| Titel: | Ueber Kleberbrot; von K. Birnbaum in Karlsruhe. | 
| Autor: | K. Birnbaum | 
| Fundstelle: | Band 233, Jahrgang 1879, S. 322 | 
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                        Ueber Kleberbrot; von K. Birnbaum in
                           								Karlsruhe.
                        Birnbaum, über Kleberbrot.
                        
                     
                        
                           Den bei der Bereitung von Stärke aus Weizenmehl abfallenden Kleber hat man
                              									bekanntlich vielfach benutzt zur Herstellung eines brotartigen Präparates, welches
                              									den Diabetikern empfohlen wird, um ihnen eine Abwechslung in ihrer von Kohlehydraten
                              									freien Nahrung zu bieten. Vor einigen Jahren hat BoussingaultAnnales de chimie et de
                                             													physique, 1875 Bd. 5. S. 114. solche
                              									Kleberbrotsorten aus Paris untersucht und durch den Bericht
                              									über die Resultate seiner Arbeit diese Speise für Diabeteskranke einigermaſsen in
                              									Miſscredit gebracht. Er kam zu dem Ausspruche, daſs diese Kranken durch Genuſs von
                              									Kartoffeln weniger Kohlehydrate in ihren Körpern einführen, als wenn sie eine
                              									gleiche Gewichtsmenge von solchem Kleberbrot essen würden. Dieses Urtheil ist
                              									entschieden zu hart. Er hat nur zwei solche Baek-waaren analysirt und gründet seine
                              									Ansicht auf die Zusammensetzung dieser Fabrikate. Dabei hat er aber, wie unten
                              									gezeigt werden soll, schlechtes Kleberbrot unter Händen gehabt. Ein solches
                              									Präparat, das ich in Paris aus der Fabrik von P. Ossian
                                 										Henry (77bis Avenue de Breteuil) bekam,
                              									zeigte eine viel rationellere Zusammensetzung, als sie Boussingault an den von ihm untersuchten Kleber-Brotsorten beobachtete.
                              									Eine Reihe von solchem Gebäck, welche ich von der Stärkefabrik von Bassermann, Herrschel und Dieffenbacher in Mannheim erhielt, war in Bezug auf
                              									ihre Zusammensetzung den Pariser Fabrikaten weit überlegen. Es trägt vielleicht
                              									etwas zur Richtigstellung der Ansicht über den Werth dieses Nahrungsmittels bei,
                              									wenn ich die Resultate meiner Untersuchungen mit denen von Boussingault vergleiche.
                           Die Bereitung des Kleberbrotes in Paris ist etwas verschieden von der in Mannheim. In
                              									Paris arbeitet man zunächst auf ein sehr stickstoffreiches Klebermehl. Der
                              									ausgewaschene lufttrockne Kleber ist zu zähe, als daſs man ihn in ein feines Mehl
                              									verwandeln könnte. Der frische feuchte Kleber wird dort daher mit etwa 5 Proc. Mehl
                              									versetzt. Das so erhaltene Gemisch läſst sich durch passende Maschinen körnen und
                              									die getrockneten Körner kann man leicht vermählen. Man bekommt so ein gelblich
                              									gefärbtes, feinem Griese ähnliches Mehl, das man in Paris wie gewöhnliches Mehl mit
                              									Wasser und Hefe auf Brot verbackt. Das Brot bleibt so lange im Ofen, bis es
                              									vollständig ausgetrocknet ist. Es bildet dann ein äuſserst trockenes und leicht
                              									zerbrechliches Gebäck, welches seinem Aeuſsern nach dem Brot sehr ähnlich ist, im
                              									Innern aber an Stelle der feinlöcherigen Krume eines guten Brotes eine von groſsen
                              									Blasen durchsetzte, aus halb durchscheinenden Häuten gebildete Masse enthält. Das
                              									Innere eines solchen Kleberbrotes zeigt gleichsam das Skelett eines gewöhnlichen
                              									Brotes; in letzterem sind die oben erwähnten, dem Kleberbrot eigentümlichen groſsen
                              									Blasenräume durch die gewöhnlich von dem aufgequollenen Stärkemehl gebildete weiche
                              									Krume ausgefüllt.
                           In Mannheim verarbeitet man den Kleber zunächst für sich, ohne Mehlzusatz. Man läſst
                              									den Kleber, nachdem er so lange ausgewaschen ist, bis das mit ihm in die Maschine
                              									gegebene Wasser nicht mehr getrübt wird, vierundzwanzig Stunden unter Wasser liegen.
                              									Die während dieser Zeit beginnende Säuerung nimmt dem Kleber die groſse Zähigkeit,
                              									so daſs er nun zertheilt und mit Sauerteig gemischt werden kann. Sobald der
                              									Sauerteig lockernd auf die Masse gewirkt hat, werden die Brote gebacken, oder
                              									vielmehr im Backofen scharf getrocknet; man erhält ein Gebäck von derselben äuſseren
                              									Beschaffenheit wie in Paris. Natürlich wird der Sauerteig hier mit Kleber
                              									fortgeführt, Mehl bringt man in das reine Kleberbrot nicht hinein. Aus 100k Weizenmehl gewinnt man in Mannheim 12 bis 13k Kleberbrot, welches zum Preise von 10 M. für
                              										1k (etwa 64 Brote) verkauft wird. Nur im
                              									Sommer wird diese Fabrikation getrieben; trocken aufbewahrt hält sich übrigens das
                              									Präparat Jahre lang.
                           Da das reine Kleberbrot einen etwas faden Geschmack besitzt, so stellt die Mannheimer
                              									Fabrik eine Reihe von Brotsorten her, welche dem Kranken nicht so leicht
                              									widerstehen. Die genannte Firma verkauft Brot aus Kleber mit Zusatz von 10 Proc.
                              									Mehl oder 10 Proc. Weizenkleie und von einem Gemische von Kleber mit gehörig
                              									vorbereiteten Mandeln oder mit Inulin. Die Mandeln werden fein zerkleinert und dann
                              									mit geeigneten Lösungsmitteln von dem Zuckergehalte sowie von den zuckerbildenden
                              									Substanzen befreit. Das Inulin, welches in der Fabrik von Witte in Rostock aus rohen Cichorienwurzeln gewonnen und der Mannheimer
                              									Firma zu dem Preise von 9 bis 10 M. für 1k
                              									geliefert wird, benutzt man auf Grund der Beobachtungen von Dragendorff, daſs dieses Kohlehydrat in diabeteskranken Organismen nicht
                              									in Zucker verwandelt wird.
                           In der Tabelle auf S. 324 stelle ich die Resultate der Analysen von Boussingault und von mir zusammen.
                           Aus diesen Zahlen ergibt sich ohne weiteres, was ich oben angedeutet habe, daſs
                              									nämlich Boussingault sehr schlechte Kleberbrotsorten
                              									untersuchte, daſs in Paris bessere derartige Präparate hergestellt werden, als er
                              									sie unter Händen hatte, daſs aber die Mannheimer Firma in ihrem Fabrikate dem
                              									französischen weit überlegen ist.
                           Es ist nicht ohne Interesse, den Ausspruch von Boussingault, daſs Kartoffeln eine geeignetere Nahrung für Diabeteskranke
                              									seien als dieses Kleberbrot, in Bezug auf die von mir untersuchten derartigen
                              									Fabrikate zu prüfen. Boussingault setzte die Menge von
                              										„Biscuit de gluten rond“, die man genieſsen müſste, um dem Körper 40,2
                              									Th. Kohlehydrate zuzuführen, gleich 100 und berechnete, wie viel von anderen
                              									Nahrungsmitteln
                           
                           
                              
                                 Bestandtheile
                                 Kleberbrot aus Paris
                                 Kleberbrot aus Mannheim
                                 
                              
                                 Biscuit degluten
                                    											rond(Boussingault)
                                 Biscuit degluten
                                    											fendu(Boussingault)
                                 Kleberbrot vonP. Ossian Henry
                                 Kleberbrot
                                 Kleberbrot mit10 Proc. Mehl
                                 Kleberbrot mit10 Proc. Kleie
                                 Kleber-Mandel-Brot
                                 Kleber-Inulin-Brot
                                 
                              
                                 ProteinsubstanzenAus dem
                                          													Stickstoffgehalte berechnet unter der Voraussetzung, daſs Eiweiſs 16
                                          													Proc. Stickstoff
                                          											enthält.KohlehydrateFetteAscheWasser
                                 44,940,2  3,6  2,2  9,1
                                 22,961,9  3,1  1,410,7
                                 57,6229,71  1,61  1,46  9,60
                                 76,3710,53  2,00  2,63  8,47
                                 74,5012,70  1,80  2,60  8,40
                                 73,4412,81  2,92  2,10  8,73
                                 57,3112,6719,06  3,76  7,20
                                 58,3127,24  2,55  3,15  8,75
                                 
                              
                                 
                                 100,0
                                 100,0
                                 100,00
                                 100,00
                                 100,00
                                 100,00
                                 100,00
                                 100,00
                                 
                              
                                 Stickstoffgehalt
                                 7,18
                                  3,67
                                 9,22
                                 12,22
                                 11,92
                                 11,75
                                 9,17
                                 9,33
                                 
                              
                           gegessen werden müſste, um durch dieselben jene 40,2 Th.
                              									Kohlehydrate dem Organismus zuzuführen. Neben die in der ersten Rubrik der folgenden
                              									Tabelle stehenden Zahlen, welche Boussingault in dieser
                              									Weise berechnete, stelle ich in die zweite Rubrik diejenigen, welche die von mir
                              									untersuchten Kleberbrotsorten bei der angedeuteten Berechnung liefern:
                           
                              
                                 Biscuit de gluten rond
                                 100,0
                                 Kleberbrot von P. Ossian Henry
                                 138,3
                                 
                              
                                 Pariser Bäckerbrot
                                 72,7
                                 Kleberbrot von Mannheim
                                 381,8
                                 
                              
                                 Biscuit de gluten fendu
                                 64,9
                                 Kleberbrot mit 10 Proc. Mehl
                                 315,7
                                 
                              
                                 Bohnen
                                 82,4
                                 Kleberbrot mit 10 Proc. Kleie
                                 313,7
                                 
                              
                                 Kartoffeln
                                 173,3
                                 Kleber-Mandel-Brot
                                 317,3
                                 
                              
                                 
                                 
                                 Kleber-Inulin-Brot
                                 147,6
                                 
                              
                           Man erkennt aus diesen Zahlen, daſs Boussingault allen
                              									Grund hatte, die Kartoffel für eine zweckmäſsigere Speise für Diabetiker zu
                              									erklären, als das Kleberbrot von Paris, besonders wenn man bedenkt, daſs diese
                              									Zukost zur Fleischnahrung nicht ihres Nährwerthes wegen genossen werden, sondern nur
                              									eine Abwechslung in der Speise bieten soll, so daſs hier nicht die nahrhafteste
                              									Substanz den Vorzug verdient, sondern diejenige, welche in einer bestimmten
                              									Gewichtsmenge die kleinste Menge von Kohlehydraten enthält. In dieser Beziehung
                              									steht den Kartoffeln schon sehr nahe das Kleberbrot von P.
                                 										Ossian Henry. Abgesehen von dem Inulinbrot, welches ja ein für den Kranken
                              									unschädliches Kohlehydrat in den Körper liefert, zeigen die Zahlen für die übrigen
                              									Fabrikate von Bassermann, Herrschet und Dieffenbacher in Mannheim, daſs die von dieser Firma in
                              									den Handel gebrachten Kleberbrotsorten den Vorwurf nicht verdienen, den Boussingault derartigen Präparaten macht.