| Titel: | Die Rothgerberei und die Mineralgerbung; von Gottfriedsen und Comp. in Braunschweig. | 
| Fundstelle: | Band 229, Jahrgang 1878, S. 180 | 
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                        Die Rothgerberei und die Mineralgerbung; von
                           									Gottfriedsen und Comp.
                           								in Braunschweig.
                        Gottfriedsen, über die Rothgerberei und die
                           								Mineralgerbung.
                        
                     
                        
                           Der Redacteur der Halle aux cuirs in Paris erhielt vor
                              									einiger Zeit einige Proben von eisengarem Leder (Knapp's Deutsches Reichspatent Nr. 444 vom 21. Juli 1877; vgl. 1878 227 86 und 185) aus der Versuchsstation von Gottfriedsen und Comp. in Braunschweig; er hielt den
                              									Gegenstand für wichtig genug, die Proben dem Urtheil der ersten Autorität Hrn. Müntz, Vorstand des landwirthschaftlich-chemischen
                              									Laboratoriums am Conservatoire des Arts et Métiers in
                              									Paris zu unterbreiten. In demselben Gerberjournal (Halle aux
                                 										cuirs) vom 10. Januar d. J. ist Müntz dem
                              									Wunsche des Redacteurs mit einem Gutachten nachgekommen, welches, als
                              									charakteristischer Ausdruck der herrschenden Anschauungen über die Gerberei
                              
                              									überhaupt und in dieses Fach einschlagende Fragen, auch in Deutschland nähere
                              									Kenntniſsnahme verdient.
                           In dem Gutachten von Müntz ist nirgends von den
                              									praktisch wichtigen Eigenschaften des neuen Leders, wie Schnitt, Gefüge, Haltbarkeit
                              									als Fuſsbekleidung etc., die Rede. Ob man Schuhe und Sohlen daraus machen kann, oder
                              									gemacht hat, wie sie sich getragen haben, sind als nicht zur Sache gehörige Fragen,
                              									bei Seite gelassen. Müntz bringt die Angelegenheit
                              									vielmehr mit einem Schlag vor das Forum der Theorie; folgen wir ihm dahin Schritt
                              									für Schritt. Als Ausgangspunkt und maſsgebendes Axiom stellt er den Satz an die
                              									Spitze: das wahrhaftige echte Leder ist stets eine chemische Verbindung des
                              									Hautgewebes mit dem Gerbestoff; jede blos mechanische oder physikalische Vereinigung
                              									beider ist nur Scheinleder ohne eigentlichen Werth für die Anwendung. Diesem Axiom
                              									gemäſs handelt es sich für Müntz nur um die eine Frage,
                              									die alles andere überflüssig macht: Ist das eisengare Leder eine chemische
                              									Verbindung? Er entscheidet diese Frage durch Zersetzung mit Säure; denn, was sich
                              									mit Säure zersetzt, ist nach Müntz keine chemische
                              									Verbindung. Seine Analyse besteht darin, daſs er dem (Sohl-) Leder zunächst etwas
                              									Fett mit Aether entzieht und es dann mit verdünnter Säure behandelt. Es entsteht
                              									eine Lösung von Eisenoxyd, ein anderer Antheil bis dahin gebundenes Fett wird frei,
                              									und bleibt das entgerbte Hautgewebe als Rückstand. Die an das Eisenoxyd im Leder
                              									gebundene Schwefelsäure ist zwar übersehen, doch hat es im Ganzen mit dem Befunde
                              									seine Richtigkeit; nur steht dem Ergebniſs keinerlei Beweiskraft in der von Müntz gestellten Frage zu. Die Säure ist ganz ebenso
                              									gut im Stande, aus einer chemischen, wie aus einer mechanischen Verbindung Eisen
                              									auszuziehen, wie hundertfältige Erfahrungen lehren. Ist etwa kieselsaures Eisenoxyd
                              									keine chemische Verbindung, weil ihm Salzsäure das Eisen entzieht? Der Versuch von
                              										Müntz mit dem eisengaren Leder spräche sogar mehr
                              									für als gegen eine chemische Verbindung; denn er ist ohne Zweifel nur mit der
                              									Anwendung von Säure vorgegangen, weil er diesem Leder mit Wasser nichts anhaben
                              									konnte. Müntz nimmt jedoch keinen Anstand, aus seiner
                              									Analyse kurzweg den Schluſs zu ziehen: Im eisengaren Leder ist das Eisenoxyd
                              									enthalten „sans combinaison aucune“ also ist es
                              									überhaupt kein Leder und als solches nicht zu gebrauchen. Dem eisengaren Fahlleder
                              									insbesondere ergeht es noch weit schlimmer; nach Müntz
                              									ist darin das Eisenoxyd „uniquement dissout dans la
                                    											matiére grasse.“ Eine Auflösung von Eisenoxyd in Fett! Dies ist
                              									denn doch eine zu hohe Meinung von der Kunstfertigkeit der Eisengerber.
                           Dies ist in der Kürze, was Müntz von dem eisengaren
                              									Leder zu sagen weiſs. Nach den Regeln wissenschaftlicher Untersuchung sollte man nun
                              									eine Prüfung des lohgaren Leders im Vergleich zum eisengaren erwarten; man sollte
                              									den experimentellen Nachweis von dem entgegengesetzten Verhalten des lohgaren
                              									Leders, man sollte den Beweis erwarten, daſs dieses den chemischen Agentien
                              									widersteht und sich dadurch als chemische Verbindung, als wahres Leder darstellt.
                              										Müntz hat es nicht nöthig, sich auf einen solchen
                              									Nachweis einzulassen, oder eine andere Autorität anzurufen. Daſs das lohgare Leder
                              									eine chemische Verbindung, ist für ihn ein Axiom, welches sich selbst beweist.
                              											„Je ne
                                 										
                                 										m'arreterai pas ici“, so sagt er, „à demontrer une chose si evidente“, ohne auch
                              									nur andeutungsweise über diese Evidenz Ausschluſs zu geben. Aber die Strenge der
                              									wissenschaftlichen Methode begnügt sich nicht mit Autoritäten, sie verlangt
                              									inductive Beweise; Müntz, indem er uns damit im Stiche
                              									läſst, mag uns gestatten, für ihn einzutreten.
                           Das angemessene Agens zur Erprobung der rothgaren Leder kann selbstverständlich –
                              
                              									insofern die vegetabilen Gerbstoffe sich selbst als Säuren verhalten – nicht Säure,
                              									sondern nur ein Alkali sein. In der Literatur ist seit mehr als 30 Jahren bekannt,
                              									daſs Haut, mit Tannin gegerbt, sich gegen verdünnte Soda- oder Ammoniaklösung genau
                              									so verhält, wie eisengares Leder gegen verdünnte Säure, d.h. es gibt seinen
                              									Gerbstoff an das alkalische Wasser ab und wird zu blosem Hautgewebe, welches sich in
                              									siedendem Wasser zu Leim auflöst.
                           Die mit dem Gerbstoff der Eichenrinde gegerbten Leder gelten als widerständiger; aber
                              									ein irgend wesentlicher Unterschied im Verhalten findet nicht statt. Eine Tafel
                              									Sohlleder erster Qualität, von vorzüglichem Schnitt und Ansehen und von 7mm Stärke wog 195g,4 und wurde mit 1,60 M. bezahlt. Ein Abschnitt davon = 8g,2, im Vacuum über Schwefelsäure getrocknet,
                              									verlor 2g,0 Feuchtigkeit, entsprechend 24,4 Proc.
                              									Diese Probe wurde in einem Glascylinder in Wasser, dem man etwas Sodalösung zugefügt
                              									hatte, so eingehängt, daſs sie sich eben unter dem Spiegel der Flüssigkeit
                              									eingetaucht befand. Das alkalische Wasser färbte sich nach einigen Stunden tief
                              									rothbraun und wurde dann durch frisches ersetzt; es muſste so sechsmal gewechselt
                              									werden, bis die Lederprobe erschöpft war und das Wasser farblos blieb. Der
                              									Lederrückstand, in destillirtem Wasser gewaschen und im Vacuum getrocknet,
                              									ergab:
                           
                              
                                 
                                 
                                 g
                                 
                              
                                 Gewicht des trocknen Sohlleders
                                 =
                                  6,20
                                 
                              
                                 Gewicht des entgerbten trocknen Rückstandes
                                 =
                                  3,68
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––
                                 
                              
                                 Abgezogener Gerbstoff
                                 =
                                  2,52,
                                 
                              
                           entsprechend 40,6 Proc. Der entgerbte Rückstand löst sich bis
                              									auf nicht bedeutende Reste unter Auftreten von Gallerte im kochenden Wasser. Leder
                              									aus vegetabilem Gerbstoff ist demnach ebenso oder eigentlich noch leichter
                              									zersetzbar als eisengares; dieses bedarf wenigstens eine freie Säure, während für
                              									jenes schon ein Salz, nämlich kohlensaures Natron, genügt.
                           Müntz schwebte wohl beim eisengaren Leder die Gefahr
                              									vor, wenn sich einer mit den Schuhen in Salzsäure oder Schwefelsäure ergeht. Wie
                              									viel drohender ist die Gefahr bei lohgarer Fuſsbekleidung bei der groſsen
                              									Verbreitung von Ammoniak und Alkalien im Boden. Man denke erst an einen Bauer mit
                              									rindsledernen Schuhen auf der Miststätte, in ammoniakalischer Jauche watend. Wie
                              									sorglos kann der eisengar ausgerüstete Fuſs sich dem Boden anvertrauen, denn sein
                              									Gehalt an Alkalien befestigt sogar die Eisengerbung, und Kohlensäure hat keine
                              									Affinität zu ihr. Die Vereinigung der vegetabilischen Gerbstoffe mit Haut, diese
                              											„union veritablement indissoluble“ ist
                              									in der That mit Leichtigkeit zu lösen; auch das lohgare Leder ist mithin kein wahres
                              									Leder. Noch viel weniger selbstredend sind weiſsgare und sämische Gerbeproducte –
                              									obwohl Müntz auch diesen Punkt mit Stillschweigen
                              									übergeht – kein wahres Leder, nur ein Scheinleder ohne Gebrauchswerth. Wir sind
                              									somit an der Hand der von Müntz aufgestellten Methode,
                              									Schritt vor Schritt in seinen Fuſsstapfen vorgehend, zu dem für das Wesen der
                              									Gerberei ungemein wichtigen Schluſs gelangt: es existirt
                                 										überhaupt kein Leder; was man bisher so nannte, ist leerer Schein, pures
                              									Vorurtheil, Stoff ohne Werth.
                           Doch kehren wir zum Gutachten von Müntz zurück. Als ein
                              									weiteres Rüstzeug und Stütze seiner Ansicht beruft er sich auf die Färberei. Seinem
                              									Scharfblick ist die nahe Beziehung zwischen dieser und der Gerberei nicht entgangen,
                              											„la teinture“, so sagt er, „et le tannage sont des operations, ayant bien des
                                    											analogies.“ Natürlich besteht diese Analogie zwischen Gerberei und
                              									Färberei für ihn darin, daſs die echten Farben chemische Verbindungen des
                              									Farbstoffes mit der Faser, die unechten nur mit Farbstoff beschmierte Faser sind. Da
                              									sich nun die chemische Verbindung nach Müntz durch
                              									Widerstand gegen Agentien, namentlich Säuren, charakterisirt, so ist die Probe unschwer zu machen.
                              									Nun, zu der allerechtesten Farbe zählt Türkischroth mit Krapp; aber wie Jedermann
                              									weiſs, genügt bloses Eintauchen in mit Schwefelsäure noch so leicht angesäuerten
                              									Weingeist, um auch diese „union indissoluble“ in
                              									kurzer Zeit zu lösen; die Farbe wird abgezogen, die weiſse Baumwolle ist wieder
                              									hergestellt, genau wie beim eisengaren Leder. Türkischroth ist mithin, wie Müntz zugeben wird, eine völlig unechte Farbe, von
                              									derselben Kategorie wie rothgares und eisengares Leder.
                           Müntz ist übrigens, wie er sich am Schlusse seines
                              									Artikels ausspricht, nicht gemeint, die Mineralgerbung absolut und für alle Zeiten
                              									zu verdammen. Alles, was er verlangt, ist nur chemische Verbindung des Eisenoxydes
                              									mit der Faser; er ertheilt den Rath, wenn es nicht gutwillig gehen will, es mit
                              									Hilfe von Beizen (Mordant) zu zwingen. Sehr wohl, aber Eisenoxyd ist selbst eine
                              									Beize, seine Verbindungen in der Färberei sehr häufig als solche angewendet. Das
                              									eisengare Leder wäre ja somit, was Müntz will, nur eine
                              									mit Eisenbeize befestigte Gerbung. Oder soll man etwa eine Beize mit der andern
                              									befestigen?