| Titel: | Notizen aus dem Gebiete der Soda-Industrie; von G. Lunge. | 
| Autor: | Georg Lunge [GND] | 
| Fundstelle: | Band 231, Jahrgang 1879, S. 443 | 
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                        Notizen aus dem Gebiete der Soda-Industrie; von
                           									G. Lunge.
                        (Nachtrag zu S. 349 dieses Bandes.)
                        Lunge, Notizen aus dem Gebiete der Soda-Industrie.
                        
                     
                        
                           Während der Correctur obiger Mittheilungen erschien in den Berichten der
                                       												deutschen chemischen Gesellschaft, 1879 Bd. 12 S. 206
                                 									ein Bericht über ein englisches Patent von Th. Schlösing (Nr.
                              									643 vom 13. Februar 1878), welcher mich zu folgenden Bemerkungen veranlaſst. Das
                              									Patent bezieht sich auf die Abscheidung von Dämpfen aus
                                 										Gasen oder anderen Dämpfen, womit jene gemischt sind, und stellt alle
                              									unsere bisherigen Begriffe über diesen Gegenstand so vollständig auf den Kopf, daſs
                              									eine ernsthafte Widerlegung der darin enthaltenen Behauptungen völlig unnöthig wäre,
                              									wenn es nicht den Namen eines so berühmten Chemikers im Titel trüge, und wenn nicht
                              									die ziemlich ausführliche Beschreibung in den Berliner
                                 										Berichten ohne allen Commentar gegeben wäre.
                           Bisher hat man die Grundlage jeder guten Salzsäure-Condensation (um zunächst von
                              									dieser als der Hauptsache zu reden) in möglichst guter Abkühlung der Gase vor und
                              									womöglich auch während der eigentlichen Condensation, d.h. der Absorption durch
                              									Wasser, gesucht. Je mehr man kühlt, desto besser condensirt man; also z.B. im Winter
                              									immer erheblich besser als im Sommer. Schlösing
                              									behauptet nun, daſs diese (in jeder Sodafabrik täglich gemachte) Erfahrung ganz
                              									falsch sei, die Abkühlung beraube die in dem umgebenden Medium gewissermaſsen
                              									suspendirten Körper der Dampfspannung, so daſs sie allein in Folge des mechanischen
                              									Stromes auf langem Wege mit den Absorptionsmitteln in Berührung kommen, während
                              									andererseits, wenn Tension vorhanden ist, die Absorption selbst eine continuirliche
                              									Strömung des wuchtigen Körpers nach den Absorptionsflächen bewirkt.
                           Schlösing's Erfindung besteht nun darin, die Temperatur
                              									der Körper (worunter man eben immer nur die zu absorbirenden, also hier
                              									Chlorwasserstoff, verstehen muſs) so hoch zu halten, daſs sie eine gewisse
                              									Dampfspannung behalten; hierdurch werde die Absorption so befördert, daſs man die
                              									Apparate erheblich vereinfachen und verkleinern könne. Die Temperatur der
                              									Salzsäure-haltigen Gasmischung vor dem Eintritt in den Condensirthurm solle
                              									bedeutend über 100° sein und der Zufluſs des Wassers so regulirt werden, daſs die
                              									Temperatur im Innern des Thurmes auf 100° steige und das Wasser ebenfalls beinahe diese Temperatur annehme.
                              									Dennoch absorbire es so viel Salzsäure, daſs das stabile Hydrat von 108° Siedepunkt,
                              									mit 18,5 Proc. HCl, entstehe. Die Thürme können 10, ja 20 mal kleiner sein, als dies
                              									jetzt der Fall ist, und dennoch entweicht nicht die geringste Spur Salzsäuregas.
                           Man traut kaum seinen Augen, wenn man alles dies liest. Der einzige Sinn der ganzen
                              									Erfindung kann doch nur der sein, feste oder flüssige, in einem Gasstrom absorbirte
                              									Körper durch Temperaturerhöhung zu vergasen, um eine „Strömung nach den
                                 										Absorptionsflächen“ herzustellen. Aber Chlorwasserstoff ist doch wahrlich
                              									nicht in diesem Falle; die Abkühlung kann ihn nicht „seiner Dampfspannung
                                 										berauben“, denn bei + 10° ist seine Spannkraft noch = 40at! Von der wässerigen Salzsäure kann der Erfinder
                              									nicht reden, denn diese braucht nicht mehr condensirt und durch eine „Strömung
                                 										nach den Absorptionsflächen“ geführt zu werden. Ferner wird bekanntlich
                              									durch die Absorption der Salzsäure an Wasser sehr viel Wärme frei, und wenn das
                              									Wasser schon nahezu 100° hat, so wird eben in Folge dessen, weil seine Temperatur
                              									noch mehr erhöht wird, seine Absorptionsfähigkeit für Salzsäure auf ein Minimum
                              									herabsinken, eventuell, es wird die wässerige Salzsäure aus dem Thurme
                              									herausdestilliren und in einem besonderen, erkälteten
                              									Apparat condensirt werden müssen, an welchen aber der Erfinder augenscheinlich
                              									durchaus nicht denkt. Das stabile Hydrat (dessen Siedepunkt übrigens nach Roscoe 110° und dessen Gehalt 20,24 Proc. ist, also
                              									etwas höher als Schlösing angibt) ist für die meisten
                              									technischen Verwendungen der Salzsäure viel zu schwach; doch ist dieser Umstand kaum
                              									erwähnenswerth gegenüber den anderen Monstrositäten des Patentes, deren kleinste
                              									nicht die Behauptung von der Reduction des Condensationsraumes auf ein Zwanzigstel
                              									ist.
                           Die anderen Abenteuerlichkeiten des Patentes seien nur ganz kurz berührt.
                              									Schwefelsäure solle man so absorbiren, daſs man die Gase mit einer Temperatur von
                              									300 bis 400° in ein mit Kochsalzstücken gefülltes Gefäſs treten lasse; unten flieſst
                              									geschmolzenes Sulfat aus, oben entweichen Salzsäuredämpfe und werden wie oben
                              									condensirt (oder auch nicht!). – Nach den neuesten Bestimmungen von Carnelley (1878 230 450) schmilzt Natriumsulfat bei
                              									865°, Kochsalz aber bei 776°. Wenn wirklich unten geschmolzenes Sulfat ablaufen
                              									soll, so wird die Temperatur dieses „Condensationsapparates“ erheblich höher,
                              									etwa auf 1000° steigen müssen, schon um der Wärmebindung beim Schmelzen zu begegnen,
                              									und das Kochsalz wird also schon viel früher zu einem Klumpen zusammengeschmolzen
                              									sein!
                           Dem Ammoniakgas erlaubt Schlösing bei gewöhnlicher
                              									Temperatur „genügende Spannung“; (es hat aber eine viel geringere Spannung
                              									als Chlorwasserstoff, nämlich bei 15,5° nur 6at,9); dagegen soll die Verbindung des Ammoniaks mit Kohlensäure bei
                              									gewöhnlicher Temperatur keine Spannung haben, und man solle deshalb den Absorptionsapparat auf 120 bis
                              									130° erwärmen!
                           Hiermit sei es genug; man darf wohl kühnlich annehmen, daſs der Theophile Schlösing aus Paris, welcher dieses Patent
                              									genommen hat, mit dem berühmten Chemiker ganz gleichen Namens und Wohnortes nichts
                              									als dieses gemein hat.