| Titel: | Ueber neue Farbstoffe; von O. N. Witt. | 
| Fundstelle: | Band 233, Jahrgang 1879, S. 247 | 
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                        Ueber neue Farbstoffe; von O. N. Witt.
                        Witt, über neue Farbstoffe.
                        
                     
                        
                           Aus früheren Versuchen hatte der Verfasser geschlossen, daſs die Farbstoffnatur der
                              									färbenden Verbindungen durch die Anwesenheit zweier Gruppen bedingt sei, deren einer
                              									die Rolle zufiele, das Molecül des Farbstoffes zur Salzbildung als Base oder Phenol
                              									fähig zu machen, deren andere aber die Farbstoffnatur wesentlich bedingte. Dieser
                              									letztern gab er als wahren Farbstoffträger den Namen „Chromophor“. Den
                              									neuesten Untersuchungen Witt's entnehmen wir nach den
                              										Berichten der deutschen chemischen
                                       												Gesellschaft, 1879 S. 932 folgende
                              									Mittheilungen.
                           Behandelt man die Lösungen molecularer Mengen von Anilinchlorhydrat und
                              									Metatoluylendiamin mit gelinden Oxydationsmitteln, wie Eisenchlorid oder
                              									Ferridcyankalium, so findet Farbstoffbildung statt. Viel glatter verläuft die
                              									Reaction, wenn man statt des Anilins das Dimethylparaphenylendiamin anwendet. Die
                              									Gruppe N(CH3)2 kommt
                              									gar nicht zur Geltung und nur die Amidogruppe wird angegriffen, wenn die Lösung
                              									andere Methyl führende Molecüle dem Oxydationsmittel darbietet. Die Verwendung aber
                              									gerade dieser primären Base wurde durch die nachfolgende Ueberlegung geboten.
                           Versuche hatten gelehrt, daſs die zur Erzeugung des neuen Farbstoffes nöthige Menge
                              									Oxydationsmittel 4 At. Wasserstoff auf ein Gemisch von je 1 Molecül der beiden Basen
                              									entspricht. Da nun aber auch 4 At. Wasserstoff nöthig sind, um Nitrosodimethylanilin
                              									in Dimethylparaphenylendiamin überzuführen, so erschien es als möglich, daſs bei
                              									directer Einwirkung von Nitrosodimethylanilin auf Metatoluylendiamin unter Austritt
                              									von Wasser derselbe Farbstoff entstehen würde, den man durch Oxydation obigen
                              									Basengemisches erhält. Der Versuch hat diese Voraussetzungen bestätigt. Vermischt
                              									man die Lösungen molecularer Mengen Metatoluylendiamin und
                              									Nitrosodimethylanilinchlorhydrat in warmem Wasser, so entsteht sofort eine tiefblaue
                              									Lösung, aus der durch Fällung mit Salz und Waschen des abfiltrirten Niederschlages
                              									mit Wasser bis zur wieder beginnenden Lösung der Farbstoff rein dargestellt werden
                              									kann. Die sorgfältigste Vergleichung mit dem durch Oxydation der gemischten Diamine
                              									dargestellten Producte zeigte die vollständige Identität beider.
                           Vermischt man die mit warmem Wasser bereiteten und auf etwa 30° abgekühlten Lösungen
                              									von 36g Nitrosodimethylanilinchlorhydrat (1 Mol.),
                              										24g Metatoluylendiamin in je 0l,5 Wasser, so färbt sich das Gemisch unter
                              									Erwärmung intensiv grün. Die Farbe schlägt alsbald in Tiefblau um und aus der Lösung
                              									scheiden sich beim ruhigen Stehen zunächst warzige, später schön entwickelte, zu
                              									Rosetten vereinigte, flach prismatische, kupferbraun metallisch glänzende Krystalle
                              									aus. Die Ausbeute ist
                              									sehr bedeutend. Aus der Mutterlauge kann mehr von dem Farbstoff gefällt werden.
                              									Verwendet man einen Ueberschuſs von Nitrosodimethylanilinchlorhydrat oder
                              									Toluylendiamin, so läſst sich derselbe ebenfalls unverändert in der Mutterlauge
                              									wiederfinden. Zur Analyse wurden verschiedene Muster verschiedener Darstellungsweise
                              									verwendet. Die Substanz enthält 1 Mol. Krystallwasser, welches erst weit über 100°
                              									entweicht. Die erhaltenen Zahlen stimmen zu der Formel C15H18N4.HC1 + H2O.
                           Der neue Farbstoff löst sich leicht mit kornblumenblauer Farbe in kaltem Wasser,
                              									Alkohol und Eisessig. Spuren von Säuren genügen aber, um diese Lösung in rothbraun
                              									überzuführen (Bildung saurer Salze – Analogie mit Rosanilin); essigsaures Natron
                              									regenerirt das neutrale Salz. Ammoniak und Alkalien fällen die freie Base als
                              									braunes Harz von unerquicklichen Eigenschaften. Beim Liegen an der Luft färbt sich
                              									die Base kupferig, wohl unter Bildung des Carbonates, ähnlich dem Rosanilin.
                           Die Bildungsweise dieses Körpers läſst keinen Zweifel darüber, daſs der Rest des
                              									Dimethylphenylendiamins N(CH3)2.C6H4.N in irgend einer Weise mit dem Reste des
                              									Toluylendiamins in Verbindung steht, ob aber mit einem Stickstoff- oder einem
                              									Kohlenstoffatom oder mit beiden, darüber konnte nur die Reduction des neuen „Toluylenblaus“ Auskunft geben. Die bei so niedriger Temperatur
                              									verlaufende Reaction machte einen Angriff aromatischen Wasserstoffes
                              									unwahrscheinlich. Bewiesen wurde aber dies durch die Thatsache, daſs Phenylendiamin bei gleicher Behandlung mit
                              									Nitrosodimethylanilin erst beim Erwärmen einen Farbstoff erzeugte, der sich von dem
                              									neuen Blau mindestens so stark unterschied, als das Coupier'sche „Gris“ vom Rosanilin.
                           Die Reduction wurde mittels einer sauren Normallösung reinen Zinnchlorürs ausgeführt
                              									und dabei die Ueberzeugung gewonnen, daſs wenn auf 1 Molecül des Farbstoffes mehr
                              									als 1 Atom Zinnchlorür zugesetzt wurde, der Ueberschuſs unangegriffen blieb. Die
                              									Reduction erfolgt beim Uebergieſsen des Farbstoffes mit der Zinnlösung sofort und
                              									unter Erwärmung. Zur Vervollständigung der Reduction wurde auf dem Wasserbade
                              									erwärmt, die Lösung mittels Schwefelwasserstoffes entzinnt und durch Abdampfen ein
                              									äuſserst zersetzliches, krystallinisches hellgraues Chlorhydrat erhalten, welches
                              									durch alle Oxydationsmittel, sowie durch Platinchlorid sofort in Toluylenblau zurück
                              									verwandelt wird. Die Ueberführung dieses Körpers in ein analysirbares Derivat hat
                              									unendliche Schwierigkeiten bereitet. Endlich wurde in dem Zinndoppelsalze des
                              									Reductionsproductes das gesuchte Präparat gefunden. Die entzinnte Lösung wird stark
                              									eingedampft und mit der einem Molecül entsprechenden Menge Normalzinnchlorürlösung
                              									versetzt, auf 0° abgekühlt und mit Salzsäure gesättigt. Es scheiden sich alle
                              									Verunreinigungen ab. Die filtrirte, klare, ganz helle Lösung wird mit einem Ueberschuſs
                              									Normalzinnlösung versetzt, Krystallabscheidung beginnt sofort. Die abgesaugten, mit
                              									wässeriger Salzsäure nachgewaschenen Krystalle wurden über Schwefelsäure und
                              									Natronkalk getrocknet und besaſsen die Zusammensetzung C15H20Nr4.HCl + SnCl2. Toluylenblau ist danach der
                              									erste einer Reihe von Farbstoffen, die ihre färbende Natur dem zweiwerthigen
                              									Chromophor --- N = CH --- verdanken. Derselbe kann als Azogruppe --- N = N ---
                              									aufgefaſst werden, in welcher eines der Stickstoffatome durch den dreiwerthigen
                              									Complex CH vertreten wird.
                           Verfasser hat früher nachgewiesen, daſs Amidoazokörper gelegentlich die Rolle von
                              									Oxydationsmitteln in der Weise spielen, daſs sie anderen Körpern ihren Wasserstoff
                              									entreiſsen, um sich selbst damit zu reduciren. Dieselbe Eigenschaft besitzt in weit
                              									höherem Maſse das Toluylenblau. Beim blosen Kochen seiner Lösung erleidet ein Theil
                              									Reduction zu Leukoblau, auf Kosten zweier Atome Wasserstoff, die einem anderen
                              									Theile des Blaus entrissen werden. Es entsteht so ein neuer, schön rosenrother
                              									Farbstoff, dessen freie Base aus der von wenig Theer filtrirten, erkalteten Lösung
                              									mittels Alkalien gefällt und durch Krystallisation aus verdünntem Alkohol gereinigt
                              									werden kann. Da dabei ein wenig von der Leukobase den Krystallen anhaftet und
                              									dieselben durch langsame Oxydation stets wieder verunreinigt, so empfiehlt sich ein
                              									anderes Reinigungsverfahren. Man fügt nämlich zu der durch Kochen des Blaus
                              									entstandenen rothen Lösung etwas Normalzinnchlorürlösung. Die Leukobase wird als
                              									Zinndoppelsalz in Lösung gehalten, während sich metallglänzende Krystalle des
                              									Doppelsalzes der neuen Farbstoffbase abscheiden. Wenn nicht zu viel des Reagens
                              									angewendet wurde und die Flüssigkeit nicht zu sauer ist, so findet eine Reduction
                              									des Toluylenroths nicht statt. Die freie Basse dieses
                              									Körpers krystallisirt mit 4 Mol. Wasser in orangerothen Nadeln, welche bei 150 bis
                              									160° ihr Wasser leicht und vollständig abgeben. Die wasserfreie Substanz ist
                              									blutroth und sehr schwer löslich in Alkohol; ihre Zusammensetzung entspricht der
                              									Formel C13H16N4. Diese Substanz bildet zwei Reihen von Salzen:
                              									neutrale (von rosenrother Farbe, in Wasser leicht löslich und völlig beständig) und
                              									saure (von prachtvoll himmelblauer Farbe, verschieden von allen bis jetzt künstlich
                              									erzeugten Blau), welche sich auf Wasserzusatz in freie Säure und das neutrale Salz
                              									spalten. Die Lösungen der gewässerten Base in Alkohol und Aether zeigen
                              									Fluorescenz.
                           Ein anderes Product derselben Körperklasse wird durch langsame Entwasserstoffung von
                              									Metatoluylendiamin durch Toluylenblau erhalten nach der Formel
                           
                              
                                 2
                                 CH3C6H3.NH2NH2
                                 +
                                 3C15H18N4Toluylenblau
                                 =
                                 3C15H20N4Leukoblau
                                 +
                                 C14H14N4.Neuer Körper
                                 
                              
                           
                           Zu seiner Bereitung werden 9g Toluylenblau (3 Mol.) und 2g,4
                              									Toluylendiamin (2 Mol.) in wässeriger, mit Essigsäure angesäuerter Lösung 12 Stunden
                              									auf 35 bis 40° erhitzt. Aus der entstandenen, braunen Lösung wird das schwer
                              									lösliche Sulfat der neuen Base durch Zusatz von Schwefelsäure gefällt (Ausbeute
                              									nicht ganz 2g). Eine zum Vergleich mit erhitzte
                              									Lösung von Toluylenblau ohne Zusatz des Diamius ergab keine Fällung mit
                              									Schwefelsäure. Das Sulfat wird umkrystallisirt, durch Ueberführung in das
                              									Chlorhydrat und Krystallisation dieses letzteren und endliche Zersetzung mit
                              									Alkalien in das Hydrat der Base verwandelt. Carminrothe, mikrokrystallinische
                              									Fällung. Beim Erhitzen auf 120 bis 130° entsteht unter Wasserabgabe der wasserfreie
                              									Körper.
                           Der neue Körper ähnelt dem Toluylenroth in allen Stücken. Die freie Base ist noch
                              									schwerer löslich als die des Roths. Die Lösungen sind fleischfarben und zeigen eine
                              									wundervolle orangegelbe Fluorescenz. Unter gewissen Umständen kann die Base schön
                              									krystallisirt erhalten werden. Die Krystalle sind roth mit grünem Flächenschiller.
                              									Die Substanz bildet zwei Reihen von Salzen, neutrale, schwer lösliche, schön
                              									krystallisirende, von violetter Farbe, weshalb Verfasser den neuen Farbstoff als Toluylenviolett bezeichnet, und saure von grasgrüner
                              									Farbe. Als Chromophor enthalten diese Verbindungen die Gruppe: --- N = C --- NH
                              									(dreiwerthig), und dieser complicirteren Constitution entspräche die complexe Natur
                              									ihrer Farbenerscheinungen.
                           Es läſst sich schon in diesen wenigen Versuchen ein gewisses System in der allmäligen
                              									Entwasserstoffung der Basen nicht verkennen. Obgleich hier kein zweiwerthiges
                              									Element dieses bedingt, so tritt der Wasserstoff doch stets in Atompaaren aus, und
                              									zwar wird stets je ein Atom von den in Reaction befindlichen Amido-, das andere von
                              									der Gesammtheit der Methylgruppen geliefert. Dasselbe Gesetz gilt für die Entstehung
                              									des Saffranins, welches jedenfalls in nahem Zusammenhang mit diesen neuen
                              									Farbkörpern steht. Dafür spricht seine bis jetzt nicht veröffentlichte Darstellung
                              									durch Oxydation einer Mischung von Paratoluylendiamin und Toluidin, das sogen.
                              									Zinkstaubverfahren der Fabriken. Durch Verwendung von Toluidin (Ortho und Para), der
                              									isomeren Toluylendiamine und Xylidin einerseits und Nitrosodimethylanilin,
                              									Nitrosöphenol und der anderen bekannten Nitrosokörper andererseits hat Verfasser
                              									eine groſse Zahl anderer neuer Farbstoffe erhalten, deren Untersuchung im Gange ist.
                              									Technisch anwendbar sind diese Körper bis jetzt noch nicht.