| Titel: | Bewegliche Stehbolzen für Locomotivkessel, System E. Siegmeth und E. Wehrenfennig. | 
| Autor: | Wilman | 
| Fundstelle: | Band 233, Jahrgang 1879, S. 26 | 
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                        Bewegliche Stehbolzen für Locomotivkessel, System
                           									E. Siegmeth und
                           									E.
                              								Wehrenfennig.
                        Mit Abbildungen auf Tafel 5.
                        Siegmeth u. Wehrenfennig's bewegliche Stehbolzen für
                           								Locomotivkessel.
                        
                     
                        
                           Die ungleichmäſsige Ausdehnung verschiedener mit einander verbundener Kesselpartien,
                              									dieser den Todeskeim so vieler Kesselsysteme in sich bergende Uebelstand, macht sich
                              									nirgends zerstörender geltend als bei den Feuerbüchsen unserer Locomotiven. Aber so
                              									sehr entspricht diese Construction im übrigen allen Anforderungen der
                              									Locomotivmaschine, daſs sie dessen ungeachtet fast unverändert in ihrer
                              									ursprünglichen Gestalt erhalten blieb und bis jetzt allen radicalen
                              									Aenderungsversuchen trotzen konnte. Es gewinnt daher jedes Mittel, welches den
                              									schädlichen Einfluſs ungleicher Wärmeausdehnung zu vermindern gestattet, erhöhte
                              									Bedeutung und so empfiehlt sich die neue Stehbolzen-Construction der Ingenieure Siegmeth und Wehrenfennig
                              									(Oesterreichische Nordwestbahn in Wien) noch specieller dem allgemeinen
                              									Interesse.
                           Der Construction dieser Stehbolzen ging ein gründliches Studium des Wesens der in den
                              									Locomotivkesseln zerstörend wirkenden Kräfte voraus, und so möge auch uns gestattet
                              									sein, die Resultate jahrelanger Erfahrungen und Versuche der Erfinder
                              									zusammenfassend, zunächst eine kurze Darlegung der durch die neue Construction zu
                              									bekämpfenden Uebelstände zu geben.
                           Es folgt aus der principiellen Anordnung des Locomotivkessels, daſs die Feuerbüchse,
                              									welche den Rost aufnimmt und die Verbrennungskammer der Locomotive bildet, von allen
                              									Kesseltheilen die höchste Temperatur annimmt. Ihr zunächst kommen die von der
                              									Feuerbüchsen-Rohrwand ausgehenden Siederohre, dann die Rauchkammer, während die
                              									Bleche des Rundkessels und des Büchsenmantels die niedrigste Temperatur bewahren.
                              									Ungleiche Temperaturen bedingen ungleiche Materialdehnungen; diese aber können sich,
                              									bei der festen Verbindung aller Theile, nicht anders
                              									als durch Deformationen geltend machen. Von deren Gröſse gibt die Thatsache, daſs
                              									sich der äuſsere Kesselmantel bei etwa 6m Länge
                              									beim Anheizen jedesmal um 8 bis 10mm verlängert,
                              									ein drastisches Bild, denn selbstverständlich erfahren die inneren Kesseltheile, bei
                              									mindestens doppelt so hoher Temperatur, auch eine doppelte Längendehnung, deren
                              									Differenz gegenüber der Streckung des äuſseren Kessels sich ausschlieſslich durch
                              									Deformationen gellend machen muſs. Dieselben vertheilen sich auf Siederohre und
                              									Feuerbüchse und drücken sich bei den ersteren, zunächst durch Krummbiegen der langen
                              									Rohre, aber auch durch Verschieben ihrer in den Rohrwänden befestigten Enden, sowie
                              									durch Einwärtsbauchen der Rohrwände selbst aus; bei der kupfernen Feuerbüchse
                              									dagegen tritt die eigenthümliche Deformation auf, welche in Fig. 2 Taf.
                              									5 dargestellt ist.
                           Hier können die Wandbleche, da sie unten durch den Mantelring und in ihrer ganzen
                              									Fläche durch Stehbolzen fix mit dem äuſseren Kesselmantel verbunden sind (Fig.
                                 										1), ihre Längenvermehrungen unmöglich in localen Ausbauchungen vertheilen,
                              									sondern sie schieben sich, die Stehbolzen mehr und mehr abbiegend, von einer idealen
                              									Mittellinie ausgehend, nach auswärts und ebenso nach aufwärts, bis sich endlich in
                              									den Ecken die sämmtlichen Längenvermehrungen concentriren. Dadurch entstehen dann
                              									hier die eigenthümlichen, in Fig. 2 grell
                              									gezeichneten Schleifenbildungen, welche das ganze Zerstörungswerk der
                              									Deformationsarbeit klarstellen. Die Stemmkante der durch die Nietnaht versteiften
                              									Vorder- und Hinterwand klemmt sich, der Schleifenbildung möglichst folgend, in die
                              									Stemmfuge der Büchsenseitenwand ein und so entstehen bei a (Fig. 2) die
                              										„Stemmfugenrisse“; im Buge selbst wird durch das unaufhörliche Wechseln
                              									der Schleife das Material zerstört und es bilden sich die sogen. „Bugrisse“
                              										(b
                              									Fig.
                                 										2); im äuſseren Bleche endlich findet aus gleichen Ursachen in Verbindung
                              									mit dem Abwürgen der ganzen verticalen Stehbolzenreihe gleichfalls eine
                              									Zerbröckelung des Materials statt (c
                              									Fig.
                                 										2), welche sich übrigens bei den Eisenblechen des Mantels seltener in
                              									Rissen als in Corrosionsfurchen geltend macht. Daſs schlieſslich die Stehbolzen
                              									abbrechen, und zwar zunächst bei den Bügen, ist eine weitere Folge.
                           Alle diese Erscheinungen entspringen so naturgemäſs der ganzen Construction des
                              									Locomotivkessels, daſs sie zu vermeiden absolut
                              									unmöglich ist; unser Streben kann daher nur darauf gerichtet sein, sie möglichst zu
                              										vermindern.
                           Dies geschieht bei neueren Ausführungen dadurch, daſs die Eckbüge möglichst groſs
                              									gemacht und die äuſsersten Stehbolzenreihen so weit von denselben entfernt werden,
                              									als es aus Festigkeitsgründen überhaupt noch möglich ist; doch bedingt dies
                              									einerseits bei den Rohrwänden eine empfindliche Einbuſse in der Zahl der
                              									unterzubringenden Rohre, andererseits insofern eine gewisse Gefahr, als die
                              									ungünstig beanspruchten äuſsersten Stehbolzen früher oder später doch brechen müssen
                              									und dann eine zu groſse Fläche unversteift lassen, so daſs bei nicht rechtzeitiger
                              									Abhilfe eine Explosion erfolgen kann.
                           Daher muſs eine Construction, welche die Deformationsarbeit auf eine gröſsere Fläche
                              									zu vertheilen gestattet, ohne dieselbe deshalb unversteift zu lassen, als die
                              									einzige richtige Lösung erscheinen, und als solche betrachten wir thatsächlich das neue
                              									Stehbolzensystem von Siegmeth und Wehrenfennig. Hier behält der Stehbolzen, wie ihn Fig.
                                 										3 Taf. 5 darstellt, vollständig den Charakter einer das Ausbauchen der
                              									Bleche verhindernden Zugstange und gestattet dennoch die seitliche Verschiebung des
                              									Kupferboxbleches gegenüber dem Mantelbleche, sowie ein Näherrücken des Kupferbleches
                              									an das Mantelblech, wie dies nach Fig. 2
                              									thatsächlich zur Schleifenbildung erforderlich wird. Der Stehbolzen, welcher von
                              									jeder seitlichen Beanspruchung frei und ausschlieſslich auf Zug beansprucht ist,
                              									kann entsprechend leichter gehalten werden und verspricht unbegrenzte Dauer, während
                              									die Deformationen der Büchsenbleche allerdings nicht aufgehoben, aber ganz
                              									wesentlich vermindert werden. Indem nämlich die jedem Buge beiderseits zunächst
                              									liegende Stehbolzenreihe, sowie rationeller Weise auch der äuſserste Kranz der
                              									Deckenschrauben nach dem neuen System hergestellt wird, so vermehrt sich die der
                              									Deformationsarbeit zugängliche, zur Schleifenbildung zugezogene Blechlänge auf das
                              									drei- und mehrfache ihres früheren Werthes und verlangsamt sich entsprechend die
                              									zerstörende Wirkung dieser Vorgänge. Die übrigen Stehbolzen und Deckenschrauben
                              									werden in der bisherigen Weise fest eingezogen.
                           Ueber die in Fig. 3
                              									dargestellte Construction ist noch zu bemerken, daſs der selbstverständlich aus
                              									Eisen oder Stahl hergestellte Stehbolzen am einen Ende ein Gewinde angeschnitten, am
                              									anderen einen viereckigen Kopf angeschmiedet erhält, um welchen, nachdem er mit
                              									einer Lehmschicht umgeben ist, eine Metallhülse gegossen wird. Mit dieser wird er
                              									von der Feuerbüchsenseite eingeschraubt und von der Mantelseite mittels einer
                              									sphärisch abgedrehten Mutter gegen den entsprechenden Sitz eines Futters angezogen,
                              									welches aus Metall oder Eisen hergestellt und in das Mantelblech eingeschraubt ist.
                              									Eine darüber geschraubte Kappe dient zum Abdichten und gestattet jederzeit rasche
                              									Untersuchung des Stehbolzens.
                           Fig.
                                 										4 stellt eine wesentliche Vereinfachung dar, welche noch immer genügende
                              									Beweglichkeit gibt und sich bei praktischen Ausführungen bestens bewährt hat.
                              									Auſserdem läſst sich die Anordnung der Hülsen noch in der verschiedensten Weise
                              									abändern, wie dies durch specielle Umstände erfordert wird und in den Patenten der
                              									Erfinder (vgl. *D. R. P. Nr. 5551 vom 27. November 1878) vorgesehen ist.
                           Seit Ende des vorigen Jahres sind bereits 15 Locomotivkessel verschiedener
                              									Eisenbahnen mit je 40 bis 70 Stück dieser Stehbolzen versehen worden und haben
                              									äuſserst günstige Resultate gezeigt, indem selbst früher entstandene Risse nunmehr
                              									in ihrem Fortschreiten gehindert wurden und nach 5monatlichem Betrieb mit den neuen
                              									Stehbolzen völlig unverändert geblieben waren. Die Kosten der ganzen Umänderung
                              									betragen dabei für je eine Locomotive 250 bis 300 M.
                           Wilman.
                           
                        
                     
                  
               Tafeln
