| Titel: | Ueber die Reinigung der Städte und die Verunreinigung der Flüsse. | 
| Autor: | F. | 
| Fundstelle: | Band 227, Jahrgang 1878, S. 402 | 
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                        Ueber die Reinigung der Städte und die
                           								Verunreinigung der Flüsse.
                        Ueber Reinigung der Städte und Verunreinigung der
                           								Flüsse.
                        
                     
                        
                           Auf Grund eines am 2. Mai 1877 von der wissenschaftlichen Deputation für das
                              									Medicinalwesen in Berlin erstatteten Gutachtens ist der Stadtgemeinde Cöln die
                              									Erlaubniss zur Abführung der menschlichen Excremente aus den Wasserclosets in die
                              									städtische Kanalisationsanlage und durch diese in den Rhein durch eine Entscheidung
                              									des Ministeriums vom 5. Juni versagt worden. Desgleichen ist der Stadt Stettin am 1.
                              									September die Einführung der unreinen Kanalwässer, einschliesslich der menschlichen
                              									und thierischen Abfallstoffe, in die Oder, Dunzig und Parnitz oder in den Dammschen
                              									See oder den Möllen-See aus sanitätspolizeilichen Gründen nicht gestattet worden.
                              									Bei dem sehr grossen Einfluss, welchen diese Entscheidungen auf die fernere
                              									Entwicklung der Städtereinigungsfrage ausüben werden, ist wohl eine kurze
                              									Besprechung des genannten Gutachtens am Platze.
                           In demselben heisst es u.a.: „Ganz abgesehen vom nationalökonomischen
                                 										Gesichtspunkte haben sich immer mehr Stimmen gegen die Verunreinigung der
                                 										Flüsse- und Wasserläufe mit städtischer Spüljauche erhoben. Wenn die öffentliche
                                 										Gesundheitspflege möglichst reine Luft und einen reinen Untergrund verlangt, so
                                 										ist ihre Forderung der Reinhaltung der Flüsse und Wasserläufe nicht minder
                                 										gerechtfertigt. Auch im erwähnten technischen Gutachten wird mit Rücksicht auf
                                 										eine allgemeine Durchführung der neueren Principien über die Salubrität der
                                 										öffentlichen Wasserläufe und Flüsse die Abfuhr der Fäcalstoffe in den Rhein
                                 										nicht gebilligt, in Betreff der Frage aber, ob sich aus einer Solchen
                                 										Verunreinigung bedenkliche Zustände für die Gesundheit entwickeln könnten, auf
                                 										den Weg der chemischen Untersuchung verwiesen, welche vor ein anderes Forum
                                 										gehört. Indess böte, wie das (Cölner) Gutachten weiter ausführt, eine nähere
                                 										Erwägung der dortigen Verhältnisse in hydrotechnischer Beziehung zur
                                 										Beantwortung dieser Frage wesentliche Momente dar. Im Berichte der königl.
                                 										Polizeidirection in Cöln vom 6. September 1876 werde die Menge des Haus- und
                                 										Strassenwassers, sowie des Fabrikwassers auf. Proc. der gesammten abgeführten
                                 										Wassermenge angegeben. Man würde nicht fehlgreifen, wenn bei allgemeiner
                                 										Durchführung der Wasserzuführung das Wasserquantum aus den Closets mit dem Rest
                                 										von 8 Proc. in Ansatz gebracht werde. Rechne man nun bei reichlichem Verbrauch
                                 										von Wasser auf den Einwohner 150l in 24
                                 										Stunden, so würde dies bei etwa 150000 Einwohnern, die sich höchstens dereinst
                                 										der Wasserclosets bedienen würden, 22500cbm
                                 										täglich betragen. Hiervon 8 Proc. zum Spülen des Closets verwendet, ergeben sich
                                 										für den Tag 1800cbm Wasser, welches mit
                                 										Fäcalstoffen geschwängert, dem Rhein zugeführt werden würde. Da nun der Rhein
                                 										selbst bei niedrigem Wasserstande noch etwa 600cbm Wasser in der Secunde führe, jene 1800cbm aber secundlich nur etwa 21l
                                 										ergeben würden, so sei selbst zur Zeit der allgemeinen Einführung der
                                 										Wasserclosets kaum eine Gefahr zu erkennen, dass
                                 										das Rheinwasser verschlechtert werden würde.
                           
                              Dieser Berechnung gegenüber können wir unsere Ansicht nur dahin aussprechen, dass
                                 										die Anerkennung des Princips, Wasserläufe und Flüsse frei von dem systematischen
                                 										Einfluss der städtischen Spüljauche zu erhalten, eigentlich weitere Erwägungen
                                 										über die Zulässigkeit eines solchen Verfahrens ausschliesst.
                              
                           
                              Wenn aber das technische Gutachten ein besonderes Gewicht auf die Grösse des
                                 										Flusses legt und aus der vorhandenen Wassermenge den Schluss zieht, dass die
                                 										städtische Spüljauche aus der Stadt Cöln dereinst kaum das Wasser des Rheins verschlechtern
                                 										würde, so ist doch eben so sehr zu berücksichtigen, dass, wenn einmal das
                                 										Princip durchbrochen ist, auch die übrigen am Rheine gelegenen Städte diesen
                                 										bequemen Weg zur Abführung der Fäcalstoffe für sich in Anspruch nehmen
                                 										werden.
                              
                           
                              Es wird dann ausser aller Berechnung liegen, welche Ausdehnung die Verunreinigung
                                 										des Rheinwassers nehmen wird, während es in sanitätspolizeilicher Beziehung
                                 										schon feststeht, dass ein Kanalwasser auch bei der grössten Verdünnung nicht als
                                 										unschädlich zu betrachten ist und unter allen Umständen die öffentliche
                                 										Gesundheit gefährdet, wenn es mit dem Flusswasser vermischt als Trinkwasser
                                 										benutzt wird, mag es nun zu diesem Zwecke unmittelbar geschöpft oder auch vorher
                                 										einem Reinigungsverfahren unterworfen werden. Immerhin wird ein grosser Theil
                                 										der Bewohner der Rheingegend auf den mannigfaltigsten Gebrauch des Flusswassers
                                 										zu häuslichen und ökonomischen Zwecken angewiesen bleiben.
                              
                           
                              Der in neuester Zeit von namhafter Seite gemachte Einwurf, dass, falls die
                                 										Wasserläufe für die Aufnahme der städtischen Spüljauche bestimmt würden, das
                                 										Trinkwasser auf andere Weise zu beschaffen und das Flusswasser nur zum Baden und zur Industrie zu verwenden sei, bedarf kaum der Widerlegung, wir erwähnen
                                 										nur mit kurzen Worten, dass auch die Industrie
                                 										häufig des reinen Wassers bedarf, wenn sie nicht das unreine Wasser mit grossen
                                 										Kosten für ihre Zwecke wieder nutzbar machen will, während das Baden alle hygienische Bedeutung verliert, wenn
                                 										hierzu nur mit Kanaljauche verunreinigtes Wasser zu Gebote steht. Und was die
                                 										Benutzung des Flusswassers als Trinkwasser betrifft, so hat die neueste Erfahrung
                                 										hinreichend gezeigt, dass das Flusswasser für die Wasserversorgung vieler Städte
                                 										unumgänglich nothwendig und durch keine andere Wasserquelle zu ersetzen ist.
                                 										Gleichzeitig ist statistisch nachgewiesen worden, dass diejenigen Städte, welche
                                 										möglichst reine Flüsse für ihre Wasserwerke benutzen, eine geringere
                                 										Mortalitätsziffer haben als eine Bevölkerung, welche auf die Benutzung eines
                                 										mehr verunreinigten Wassers angewiesen ist, (Vgl. 1877 223 517.)
                              
                           
                              Allerdings kann eine absolute Reinheit der Flüsse und Wasserläufe nicht erreicht
                                 										werden, da sie nothwendigerweise auf ihrem Laufe fremde Stoffe aufnehmen müssen
                                 										und auch von dem Einflüsse der Abwässer aus den Haushaltungen und Gewerben nicht
                                 										geschützt werden können. In Industriereichen Gegenden hat man sich deshalb auch
                                 										bemüht, wenigstens die Grenze einer derartigen Verunreinigung festzustellen und
                                 										deren Ueberschreitung thunlichst zu verhüten. Aber nur in Betreff der
                                 										unorganischen Bestandtheile eines Flusswassers kann der Weg der chemischen
                                 										Untersuchung zu einem sicheren Ergebnisse führen. Anders verhält es sich mit der
                                 										Verunreinigung der Flüsse durch Fäcalstoffe. Hier ist der Nachweis des Gehaltes
                                 										an Ammoniak, Nitriten u.s.w. im Flusswasser nicht entscheidend, da hierdurch der
                                 											Ursprung der organischen Materie, aus welcher
                                 										diese Verbindungen entstanden sind, nicht aufgeklärt wird, wenn auch immerhin
                                 										das reichliche Vorhandensein dieser Endproducte Verdacht erregen muss. Ausserdem
                                 										stehen aber noch manche organische Materien dieser Art auf der Grenze zwischen
                                 										Fäulniss und Oxydation; gerade derartige intermediäre Stoffe sind es nun, welche
                                 										auf chemischem Wege sehr schwierig zu ermitteln sind, dem Wasser aber höchst
                                 										nachtheilige Eigenschaften verleihen, wenn es vom thierischen Organismus
                                 										aufgenommen wird. Dass auch specifische Krankheitskeime den Fäcalstoffen noch
                                 										anhalten und sich durch Vermittlung des Wassers dem thierischen Organismus
                                 										mittheilen können, ist eine Thatsache, die nicht durch die Chemie, sondern durch
                                 										die medicinische Statistik ermittelt worden ist.
                              
                           
                              Die Salubrität der Stadt Cöln würde zwar durch den Ausfluss der Wasserclosets in
                                 										den Rhein einstweilen nicht gefährdet werden, da die städtischen Wasserwerke ihr
                                 										Wasser dem Rheine oberhalb der Stadt entnehmen; ob und in wie fern aber die
                                 										Fluss abwärts gelegenen Ortschaften werden benachtheiligt werden, lässt sich im
                                 										Voraus nicht näher bestimmen. Nur so viel steht fest, dass sich nach den
                                 										bisherigen Erfahrungen nichts Bestimmtes darüber sagen lässt, wann und wo die sogen.
                                 											Selbstreinigung der Flüsse, d.h. Oxydation der
                                 										im Flusswasser enthaltenen organisch-thierischen Materien, zum Abschluss
                                 										gelangt. Es gibt
                                 										nämlich sehr verschiedene Einflüsse, namentlich die verschiedene Beschaffenheit
                                 										der Abwässer der Industrie, die Natur der Flusssohle, die Seiten-Einflüsse
                                 										anderer Wasserläufe u.s.w., welche begünstigend oder nachtheilig auf diese
                                 										Selbstreinigung einwirken können. Die bezüglichen Untersuchungen in England
                                 										haben ergeben, dass selbst der Lauf eines Flusses von 115km zur Umwandlung der organischen Materie
                                 										nicht ausreicht, so dass die Selbstreinigung der Flüsse niemals zu sichern
                                 										Schlüssen berechtigt. Nun steigt freilich mit der Grösse des Flusses auch die
                                 										Wirkung des Sauerstoffes auf die Oxydation der organischen Materien; auch würde
                                 										beim Rhein sicher eine lange Reihe von Jahren erforderlich sein, ehe sich die
                                 										Nachtheile bemerkbar machen würden, Reiche sich bei kleineren Flüssen bis zur
                                 										Vernichtung alles aquatischen Lebens einstellen können. Wir halten es jedoch für
                                 										unstatthaft, mit der öffentlichen Gesundheit zu experimentiren und ein
                                 										Verfahren, das grundsätzlich stets zu verwerfen ist, nur deshalb zu dulden, weil
                                 										es auf eine bequeme und weniger kostspielige Weise die Fäcalstoffe aus den
                                 										Städten entfernt; schliesslich muss t-S doch zu Repressivmassregeln kommen, wie
                                 										es die Geschichte der Vergangenheit und Gegenwart lehrt. Gerade die neuesten
                                 										Erfahrungen, welche man auch bei grösseren Flüssen, z.B. bei der Themse, nach
                                 										dem Einflüsse der städtischen Spüljauche gemacht hat, sollten um so mehr von
                                 										weiteren Versuchen dieser Art abschrecken, als auch beim Rhein zeitweilig ein
                                 										niedriger Wasserstand längere Zeit bestehen kann, welcher dann möglicherweise
                                 										durch die Ansammlung von Fäcalstoffen im Schlamm der Flusssohle oder an flachen
                                 										Uferstellen noch weit nachtheiliger einwirken könnte, als die weit rascher
                                 										übergehende Ebbe eines Flusses. Ganz besonders ist aber noch hervorzuheben, dass
                                 										beim Einfluss der Spüljauche in die Flüsse niemals eine sofortige Vermischung
                                 										derselben mit dem Flusswasser eintritt; die Spüljauche verfolgt vielmehr ihre
                                 										eigene Bahn und ist als solche noch auf längere oder kürzere Strecken im
                                 										Flusswasser erkennbar. Um so mehr sind alle Berechnungen über die sofortige
                                 										Vermischung der Spüljauche mit dem Flusswasser unzutreffend, als gerade die
                                 										Verhältnisse der grösseren Flüsse nicht die directe Einleitung des Kanalinhaltes
                                 										in die grösste Strömung derselben gestatten. Wenn es durch die Erfahrung
                                 										festgestellt ist, dass die giftigen Abwässer der Fabriken nach ihrem Einflüsse
                                 										in die Flüsse nicht sofort durch Verdünnung unschädlich Werden und selbst dann
                                 										noch an ihren schädlichen Eigenschaften erkennbar sind, nachdem sie mit dem
                                 										Flusswasser weiter fortgespült sind, so kann auch darüber kein Zweifel
                                 										herrschen, dass die organischen Materien der Spüljauche weit länger im Wasser
                                 										suspendirt bleiben, bevor sie durch Niederschlag oder Auflösung ihre Qualität
                                 										verändern, während ihre Oxydation, wie schon nachgewiesen worden, eine noch
                                 										längere Zeit in Anspruch nimmt.
                              
                           
                              Die neuesten Untersuchungen über mehrere Flüsse in den Vereinigten Staaten von
                                 										Nordamerika haben zwar ergeben, dass einzelne Flüsse sich unter besonders
                                 										günstigen localen Einflüssen einer Menge organischer Stoffe entäussern konnen;
                                 										trotzdem ist man aber auch dort zu der Ueberzeugung gelangt, dass einer weiteren
                                 										Verunreinigung der Flüsse auf dem Wege der
                                    											Gesetzgebung entgegengewirkt werden müsse und geeignete Vorkehrungen zu
                                 										treffen seien, um grösseren Uebelständen, welche bei der Zunahme der Population
                                 										und Industrie unvermeidlich sind, in wirksamer Weise vorzubeugen.
                              
                           
                              Es ist die Aufgabe der öffentlichen Gesundheitspflege, die Fäcalstoffe zweckmässig
                                 										wegzuräumen, aber von den Wasserläufen fern zu halten, damit auch dem
                                 										Flusswasser seine grosse Bedeutung bewahrt bleibe und dessen Brauchbarkeit für
                                 										die Wasserversorgung der Städte und Ortschaften in keiner Weise geschmälert
                                 										werde.
                              
                           
                              Aus allen diesen Gründen müssen wir uns grundsätzlich
                                 										dahin aussprechen, dass das Project der Abführung aller menschlichen Excremente
                                 										in Cöln aus den Wasserclosets in die städtischen Kanalisationsanlagen und durch
                                 										diese in den Rhein in sanitätspolizeilicher Hinsicht dem grössten Bedenken
                                 										unterliegt und unter den gegenwärtigen Verhältnissen auch nicht als Provisorium
                                 										zu gestatten ist. Die Uebelstände, welche in den vorhandenen Abtrittsgruben
                                 										Gestehen und die Salubrität der Stadt Cöln gefährden (welche aber nach §. 4 der
                                 										Polizeiverordnung vom 10. Juli 1876 nicht einmal beseitigt werden würden, da die
                                 										Abtrittsgruben danach mit den Entwässerungsanlagen nicht verbunden werden
                                 										dürften) verkennen wir ebenso wenig, wie das dringende Bedürfniss nach einer
                                 										Abhilfe gerade dieser Uebelstände. Durch welche Mittel und Wege aber diese
                                 										Abhilfe herbeizuführen ist, vermögen wir nicht weiter zu erörtern, weil es
                                 										bisher noch an allen auf die systematische Entwässerung und Reinigung der Stadt
                                 										Cöln hinzielenden Vorarbeiten fehlt.“
                              
                           Zunächst ist zu bedauern, dass in diesem Gutachten und der sich darauf stützenden
                              									Ministerialentscheidung es nicht deutlich ausgesprochen ist, ob nur dasjenige
                              									städtische Kanalwasser, welches die Abflüsse der Wasserclosets, also alle menschlichen Excremente aufgenommen hat,
                              									grundsätzlich von den Flüssen fern gehalten werden soll, oder auch das Abwasser der
                              									Städte mit sogen. Abfuhr. Zur Klärung dieser wichtigen Frage möge daran erinnert
                              									werden, dass 100000 Menschen jährlich 3317t Fäces
                              									liefern (vgl. 1873 210 144), darin 48t,9 Stickstoff und 68t,7 Phosphate, entsprechend einem Werthe von 118410 M., wenn 100k Stickstoff zu 2 M., 100k Phosphate zu 0,3 M. gerechnet werden; ferner
                              										42829t Urin mit 348t,2 Stickstoff und 172t,5 Phosphate, entsprechend 748150 M. Nun wird aber erfahrungsgemäss beim
                              									Stuhlgang nur etwa ⅙ des Urins gelassen, ⅚ gelangt in die Pissoire, Nachtgeschirre
                              									u. dgl., somit wohl fast ausnahmslos mit dem Waschwasser zusammen in die
                              									öffentlichen Kanäle, da es gar nicht durchführbar ist, dass die Dienstboten beim
                              									Reinigen der Schlafzimmer Nachtopf und Schmutzwasser getrennt halten. In den
                              									Abtrittskübeln oder den Liernur'schen Vorrichtungen
                              									werden daher nur 10455t menschlicher Excremente
                              									mit 106t,9 Stickstoff gesammelt, welche unter
                              									Berücksichtigung des Kalis im Urin einem Werth von etwa 244000 M. entsprechenentprechen. Dagegen sind praktisch die übrigen 35700t Urin mit 290t Stickstoff nicht von den
                              									Kanälen fern zu halten; rechnet man dazu die sonstigen flüssigen Haus- und
                              									gewerblichen Abfälle, so stehen den gesammelten 107l gut 500t Stickstoff gegenüber, die
                              									nicht zur Abfuhr gelangen.
                           Zu demselben Resultat kommt man durch folgende Betrachtung. Rechnet man auf einen
                              									Einwohner 500m, so nimmt eine Stadt mit 100 000
                              									Einwohnern einen Flächenraum von 500ha ein. Bei
                              									einer mittlern Regenhöhe für Deutschland von 67cm
                              									gibt dies jährlich 3350000 Regenwasser, von denen etwa 2000000t den Kanälen zufliessen, während das übrige
                              									einsickert oder verdunstet. Bezüglich des Hauswassers ist zu erwägen, dass, wo
                              									Wassermesser eingeführt sind, sich in Deutschland meist nur ein Wasserverbrauch von
                              									etwa 60l ergeben hat, welcher aber an Orten ohne
                              									derartige Beschränkung 100l übersteigt. Als
                              									Durchschnitt ist für Haus und Gewerbe ein Verbrauch von gut 150l für den Kopf zu rechnen. Somit ist durch die
                              									Kanäle abzuführen: Regenwasser 2000000, Haus- und Gewerbeabwasser 5400000, Urin
                              									35700, zusammen also: 7435700t. Nun enthält aber
                              									das Kanalwasser aus 15 Städten ohne Wasserclosets im
                              									Durchschnitt 65mg Stickstoff in 1l, obige Menge daher rund 500t; unter Berücksichtigung des Kalis und der
                              									Phosphorsäure entsprichtentpricht dieses rund 1200000 M., während die durch Aborte gesammelten und durch
                              									geregelte Abfuhr möglicherweise zu beseitigenden Excremente nur einen theoretischen
                              									Werth von 244 000 M. haben. Dem entsprechend hat denn auch die Untersuchung gezeigt,
                              									dass das Kanalwasser aus 15 Städten mit Mistgruben im Durchschnitt fast genau
                              									dieselbe Zusammensetzung zeigte als aus 16 Städten mit Wasserclosets (vgl. 1874 211 226). Wenn nun behauptet wird, die Krankheitskeime
                              									seien namentlich in den Fäces enthalten, daher müssten gerade diese von den Flüssen
                              									entfernt gehalten werden, so ist dagegen zu bemerken dass Kranke den Abort nicht zu
                              									benutzen pflegen. Die Gefässe, welche a Abgänge der Kranken aufnehmen, müssen
                              									möglichst rasch entleert und gereinigt werden und dies geschieht eben wieder unter
                              									dem Hahn der Wasserleitung, so dass die Fäces der Kranken und kleinen Kinder
                              									gewöhnlich in die Kanäle gelangen. Wenn demnach praktisch ⅚ der faulenden Stoffe
                              									nicht von den Kanälen entfernt gehalten werden, so wird vom Standpunkt der
                              									öffentlichen Gesundheitspflege auch gegen das letzte Sechstel des Wasserclosets kein
                              									besonderes Bedenken erhoben werden können, da nur durch Wasserspülung die
                              									menschlichen Excremente sicher aus der Nähe der Wohnungen entfernt werden können,
                              									bevor sie in Fäulniss übergehen.
                           
                           Sollen die Flüsse wirklich rein gehalten werden, nun so ist der Einlauf sämmtlicher Schmutzflüssigkeiten zu verbieten; es ist
                              									dann auch dafür zu sorgen, dass nicht jedes Dorf den durchfliessenden Bach als
                              									willkommenen Abflusskanal für die sämmtlichen flüssigen Abfälle benutzt, so dass
                              									unsere Flüsse schon von der Quelle an beschmutzt werden. Der Unterschied liegt nur
                              									darin, dass auf dem Lande jeder für sich die Verunreinigung vornimmt, während dies
                              									von den Städten durch einen Kanal, also viel leichter in die Augen fallend
                              									geschieht.
                           Offenbar ist das Verlangen der wissenschaftlichen Deputation, die Kanalwässer zu
                              									reinigen (was eben nur durch die Berieselung wirksam geschehen kann), bevor sie in
                              									die Flüsse abgeleitet werden, theoretisch durchaus
                                 										berechtigt; ob aber das strenge Festhalten an diesem idealen Standpunkt
                              									augenblicklich gerade praktisch ist, erscheint
                              									zweifelhaft. Es gibt eben noch recht viel Orte, die wohl eine Reinigung und
                              									Trockenlegung des Bodens durch Kanäle vornehmen wollen, die aber vor gleichzeitiger Anlage von Rieselfeldern
                              									zurückschrecken, sei es, dass dieselben augenblicklich nicht zu beschaffen sind, sei
                              									es aber auch, dass es den städtischen Behörden an Einsicht fehlt, dass die Besserung
                              									der Gesundheitsverhältnisse einer Stadt selbst mit den grössten finanziellen Opfern
                              									nicht zu theuer bezahlt ist (vgl. 1874 211 223). Die
                              									Bewohner werden somit gezwungen, ihre gesammten Schmutzflüssigkeiten in
                              									Versickerungsgruben zu bringen und so den Boden, auf welchem ihre Häuser stehen, in
                              									abscheulichster Weise zu verunreinigen. Die vorhin erwähnten Massen, welche auf dem
                              									Acker sehr rasch unschädlich gemacht würden, gehen in solchem durchsumpften Boden in
                              									Fäulniss über, die Fäulnissproducte aber verderben theils das Grundwasser, zum
                              									grössten Theil aber mischen sie sich der Grundluft bei und dringen damit in die
                              									Häuser. Es wird eben leider noch immer viel zu wenig beachtet, in welcher Weise
                              									unsere Häuser die Bodeluft ansaugen. Forster hat
                              									gezeigt, dass die Luft in einem Parterrezimmer 50 Proc. und im 1. Stock noch 38
                              									Proc. Kellerluft enthielt, dass somit die Luft in unseren Wohnungen in beständigem
                              									Verkehr mit der Kellerluft und somit auch mit der Grundluft unter unseren Füssen
                              									steht. Auch Pettenkofer
                              									Pettenkofer: Vorträge über Kanalisation und
                                       												Abfuhr, S. 24 und 74. hebt hervor, dass die Zimmerluft
                              									namentlich im Winter 10 bis 15 Proc. Bodenluft enthält. Nun bedarf aber der Mensch
                              									täglich etwa 9000l oder 11k,5 atmosphärische Luft zum Athmen; dass es da im
                              									hohen Grade schädlich sein muss, wenn diese Luft mit Fäulnissstoffen geschwängert
                              									ist, liegt auf der Hand.
                           Vor allen Dingen ist es daher nöthig, dass die Städte selbst
                                 										rein werden, was eben wirksam nur durch eine gute Kanalisation geschehen
                              									kann. Wo daher eine Stadt an einem grösseren Flusse liegt, möge man ihr doch ja die
                              									Ausführung einer allgemeinen Kanalisation dadurch erleichtern, dass sie ihre
                              									Abwasser (mit oder ohne
                              									Wasserclosets) vorläufig in den Fluss lassen darf.
                              									Inzwischen würde es dann in hohem Grade wünschenswerth sein, wenn das
                              									Reichgesundheitsamt die deutschen Flüsse untersuchte, namentlich auch den Einfluss
                              									der städtischen und Industrie-AbfallstoffeVgl. Ferd. Fischer: Verwerthung der städtischen und
                                       												Industrie-Abfallstoffe, mit besonderer Rücksicht auf Desinfection.
                                       												Städtereinigung und Berieselung. (Leipzig, 1877. Quandt und Händel.) auf das
                              									Flusswasser genau feststellte und auf Grund der so erhaltenen Resultate allmälig auf die allgemeine Durchführung der
                              									Berieselung hinwirkte. Vorläufig ist es jedenfalls viel besser, ein Fluss wird etwas
                              									mehr, als es bisher schon geschieht, verunreinigt,
                              									selbst wenn einige Fische absterben sollten, als dass in Folge der mangelnden Kanäle
                              										jährlich Tausende von Menschen hinsiechen.
                           
                              
                                 F.