zeit in die Oeffentlichkeit gelangenden Versuchsresultaten
                              unerfahrener Leute zu halten ist, darüber habe ich mich in der Abhandlung
                              „über Kohlenersparniß bei Dampfmaschinen“ (* 1876 219 473. 220 1. 97) des
                              weitern geäußert.
                           Oder glauben die Zweifler, daß die Hunderte von Constructeuren, welche dennoch
                              Dampfmäntel machen, etwa von Laune oder Autoritätsglauben geleitet werden, und daß
                              sie bei ihren Preisen auf diesen kostspieligen „Luxus“ etwa
                              keine Rücksicht nehmen, – daß es ihnen vielmehr nur um die „schönen
                                 Indicatorlinien“ zu thun sei? Was diesen
                              Punkt betrifft, so ist auch der Verfasser des angezogenen Artikels auf falscher
                              Fährte, denn der zierliche Damenstiefel einer Maschine mit sehr geringer Füllung und Dampfmantel ist viel weniger begehrlich als der
                              vertrackte Schuh einer Maschine mit größerer Füllung, Drosselung und starker
                              Compression, weil der erstere in den meisten Fällen die
                              Verschwendung, der letztere hingegen die Oekonomie repräsentirt.
                           Pest, August 1876.
                           Otto H. Müller.