| Titel: | Zur Kenntniss des Chrysoïdins; von A. W. Hofmann. | 
| Fundstelle: | Band 225, Jahrgang 1877, S. 197 | 
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                        Zur Kenntniss des Chrysoïdins; von
                           									A. W.
                              								Hofmann.
                        Hofmann, zur Kenntniß des Chrysoïdins.
                        
                     
                        
                           Der neue orangerothe Farbstoff, welcher unter dem Namen Chrysoïdin seit Mitte
                              									des vorigen Jahres von der Firma Williams, Thomas und Dower in London auf den Markt gebracht, aber, wie es
                              									scheint, auch bereits von einigen continentalen Fabriken dargestellt wird, ist eine
                              									schön krystallisirte Substanz, welche alle Charaktere eines chemischen Individuums
                              									an sich trägt. Er besteht aus theilweise ziemlich gut ausgebildeten Krystallen von
                              									erheblichen Dimensionen mit stark glänzenden Flächen, so daß sich die Form ohne
                              									große Schwierigkeit wird bestimmen lassen. Im reflectirten Lichte erscheinen sie
                              									schwarzgrau und zeigen einen ins Grünliche spielenden Metallglanz, allein in
                              									geringerm Grade als die Mehrzahl der Anilinfarben. Im durchfallenden Lichte
                              									erscheinen dünne Krystalle tiefroth gefärbt, dickere Krystalle sind undurchsichtig.
                              									Zerrieben bilden sie ein rothes Pulver. Die Krystalle lösen sich ziemlich reichlich
                              									in kaltem, noch reichlicher in siedendem Wasser, mit Leichtigkeit in Alkohol. In
                              									Aether sind sie unlöslich. Die heiß gesättigten Lösungen erstarren beim Erkalten,
                              									zumal wenn etwas Säure zugesetzt wird, zu einer Gallerte, welche aus einer
                              									verfilzten Masse haarfeiner Nadeln besteht. Häufig ist diese Masse von größern
                              									Krystallen, wie sie oben beschrieben wurden, durchsetzt. Wenn man verdünntere
                              									Lösungen, zumal in Gegenwart einer gewissen Menge Salzsäure, krystallisiren läßt, so
                              									gelingt es oft, ausschließlich ausgebildetere, grauschwarze Krystalle zu erhalten,
                              									welche sich indessen gewöhnlich nadelförmig aggregiren. Am leichtesten entstehen gut
                              									ausgebildete Krystalle, wenn man die krystallinische Masse in heißem Alkohol löst
                              									und die Lösung mit concentrirter Salzsäure versetzt. Die Lösungen sind tief
                              									orangeroth gefärbt und zeigen eine bemerkenswerthe tinctoriale Kraft. Auf Zusatz von
                              									Salzsäure nehmen sie einen Stich ins Carmoisinrothe an.
                           Der in dem Handel vorkommende Farbstoff ist ein nahezu reiner Körper. Die Analyse,
                              									mit dem einmal umkrystallisirten, bei 100° getrockneten Product angestellt,
                              									zeigte, daß hier ein Chlorhydrat von der einfachen Formel
                              									C₁₂H₁₂N₄, HCl vorlag.
                           Diese Formel fand in der Analyse eines schönen, carmoisinrothen Platinsalzes, welches
                              									durch Eingießen von Platinchlorid in eine warme verdünnte, wässerige Lösung des
                              									käuflichen Chlorhydrates erhalten wurde, Bestätigung. Der Formel 2
                              									(C₁₂H₁₂N₄, HCl) PtCl₄ entsprechen 23,6
                              									Proc. Platin. Die Analyse des bei 100° getrockneten Salzes ergab 23,76 Proc.
                              									Platin.
                           
                           Die in dem Chlorhydrat enthaltene Base läßt sich mit Leichtigkeit sowohl durch
                              									Natronlauge, als auch durch Ammoniak in Freiheit setzen. Sie scheidet sich als eine
                              									hellgelbe, flockige Masse aus, welche in Wasser schwer, leichter in Alkohol und
                              									Aether löslich ist. Sie krystallisirt lange nicht so leicht wie ihre Salze. Die
                              									besten Krystalle werden beim langsamen Erkalten einer siedenden wässerigen Lösung
                              									erhalten. Auf diese Weise bilden sich kleine Krystallfäden, welche sich gewöhnlich
                              									in einer sehr charakteristischen Weise halbkreisförmig umbiegen. Die Base schmilzt
                              									bei 110°. Mit Salzsäure erzeugt sie wieder das ursprüngliche Salz. Mit
                              									Salpetersäure entsteht ein ganz ähnliches, in rothen Nadeln krystallisirendes
                              									Nitrat.
                           Versucht man die oben gegebene Formel zu interpretiren, so ist man zunächst auf ein
                              									diamidirtes Azobenzol hingewiesen: C₁₂H₈ (NH₂)₂
                              									N₂ = C₁₂H₁₂N₄. Hiermit treten aber auch
                              									alsbald Beziehungen zu wohlbekannten Körpern zu Tage, nämlich zu dem einfach
                              									amidirten und dreifach amidirten Azobenzol, welche bezieh. das von Grieß und Martius studirte
                              									Anilingelb und nach Grieß und Caro den Hauptbestandtheil des von Martius
                              									entdeckten Phenylenbrauns darstellen:
                           
                              
                                 Monoamidoazobenzol
                                 C₁₂H₉ (NH₂) N₂  =
                                    											C₁₂H₁₁N₃ Anilingelb.
                                 
                              
                                 Diamidoazobenzol
                                 C₁₂H₈ (NH₂)₂ N₂ =
                                    											C₁₂H₁₂N₄ Chrysoïdin.
                                 
                              
                                 Triamidoazobenzol
                                 C₁₂H₇ (NH₂)₃ N₂ =
                                    											C₁₂H₁₃N₅ Phenylenbraun.
                                 
                              
                           Der neue Farbstoff liegt also zwischen den beiden altbekannten
                              									geradezu in der Mitte, und in der That stellt sich auch die Tinte des
                              									Chrysoïdins zwischen die des mono- und triamidirten Azobenzols. Auch
                              									der Habitus des Chrysoïdinchlorhydrates erinnert lebhaft sowohl im Aussehen
                              									der Krystalle, als auch durch das Rothwerden der Lösungen auf Zusatz von Säuren an
                              									die Monoamidoverbindung.
                           Für die Darstellung des neuen Farbstoffes schien die directe Anlehnung an die
                              									Darstellungsweise des Monoamido- und Triamidoazobenzols den besten Erfolg zu
                              									versprechen. Erstere Verbindung, das Anilingelb, wird bekanntlich durch die
                              									Einwirkung der salpetrigen Säure auf Anilin, letztere, das Phenylenbraun, durch
                              									Behandlung des Phenylendiamins (und zwar der durch Reduction des Dinitrobenzols vom
                              									Schmelzpunkt 86° gewonnenen Modification) mit demselben Agens erhalten, nach
                              									den Formeln
                           
                              
                                 2 C₆H₇N  + HNO₂
                                 = C₁₂H₁₁N₃ + 2 H₂O
                                 
                              
                                 2 C₆H₈N₂ + HNO₂
                                 = C₁₂H₁₃N₅ + 2 H₂O.
                                 
                              
                           Das Chrysoïdin konnte das Product der Einwirkung der
                              									salpetrigen Säure auf
                              									eine Mischung und Phenylendiamin sein, entstanden nach der Gleichung
                           
                              
                                 C₆H₇NC₆H₈N
                                 
                                    
                                    
                                 + HNO₂ = C₁₂H₁₂N₄ + 2
                                    											H₂O.
                                 
                              
                           Dieser Weg erwies sich nun als der richtige, wenn er entsprechend abgeändert in
                              									folgender Weise ausgeführt wird. Leitet man einen Strom von salpetriger Säure durch
                              									eine alkoholische Lösung von Anilin, so setzen sich, wie man aus den Untersuchungen
                              									von Grieß weiß, bald Krystalle von Diazoamidobenzol ab, welche theilweise in das
                              									isomere Amidoazobenzol übergehen. Versetzt man die Flüssigkeit in diesem Stadium mit
                              									Phenylendiamin, so verändert sich die Farbe derselben nicht; fährt man aber mit dem
                              									Einleiten fort, bis die anfangs gebildeten Krystalle sich wieder lösen, so entsteht
                              									auf Zusatz einer wässerigen Lösung von Phenylendiamin alsbald die tief orangegelbe
                              									Färbung des Chrysoïdins. Am auffallendsten gestaltet sich der Versuch, wenn
                              									man die durch den Ueberschuß von salpetriger Säure dunkel gewordene Flüssigkeit mit
                              									Wasser vermischt und in die auf diese Weise nahezu farblos gewordene Lösung
                              									Phenylendiamin eingießt. Augenblicklich erfolgt die tiefrothe Färbung und es setzen
                              									sich, wenn die Lösungen einigermaßen concentrirt sind, auch sehr bald Krystalle von
                              									salpetersaurem Chrysoïdin ab. Die mit überschüssiger salpetriger Säure
                              									behandelte, alkoholische Lösung von Anilin enthält aber salpetersaures Diazobenzol,
                              									mithin war die Reaction nach der Gleichung:
                           C₆H₄N₂, HNO₃ +
                              									C₆H₈N₂ = C₁₂H₁₂N₄,
                              									HNO₃ 
                           verlaufen. In der That lieferte denn auch auf die gewöhnliche
                              									Weise durch Aufleiten von salpetriger Säure auf einen Krystallbrei von Anilinnitrat
                              									bis zur Lösung dargestelltes salpetersaures Diazobenzol auf Zusatz von
                              									Phenylendiamin sofort in reichlicher Menge einen tiefrothen Niederschlag von
                              									Chrysoïdinnitrat. Derselbe wurde durch mehrfaches Umkrystallisiren aus
                              									siedendem Wasser gereinigt und schließlich die Base mittels Ammoniak aus der heißen
                              									Lösung des Nitrats abgeschieden. So wurde eine gelbe krystallinische Masse erhalten,
                              									welche alle Eigenschaften der aus dem Handelsproduct gewonnenen zeigte. Namentlich
                              									wurden beim Umkrystallisiren aus siedendem Wasser wieder die eigenthümlich
                              									gekrümmten Krystalle beobachtet. Zum Ueberfluß wurde die Base in das Chlorhydrat
                              									übergeführt, und aus diesem ein dem schon oben beschriebenen vollkommen ähnliches
                              									Platinsalz dargestellt, welches bei der Analyse 23,77 Proc. Platin gab; die Theorie
                              									verlangt 23,60 Proc.
                           Noch mag hier erwähnt werden, daß sich, wie es zu erwarten stand, das
                              									Chrysoïdin bei der Einwirkung reducirender Agentien in Phenylendiamin
                              									verwandelt. Anilingelb (Amidoazobenzol) liefert bekanntlich nach den Versuchen von Grieß und Martius gleichzeitig
                              									auch Anilin; das Anilinbraun (Triamidoazobenzol) ist bis jetzt in der angedeuteten
                              									Richtung nicht untersucht worden; allein es wird voraussichtlich in ein Gemenge von
                              									Phenylendiamin und Triamidobenzol übergehen.
                           Es braucht kaum darauf hingewiesen zu werden, daß man eine ganze Reihe von dem
                              									Chrysoïdin analogen Farbstoffen gewinnt, wenn man nach dem oben angegebenen
                              									Verfahren andere Monamine und Diamine mit einander vereinigt, wenn man also, statt
                              									des Phenylendiamins, Toluylendiamin und andere Diamine auf Diazobenzol einwirken
                              									läßt, und wenn man auch überdies das Diazotoluol, Diazoxylol etc. in Mitleidenschaft
                              									zieht. Von den zahlreichen so bildbaren Körpern ist beispielsweise einer etwas näher
                              									untersucht worden, nämlich der durch Behandlung von Diazotoluol (aus Paratoluidin
                              									dargestellt) mit Toluylendiamin vom Schmelzpunkt 99° gewonnene. Was die
                              									Darstellung dieser Verbindung anlangt, so genügt es auf das, was über das
                              									Chrysoïdin gesagt worden ist, hinzuweisen. Der der Toluylreihe angehörige
                              									Farbstoff ist womöglich noch schöner als das Chrysoïdin. Jedenfalls ist die
                              									Krystallisationsfähigkeit der Salze, ganz besonders aber der freien Base, eine
                              									entschieden größere. Die durch wässeriges Ammoniak aus der siedenden alkoholischen
                              									Lösung des Chlorhydrates ausgeschiedene Base krystallisirt beim Erkalten der
                              									Flüssigkeit in schönen orangegelben, gewöhnlich sternförmig gruppirten Nadeln vom
                              									Schmelzpunkt 183°. Die Base ist leicht löslich in Alkohol und Aether, fast
                              									unlöslich selbst in siedendem Wasser.
                           Um die Zusammensetzung des in schönen rothen Nadeln krystallisirenden Chlorhydrates
                              									C₁₄H₁₆N₄. HCl durch eine Zahl festzustellen,
                              									wurde das Platinsalz dargestellt. Es gleicht dem des Chrysoïdins, nimmt aber
                              									beim Trocknen im Wasserbade eine ziemlich dunkle Farbe an. Das bei 100°
                              									getrocknete Salz enthält 21,95 Proc. Platin. Ein der oben für das Chlorhydrat
                              									gegebenen Formel entsprechendes Platinsalz verlangt 22,12 Proc. Platin. (Im Auszug
                              									aus den Berichten der
                                    											deutschen chemischen Gesellschaft, 1877 S. 213.)