| Titel: | Ueber Strickmaschinen mit gewöhnlichen Haken- oder Spitzen-Nadeln; von G. Willkomm. | 
| Fundstelle: | Band 223, Jahrgang 1877, S. 62 | 
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                        Ueber Strickmaschinen mit gewöhnlichen
                           Haken- oder Spitzen-Nadeln; von G. Willkomm.
                        Willkomm, über Strickmaschinen.
                        
                     
                        
                           Mit dem Namen „Nadeln“ bezeichnet man in der Wirkerei mancherlei
                              verschieden geformte, theils spitze, theils mit Haken versehene Drahtstäbchen welche entweder zur
                              Bildung neuer Maschen, oder zur Veränderung in der Form und Lage fertiger Maschen
                              benutzt werden. Die wichtigsten Träger dieses Namens sind diejenigen Nadeln, welche
                              man speciell auch Stuhl- oder Haken- oder Spitzennadeln nennt, und
                              welche zur Maschenbildung in den eigentlichen Wirkereiarbeiten verwendet werden.
                              Dieselben haben am Ende einen langen dünnen Haken, welcher so elastisch ist, daß
                              seine Spitze leicht in die darunter befindliche Nuth des Nadelschaftes (die Schasse
                              oder Zschasche, nach dem französischen chasse genannt)
                              eingedrückt werden kann und nach dem Aufhören des Druckes wieder in die
                              ursprüngliche Lage zurück kehrt. Mit diesen Nadeln ist die Maschenbildung der
                              Wirkerei seit Erfindung der letztern in der Weise vorgenommen worden, daß auf einer
                              Nadelreihe von einer Länge gleich der Breite des zu wirkenden Stoffes Schleifen
                              hergestellt und vor in die Haken der Nadeln geschoben, dann diese Haken nieder
                              gedrückt („gepreßt“) und die alten Maschen alle gleichzeitig
                              über die Nadeln herab und in die neuen Schleifen hinein geschoben werden.
                           Diese Art der Maschenbildung in der Wirkerei ist verschieden von der des
                              Handstrickens und Handhäkelns, bei welchen Arbeiten zunächst immer nur eine einzige
                              Masche mit einem Male hergestellt, und wobei ferner der Faden als Schleife durch die
                              alte Masche hindurch gezogen wird.
                           Ich bringe diese Erörterungen über die Verschiedenheit in der Maschenbildung des
                              Wirkens und Strickens in Zusammenhang mit der Entstehung des Namens
                              „Strickmaschine“; denn, wenn auch sicher anzunehmen ist,
                              daß dieser deutsche Name zunächst nur durch eine allzu wörtliche Uebersetzung des
                              englischen knitting machine gebildet worden ist, so kann
                              man doch jetzt, da Strickmaschinen in größerer Anzahl in Betrieb und die von ihnen
                              gearbeiteten Fadenverbindungen genau gleich denen der Wirkmaschinen sind, einen
                              Unterschied zwischen Wirk- und Strickmaschinen nur etwa in folgender Weise
                              angeben: Strickmaschinen sind zu den Wirkmaschinen zu rechnen, und zwar sind es
                              solche Wirkmaschinen, in denen die Art der Maschenbildung nicht mehr so, wie in den
                              eigentlichen Wirkereiarbeiten, sondern genau so, wie in den Arbeiten des
                              Handstrickens oder (Häkelns) vorgenommen wird.
                           Seit einigen Jahrzehnten und namentlich seit Erfindung der Zungennadeln (Anfang der
                              Fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts) hat man vielfach versucht, die alte, von Lee 1589 erfundene Methode der Maschenbildung, nach
                              welcher eine ganze Reihe Schleifen vorbereitet und über sie die alte Maschenreihe
                              hinweg geschoben wird, zu verlassen und durch die Methode des Handstrickens, welche
                              man auf Maschinen übertrug, zu ersetzen.
                           
                           Man hat Maschinen gebaut, in denen die Nadeln während der Arbeit der Maschenbildung
                              nicht mehr fest liegen, sondern sich einzeln in ihrer Längsrichtung bewegen, durch
                              ihre alten Maschen hindurch fahren, den Faden erfassen und ihn in Form neuer Maschen
                              durch die alten Maschen hindurch ziehen. Alle diese Maschinen wären streng genommen
                              mit dem Namen „Strickmaschinen“ zu bezeichnen; man hat aber
                              vorgezogen, den letztern nur solchen Constructionen beizulegen, welche wesentlich
                              von den bekannten flachen oder runden Wirkstühlen abweichen, und hat dagegen andere
                              ohne weiteres flache oder runde Wirkmaschinen genannt, wenn ihre Anordnung und
                              äußere Erscheinung unmittelbar an bekannte Ausführungsformen dieser Maschinen
                              erinnern.
                           Vielfach wird angenommen, daß andere Gründe die Wahl des Namens Strickmaschine
                              rechtfertigen, und es wird dabei namentlich die Erklärung abgegeben, daß
                              Strickmaschinen diejenige specielle Art von Wirkmaschinen seien, auf denen man
                              Gebrauchsgegenstände, also zunächst und hauptsächlich Strümpfe, fertig bis zum
                              Gebrauche herstellen kann und zwar von einem solchen Aussehen, wie sie es durch
                              Handstrickerei erhalten. Diese Angabe ist indeß nur zum Theilein keinem Falle aufrecht zu erhalten, denn die ersten sogenannten Strickmaschinen (wie die
                              von Dalton) waren einfache Rundstühle, welche nur einen
                              gleichmäßig weiten Waarencylinder lieferten; spätere (wie die von MacNary) waren Rundstühle mit rotirender und
                              oscillirender Bewegung, welche zwar die Form eines geschlossenen Strumpfes sehr
                              weitgehend nachahmten, aber doch den Rand des Längens unvollendet ließen und den
                              Strümpfen in der Maschenlage der Fersen und Fußspitzen keineswegs eine Aehnlichkeit
                              mit gestrickter Waare gaben; weiter ist die Strickmaschine von Hinkley nur eine flach arbeitende Maschine, deren Waarenstück, genau wie
                              das vom Handstrumpfstuhle, in allen Theilen zusammen genäht werden muß; und endlich
                              sind selbst Strümpfe von der Lamb'schen Maschine
                              keineswegs genaue Nachbildungen der mit der Hand gestrickten Strümpfe.
                           Diese Strickmaschine von Lamb ist immerhin als die
                              vollkommenste zu bezeichnen; sie entspricht den beiden angeführten Erklärungen am
                              meisten, denn sie verrichtet die Maschenbildung so wie die Handstrickerei und
                              liefert auch die Strümpfe wenigstens nahezu bis zum Gebrauche fertig und von einem
                              Aussehen, welches unter dem aller Maschinenstrümpfe noch die meiste Aehnlichkeit mit
                              den von der Hand gestrickten hat. Nach französischen Angaben (Alcan: Etudes sur les arts textiles à l'exposition de 1867, p. 262) ist dieselbe Maschine gleichzeitig und
                              unabhängig vom amerikanischen Erfinder Lamb durch den
                              französischen Fabrikanten Buxtorf in Troyes erfunden
                              worden.
                           
                           Die wichtigste, der Lamb'schen Maschine zu Grunde liegende Idee, daß man durch zwei
                              flach gestreckte, parallel zu einander und eng an einander liegende Nadelreihen zwei
                              Waarenstücke mit ein und demselben Faden arbeitet, welcher nach der einen Richtung
                              hin auf die eine und nach der andern auf die andere Nadelreihe gelegt wird, so daß
                              die Randmaschen beider Waarenstücke an beiden Enden durch zwei Platinenmaschen der
                              gewöhnlichen Art mit einander verbunden sind, und die zwei Waarenstücke somit ein
                              geschlossenes, rund cylindrisches Stück bilden, diese Haupteigenthümlichkeit war
                              indeß in der Lamb'schen oder Buxtorf'schen Maschine, welche zuerst 1867 in der
                              Pariser Ausstellung gezeigt wurden, schon nicht mehr eine Neuheit, sondern sie ist
                              bereits 10 Jahr früher der Gegenstand eines Patentes gewesen (sächsisches Patent von
                              A. Eisenstuck in Chemnitz, 15. September 1857).
                           In Eisenstuck's Maschine liegen auch die Nadeln geneigt
                              gegen die Horizontale in zwei Reihen einander gegenüber; sie werden durch eine
                              Nuthenschiene gehoben und gesenkt, und ein nach rechts und links schwingendes
                              Fadenführerröhrchen gibt abwechselnd der einen und andern Nadelreihe den Faden zur
                              Maschenbildung. Die Maschine enthält weiter die gewöhnlichen Spitzen- oder
                              Hakennadeln – die Zungennadeln waren zu dieser Zeit noch sehr wenig bekannt
                              – und sie enthält ferner Kulirplatinen, welche für jede Nadel den Henkel
                              kuliren, sowie endlich ein Preßrad, welches längs der Nadelreihe hin gezogen wird,
                              um die Haken nieder zu drücken. Diese Maschine ist also nach meinen Erfahrungen als
                              der erste Versuch zu betrachten im Baue der später nach
                              Lamb benannten Strickmaschinen, ja sogar als der
                              erste Versuch zur Einrichtung derselben mit den gewöhnlichen Haken- oder
                              Spitzennadeln, – nur daß in ihr noch kulirt wird.
                           Lamb benutzte in seiner Strickmaschine sogleich die
                              Zungennadeln, wodurch die schwere und lästige Arbeit des
                              „Pressens“ in Wegfall kam; aber nach ihm haben wiederum
                              mehrere Constructeure sich bemüht, in der Lamb'schen Maschine gewöhnliche
                              Haken- oder Spitzennadeln verwenden zu können – bis jetzt, meines
                              Wissens, noch nicht mit durchgreifendem Erfolg. Der Grund, weshalb man gern wieder
                              auf diese elastischen Nadeln zurück griff, war einfach der, daß Zungennadeln nicht
                              so fein hergestellt, also auch nicht in so enger Theilung angeordnet werden können
                              als Hakennadeln, daß man folglich mit ihnen nur starke Waaren liefern kann und doch
                              von den Strickmaschinen die Herstellung feiner Wirkwaaren nicht ausgeschlossen
                              wissen wollte. Freilich ist die Benutzung dieser gewöhnlichen Wirkstuhlnadeln in den
                              Strickmaschinen nicht so leicht, als manche Constructeure sich mögen vorgestellt
                              haben, die Wirkungsweise
                              dieser Nadeln ist ja hierbei eine ganz andere als in den gewöhnlichen Wirkstühlen;
                              sie werden nicht mehr ruhend, wie dort, verwendet, sondern einzeln bewegt, und ihr
                              schwächster Theil, der lange elastische Haken, wird ganz anders als bei der alten
                              Art der Maschenbildung beansprucht. Wenn also Strickmaschinen mit elastischen Nadeln
                              noch nicht zur Vollendung gebracht worden sind, so ist dies nur ein specieller Fall
                              davon, daß alle Wirkmaschinen, in denen man die Art der Maschenbildung durch einzeln
                              bewegliche Hakennadeln nachahmte, nicht irgend welche Verbreitung erfahren haben.
                              Englische Rundstühle z.B. mit einzeln beweglichen elastischen Nadeln versprechen
                              durch die Größe ihrer Production gewisse Vortheile, aber sie kommen nur selten vor.
                              Die MacNary'sche Strickmaschine (1860 patentirt) wurde von Wilson 1861 mit Spitzennadeln gebaut, hat aber sich gar nicht bewährt; nur
                              der französische Rundränderstuhl enthält in der Maschinenreihe einzeln bewegliche
                              gewöhnliche Nadeln, aber dieselben finden auch die kulirten Platinenmaschen der
                              Stuhlreihe als Schleifen vorräthig und haben nicht nöthig, je einzeln ihre Schleifen
                              nach zu ziehen.
                           Für erheblich feine Waaren werden eben die elastischen Nadeln schwerlich sicher
                              arbeiten und für stärkere Waaren sind ja die Zungennadeln vollkommen gut, sind
                              dauerhaft und ersparen die Arbeit des „Pressens“. Deshalb sind
                              trotz der frühen Versuche von Eisenstuck (1857), trotz
                              des Hinweises auf Einrichtung von Strickmaschinen mit elastischen Nadeln, welcher
                              bei der Beschreibung der Lamb'schen Maschine in diesem Journal, 1869 Bd. 191 S. 8
                              und 16 gegeben wurde, trotz weiterer Versuche des Fabrikanten Reichenbach in Limbach in den J. 1870 und 1871, welche mir persönlich
                              bekannt wurden, die Schwierigkeiten der gewünschten Einrichtungen noch nicht
                              vollkommen überwunden worden.
                           Die Bemühungen werden indeß noch immer fortgesetzt, und es findet sich die neueste
                              Einrichtung der Lamb'schen Strickmaschine mit Spitzen- oder Hakennadeln
                              beschrieben und gezeichnet im bayerischen Industrie- und
                                    Gewerbeblatt, 1876 S. 275, als eine Erfindung von A. Angst in
                              Schaffhausen (bayerisches Patent vom 28. April 1874), welche hier in Kürze
                              wiedergegeben werden möge.
                           
                              
                                 (Schluß folgt.)