| Titel: | Ueber die Säuren des Bieres; von Dr. V. Griessmayer. | 
| Autor: | V. Griessmayer | 
| Fundstelle: | Band 227, Jahrgang 1878, S. 93 | 
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                        Ueber die Säuren des Bieres; von Dr. V. Griessmayer.
                        Griessmayer, über die Säuren des Bieres.
                        
                     
                        
                           Ueber diesen Gegenstand habe ich dem kaiserlichen Gesundheitsamte ein Gutachten
                              									vorgelegt, das ich hier im Wesentlichen zur Veröffentlichung bringe.
                           Es ist bekannt, dass bei der normalen Alkoholgährung
                              									ausser Kohlensäure immer auch Bernsteinsäure, etwas Essigsäure (von Pasteur nach längerem Sträuben zugegeben) und eine
                              									nicht näher bekannte dritte Säure, von Pasteur nicht
                              									näher bestimmtVgl. M. L. Pasteur: Die Alkoholgährung. Deutsch
                                    											von V. Griessmayer (Augsburg 1871. C. Lampart) S. 19. und von Maumené „acide trigiénique“
                                 									 genannt, constant enthalten sind.
                           Im normalen Biere wird diese Acidität noch durch eine
                              									weitere Säure vermehrt, die Milchsäure, Diese Säure ist von verschiedener Herkunft. Sie kommt nämlich
                              									theils aus dem Malze, in welchem sie durch den Keimungsprocess gebildet wird, theils
                              									aus der Würze, in der sie beim Maischen und auf der Kühle entsteht; schliesslich
                              									wird sie bei der Haupt- und Nachgährung (beim Lagern) gebildet.
                           Die Bestimmung dieses Säuregemenges geschieht mittels Zehntelnormalalkali und mit den
                              									Indicatoren Lackmus, Rosolsäure oder Hämatein. Bei der Berechnung gibt man entweder
                              									die Cubikcentimeter Normalalkali an, welche zur Neutralisirung von 100cc Bier erforderlich sind, oder man bestimmt alle
                              									Säure als Milchsäure, indem man die gefundenen Cubikcentimeter Normalalkali mit 0,09
                              									(Aequivalent der Milchsäure = 90) multiplicirt.
                           In den grossen englischen Brauereien ist letztere Bestimmungsart im Brauche, sowie
                              									auch Lackmus als Indicator. Da aber mit den verschiedenen Indicatoren auch
                              									verschiedene Resultate erzielt werden, so wäre zu erwägen, ob Lackmus beizubehalten
                              									oder das zumal für dunkle Biere brauchbare Hämatein vorzuziehen sei.
                           Es entsteht nun die praktisch wichtige Frage: Wenn alle Biere
                                 										sauer sind, welches Bier ist am sauer, bezieh. wie viele Cubikcentimeter
                                 										Normalalkali oder wie viel Milchsäureprocente sind nothwendig, um erklären zu
                                 										können, das betreffende Bier ist verdorben und dessen Verleitgabe strafbar?
                              									Die Lösung dieser Frage hängt meines Erachtens von zwei Umständen ab. Erstens muss
                              									man feststellen, welches ist die normale Acidität einer bestimmten Biergattung und zweitens muss das Verhältniss der Säure
                              									zum Extract innerhalb derselben Gattung bestimmt werden.
                           Ich werde daher zuerst die Resultate vergleichender Analysen – theils aus fremder
                              									vertrauenswürdiger Quelle (Schwackhöfer), theils aus
                              									eigenem Laboratorium (Hammacher) mittheilen, dann die
                              									Relation zwischen Säure und Extract feststellen, um schliesslich einen annehmbaren
                              									Vorschlag formuliren zu können.
                           Nach früheren, im Bayerischen Bierbrauer
                              									veröffentlichten Analysen schwankt der Gehalt des bayerischen Schenkbieres an Säure
                              									zwischen 0,3 und 0cc,7 Normalalkali = 0,027 und
                              									0,063 Proc. Milchsäure; der Gehalt des bayerischen Lagerbieres zwischen 1,8 und 2cc,6 Normalalkali = 0,162 und 0,234 Proc.
                              									Milchsäure.
                           Der mittlere Extractgehalt einer Serie von bayerischen Schenkbieren aus der
                              									Sudcampagne 1837/38 war 4,97 Proc. mit einem Minimum von 3,9 Proc.
                           Der mittlere Extractgehalt der Erlanger Schenkbiere vom Winter 1874/75 war nach Hilger (Repertorium für
                                 										Pharmacie, 1876 Bd. 25) 4,74 Proc. (der mittlere Alkoholgehalt 3,57) mit
                              									Schwankungen von 4,27 bis 5,66 Proc.
                           Der mittlere Extractgehalt aller Wiener Abzugbiere vom Jahre 1874/75 betrug 4,6 Proc.
                              									Balling (vgl. Bayerischer Bierbrauer, 1877 S. 233).
                           
                           Ich lasse nunmehr eine Tabelle vergleichender Analysen folgen. Unter Relation oder
                              									Aciditätsquotienten verstehe ich hierbei das Verhältniss des Extractgehaltes zum
                              									Milchsäureprocentgehalt und berechne es in folgender Weise: Ein Bier habe 6,4 Proc.
                              									Extract und 0,23 Proc. Milchsäure; also ist die Relation 6,4 : 0,23 = 100 : x,
                              									woraus x = 3,593.
                           
                              
                                 Biersorten
                                 Extract
                                 Milchsäure
                                 Normal-alkali
                                 RelationE : M = 100 : x
                                 
                              
                                 
                                 Proc.
                                 Proc.
                                 cc
                                 
                                 
                              
                                 Pschorr Lagerbier
                                 6,4  
                                 0,23
                                   2,55
                                 3,593
                                 
                              
                                 Spaten         „
                                 6,16
                                 0,2  
                                   2,22
                                 3,246
                                 
                              
                                 Pilsner Bürgerl. Brauhaus
                                 4,55
                                 0,13
                                   1,44
                                 2,857
                                 
                              
                                 Weihenstephan Export
                                 5,75
                                 0,15
                                   1,66
                                 2,608
                                 
                              
                                 L. Ahrens, Berlin
                                 4,67
                                   0,169
                                   1,18
                                 3,618
                                 
                              
                                            „     pasteurisirt
                                 4,59
                                 0,17
                                 1,9  
                                 3,7    
                                 
                              
                                 Hofbräuhaus (10. Juli 1877)
                                 5,43
                                 0,16
                                   1,77
                                 2,946
                                 
                              
                                 Pale Ale Bass
                                 5,99
                                 0,13
                                   1,44
                                 2,17  
                                 
                              
                                 Stout Barclay und Perkins
                                 7,41
                                 0,32
                                   3,55
                                 4,318
                                 
                              
                                 Salvator 1875
                                   9,078
                                 0,27
                                 3
                                 2,974
                                 
                              
                                 Lambic 1869
                                 2,95
                                   1,116
                                 12,4
                                 37,83
                                 
                              
                                 Schwechat Lager 1875
                                 6,01
                                   0,134
                                 1,5
                                 2,229
                                 
                              
                                 Pilsner           „     1875
                                 4,82
                                   0,178
                                   1,97
                                 3,697
                                 
                              
                                 Liesing          „       „
                                 6,04
                                 0,15
                                   1,66
                                 2,483
                                 
                              
                                 St. Max Marzen
                                 6,42
                                 0,11
                                   1,22
                                 1,71  
                                 
                              
                                 St. Max Abzug
                                 4,87
                                 0,1  
                                   1,11
                                 2,053
                                 
                              
                                 Munchener Bock
                                 7,1  
                                 0,18
                                 2,0
                                 2,535
                                 
                              
                                 Kulmbacher Export
                                 7,38
                                 0,16
                                   1,77
                                 2,535
                                 
                              
                                 Nürnberger      „
                                 7,05
                                 0,17
                                 1,9
                                 2,411
                                 
                              
                                 Ale
                                 4,81
                                 0,31
                                   3,44
                                 6,444
                                 
                              
                                 Porter
                                 7,43
                                 0,34
                                   3,77
                                 4,576
                                 
                              
                                 Stont Guiness
                                   6,626
                                 0,63
                                 7,0
                                 9,5    
                                 
                              
                                 Stout Salt
                                 –
                                   0,378
                                 4,2
                                 –
                                 
                              
                           Aus obiger Tabelle ergibt sich nun, dass der mittlere
                                 										Milchsäureprocentgehalt aller deutschen und österreichischen Lagerbiere = 0,164 und die mittlere Relation zwischen Extractgehalt und Milchsäuregehalt = 2,869 ist.
                              									Die höchste Relation ist 3,7 bei Ahrens in Berlin. Es zeigt sich an diesem Beispiele
                              									deutlich, dass es bei der Würdigung der Acidität hauptsächlich auf das Verhältniss
                              									der vorhandenen Säure zum Gesammtextractgehalt ankommt. Der Milchsäuregehalt des
                              									genannten Bieres = 0,17 überschreitet den mittleren Gehalt = 0,164 nur um ein
                              									Geringes; aber der Extractgehalt ist nach dem Pilsner Bier der geringste = 4,59. Es
                              									wird daher auch dieses Bier saurer schmecken als z.B. das Spatenbier mit dem höheren
                              									Säuregehalt von 0,2, dem aber auch ein höherer Extractgehalt von 6,16 Proc.
                              									entspricht.
                           Betrachten wir nun auch noch die englischen und belgischen Biere. Der Stout von
                              									London hat fast die doppelte Acidität vom Mittel der deutschen Biere, aber die
                              									Relation mit seinem Extractgehalte = 4,318 erreicht durchaus nicht das Doppelte = 2
                              									× 2,869 = 5,738. Nichtsdestoweniger findet in
                              									England der Stout von Dublin (Guiness) den Vorzug, obwohl hier die Relation bis 9,5
                              									steigt.
                           Was das angeführte belgische Bier betrifft, so ist es absolut, und wie die Relation
                              									zeigt, auch relativ das sauerste; wir würden es nicht trinken können, jede
                              									Bierbeschau sowie jeder Gerichtsarzt würde es für ungeniessbar erklären – die
                              									Belgier aber befinden sich wohl dabei.
                           Es erscheint mir daher pro lege ferenda nothwendig,
                              									erstens von allen fremden Bieren abzusehen und zweitens für die einheimischen nur
                              									zwei Arten zu unterscheiden: Lagerbiere und Schenkbiere. Für erstere möchte die
                              									Relation 3,8 die passende sein; für letztere 1,9. Letztere Ziffer motivire ich, wie
                              									folgt: Ein Schenkbier habe 3,8 Proc. Extract (gewiss ein Minimum) und verlange zur
                              									Neutralisation von 100cc 0cc,8 Normalnatron = 0,072 Proc. Milchsäure (das
                              									Maximum); also ist hier die Relation (0,072 × 100) : 3,8 = 1,9. Alle Relationen,
                              									welche die beiden entwickelten, oder andere nach diesem Principe zu wählenden Maxima
                              									überschreiten, seien straffällig.