| Titel: | Das Trinkwasser der Stadt Mailand; von A. Pavesi und E. Rotondi. | 
| Fundstelle: | Band 225, Jahrgang 1877, S. 85 | 
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                        Das Trinkwasser der Stadt Mailand; von A. Pavesi und E. Rotondi.
                        Pavesi und Rotondi, über das Trinkwasser der Stadt
                           								Mailand.
                        
                     
                        
                           Unter dem Titel: „Chemische und hydrographische Studien über das Trinkwasser der Stadt Mailand“ (S. Note 1 auf S. 86) liegt uns eine
                              									bemerkenswerthe Arbeit vor, der wir mit gefälliger Erlaubniß der Verfasser Folgendes
                              									entnehmen.
                           
                           Hydrographische BeobachtungenStudii chimico-idrologici sulle aque potabili
                                       												della citta di Milano. Memoria premiata dal R. instituto lombardo di
                                       												scienze e lettere del Prof. AngeloPavesiet dell' Ingegnere ErmenegildoRotondi (Milano 1876. Ulrico
                                    											Hoepli). 24 S. gr. Fol. und 4 lithogr.
                                    											Tafeln. Von den Verfassern gef. eingeschickt.. Die Stadt Mailand hat, wie die ganze lombardische Ebene, fast überall in
                              									einer Tiefe von 2 bis 4m einen
                              									durchlässigen Untergrund, welcher mit Leichtigkeit das Wasser der zahlreichen
                              									Quellen durchfließen läßt. An einigen Stellen, wie in der Nähe des Flüßchens Serio,
                              									sind so zahlreiche Quellen vorhanden, daß man sie für Wasserleitungen benutzen
                              									könnte. Der Ursprung dieser Wässer ist auf die Alpenseen zurückzuführen, welche den
                              									porösen Untergrund dieser Ebene durchdringen und so unterirdische Canäle bilden, die
                              									beinahe parallel den Wasserläufen an der Oberfläche sind, aber den Vorzug vor diesen
                              									haben, daß sie nicht so leicht austrocknen.
                           Nach Lombardini
                              									Studi sull' origine dei terreni quadernarj di
                                       												traspordo, e specialmente di quelli della pianura, lombarda; di E.
                                    												Lombardini. wird die lombardische Ebene zwischen dem Terdoppio und der Etsch in einer
                              									Länge von 200km von einer 3 bis 4km breiten Quellenzone durchschnitten.
                              									Zwischen Mailand und Pavia beträgt das Gefälle von Norden nach Süden 1,60 bis 1,05,
                              									im Mittel 1,15 auf 1000. Die Tiefe der Quellen nimmt gegen die Gebirge zu; 90
                              									Brunnenmessungen zwischen Somma und Mailand, 45° 27' geographische Breite
                              									(zwischen Tessin und Adda) gaben folgende Resultate:
                           Die erste Zone (27 bis 31') enthielt 3 Brunnen von 6,2 bis 9m,6 Tiefe und 17 Brunnen von 1,05 bis 5m, im Mittel 2m,68 Tiefe.
                           Die zweite Zone (31 bis 33') ergibt mit Ausschluß von 4 Brunnen,
                              									welche nur 2,2 bis 2m,3 tief sind, 19
                              									Brunnen von 12 bis 34m,4, im Mittel 21m,63.
                           Die dritte Zone (35 bis 39') hat einen Brunnen von 9m,2 von 15m und 26 Brunnen von 16,8 bis 49m,5, im Mittel 33m Tiefe.
                           Die vierte Zone endlich (39 bis 41') hat mit Ausschluß eines
                              									Brunnens am Langensee 4 Brunnen von 3,6 bis 7m,18 und 12 von 20,7 bis 102m, im
                              									Mittel 53m,2 Tiefe.
                           Dieses Wasser ist wegen der großen Tiefe, welche es vor den Einflüssen der Vegetation
                              									schützt, sehr rein, wie auch die Analysen der Brunnenwässer aus der Umgegend von
                              									Mailand bestätigen; die Temperatur desselben steigt selbst im Sommer nicht über 15
                              									bis 18°.
                           Die Stadt Mailand, deren hydrographische Verhältnisse sich in keiner Weise von denen
                              									seiner Umgebung unterscheiden, liegt auf einer 9m,5 von Norden nach Süden abfallenden Ebene. Die Verfasser haben dieselbe
                              									in 9 parallele Zonen getheilt, deren Höhenunterschied etwa 1m beträgt. In jeder Zone wurde die Höhe der
                              									Wassersäule in den Brunnen, ihre Tiefe und die Temperatur des Wassers bestimmt. Mit
                              									Ausschluß der Bohrbrunnen ergeben sich im Mittel folgende Werthe:
                           
                           
                              
                                 Zone.
                                 Höhe der Wassersäule.
                                 Temperatur.
                                 
                              
                                 
                                 
                                    m
                                    
                                 Grad
                                 
                              
                                 1
                                 0,92
                                 15,63
                                 
                              
                                 2
                                 1,26
                                 16,25
                                 
                              
                                 3
                                 1,30
                                 16,40
                                 
                              
                                 4
                                 1,34
                                 15,00
                                 
                              
                                 5
                                 1,22
                                 14,51
                                 
                              
                                 6
                                 1,34
                                 14,86
                                 
                              
                                 7
                                 1,36
                                 15,80
                                 
                              
                                 8
                                 1,41
                                 15,23
                                 
                              
                                 9
                                 1,18
                                 15,75
                                 
                              
                                 –––––––––––––––––––––––––––––––––
                                 
                              
                                 Mittel
                                   1,259
                                  15,49.
                                 
                              
                           Die Höhe der Wasserschicht und die Tiefe der Brunnen von der Bodenoberfläche an
                              									gerechnet, mit Ausnahme der Bohrbrunnen, welche ihr Wasser tiefern Schichten
                              									entnehmen, ist hiernach wenig verschieden. Die Tabelle, verglichen mit den
                              									obenerwähnten Messungen, zeigt, daß das Brunnenwasser der Stadt Mailand von einer
                              									Infiltration herrührt, daß die Sohle dieser wasserführenden Schicht sich in einer
                              									Tiefe von 4 bis 5m befindet, während die
                              									Tiefe der Bohrbrunnen zwischen 10 bis 15m
                              									wechselt.
                           Während die Brunnen aus der Umgegend von Mailand in trocknen Zeiten versiegen, ist
                              									auf den Wasserstand der Mailänder Brunnen weder Dürre noch anhaltender Regen von
                              									nennenswerthem Einfluß; die größten beobachteten Differenzen betrugen 0m,47. Dagegen beeinflußt der innere
                              									Schiffscanal (Naviglio) den Wasserstand der nahe
                              									liegenden Brunnen, wie durch längere Beobachtung des 60m entfernten Brunnens auf dem Cavourplatz
                              									nachgewiesen wurde. Das Wasser einiger Brunnen wird trübe, sobald sich der erwähnte
                              									Canal trübt; andere Brunnen werden durch benachbarte Latrinen beeinflußt.
                           Chemische Untersuchung. Ein gutes Trinkwasser soll nicht
                              									nur klar und geruchlos, es soll vor allem möglichst frei sein von organischen
                              									Stoffen und deren Zersetzungsproducten, da diese auf die Verbreitung von Typhus,
                              									Cholera und andern Epidemien unzweifelhaft von Einfluß sind. (Vgl. 1877 223 519.) Die Verfasser bestimmten dem entsprechend bei
                              									ihren Untersuchungen der Brunnenwässer Mailands den Härtegrad nach Boutron und Boudet, die
                              									organischen Stoffe mit übermangansaurem Kalium in alkalischer Lösung, die
                              									Salpetersäure mit Indigo (1874 213 423), das Chlor durch
                              									Titrirung mit Silberlösung und das Ammoniak mit dem Neßler'schen Reagens nach Fleck; auf salpetrige Säure wurde nur qualitativ mit
                              									Jodkaliumstärke geprüft. Bei der mikroskopischen Untersuchung, auf welche die
                              									Verfasser mit Recht großes Gewicht (vgl. 1877 223 590)
                              									legen, konnten sie in dem frisch
                           
                           Brunnenwasser von Mailand.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 225, S. 88
                              Zone; Temperatur; Tiefe des
                                 										Brunnens; Höhe der Wassersäule; Salpetrige Säure; Salpetersäure; Chlor;
                                 										Ammoniak; Organische Stoffe; Härte; Gährungsversuch; Spur; Nach 10 Tagen
                                 										Fäulniß; Nach 10 Tagen Milchsäuregährung; Nach 4 Tagen desgl.; Geruch nach
                                 										Alkohol, nach 6 Tagen Milchsäuregährg.; Nach 8 Tagen; Nach 2 Tagen starker
                                 										Alkoholgeruch; Nach 8 Tagen Fäulniß u. Gelbfärben des Wassers.
                              
                           geschöpften Wasser meist keine Organismen auffinden, selbst
                              									wenn dasselbe verunreinigt war. Ueberließ man die Wässer jedoch der Ruhe, so
                              									veränderten sie sich sehr bald und ließen nun eine Menge von Organismen erkennen;
                              									dieselben waren um so zahlreicher, je größer der Gehalt an Salpetersäure. Einige
                              									Wässer enthielten jedoch Organismen, bestehend aus ovalen chlorophyllhaltigen und in
                              									Ketten vereinigten Zellen, von brauner oder grauer Farbe, oft auch Amöben, lebhaft
                              									bewegte Monaden, Diatomeen u. dgl. Die häufigst vorkommenden Formen sind
                              									abgebildet.
                           Der Verdunstungsrückstand von 1cc Wasser
                              									zeigte, wenn dasselbe frei von organischen Stoffen war, unter dem Mikroskop die
                              									Krystalle von kohlensaurem Calcium und Magnesium; verunreinigte Wässer gaben jedoch
                              									nur einen amorphen Rückstand.
                           Pavesi und Rotondi versuchten
                              									ferner, die niedern Organismen künstlich zu cultiviren durch Prüfung der Fähigkeit
                              									der verschiedenen Gewässer Gährungen zu erzeugen. Enthält ein Wasser Pilzsporen und
                              									Stickstoffverbindungen, so geht eine damit versetzte Zuckerlösung in Gährung über,
                              									wenn auch nur Spuren von Phosphorsäure zugegen waren, wie Frankland nachgewiesen hat. Die Wasserproben wurden daher mit einer
                              									Zuckerlösung und mit phosphorsaurem Natrium versetzt, die Kolben mit Watte
                              									verschlossen. Reines Wasser zeigte hierbei keinerlei Gährung, andere Wässer gingen
                              									in Gährung über und zwar um so schneller, je mehr organische Stoffe und
                              									Salpetersäure sie enthielten. Es zeigten sich hierbei die verschiedensten
                              									Erscheinungen; die Reaction des einen Wassers wurde sauer, die des andern alkalisch,
                              									einige gaben lebhafte Gasentwicklung, andere wieder Schimmelbildungen der
                              									verschiedensten Form und Farbe.
                           Die Tabelle S. 88 gibt einen Auszug der 236 Analysen, welche die Verfasser von 118
                              									Brunnenwässern im Frühjahr und Sommer 1873 ausgeführt haben. Die Brunnentiefe und
                              									die Höhe des Wasserstandes ist in Meter, der Gehalt an Ammoniak, Salpetersäure,
                              									Chlor und organischen Stoffen in Milligramm auf 1l, die Härte in französischen Graden (1° französisch = 0,56°
                              									deutsch; vgl. 1873 210 300) angegeben.
                           Bei der salpetrigen Säure ist nur bemerkt, ob solche vorhanden (+) war oder nicht.
                              									Bei jedem Wasser gibt die erste Zeile die analytischen Resultate vom Frühjahr, die
                              									zweite vom Sommer; die Gährungsversuche wurden im Sommer ausgeführt. Von den Zonen 3
                              									bis 7 wurde hier je ein Wasser von den schlechtesten und von den besten, von den
                              									andern Zonen nur ein Wasser ausgewählt. Die kleine Tabelle S. 90 enthält schließlich
                              									die mittlere Zusammenstellung sämmtlicher Wässer einer Zone im Frühjahr und
                              									Sommer.
                           Die mittlere Härte der Mailänder Wässer beträgt hiernach 37° (21,7°
                              									deutsch), während die nicht verunreinigten Wässer der Umgegend nur 27° Härte
                              									zeigen. Diese höhere Härte ist im wesentlichen auf die im Boden aus den
                              									eingedrungenen organischen Stoffen gebildete Kohlensäure und Salpetersäure
                              									zurückzuführen (1877 223 525), so daß sie wohl nur
                              									indirect schädlich wirken kann.
                           Daß die organischen Stoffe, deren Menge im Vergleich mit andern städtischen
                              									Brunnenwässern übrigens nicht sehr groß ist, auf eingedrungenes Cloakenwasser
                              									zurückzuführen ist, zeigt der ziemlich hohe Gehalt an Ammoniak und an Chlor, welches
                              									dem Kochsalz der Abwässer entstammt. Die Menge desselben steht im geraden Verhältniß
                              									zu dem Gehalte an organischer Substanz und an Salpetersäure, wie aus den dem
                              									Original beigefügten Diagrammen ersichtlich ist.
                           
                           Mittlere Zusammensetzung der Wässer.
                           
                              
                                 Zone.
                                 Untersucht.
                                 Salpetersäure.
                                 Chlor.
                                 Ammoniak.
                                 OrganischeStoffe.
                                 Härte.
                                 
                              
                                 1
                                 F
                                   12,5
                                 23,6
                                 1,5
                                 16,6
                                 29,5
                                 
                              
                                 
                                 S
                                   14,7
                                 18,1
                                 0,5
                                 24,1
                                 28,8
                                 
                              
                                 2
                                 F
                                     6,9
                                 13,0
                                 0,9
                                 11,8
                                 32,0
                                 
                              
                                 
                                 S
                                     8,9
                                 13,6
                                 0,9
                                 21,5
                                 27,6
                                 
                              
                                 3
                                 F
                                   31,2
                                 41,3
                                 1,2
                                 21,8
                                 40,5
                                 
                              
                                 
                                 S
                                   33,5
                                 32,5
                                 1,7
                                 18,6
                                 40,3
                                 
                              
                                 4
                                 F
                                   40,0
                                 61,2
                                 0,1
                                 16,2
                                 37,8
                                 
                              
                                 
                                 S
                                   40,4
                                 36,0
                                 1,2
                                 24,0
                                 38,7
                                 
                              
                                 5
                                 F
                                   81,5
                                 85,7
                                 1,2
                                 18,1
                                 45,0
                                 
                              
                                 
                                 S
                                   98,5
                                 73,0
                                 1,4
                                 21,5
                                 45,6
                                 
                              
                                 6
                                 F
                                   72,4
                                 81,3
                                 0,9
                                 19,0
                                 46,6
                                 
                              
                                 
                                 S
                                 109,2
                                 88,6
                                 0,8
                                 21,3
                                 43,8
                                 
                              
                                 7
                                 F
                                   70,0
                                 89,5
                                 1,3
                                 17,9
                                 41,5
                                 
                              
                                 
                                 S
                                   73,5
                                 71,5
                                 0,9
                                 26,1
                                 41,1
                                 
                              
                                 8
                                 F
                                   15,9
                                 36,5
                                 1,0
                                 19,2
                                 28,6
                                 
                              
                                 
                                 S
                                   15,0
                                 23,1
                                 0,2
                                 20,3
                                 29,7
                                 
                              
                                 9
                                 F
                                   30,7
                                 38,8
                                 1,3
                                 26,7
                                 32,1
                                 
                              
                                 
                                 S
                                   36,6
                                 33,4
                                 0,6
                                 32,4
                                 33,5
                                 
                              
                           Die Menge der Salpetersäure ist im Sommer etwas größer als im Frühjahr, wohl in Folge
                              									der durch die Wärme beschleunigten Zersetzung der organischen Stoffe im Boden.
                           Das Wasser, welches von dem an höchster Stelle der Stadt angelegten Centralfriedhof
                              									selbst oder in dessen nächster Nähe entnommen wurde, läßt keinen Unterschied in der
                              									Zusammensetzung gegenüber den andern Brunnenwässern der Stadt erkennen (vgl. 1874
                              										214 478). Das Grundwasser auf dem Friedhofe steht in
                              									einer Tiefe von 5m,5, während die Leichen
                              									nicht tiefer als 1,5 bis 1m,8 begraben
                              									werden, wodurch die Verunreinigung des Grundwassers wesentlich erschwert wird. Um
                              									aber auch jede Gefahr einer künftigen Verunreinigung der Mailänder Wässer durch die
                              									Friedhöfe zu beseitigen, empfehlen die Verfasser mit Recht Drainirung des Friedhofes
                              									und Ableitung der Drainwässer außerhalb der Stadt.
                           Im Innern der Stadt ist der Boden gesättigt mit organischen Abfallstoffen aller Art,
                              									das Brunnenwasser in Folge dessen schlecht. Man kann sich aber jederzeit durch
                              									Anlage von Bohrbrunnen helfen, welche das Wasser aus der 10 bis 15m tief liegenden Quellwasserzone
                              									entnehmen.
                           Als Typus eines guten Trinkwassers ist nur ein aus nicht verunreinigtem Boden
                              									entspringendes Quellwasser anzusehen. Durch Filtration kann man aus einem Wasser
                              									wohl die suspendirten Theile, nicht aber die gelösten Stoffe entfernen. Mailand kann
                              									seinen ganzen Bedarf an Trinkwasser den zahlreichen Quellen entnehmen, welche von
                              									den Voralpen her sich in
                              									der lombardischen Ebene sammeln. Die Sterblichkeit Mailands ist 35 auf 1000; in
                              									andern Städten, welche mehr für Gesundheitspflege aufwenden, sterben nur 20 auf
                              									1000. Diese hohe Sterblichkeit ist gewiß zum nicht geringen Theil der schlechten
                              									Beschaffenheit des Mailänder Trinkwassers zuzuschreiben.
                           
                              F.