| Titel: | Zur Beurtheilung der wirthschaftlichen Lage der deutschen Sodaindustrie: von Rudolf v. Wagner. | 
| Autor: | Rudolph Wagner | 
| Fundstelle: | Band 223, Jahrgang 1877, S. 302 | 
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                        Zur Beurtheilung der wirthschaftlichen Lage der
                           deutschen Sodaindustrie: von Rudolf v.
                              Wagner.
                        v. Wagner, über die wirthschaftliche Lage der deutschen
                           Sodaindustrie.
                        
                     
                        
                           Die Production an Soda beträgt in den 20 Fabriken des Deutschen Reiches seit einer
                              Reihe von Jahren durchschnittlich im Jahre 1 160 000 Ctr. Die Einfuhr an calcinirter
                              Soda, Aetznatron, krystallisirtem Natriumcarbonat und endlich Natriumbicarbonat
                              betrug auf calcinirte Soda von 90° umgerechnet:
                           
                              
                                 1873
                                 378
                                 169
                                 Ctr.
                                 
                              
                                 1874
                                 529
                                 894
                                 „
                                 
                              
                                 1875
                                 609
                                 624
                                 „
                                 
                              
                           Der Export geschieht zum großen Theil von England aus in jüngster Zeit jedoch auch in
                              nicht unerheblichem Maße von Belgien (Couillet) und von Frankreich
                              (Varangéville). Das gegenwärtige Siechthum der Sodaindustrie und das
                              Ueberwuchern der englischen Soda auf dem deutschen Markte (die Einfuhr von 1875
                              betrug nicht weniger als 52 1/2 Proc. der heimischen Sodaproduction) wird von den
                              deutschen Sodafabrikanten selbst in folgender Weise zu erklären gesucht. Als im J.
                              1862 der Zoll auf calcinirte Soda von 3 auf 2 M. und für krystallisirte Soda von 3
                              M. auf 75 Pf. ermäßigt wurde, da äußerte sich die Wirkung dieser Maßregel nicht
                              sofort in einer die zollverbündete Sodaindustrie beschädigenden Weise. Die
                              Marktpreise für Soda waren in den Industriestaaten Centraleuropas so ziemlich
                              gleich, und die auf den Export angewiesene britische Sodafabrikation fand auf den
                              Märkten der Vereinigten Staaten reichen und lohnenden Absatz. Als jedoch der Congreß
                              in Washington mit einer fast unübersteigbaren Schutzzollmauer die Osthäfen der Union
                              vom Auslande abschloß und nach und nach eine einheimische Sodaindustrie in
                              Philadelphia, New-York und andern großen Städten der Union aufblühte, machte
                              die englische Sodaproduction, die inzwischen gigantische Dimensionen angenommen und
                              nun ihr Absatzgebiet in Nordamerika zum größten Theile eingebüßt, auf dem deutschen
                              Markte sich zum Nachtheile der vaterländischen Industrie geltend. Die Preise fielen
                              in den J. 1867 bis 1870 um 25 bis 30 Proc., und nur mit Aufgebot aller Kräfte
                              konnten selbst ältere deutsche Alkaliwerke sich schwimmend erhalten.
                           Der große industrielle Aufschwung nach Beendigung des deutschfranzösischen Krieges
                              kam auch der deutschen Sodaindustrie zu statten. Man würde sich jedoch irren, wollte
                              man annehmen, daß die hohen Sodapreise in den J. 1871 bis 1873 der Ausdruck großen
                              Gewinnes gewesen seien,
                              da in derselben Zeit die Preise der Rohstoffe und die Arbeitslöhne um 50, ja an
                              vielen Orten um 100 Proc. stiegen. Die von einigen deutschen Alkaliwerken damals
                              gezahlten ansehnlichen Dividenden stammen, wie mit Bestimmtheit behauptet wird,
                              nicht aus dem Sodaconto, sondern seien zurückzuführen auf die mit der Fabrik
                              mitunter verbundene Glas- und Farbenfabrikation, zuweilen aber auch auf
                              vortheilhafte Contracte für Kohlenlieferungen, welche zur Zeit der Kohlenbaisse
                              abgeschlossen waren und über die magere Zeit der Kohlenhausse hinweghalfen. Die
                              Brennstofffrage bildet aber bekanntlich einen Hauptfactor in der Sodaindustrie.
                           Im J. 1873 wurde der Eingangszoll auf calcinirte Soda von 2 M. auf 75 Pf.
                              herabgesetzt und dadurch demjenigen der krystallisirten Soda (trotz der 54 Proc.
                              Wasser, welche dieselbe enthält) gleichgestellt. Diese Zollermäßigung traf zusammen
                              mit der verhängnißvollen industriellen Krise, mit dem Börsenkrach und dem
                              allgemeinen Rückgange der Industrie und äußerte sich, da gleichzeitig die Frachten
                              um 20 Proc. und mehr noch erhöht wurden, um so drastischer. Die englische
                              Sodafabrikation machte erfolgreiche Anstrengungen, um auf dem deutschen Sodamarkt
                              als Gebieterin aufzutreten. Die Preise der Soda gingen von 15 auf 11 M. zurück, und
                              in einigen Sodafabriken Deutschlands, in denen unter solchen Verhältnissen die
                              Selbstkosten nicht mehr gedeckt werden konnten, hörte man auf zu produciren. Sind
                              nun auch unterdessen die Preise der Rohstoffe nicht unerheblich gefallen, so sind
                              sie doch immer noch höher als in England, und die Arbeitslöhne, die seit 1870 um
                              mehr als die Hälfte gestiegen sind, weisen in neuerer Zeit nur einen geringen
                              Rückgang nach und stehen den englischen Löhnen fast durchweg gleich. Der Vortheil
                              wohlfeiler Arbeitskraft, welchen die deutsche chemische Industrie bis zum Ausgang
                              der 60 er Jahre vor der englischen voraus hatte, existirt heute nicht mehr. Der
                              Arbeitslohn wird in Deutschland kaum eine Abschwächung erfahren; dazu kommt noch der
                              für deutsche Verhältnisse ungünstige Umstand, daß man in den englischen Fabriken in
                              neuerer Zeit zum Ersatze der Handarbeit maschinelle Vorrichtungen – es sei
                              hier nur der rotirenden Sodaöfen und der mechanischen Aufzüge
                              Nach Angaben R. Hasenclever's producirt ein
                                    einziger rotirender Ofen, welcher 200t Sulfat pro Woche zersetzt, mehr als in irgend einer deutschen
                                    Fabrik an Soda dargestellt wird. Die mechanischen Aufzüge, welche in England
                                    angewendet werden, um Lasten zu heben und umzustürzen, welche in Deutschland
                                    aufgeschaufelt und getragen werden, können bei uns nur dann zur Verwendung
                                    kommen, wenn genügende Massen zu bewegen sind. gedacht – in großem Maßstabe einführt, die eben nur bei der
                              Massenproduction Englands möglich sind. Dadurch werden nun die Kosten für den
                              Arbeitslohn beträchtlich verringert. Es liegt auf der Hand, daß die auf kleinere
                              Verhältnisse berechnete, nur für das Zollinland arbeitende deutsche Sodafabrikation
                              die den mechanischen Theil betreffenden Neuerungen naturgemäß nur langsam adoptiren
                              kann.
                           Von größerer Tragweite als die Preise der Arbeitslöhne sind die Preise für Rohstoffe,
                              von welchen man 8,5 bis 9,5 Ctr. für 1 Ctr. Soda bedarf. In dieser Hinsicht ist
                              England gewaltig bevorzugt. Die Sodaindustrie Englands hat sich, wie bekannt, an
                              zwei Hafenplätzen, nämlich Newcastle im Osten und Liverpool im Westen, concentrirt.
                              Die großen Flüsse Tyne und Mersey sind mit weit in das Land hineinreichenden Canälen
                              verbunden. Am Tyne befinden sich 18 Sodafabriken, von welchen einige 6 mal so viel
                              Soda darstellen, als die bedeutendsten Fabriken des Deutschen Reiches.Die drei Fabriken am Tyne Allhusen, Jarrow und Tennant stellen (nach R. Hasenclever) grade so viel Soda dar, als die 20 deutschen Fabriken
                                    zusammengenommen. Der Tyne ist bis zu seiner Mündung auf 6m Tiefgang ausgebaggert- und
                                    durch zwei in das Meer führende Mauern vor Versandung geschützt. Das
                                    Ausladen aus den Schiffen geschieht mittels großer hydraulischer Maschinen
                                    und zum kleinen Theile mit Dampfkrahnen. Wie verschieden sind die deutschen
                                    Ausladevorrichtungen von den englischen und wie beschädigend für die
                                    deutsche Sodaindustrie, welche grade, weil es sich um Vereinigung von
                                    örtlich getrennten vier Rohstoffen von verhältnißmäßig geringerm Werth
                                    handelt, in erster Linie getroffen wird. Die überaus vortheilhafte Lage der Sodafabriken Englands an den
                              Wasserstraßen, welche das milde englische Klima auch während der Wintermonate offen
                              läßtBei der Beleuchtung der Industrieverhältnisse Englands und deren Vergleichung
                                    mit denen des Deutschen Reiches wird dem klimatischen Einflusse auf das
                                    Industrieleben nicht immer hinlänglich Rechnung getragen. Wie E. Engel in dem Berichte der Commission für die
                                    Ausbildung der Gewerbestatistik hervorhebt (Berlin 1871 S. 4), ist der
                                    Golfstrom, welcher Englands Küsten bespült und dieselben mit einer
                                    permanenten Warmwasserheizung umgibt, auf dessen Industrie von gewaltigem
                                    Einflusse. In Folge dieses Naturfactors sind die Wasserstraßen in jeder
                                    Jahreszeit offen, und sieht man dort eine Menge industrieller Verrichtungen,
                                    selbst Dampfmaschinen mit Kesselanlagen, fast ganz im Freien stehen, während
                                    die nämlichen Betriebsstätten im Deutschen Reiche sorgfältig unter Dach und
                                    Fach gebracht werden müssen und deshalb weit größeres Anlagekapital und
                                    einen ansehnlichen Unterhaltungsaufwand erfordern., gestattet nun, sämmtliche Rohstoffe, soweit dieselben nicht an Ort und
                              Stelle sich finden, in wohlfeilster Wasserfracht zu beziehen. Die Rohstoffe werden
                              billigst geliefert, die vortreffliche ausgesiebte Würfelkohle kostet in Liverpool
                              und Newcastle 27 bis 30 Pf. pro Ctr. frei Fabrik. Für Salz zahlt Liverpool 30 Pf.
                              und Newcastle 60 Pf., während z.B. die Sodafabriken Rheinland-Westphalens für
                              brauchbare Kohle 50 Pf., für Salz 75 bis 80 Pf. zahlen müssen.Diejenigen Sodafabriken Englands und Frankreichs (in letzterm Lande die
                                    Fabrik zu Varangéville bei Nancy), welche den Solvayproceß zur
                                    Sodadarstellung anwenden und eine gesättigte Soole benutzen, zahlen sogar
                                    nur 1 M. pro Tonne Salz, welches in der Soole enthalten ist. Zur Herstellung von 1 Ctr. Soda braucht man aber 1,5 Ctr. Salz und 5 Ctr.
                              Kohlen. Allerdings hat Newcastle keinen Kalkstein; allein die vielen von dort nach
                              London gehenden Kohlenschiffe nehmen als Ballast auf der Rückreise die Kreide Dovers
                              mit, so daß der englische Fabrikant nur 10 Pf. für den Centner Kalkstein zahlt. Die
                              Pyrite, die man früher aus Westphalen entnahm, werden gegenwärtig aus Spanien
                              bezogen. Der spanische Schwefelkies kostet in Newcastle nur 1,06 bis 1,20 M. frei
                              Fabrik, hat einen höheren Schwefelgehalt als der Pyrit Westphalens und enthält
                              außerdem Kupfer und etwas Silber, welche in den benachbarten metallurgischen Werken
                              gewonnen werden. Der westphälische Pyrit kostet der Fabrik dagegen 1,40 bis 1,70 M.
                              Der deutschen Sodaindustrie kommen mithin alle Rohstoffe, obgleich dieselben im
                              Inlande sich finden, bei dem Mangel an Canälen und in Folge der hohen
                              Eisenbahnfrachten, weit höher zu stehen, als es bei der englischen Sodafabrikation
                              der Fall ist. Auf 1 Ctr. Soda berechnet, beträgt die Differenz in den Kosten für die
                              Rohstoffe in den bestsituirten deutschen Fabriken nicht weniger als 2,8 bis 2,0 M.
                              bei einem Preise von 10,80 M., zu welchem englische Soda von 90 Proc. in Deutschland
                              incl. Fracht und Eingangszoll abgegeben wird.
                           Eben so vortheilhaft wie für die Production sind auch die Bedingungen für den Absatz
                              der englischen Soda. Neben den zahlreichen Canälen, dem billigen Eisenbahntarif und
                              der Küstenschifffahrt gewährt die geographische Lage der englischen Production
                              Vortheile, denen gegenüber die deutsche Sodaindustrie machtlos dasteht. Der insulare
                              Charakter Englands eröffnet der englischen Fabrikation den Weltmarkt und gestattet
                              ihr, den Markt je nach den Constellationen zu wechseln und sich denjenigen
                              herauszusuchen, welcher für den Augenblick am günstigsten erscheint. Die Schiffe von
                              Newcastle fahren eben so billig nach Rotterdam wie nach Stettin und andern deutschen
                              Hafenplätzen und bringen dann die Soda auf wohlfeilem Wasserwege ins Innere des
                              Landes. Wo es an Flüssen gebricht, und zum Theil in Concurrenz mit denselben, treten
                              die Bahnverwaltungen mit billigen Ausnahmetarifen an den Importeur heran. Die Spesen
                              von Newcastle bis Cöln betragen nur 80 bis 90 Pf. pro Centner, und zu gleichem Satze
                              geht englische Soda auf dem Wasserwege nach Berlin, während die Fracht vom Rhein
                              nach Berlin 1,80 M. für Waggonladung, 2,80 M. für Stückgut kostet.
                           Aus diesem Grunde glauben die deutschen Sodafabrikanten, daß, wenn ihrer Industrie
                              der zur Zeit noch bestehende Zoll entzogen würde, dieselbe der Verkümmerung, resp.
                              der Vernichtung anheimfalle. Es sei auch nicht zweifelhaft, daß die nach dem Wegfall
                              des Sodazolles erwarteten billigen Sodapreise nicht eintreten werden. Sei erst die
                              deutsche Soda vom
                              Markte verdrängt und der deutsche Sodaconsument vom Auslande abhängig, so werde
                              England in kürzester Frist den Preis der Soda dictiren. Endlich sei vorauszusehen,
                              daß der Zwischenhandel sich der Soda bemächtigen werde; die Folge davon würde sein,
                              daß die Differenz des Zolles von 75 Pf. der Consument, der bisher Abnehmer einer
                              deutschen Fabrik war, in Zukunft, nach dem Wegfall der Zölle an den Zwischenhändler,
                              an den Spediteur zu zahlen haben werde.
                           Ist es nun nach den vorstehenden, auf Aeußerungen der deutschen Sodafabrikanten
                              gestützten Erörterungen nicht dem geringsten Zweifel unterworfen, daß Deutschland
                              die Soda nie und nimmermehr so wohlfeil wie England zu produciren vermag, so
                              entsteht doch die Frage, ob die Reichsregierung der Sodaproduction des Deutschen
                              Reiches nach wie vor Schutz gewähren und die Erzeugung von Soda innerhalb der
                              deutschen Zollgebietes erhalten will, oder ob es vortheilhafter wäre, wenn der
                              schützende Zoll beseitigt und dadurch den Sodaconsumenten Gelegenheit geboten wäre,
                              seine Soda vom Zollauslande wohlfeiler sich zu verschaffen.
                           Ohne Widerrede wäre diese Frage vom wirthschaftlichen Standpunkte aus einfach dahin
                              zu beantworten, daß dem Consumenten von Soda durch den von allen beengenden Fehlern
                              befreiten Handel nach Belieben die Soda, wie es ihm eben paßt, aus Deutschland,
                              England, Belgien oder Frankreich zu beziehen, erlaubt sein müsse. Nach der Meinung
                              der deutschen Sodafabrikanten, die, was bei der Beurtheilung der vorliegenden Frage
                              nicht außer Acht gelassen werden darf, durchweg nach Leblanc's Verfahren arbeiten, kommt aber keineswegs allein das Interesse
                              der Sodaconsumenten in Betracht. Der Leblancproceß producirt als Hauptproducte nicht
                              nur Soda, Krystallsoda und Aetznatron, sondern auch Salzsäure, und die Production
                              dieser letztern, die auf andere Weise nicht in ausreichender und billiger Weise zu
                              beschaffen sei, wäre es, die an maßgebender Stelle für die Erhaltung der deutschen
                              Sodaindustrie Plaidiren sollte. Ebenso wie die Soda ist auch die Salzsäure für eine
                              große Anzahl von Gewerbezweigen absolut unentbehrlich. Da nun diese Säure einen
                              weiten Transport nicht erträgt, so würde die Vernichtung der deutschen Sodaindustrie
                              eine außerordentliche Preiserhöhung der Salzsäure zur natürlichen Folge haben
                              – ein Umstand, welcher wiederum die Salzsäureconsumenten (Alizarinfabriken,
                              Rübenzuckerfabriken, Salmiakfabriken, die hydrometallurgische Kupfergewinnung
                              u.s.w.) empfindlich beschädigen würde.
                           Gegen diese letztere Befürchtung läßt sich vom technologischen Standpunkte nun
                              entgegnen, daß eine Preissteigerung der Salzsäure überhaupt unvermeidlich erscheint,
                              wenn die Fabrikation der Ammoniaksoda in derselben Progression zunimmt, wie dies
                              seit 3 bis 4 Jahren der Fall ist. Heute fabricirt man in Centraleuropa bereits 1 Million Centner
                              Solvaysoda, und von zwei Seiten schon, von Belgien und Frankreich aus, tritt diese
                              neue Sodasorte in das deutsche Zollgebiet, um hier neben der englischen Soda dem
                              heimischen Fabrikate Concurrenz zu machen. Das Ammoniakverfahren wird seltsamer
                              Weise in vielen deutschen Kreisen noch gewaltig unterschätzt, und doch klopft es
                              schon gebieterisch an die Pforte mancher Leblanc-Sodafabrik, derselben
                              zurufend: „Ote-toi, que je m' y
                                    mette“ . Dieses Verfahren, dessen Erfinder in Deutschland für
                              seine Apparate kein Patent erhalten konnte, wird nach und nach auch im deutschen
                              Zollgebiete Fuß fassen, dadurch zur Verringerung der Production an Leblancsoda
                              beitragen und den Werth der Salzsäure namhaft erhöhen. Ein in England seit Jahren
                              etablirter und wohlbekannter hochachtbarer deutscher Sodafabrikant äußerte sich vor
                              einiger Zeit über das Ammoniakverfahren und dessen Zukunft u.a., daß, wie er glaube,
                              im günstigsten Falle der Solvayproceß sich ausdehnen werde, bis der heute noch
                              fabricirte Ueberschuß an Salzsäure unterdrückt ist; dadurch werde der Preis dieser
                              Säure der Art sich reguliren, daß beide Processe mit gleichem Vortheil neben
                              einander arbeiten werden. Selbstverständlich ist dabei stillschweigend vorausgesetzt
                              worden, daß im Großen die Salzsäure nun einmal nicht anders als bei der
                              Sulfatbereitung hergestellt werden könne – ein Satz, der nicht ganz
                              stichhaltig ist. Weil in Folge der enormen Entwicklung des Leblancprocesses eine
                              Ueberproduction von Salzsäure stattfand, so war für die chemische Technologie leine
                              Veranlassung gegeben, sich nach andern Salzsäurequellen umzusehen. Träte nun der
                              Fall ein, daß die nach althergebrachter Weise erhaltene Salzsäure dergestalt im
                              Preise stiege, daß eine Beschädigung der Interessen der Salzsäureconsumenten
                              ernstlich zu befürchten wäre, nun so würde die technische Chemie in kürzester Frist
                              Mittel an die Hand geben, nach neuen Principien Salzsäure herzustellen. Die
                              Fabrikation von Salzsäure aus dem beim Solvayproceß abfallenden Chlorcalcium (nach
                              einer Modification des Hargreaves'schen Sulfatverfahrens)
                              ist nur noch eine Frage der Zeit. Wer wollte ferner zweifeln, daß wir in dem
                              Staßfurter Chlormagnesium eine Salzsäurevorrathskammer haben, welche der Lenker der
                              Geschicke der deutschen chemischen Großindustrie gewiß zur rechten Zeit dem
                              Darbenden öffnen wird.
                           Universität Würzburg, 12. Januar 1877.