| Titel: | Ueber das Genussmittel „Tschan“; von Dr. J. Moeller. | 
| Autor: | J. Moeller | 
| Fundstelle: | Band 237, Jahrgang 1880, S. 397 | 
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                        Ueber das Genuſsmittel „Tschan“; von Dr.
                           									J. Moeller.
                        Mit Abbildungen.
                        Moeller, über das Genuſsmittel „Tschan“.
                        
                     
                        
                           In Guatemala benutzt man unter dem Namen „Tschan“ oder „Chan“ die Früchte von Salvia Chio Ruiz et Pav.Semence de Chia erwähnt Guibourt (Les Drogues simples, Bd. 2 S. 432) als von Mexico
                                    											eingeführt und von einer Salvia (S. hispanica?)
                                    											abstammend. Salvia hispanica Lin. wachst im
                                    											mittäglichen Amerika, in Quito, in den Bergen Jamaicas und Mexicos wild,
                                    											wurde nach Europa gebracht und wird jetzt verwildert in Spanien, Piemont,
                                    											Ligurien angetroffen. zur Bereitung eines erfrischenden
                              									Getränkes, dem man auch eine wohlthätige Wirkung auf den Verdauungstract zuschreibt.
                              										Julio Rossignon sagt in seinem Catalogo analitico y razonado, (Guatemala 1878) S.
                              									32:
                           
                              „Die Samen bilden, kaum mit Wasser begossen, einen reichlichen
                                 										Schleim. Sie werden angewendet, um fast augenblicklich ein erfrischendes Getränk
                                 										zu bereiten, welches man mit Zucker versüſst. Es lindert die Reizungen des
                                 										Magens und der Eingeweide wie der Leinsamen, mit welchem der in Rede stehende
                                 										Samen auch die andere Analogie theilt, ein trocknendes Oel erster Klasse zu
                                 										liefern. Das Oel des „Chan“ ist nach der Ansicht der Fachmänner noch
                                 										vorzüglicher als das des Leines, namentlich für die Zwecke der Oelmalerei. Der
                                 											„Tschan“ wächst reichlich in den gemäſsigten Bodenstrichen. Die Leute
                                 										sammeln die Samen dieses Salbei und verkaufen sie auf dem Markte von Guatemala
                                 										zu 12 Centavos das Pfund. Die Kultur im Groſsen würde der Bedeutung nicht
                                 										entbehren.“
                              
                           Unter den Droguen, welche ich von der Pariser Ausstellung 1878 mitgebracht hatte,
                              									befanden sich auch diese Früchte. Sie sind wenig gröſser als Kleesamen, elliptisch
                              									im Umriſs, glatt, glänzend, röthlichgrau bis gelb und rothbraun gesprenkelt. Unter
                              									starker Loupenvergröſserung unterscheidet man eine convexe Seite und ihr gegenüber
                              									zwei abgeflachte Seiten, welche in eine Längskante zusammenlaufen, an deren unterem
                              									Ende der Fruchtstiel eben kenntlich ist. Frucht und Samenschale bilden zusammen ein
                              									dünnes Gehäuse für die flach an einander liegenden Keimblätter, deren Zellen mit
                              									Oeltropfen erfüllt sind.
                           Es ist von den Oberhautzellen vieler Salbeifrüchte bekannt, daſs sie sich zum Theil
                              									in Schleim verwandeln. Bei dieser Art erfolgt aber die Metamorphose in
                              									eigenthümlicher Weise, wie sie bisher, soviel ich weiſs, nicht beobachtet wurde. In
                              									kaltem Wasser überzieht sich die Oberfläche der Früchte schon nach wenigen Minuten
                              									mit einer äuſserst zarten, bläulich weiſsen, gallertartigen Hülle, welche ziemlich
                              									scharf den Conturen der Früchte folgt. Auch die gekochten Früchte sind von einer
                              									mehr gelockerten, aber noch deutlich erkennbaren, etwa bohnengroſsen Schleimhülle
                              									umgeben. Der Schleim erscheint unter dem Mikroskope völlig homogen und färbt sich
                              									weder durch Jod, noch durch Chlorzinkjod. Sind die Früchte durch Kalilauge zum
                              									Quellen gebracht, dann färbt sich der Schleim durch Chlorzinkjod schön violett und
                              									in der homogenen Masse treten äuſserst zarte Fäserchen als Gerinnsel auf.
                           
                           Die Fruchtschale (Fig. 1) besitzt eine glashelle, 0mm,015 dicke Oberhaut, welche von einer äuſserst
                              									dünnen Cuticula überzogen ist. Unter Alkohol ist der zellige Bau der Epidermis nur
                              									undeutlich zu erkennen; sie erscheint als durchsichtige, in schollige Platten
                              									zerfallende Membran. Unter fettem Oel sieht man, daſs sie aus rechteckigen, mehr
                              									hohen als breiten (0mm,012), sehr dickwandigen
                              									Zellen besteht. In der Flächenansicht bietet die Epidermis ein regelmäſsiges Mosaik
                              									von lückenlos verbundenen, polygonalen Zellen, von denen einzelne oder kleine
                              									Gruppen (Fig. 3) sich von ihren Nachbarn durch eine
                              									gelblich gefärbte compacte Füllmasse unterscheiden. Unterhalb der Epidermis befindet
                              									sich eine 0mm,008 dicke, auch bei feinsten
                              									Schnitten tief braunroth gefärbte Schicht stark zusammengedrückter Zellen, deren
                              									Conturen selbst nach der Quellung nicht erkennbar sind mit Ausnahme der innersten
                              									Zellenlage, deren quergestreckte Elemente je einen Krystall enthalten. Der
                              									braunrothe Inhalt der Zellen wird selbst durch kochende Kalilauge nur zum geringen
                              									Theile gelöst, durch concentrirte Schwefelsäure dagegen vollständig entfernt. Durch
                              									die letztere werden auch die Krystalle als Oxalate nachgewiesen; denn sie lösen
                              									sich, um alsbald wieder in den bekannten Nadeln des Gypses auszukrystallisiren.
                           Die Samenhaut (Fig. 1) besteht aus einem 0mm,045 dicken, dichten, bernsteingelben
                              									Sclerenchym, welches nach innen von einem groſszelligen, unregelmäſsig conturirten
                              									Plattenepithel mit einem zierlichen Netz von Verdickungsleisten bekleidet ist.
                           
                              
                              Fig. 1., Bd. 237, S. 398
                              
                           
                              
                              Fig. 2., Bd. 237, S. 398
                              
                           
                              
                              Fig. 3., Bd. 237, S. 398
                              
                           Läſst man einem in absolutem Alkohol liegenden Querschnitte der Fruchtschale Wasser
                              									zuflieſsen, so quillt die Epidermis nach allen Richtungen. Man sieht deutlich, wie
                              									die Cuticula gehoben wird; ein Strom von farblosem Schleim quirlt hervor und wird
                              									dadurch sichtbar. Der quellende Schleim vermag nur in seltenen Fällen die Cuticula
                              									zu zerreifsen (Fig. 2). Diese krümmt sich nur am
                              									Rande des Schnittes nach auſsen, und nachdem der Quellungsproceſs abgelaufen ist,
                              									sieht man, daſs die Cuticula durch solide, 0mm,01
                              									dicke Balken mit der inneren Wand der Oberhautzellen verbunden ist. Die Balken
                              									stehen in unregelmäſsigen, aber nicht weiten (0,015 bis 0mm,1) Abständen und sind unter einander durch die
                              									bogenförmig gespannte Cuticula verbunden. Sie sind an der oberen und an der unteren
                              									Stützfläche etwas verbreitert (vgl. Fig. 3) und
                              									gleichen kurzen Säulen. Mit starken Vergröſserungen sieht man an ihnen deutlich
                              									Querstreifung und unzweifelhaft ihren Zusammenhang mit der Cuticula, deren
                              									mikrochemisches Verhalten sie auch theilen. Diese Balken sind es, welche schon in
                              									der Flächenansicht der Epidermis als compacte Zellen zu erkennen waren.
                           Ueber die Entstehung dieser Cutinbalken vermuthe ich, daſs einzelne Epidermiszellen
                              									vollständig in Cutin verwandelt worden sind. Man könnte auch glauben, daſs einzelne
                              									Cutinleisten zwischen den Zellen zu dieser mächtigen Entwicklung gediehen seien.
                              									Aber gegen diese Annahme scheinen mir zwei Momente zu sprechen: die tangentiale
                              									Schichtung der Balken und ihre in der Flächenansicht unverkennbare centrale Lage in
                              									den von der Metamorphose heimgesuchten Oberhautzellen. Alle übrigen Oberhautzellen
                              									werden mit Ausnahme der dünnen Zwischenlamellen in Schleim verwandelt und häufig
                              									scheint es, als würden auch die letzeren bei der Quellung schwinden. Sie werden aber
                              									nur zerrissen; denn bei vorsichtig geleiteter Quellung bleiben sie häufig erhalten,
                              									folgen sogar lange der Zerrung durch die sich nach auſsen rollende Cuticula und
                              									immer, auch wenn sie abgerissen wurden, sieht man noch ihre Spuren an der Cuticula.
                              									Daſs die Zwischenlamellen nicht cuticularisirt sind, zeigt ihr Verhalten gegen
                              									Chlorzinkjod, nachdem die Präparate in Kalilauge erwärmt worden sind. Sie färben
                              									sich rein violett, während die Cutinbalken sowohl wie die CuticulaDoch sind die Cutinbalken nicht so vollkommen cutinisirt wie die Cuticula
                                    											selbst. Hat man nämlich Schnitte mit Schwefelsäure durchtränkt und setzt
                                    											dann Chlorzinkjod zu, so färbt sich die Cuticula intensiv gelb, während die
                                    											Balken trotz ihrer gröſseren Masse beinahe farblos bleiben.
                              									citrongelb werden.
                           Die wässerige Lösung des Schleimes wird durch absoluten Alkohol gefällt (Gummi?). Sie
                              									reducirt alkalische Kupferlösung. Alkoholisches Ligroin erzeugt starke flockige
                              									Fällung. Beim Eindampfen hinterläſst die Lösung viel organische Substanz und
                              									feuerbeständige Asche. Die Asche löst sich bis auf einen geringen Rückstand in
                              									Wasser auf, die angesäuerte Lösung gibt mit salpetersaurem Silber eine kaum
                              									wahrnehmbare Trübung (wenig Chloride), mit Chlorbarium dagegen ziemlich reichlichen
                              									Niederschlag (Sulfate).
                           Ich hatte nicht hinreichendes Material, um die oben angeführten diätetischen und
                              									therapeutischen Wirkungen des „Tschan“-Schleimes zu prüfen. Aber aus einigen
                              									kleinen Versuchen, die ich angestellt habe, kann ich doch vermuthen, daſs die
                              									Angaben meines Gewährsmannes nicht ganz genau sind. Digerirt man nämlich die Früchte
                              									mit kaltem Wasser, so erhält man einen sehr wenig copiösen Schleim. In der klaren,
                              									leicht beweglichen Flüssigkeit schwimmen die einzelnen von einer etwa Millimeter breiten
                              									Schleimschicht umhüllten Früchte frei herum. Die Flüssigkeit schmeckt indifferent,
                              									fade. Durch Zusatz von Zucker wird der Geschmack angenehmer, ohne dadurch eine
                              									charakteristische Eigenthümlichkeit zu erlangen. Es wird nicht angegeben, ob die
                              									Früchte mit verspeist werden. Ich halte es für wahrscheinlich, weil die in der
                              
                              									Flüssigkeit schwebenden Früchte sonst abgeseiht werden müſsten. Ich zerkaute auch
                              									einige Früchtchen, kann aber dem in ihnen reichlich enthaltenen fetten Oele auch
                              									keine Besonderheit zuschreiben. Beim Kochen vertheilt sich wohl der Schleim mehr im
                              									Wasser; doch kann auch dann nicht von einer „abundante mucilago“ gesprochen werden, indem die Flüssigkeit noch weitaus nicht die Consistenz von
                              									Hühnereiweiſs erlangt.
                           Dagegen gibt der mikroskopische Bau der Fruchtschale einen deutlichen Hinweis, wie
                              									die Schleimausbeute zu vermehren sei, und es ist kaum anzunehmen, daſs die Erfahrung
                              									das Mittel nicht gefunden haben sollte, ehe es theoretisch begründet wurde. Die oben
                              									ausführlich beschriebenen Cutinbalken sind offenbar Hemmungen. Durch sie wird der
                              									Quellung ein mächtiges Hinderniſs gesetzt, und wenn es sich um die Benutzung der
                              									Früchte zu einem schleimigen Getränke handelt, wird es gerathen sein, die Früchte
                              									vorher möglichst zu zerkleinern. In der That habe ich von den in der Reibschale
                              									zerdrückten Früchten eine viel reichere Schleimausbeute erhalten.
                           Ueber das fette Oel der Samen kann ich kein Urtheil abgeben. Aber selbst unter der
                              									Voraussetzung, daſs die demselben nachgerühmten Eigenschaften sich vollinhaltlich
                              									bewähren, scheint mir die Meinung von Rossignon über
                              
                              									die Anbauwürdigkeit im groſsen Maſsstabe etwas sanguinisch. Bedenkt man die
                              									Schwierigkeiten, welche der Kultur des Salbei und besonders der Ernte seiner Früchte
                              									entgegenstehen und vergleicht man mit diesem groſsen Aufwände die selbst mit
                              
                              									Rücksicht auf die Kleinheit der Früchte verhältniſsmäſsig kleinen ölhaltigen Samen,
                              									so kann von einer Erfolg verheiſsenden Concurrenz mit dem in Parallele gestellten
                              									Lein wohl nicht die Rede sein.