| Titel: | Beiträge zur Kenntniss des Deacon'schen Processes der Chlordarstellung; von Dr. Konrad Jurisch in Widnes (England). | 
| Autor: | Konrad Jurisch | 
| Fundstelle: | Band 222, Jahrgang 1876, S. 366 | 
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                        Beiträge zur Kenntniss des Deacon'schen Processes
                           der Chlordarstellung; von Dr. Konrad Jurisch in Widnes
                           (England).
                        (Nachtrag zu S. 356 und 488 des vorhergehenden
                           Bandes.)
                        Jurisch, über Deacon's Proceß der Chlordarstellung.
                        
                     
                        
                           In Folge nachträglicher eingehender Besprechungen mit meinem Freunde Dr. Ferdinand Hurter, dem
                              bekannten Entdecker der Reactionen, auf denen der sogen. Deacon'sche Proceß beruht, sehe ich
                              mich zu folgendem Nachtrage zu meiner Arbeit veranlaßt.
                           Bei meinen Versuchen nahm ich als Maß für die Thätigkeit des Apparates die Größe der
                              procentischen Zersetzung des Chlorwasserstoffes in Chlor und Wasserdampf an, ohne zu
                              berücksichtigen, daß man eben so gut auch die absolute, in der Zeiteinheit
                              producirte Chlormenge als Maß für die Thätigkeit des Apparates ansehen kann.
                           In den beschriebenen Versuchen nun, und besonders im letzten, sank die Zersetzung
                              regelmäßig so wie dem Gasgemenge Schwefelsäuredampf beigemischt wurde, auf nahezu
                              die halbe vorherige Größe herab, während die in der Zeiteinheit producirte
                              Chlormenge ziemlich constant blieb.
                           Die Größe der Zersetzung als Maß für die Leistungsfähigkeit des Apparates ansehend,
                              habe ich nun hieraus (S. 383 Bd. 221) den Schluß gezogen, daß die Schwefelsäure die
                              Zersetzung und damit die Chlorproduction beeinträchtige, und daß unter besondern
                              Umständen die Chlorproduction vielleicht ganz verhindert werden mag, selbst früher,
                              als eine Umhüllung der Thonkugeln mit nicht activen Substanzen eine schließlich
                              nothwendige Unterbrechung des Processes herbeiführt. Ferner habe ich (S. 366)
                              geschlossen, daß es daher eine Lebensfrage für den Proceß sei, die Schwefelsäure aus
                              dem Gasstrome zu entfernen, oder eine übergroße Menge Basis als Träger der activen
                              Substanz anzuwenden.
                           Dr. Hurter hat mich nun
                              darauf aufmerksam gemacht, daß diese Schlüsse in höherem Grade anfechtbar sind, als
                              ich ursprünglich voraussetzte.
                           Die Größe der Zersetzung des Chlorwasserstoffes in Chlor und Wasserdampf, ausgedrückt
                              in Procenten der angewendeten Gewichtsmenge Chlorwasserstoff, ist gleichzeitig
                              abhängig von drei Hauptveränderlichen:
                           1) dem Mischungsverhältniß von Chlorwasserstoffgas und atmosphärischer Luft,
                           2) der Geschwindigkeit des Gasstromes,
                           3) der Temperatur der Thonkugeln und des Gasgemenges, bei welcher die Zersetzung vor
                              sich geht.
                           1) Das Mischungsverhältniß von Chlorwasserstoffgas und atmosphärischer Luft schwankt
                              im Großbetriebe gewöhnlich – abgekürzt ausgedrückt – zwischen 20 und
                              60 Vol. Proc. Chlorwasserstoff im Gasgemenge. Unter sonst gleichen Bedingungen nun,
                              wie Dr. Hurter in zahlreichen
                              Versuchen nachgewiesen hat, fällt die Zersetzung bei spärlicherer Zumischung von
                              Luft und steigt bei zunehmender Verdünnung mit Luft.
                           2) Bei Vergrößerung der Geschwindigkeit des Gasstromes, unter sonst gleichen
                              Bedingungen, nimmt die Zersetzung ab, und steigt bei langsamerer Bewegung.
                           
                           3) Bei Erhöhung der Temperatur wächst auch die Zersetzung und fällt beim Sinken der
                              Temperatur, wenn man sonst alle übrigen Bedingungen constant erhält.
                           Diese Abhängigkeiten sind an den meisten Deacon'schen Apparaten im Großen beobachtet
                              und die Gesetze derselben von Dr. Hurter durch zahlreiche Versuche ermittelt worden.
                           Bei meinen Versuchen nun war ich bemüht, diese drei Veränderlichen so constant wie
                              möglich zu halten, um den Einfluß der Schwefelsäure zu studiren. Leider aber war
                              dies bei dem benützten einfachen Apparat und dem Mangel einer competenten Hilfe
                              nicht in dem gewünschten Grade möglich. Namentlich zeigte der Gasstrom trotz aller
                              Bemühungen, denselben gleichmäßig zu halten, besonders im ersten Versuche, eine
                              wachsende Menge Salzsäure, sobald ihm Schwefelsäuredämpfe zugeführt wurden.
                              Veranlaßt wurde diese Erscheinung unwillkürlich durch den erhöhten Druck, dem das
                              Gasgemenge durch die Verbindung mit der kochenden Schwefelsäure in der Flasche D' ausgesetzt wurde.
                           Dr. Hurter sieht daher nicht
                              die Schwefelsäure, sondern die größere Geschwindigkeit des Gasstromes als Ursache
                              des Fallens der Zersetzung an. Er benützt bei der Beurtheilung des Ganges des
                              Processes nicht die Zersetzung, sondern die in der Zeiteinheit producirte Chlormenge
                              als Maß für die Thätigkeit des Apparates, und argumentirt folgendermaßen: Wenn bei
                              den beschriebenen Versuchen, während Schwefelsäuredampf eingeleitet wurde, eine
                              größere Menge Chlorwasserstoff nur dieselbe Menge Chlor in der Zeiteinheit lieferte,
                              wie eine kleinere Menge Chlorwasserstoff in der Periode vorher, als keine
                              Schwefelsäure zugegen war, so ist damit noch nicht bewiesen, daß bei Gegenwart von
                              Schwefelsäure die größere Menge Chlorwasserstoff wirklich nöthig war, um dieselbe
                              Chlormenge in der Zeiteinheit zu erhalten wie vorher, sondern es läßt sich denken,
                              daß auch bei Gegenwart von Schwefelsäure dieselbe Menge Chlor erhalten worden wäre,
                              wenn nur dieselbe Menge Chlorwasserstoff in der Zeiteinheit durch den Apparat
                              geleitet worden wäre wie vorher, als keine Schwefelsäure zugegen war; oder mit
                              andern Worten, daß die Zersetzung constant geblieben wäre, gleichgiltig, ob die Gase
                              Schwefelsäure enthielten, oder nicht.
                           Nach Veröffentlichung meiner Arbeit hat Dr. Hurter mir mitgetheilt, daß er schon früher Versuche über
                              den Einfluß der Schwefelsäure angestellt und gefunden hat, daß dieselbe in der von
                              mir dargestellten Weise nicht schädlich wirkt.
                           Da nun Dr. Hurter mit viel
                              vollkommenern Apparaten in einem eigens dazu gebauten Laboratorium und mit
                              entsprechender Beihilfe gearbeitet hat, ihm außerdem eine langjährige Erfahrung zur Seite steht, gesammelt
                              in vielen Hunderten ähnlicher Versuche, die er mit ausgezeichnetem Geschick geleitet
                              hat, so füge ich mich gern seiner bessern Einsicht.
                           Dr. Hurter ist zwar auch der
                              Ansicht, daß Schwefelsäure schädlich wirke, aber nur mit Arsen und Antimon in ganz
                              gleichem Grade. Er glaubt, sobald im Apparat so viel dieser Substanzen sich
                              angehäuft, daß sämmtliches Kupfer in Arsenat und unveränderliches Sulfat umgewandelt
                              ist, daß dann erst die Activität nicht geradezu aufhört, aber doch so schlecht wird,
                              daß sie einen lohnenden Betrieb nicht mehr gestattet.
                           Die mitgetheilten Analysen lehren, daß die Schwefelsäure schädlich ist, indem sie die
                              Thonkugeln mit einer Hülle von nicht activen Substanzen überkleidet, und dadurch die
                              Activitätsdauer der Thonkugeln verkürzt. Um jedoch zu beweisen, daß der schädliche
                              Einfluß der Schwefelsäure schon in Gasform beginnt, dazu sind meine Versuche wohl
                              nicht ausreichend. Wenn der Anblick der in meinen Versuchen gewonnenen Resultate
                              mich auch zu der Schlußfolgerung verlockt hat, daß bei Gegenwart von
                              Schwefelsäuredampf – wegen der schlechtern Zersetzung – eine größere
                              Menge Chlorwasserstoff nöthig ist, um in der Zeiteinheit eine gewisse Menge Chlor zu
                              produciren, als nöthig ist, wenn keine Schwefelsäure zugegen ist, so würde ein
                              unanfechtbarer Beweis dafür doch nur geliefert sein, wenn in der Zeiteinheit in
                              beiden Fällen unter sonst gleichen Bedingungen wirklich genau dieselben Mengen
                              Chlorwasserstoff durch den Apparat geleitet würden, und wenn dann bei Gegenwart von
                              Schwefelsäure eine geringere Ausbeute an Chlor hervorträte.
                           Es ist mir daher zweifelhaft geworden, nachdem ich Dr.
                              Hurter's Einwendungen gewissenhaft erwogen habe, ob
                              ich berechtigt war, aus den beiden beschriebenen Laboratoriumsversuchen
                              schwerwiegende Schlüsse zu ziehen auf den Betrieb des Processes im Großen, wie ich
                              dies in meiner Arbeit gethan habe. Und ich erfülle nur meine Pflicht, indem ich
                              diesem Zweifel Ausdruck verleihe.
                           Zugleich nehme ich hier gern Veranlassung, zu constatiren, daß man über den
                              Deacon-Hurter'schen Proceß kaum irgend eine Untersuchung anstellen kann, ohne
                              daß der Gegenstand derselben von Hurter nicht schon
                              vorher in erschöpfendster Weise abgehandelt worden ist. So z.B. hat derselbe außer
                              über die vorliegenden Fragen auch schon lange vor mir über den Zusammenhang zwischen
                              der Verflüchtigung des Kupferchlorids und der Zersetzung gearbeitet und durch
                              fortgesetzte Beobachtungen an einem in Betrieb befindlichen Apparate gefunden, daß
                              die Zersetzung gleichen Schritt hält mit der Verflüchtigung des Kupferchlorids, wie dies ja auch a priori zu erwarten war, da erfahrungsmäßig die
                              Zersetzung mit der Temperatur steigt, und Kupferchlorid bei höherm Wärmegrade
                              ebenfalls leichter flüchtig ist, als bei niedrigerm.
                           Wie ich meine Versuche machte, hatte man, wenn ich nicht irre, schon in mehreren
                              Fabriken die Beobachtung gemacht, daß, wenn die Zersetzung und damit die Production
                              von Chlorkalk gut war, sich aus dem Zersetzer auch viel Kupfer verflüchtigte. Indem
                              ich also ein, wie mir schien, offenkundiges Geheimniß mittheilte, strebte ich nach
                              keinem andern Verdienst, als dem der möglichst vollständigen Beobachtung der beim
                              Experiment auftretenden Erscheinungen. Es ist mir gar nicht in den Sinn gekommen,
                              Dr. Hurter gegenüber etwa
                              die Priorität der Entdeckung in Anspruch zu nehmen, im Gegentheil erkenne ich ihm
                              dieselbe ausdrücklich auf das bereitwilligste zu.
                           Widnes in Lancashire, 4. October 1876.