| Titel: | Das weiche russische Leder (Juchten). | 
| Fundstelle: | Band 223, Jahrgang 1877, S. 270 | 
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                        Das weiche russische Leder (Juchten).Aus dem Berichte über die russische Lederindustrie von Modest Kittary, Präsidenten des technischen Comité
                                 der Generalintendanz des russischen Kriegsministeriums, durch „Der
                                       Gerber“, 1876 S. 542.
                           
                        Kittary, über Juchtenleder.
                        
                     
                        
                           Wenn Dicke, Dichtigkeit, Festigkeit und Gewicht die verlangten Eigenschaften eines
                              Sohl- und Rindsohlleders sind, bestimmen dagegen ganz verschiedene
                              Eigenheiten ein wirklich gutes Juchtenleder: dasselbe muß nämlich im Allgemeinen
                              weich, elastisch und leicht sein. Diese Bedingungen werden erfüllt durch Häute von
                              jungen Kühen und Kälbern, welche stets dünner, schmiegsamer und leichter sind als
                              die Häute von alten Ochsen und größern Kühen. Unter Färsenhäute versteht man die
                              Häute von Kühen, welche bereits gekalbt haben. Zu dieser Gattung gehören auch die
                              Häute von jährigen Schlachtochsen. Jüngere Kühe und Ochsen aber, welche über dem
                              Kälberalter sind, geben das sogen. Rindleder (Bittlinge), welches bei der
                              Fabrikation von weichem Leder zu den Färsen- (Bittlingen-) Häuten
                              gerechnet wird. Das aus obigem Material erzeugte Leder, außer das Rind- und
                              Kalbleder, ist in Rußland und auswärts unter dem Namen Färsen- Russischleder
                              bekannt, um es von russischem Roßleder zu unterscheiden. Der wohlbekannte hohe Ruf,
                              dessen sich dieses Leder im Ausland erfreut, und das bereits im 16. Jahrhundert bis
                              100000 Puds (über 1500000k) jährlich
                              ausgeführt wurde, beruht nicht auf der Qualität der Haut, sondern auf dem
                              Birkentheer und Fischthran, mit welchem das russische Leder imprägnirt wird. Das
                              beste Rohmaterial soll von Perm, Wjatka und Kasan kommen. In den
                              Centralgouvernements, besonders aber in den südlichen und den der Steppen, ist die Haut voll
                              Schwären (Löchern), die durch den Stich der Bremse (Oestrus
                                 bovis) verursacht sind, welches Insekt in den Rücken der Thiere seine Eier
                              legt, aus denen sich die Larven entwickeln und durch die Haut fressen. Die
                              Production in den verschiedenen Gouvernements des europäischen Rußlands ist
                              folgende:
                           
                              
                                 200000–300000
                                 Häute
                                 in
                                 den
                                 Gouvernements
                                 Wjatka, Kasan, Perm und Twer,
                                 
                              
                                 100000–200000
                                 „
                                 „
                                 „
                                 „
                                 Orel, Moskau, Woronesch,Nischni-Nowgorod, Orenburg
                                    undSaratoff;
                                 
                              
                                   50000–100000
                                 „
                                 „
                                 „
                                 „
                                 Kurks, Witebsk, Ufa, Petersburg;Smolensk und Kostroma;
                                 
                              
                                   25000–50000
                                 „
                                 „
                                 „
                                 „
                                 Kaluga, Tschernigoff, Wladimir,Tscharkow, Rjasan, Pskoff,
                                    Tula,Wolhynien, Pultawa, Samara,Sîmbirsk und
                                    Jaroßlaff;
                                 
                              
                                   10000–25000
                                 „
                                 „
                                 „
                                 „
                                 Kieff, Tamboff, Wologda, Liwonien,Minsk und Podolien;
                                 
                              
                                 die übigen Gouvernement produciren weniger als 10000 Häute
                                    Juchten.
                                 
                              
                           Es gibt verschiedene Gattungen Juchten; doch ist die Herstellungsweise bei allen
                              gleich, und der Unterschied ergibt sich blos durch die ausfertigende Bearbeitung.
                              Die charakteristischen Punkte von dessen Erzeugung sind folgende: Die rohen oder
                              geweichten Häute werden entweder in eine einfache Kalklauge oder in Aschenlauge
                              gebracht und verbleiben so lange in dem Gefäß, bis das Haar leicht läßt. Das Haar
                              wird dann auf gewöhnliche Weise entfernt und die Häute wieder in die Schwellbottiche
                              geworfen. Hierauf werden sie zunächst entweder im fließenden Wasser abgespült, oder
                              in Trommeln oder Walkfässern gewalkt und aus einander gebracht, d.h. die
                              Fleischseite wird gereinigt, geglättet und die Narbenseite mit dem Steine gestoßen,
                              indem die Häute in der Zwischenzeit mit den Füßen getreten, oder mit dem Stämpfel
                              geschlagen und in den Trommeln etc. gereinigt werden, um soviel als möglich die
                              Reste von Asche oder Kalk zu beseitigen. Durch diese sorgfältige Behandlung wird
                              dieses Leder von dem Rindsohlleder unterschieden, bei welchem oft der ganze Proceß
                              auf Reinigung der Fleischseite und auf dem Auswaschen beruht. Die nächste Operation
                              hat den Zweck, den Kalk gänzlich wegzuschaffen und die Haut für die eigentliche
                              Gerbung vorzubereiten. Ein Brei von Hafermehl und warmem Wasser wird in einem sogen.
                              Mehlbreibottich angemacht und die Häute darin durch 6 bis 7 Stunden eingelassen und
                              bei einer steten Temperatur von etwa 25° fortwährend gewendet; es tritt
                              Gährung ein und Säure zieht die letzten Reste von Kalk aus. Dies ist die älteste und
                              allgemeinste Behandlungsweise; aber es gibt auch Gerbereien, welche den Kalk auf
                              andere Weise herausbringen und die Häute durch Hunde- und Taubenmist weich
                              machen.
                           Die Gerbung von Juchtenhäuten beginnt nicht immer sofort mit dem Lohstreuen. Vorher
                              werden sie mit schwachen Eichenlohbrühen behandelt, was gewöhnlich in offenen
                              Gefäßen stattfindet. In Fabriken, welche auf Vervollkommnung Anspruch machen, deren
                              es eben wenige gibt, sind Apparate mit Drehschaufeln angebracht, mit welchen nicht
                              nur das erste Gerben ausgeführt wird, sondern auch der ganze Proceß bis zum
                              Lohstreuen. Man hat auch Schwefelsäure, wie bei Sohlleder, in einzelnen Fabriken
                              angewendet; doch hat die Erfahrung gezeigt, daß dadurch das Leder im Lagern seine
                              Dauerhaftigkeit verliert. Die gegerbten Häute werden, nachdem sie ausgewaschen sind,
                              als weißes, rothes und schwarzes Juchten- (Russisch-) Leder
                              sortirt.
                           Weißer Juchten. Dazu werden die besten Häute mit den
                              wenigsten Schäden an der Haar- und Fleischseite gewählt, theils weil in Folge
                              des Mangels an Farbe alle Schäden auf der Narbenseite sichtbar werden, theils auch
                              weil das Leder vorzüglich für Soldatenfußzeug verwendet wird, wofür Häute mit
                              solchen Mängeln nur sehr selten übernommen werden. Die weitere Bearbeitung des
                              weißen Juchten nach der Gerbung besteht darin, daß die Haarseite mit Birkentheer und
                              Seehundthran eingerieben und die Häute zum Trocknen aufgehängt werden.
                           Der rothe Juchten wird in derselben Weise bearbeitet, mit
                              einer Lösung von Alaun, jedoch die Häute nach dem Trocknen bestrichen und die
                              Narbenseite mit rothem Sandelholz gefärbt.
                           Schwarzer Juchten. Nach dem Gerbeproceß erhalten die
                              gewaschenen, aber noch nicht getrockneten und mit einer fetten Substanz bestrichenen
                              Häute auf der Narbenseite eine Behandlung mit Alaun und dann mit einer fast
                              siedenden Lösung von blauem Sandelholz; zuletzt wird zur Fixirung der Farbe eine
                              Auflösung von Eisenvitriol darüber gegossen. Manche Fabriken jedoch vermeiden diese
                              gefährliche Fixirung und nehmen einen Aufguß von Kwas (ein dem Bier ähnliches
                              russisches Nationalgetränk) auf rostiges Eisen, d. i. essigsaures Eisenoxyd. Die
                              gefärbten Häute erhalten auf der Haarseite sofort nach dem Färben einen Anstrich von
                              Birkentheer und Seehundthran, in dem Verhältniß von etwa 250g von jedem per Haut; das sogen. Theerleder
                              erhält das Doppelte. Diese behandelten Häute werden dann getrocknet.
                           Die letzte Bearbeitung der obengenannten Juchtensorten ist überall gleich und enthält
                              eine Reihe von Manipulationen, welche sich nur im Detail unterscheiden, mehr
                              besonders in deren letztem Zustand, welcher von dem Verlangen des Handels und den
                              örtlichen Gewohnheiten abhängt. Das Ziel dieser Manipulationen ist, das Leder weich und
                              egal zu machen, und wird in folgender Weise bewirkt.
                           Nach dem Trocknen werden die Häute leicht benetzt, um sie weicher und für die
                              Bearbeitung geeigneter zu machen und dann auf einem stumpfen Reck gewalkt. Dies ist
                              die erste Manipulation des Weichmachens. Die Häute werden dann gefalzt, welche
                              Operation die überflüssige Dicke entfernt, und dann auf einem scharfkantigen Reck
                              gewalkt. Diese beiden Arbeiten werden abwechselnd so lange fortgesetzt, bis die
                              Häute ganz egal und ganz weich sind, um ihnen die gewünschte Form zu geben. Diese
                              wird bewirkt durch Walzen mit dem Krispelinstrument, durch Glätten der Narbenseite,
                              welche schließlich entweder grob oder fein chagrinartig, oder erbsenartig, oder
                              gezogen, oder mehr und weniger glatt und glänzend erscheint. Hierauf werden die
                              Häute gewöhnlich leicht mit Seehundthran und Talg eingerieben, das Sattlerleder
                              ausgenommen, das schwarze Theerleder wird an der Narbenseite gut mit einer Mischung
                              von Theer und Fett geschmiert. Es ist zu bemerken, daß Häute, welche im Handel per
                              Stück verkauft werden, nur mäßig mit Fett gesättigt und gut gefalzt und getheert
                              sind; werden sie jedoch nach Gewicht verkauft, so sind sie, um mehr Gewicht zu
                              machen, mit Fett tüchtig eingeseift und wenig gefalzt. Der weiße Juchten wird, wie
                              erwähnt, mehr für Militärfußbekleidung verwendet. Er ist auf der Narbenseite glatt
                              gearbeitet in den Fabriken von Sibirien und am Ural, fein chagrinirt in den
                              Gouvernements von Kasan, Perm, Wjatka, grob chagrinirt in Centralrußland. Weißer
                              Juchten wird auch zu Cartouchen, Lackhelmen, verschiedenem Riemenzeug, zu
                              Armeezwecken, zu Kummetkappen für die Cavallerie, für Geschirre, Koffer und andere
                              Zwecke verwendet. Es wird ebenso von Leder-Lackirfabriken gekauft, um
                              verschiedene Lackleder (Verdeckleder) davon zu machen. Der feine Narben, abgenommen
                              und durchgefärbt, wird von Buchbindern als Hutleder und für leichtes Schuhzeug
                              gebraucht. Rother Juchten, weiß chagrinirt, wird für verschiedene Zwecke nach
                              Spanien und Westeuropa exportirt, nach letzterm in beträchtlichen Quantitäten, wo es
                              zu verschiedenen Galanteriewaaren verarbeitet wird, worin besonders Wien berühmt
                              ist. Es dient auch für Cavallerie zu Pferdezügeln. Der eigenthümliche Juchtengeruch
                              kommt von der Mischung von Birkentheer und Fischthran, der tüchtig eingerieben wird.
                              Schwarzer Juchten wird entweder geglättet und dient zu Pferdegeschirren, Koffern,
                              Wagenverdecken u.s.w., oder noch rauh chagrinirt und dient dann denselben Zwecken,
                              aber mehr für Stiefel und Schuhe der niedern Volksklassen, oder es geht, auf der
                              Narbenseite in parallelen Linien gekreuzt, besonders auf die Märkte Asiens.