| Titel: | Diffusion, Capillarität und Elektricität in ihren Beziehungen zur Gerberei; von Karl Sadlon, Gerber in Bösing. | 
| Autor: | Karl Sadlon | 
| Fundstelle: | Band 238, Jahrgang 1880, S. 237 | 
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                        Diffusion, Capillarität und Elektricität in ihren
                           								Beziehungen zur Gerberei; von Karl Sadlon, Gerber in Bösing.
                        Sadlon, ü. Diffusion, Capillarität und Elektricität in der
                           								Gerberei.
                        
                     
                        
                           Die folgende Abhandlung hat den Zweck, den Zusammenhang und den Einfluſs solcher
                              									Naturkräfte auf den Gerbeproceſs nachzuweisen, deren Einfluſs auf diesen bisher entweder sehr
                              									unvollkommen erkannt, oder aber gar nicht in Verbindung damit gebracht wurde.
                           Am unbestrittensten und klarsten liegt wohl der Einfluſs der Diffusion zu Tage. Die
                              									Gesetze der Diffusion sind es, nach welchen die Gerbstoffpartikelchen von den
                              									entfernteren Theilen der Gerbstofflösung zu den mit der Haut unmittelbar in
                              									Berührung stehenden sich bewegen, in dieselbe eindringen und von der Faser
                              									festgebunden werden, um auf solche Weise stets anderen Theilchen Platz zu machen so
                              									lange, als überhaupt noch Gerbstoff in der Flüssigkeit vorhanden ist und als die
                              									Faser noch Fähigkeit besitzt, denselben zu binden.
                           Allbekannt ist der groſse Einfluſs, welchen die Temperatur der Gerbeflüssigkeiten auf
                              									den Gang der Gerbung und die Qualität des Fabrikates ausübt. Was die Schnelligkeit
                              									der Durchgerbung anbelangt, so ist kein Gerber im Zweifel darüber, daſs höhere
                              									Temperatur günstiger für dieselbe sei als niedere, da eben die Diffusion aller
                              									Stoffe bei erhöhter Temperatur eine lebhaftere ist; nicht minder bekannt ist es aber
                              									auch, daſs ein bei höheren Temperaturgraden gegerbtes Leder stets eine gröſsere
                              									Geschmeidigkeit hat, als wenn die Temperatur während des ganzen Gerbeprocesses
                              									niedrig gehalten wurde. Zur Erklärung der Ursache dieses Verhaltens ist es
                              									nothwendig, an einige von den Gesetzen der Capillarität zu erinnern.
                           1) Die Höhe der in einer Capillarröhre gehobenen Flüssigkeitssäule
                              									multiplicirt mit ihrem Halbmesser bildet für dieselbe Flüssigkeit eine beständige
                              									Zahl, die sogen. Capillarconstante, d.h. die Höhe verhält sich umgekehrt wie der
                              									Durchmesser.
                           2) Diese Constante ist für jede Flüssigkeit eine andere und hängt
                              									überdies noch auch von anderen Umständen ab.
                           3) Von allen bis jetzt untersuchten Flüssigkeiten zeigt reines
                              									Wasser die stärkste Capillarerhebung. Durch jeden darin aufgelösten Stoff wird
                              									dieselbe vermindert.
                           Von den die Capillarconstante einer Flüssigkeit beeinflussenden
                              									Umständen wollen wir hier vor Allem die Temperatur betrachten, für welche das Gesetz
                              									gilt, daſs mit zunehmender Temperatur die Höhe der Säule abnimmt, wie aus
                              									nachfolgender Tabelle erhellt:
                           
                              
                                 
                                 Spec. Gew. bei 0°
                                 Hmm
                                 Zwischen
                                 
                              
                                 Wasser
                                 1,0000
                                 15,332 – 0,0286 t
                                 0° bis 82°
                                 
                              
                                 Aether
                                 0,7370
                                   5,400 – 0,0254 t
                                 – 6   „ + 35
                                 
                              
                                 Olivenöl
                                 0,9150
                                   7,461 – 0,0105 t
                                 15  „   150
                                 
                              
                                 Weingeist
                                 0,8208
                                   6,05   – 0,0116 t –
                                    											0,000051 t2
                                 0  „     75
                                 
                              
                                 Schwefelsäure
                                 1,840  
                                   8,40   – 0,0153 t –
                                    											0,000094 t2
                                 12  „     90
                                 
                              
                           Versuchen wir jetzt das bisher über Capillarität Gesagte auf die Gerberei anzuwenden.
                              									Daſs ein zweckmäſsiges Schwellen der Sohlleder nur bei niedrigen Temperaturen
                              									ausführbar ist, weiſs jeder Gerber. Ich habe in groſsen Sohllederfabriken
                              									gearbeitet, wo überhaupt nur in den kälteren Monaten Häute zu Sohlleder
                              									eingearbeitet wurden, die Einarbeitung in den heiſsen Monaten hingegen gänzlich
                              									verblieb, eben weil in dieser Zeit und bei der Lage der betreffenden Werkstätten ein
                              									zweckentsprechendes Schwellen nicht erreichbar war.
                           
                           Gerade das Umgekehrte gilt aber von Oberleder. Bei diesem muſs jede Schwellung
                              									sorgfältig vermieden werden, weil man sonst anstatt eines weichen geschmeidigen
                              									Leders, ein mehr oder weniger starres, an Sohlleder erinnerndes Product erhält.
                              									Dieses schädliche Schwellen der Oberleder läſst sich am sichersten aber nur durch
                              									entsprechendes Hochhalten der Temperatur der Gerbebrühen vermeiden; aus diesem
                              									Grunde hält es so schwer, im Winter ein zweckentsprechendes Oberlederfabrikat
                              									herzustellen, so daſs namentlich in kleineren Gerbereien, wo die Lage der Werkstätte
                              									und sonstige Verhältnisse es nicht gestatten, eine höhere Temperatur während des
                              									ganzen Verlaufes der Gerbung einzuhalten, die Einarbeitung zu Oberleder im Winter
                              									möglichst eingeschränkt wird. Ich will hier nur beiläufig die vielen Klagen
                              									streifen, welche sich auf miſsrathenes, hartes, aufgequollenes, narbenbrüchiges
                              									Oberleder beziehen; ich glaube 90 Procent dieser Klagen haben nur in dem einzigen
                              									Umstände ihre Schuld, daſs die Gerbung eben bei zu niedriger Temperatur vor sich
                              									gegangen ist. Es braucht zu diesem Hauptumstande nur noch hinzuzukommen: ein um ein
                              									geringes höherer Procentsatz von Säure in der Brühe, zu wenig Gerbstoff und das
                              									Unglück ist fertig. Faſst man nun alle diese Thatsachen ins Auge, bedenkt man, daſs
                              									die Haut aus unendlich vielen und unendlich engen Kanälen besteht, welche durch die
                              									neben einander laufenden Fibrillen gebildet werden, in die das Wasser mit groſser
                              									Gewalt mittels Capillarwirkung eindringt und darin festgehalten wird; bedenkt man
                              									die Uebereinstimmung, welche zwischen den oben angeführten Gesetzen der Capillarität
                              									bei verschiedenen Temperaturen und dem Verhalten der Häute unter eben diesen
                              									Umständen herrscht, so drängt sich der Gedanke auf, daſs das Schwellen und Verfallen
                              									der Häute bei niedrigen und höheren Temperaturen in einem sehr innigen Zusammenhang
                              									mit der Capillaritätswirkung stehen muſs.
                           So einfach und einleuchtend nun dieser Schluſs als Folgerung aus den mitgetheilten
                              									Betrachtungen sich ergibt, so ergeben sich bei weiterem Vorschreiten in dieser
                              									Richtung doch noch so manche Schwierigkeiten, ja Widersprüche, die zu beseitigen
                              									nicht so leicht erscheint.
                           Betrachten wir vor Allem die in obiger Tabelle angeführten Flüssigkeiten nach
                              									einander in ihren Wirkungen auf die Haut, so werden wir finden, daſs das dort
                              									angeführte Verhältniſs der Capillarerhebungen vollkommen übereinstimmt mit dem
                              									Verhalten, welches thierische Haut, in diese Flüssigkeiten gebracht, zeigt,
                              									ausgenommen die Schwefelsäure.
                           Hängt man in reinem Wasser aufgequollene Blöſse in Aether oder Weingeist, so wird
                              									wegen des hier ins Spiel kommenden Massenmomentes das Wasser aus dem Hautgewebe nach
                              									und nach vollständig verdrängt und seine Stelle von obigen Flüssigkeiten
                              									eingenommen, zugleich aber schrumpft die Haut in eben
                                 										demselben Verhältniſs zusammen, wie sich die Capillarconstante des Wassers
                              									zu derjenigen dieser Flüssigkeiten verhält. Aehnlich verhält es sich mit den Oelen, nur daſs
                              									hier wegen Nichtmischbarkeit dieser Flüssigkeiten mit Wasser der Nachweis
                              									schwieriger gelingt. Wenn man aber reingemachte Blöſse so vollständig als möglich
                              									durch Pressen zwischen Flieſspapier von Wasser befreit und sie dann anhaltend mit
                              									Erdöl knetet, so daſs die Haut ziemlich gut von dem Oele durchdrungen wird, so
                              									behält sie nun eine platte, magere Beschaffenheit und kehrt nicht mehr zu der
                              									vollen, aufgequollenen Form zurück, welche sich zeigte, als ihre Capillarräume noch
                              									mit Wasser gefüllt waren. Auch hier also bestätigt es sich, daſs das Verhalten der
                              									Haut gegen Oele übereinstimmt mit den betreffenden Capillarconstanten.
                           Eine groſse Abweichung von der Regel scheint aber die Schwefelsäure, sowie überhaupt
                              									alle Säuren zu machen. Während die Capillarconstante der Schwefelsäure nur wenig
                              									gröſser ist als die des Oeles oder des Weingeistes und man demnach erwarten sollte,
                              									daſs Haut, in verdünnte Schwefelsäure gebracht, zusammenschrumpfen sollte, was auch
                              									aus dem Gesetze, wonach die Capillarerhebung des Wassers durch jeden darin
                              									aufgelösten Stoff vermindert wird, gefolgert werden könnte, findet das Gegentheil
                              									von alledem statt: die Haut schwillt nur um so mehr auf und wir bedienen uns ja in
                              									der Gerberei der Säure, um eine möglichst sichere und – wenn nöthig – rasche
                              									Schwellung zu erzielen. Zur Lösung dieses Widerspruches ist zunächst zu bemerken,
                              									daſs bei Zusammenstellung obiger Tabelle der Capillarerhebungen die Versuche
                              									voraussichtlich in Röhrchen von einem Stoffe vorgenommen wurden, worauf die
                              									untersuchte Flüssigkeit keinen chemischen Einfluſs ausübte. Waren dies nun, wie es
                              									die Natur der Sache verlangt, Röhrchen von Glas, so übt keine der dort angeführten
                              									Flüssigkeiten einen irgendwie bemerkenswerthen chemischen Einfluſs auf die Substanz
                              									der Röhre aus, und so muſste es auch sein, damit man die Erscheinung unbeeinfluſst
                              									von Nebenumständen in ihrer möglichsten Reinheit prüfen könne. Die Capillarräume der
                              									thierischen Haut hingegen werden aus einem Stoffe gebildet, welcher sich nicht so
                              									indifferent gegen die angeführten Flüssigkeiten verhält.
                           Fassen wir hier nur den weitaus vorwiegenden Bestandtheil der thierischen Haut,
                              									nämlich die leimgebende Fibrille, ins Auge. Wasser, Weingeist und neutrale Oele
                              									wirken auf dieselbe chemisch nicht ein, wohl aber alle Säuren; diese lösen die
                              									Substanz der Hauptfibrillen schon bei groſser Verdünnung, und zwar äuſsert sich
                              									diese lösende Wirkung zuvörderst in einer Lockerung der Fibrillensubstanz, wodurch
                              									sie befähigt wird, neue Wassermengen in ihre Molecularinterstitien aufzunehmen und
                              									so die Erscheinung des Quellens hervorzurufen. Dieses Aufquellen der Fasersubstanz,
                              									sowie anderer in der Haut vorhandenen Proteïnstoffe bringt im Groſsen und Ganzen die
                              									Haut in denselben äuſserlichen Zustand des Geschwelltseins, wie es sonst die
                              									vermehrte Capillaranziehung thut, ist jedoch nach dem Vorhergehenden zu unterscheiden von
                              									derselben. Wir hätten demnach principiell zwei Arten von Schwellung der Haut zu
                              									unterscheiden: 1) Die Schwellung durch erhöhte Capillarwirkung bei niedriger
                              									Temperatur, welche in einer Erweiterung der Fasernzwischenräume (hervorgerufen durch
                              									gröſsere Flüssigkeitsaufnahme) besteht und ein rein physikalischer Vorgang ist, und
                              									2) die Schwellung durch chemische Einwirkung der betreffenden Stoffe (Säuren,
                              									Alkalien u. dgl.) auf die Substanz der Hautfasern; diese würde demnach in einer
                              									Aufquellung der Fasern und Verengerung der Kanäle bestehen. Es scheint übrigens,
                              									daſs beim wirklichen Schwellen der Häute immer beide Factoren gemeinsam mitwirken
                              									müssen, um dasselbe normal und regelrecht hervorzurufen. Weder Säure, bei höherer
                              									Temperatur angewendet, bringt die Haut auf denjenigen Grad der Schwellung, wie ihn
                              									die Praxis erfordert, noch vermag dies niedere Temperatur allein (bei Anwendung von
                              									reinem Wasser) zu bewirken.
                           Es ist noch das Verhalten der Haut bei Behandlung mit weichem und mit hartem Wasser zu erörtern. Es
                              									ist die Thatsache bekannt, daſs die Haut in weichem, also solchem Wasser, welches
                              									nur sehr wenig oder gar keine mineralischen Stoffe gelöst enthält:, auch bei ganz
                              									niedriger Temperatur nur sehr wenig oder gar nicht aufquillt, während dieselbe in
                              									Wasser, welches kohlensaure oder schwefelsaure Salze gelöst enthält, unter denselben
                              									Umständen einen verhältniſsmäſsig beträchtlichen Grad von Schwellung annimmt; nicht
                              									minder bekannt ist die der Schwellung entgegen wirkende Eigenschaft des Kochsalzes
                              									sowie aller Chloralkalien und der Chlorverbindungen der alkalischen Erden (vgl. Eitner 1877 226 524).
                           Was die Erfahrung anbelangt, daſs Haut in reinem Wasser selbst bei niedriger
                              									Temperatur eine kaum bemerkbare Schwellung erleidet, so kann ich nicht leugnen, daſs
                              									diese Thatsache sehr gewichtig gegen die in Obigem aufgestellte Theorie spricht,
                              									laut welcher doch gerade in reinem Wasser die Schwellung am stärksten eintreten
                              									müſste. Es ist aber zu bedenken, daſs, wenn Haut, welche mit reinem Wasser gesättigt
                              									ist, über 0° sich selbst überlassen bleibt, sofort auch die Bedingungen der Fäulniſs gegeben sind. Wir kennen nun die Wirkungen der
                              									Fäulniſs auf die Haut, selbst wenn sie in minimalem Grade auftritt; diese äuſsern
                              									sich zu allererst in einer. Erschlaffung und in einem Verfallen des ganzen Gewebes
                              									und darum ist es nicht schwer zu begreifen, warum solch ein Hautstück in reinem
                              									Wasser nicht aufquillt. Wo die Bedingungen der Fäulniſs gegeben sind, dort sind
                              									selbst die energischesten chemischen Schwellungsmittel nicht im Stande, eine
                              									entsprechende Schwellung hervorzubringen. Ein alter, mit Fäulniſsstoffen überladener
                              									Aescher gibt den besten Beleg für die Wahrheit dieser Behauptung.
                           Das Verhalten der Chlorsalze enthaltenden Wässer stimmt mit den Capillaritätsgesetzen überein;
                              									bezüglich der schwefelsaure und kohlensaure Salze enthaltenden Wässer glaube ich
                              									annehmen zu dürfen, daſs ihre schwellende Wirkung in der gewöhnlich nicht völlig
                              									neutralen Reaction solcher Wässer ihre Ursache habe.
                           Aus dem bisher Vorgebrachten dürfte der Einfluſs der Capillarität auf den
                              									Gerbevorgang klar hervorgehen–, es wirft sich hier nur die Frage auf, ob es jetzt
                              									schon möglich ist, Folgerungen für die Praxis daraus abzuleiten. Ich versuche es, in
                              									Nachfolgendem den Weg anzudeuten, welchen ich in dieser Richtung eingeschlagen.
                           Daſs Wärme die Diffusion beschleunigt, ist bekannt und halte ich es nicht für nöthig,
                              									specielle Belege hierfür anzuführen; dieselbe ist (auſser der mechanischen Bewegung
                              									der Häute in den Brühen) das einzige bisher bekannte Beschleunigungsmittel für die
                              									Gerbung. Ihre Anwendung ist aber ziemlich beschränkt, weil man die Temperatur nur
                              									bis zu einer gewissen Grenze erhöhen darf, da hierüber hinaus ein nachtheiliger
                              									Einfluſs auf die Qualität des Leders ausgeübt würde, und dann ist überhaupt die
                              									Anwendung von höherer Temperatur bei der Gerbung nur bei Oberleder, wo es auf groſse
                              									Geschmeidigkeit ankommt, erlaubt und muſs bei der Herstellung der Unterleder
                              									vermieden werden, welche letztere möglichste Starrheit besitzen müssen, die eben nur
                              									durch Gerbung bei verhältniſsmäſsig niedrigen Temperaturen (bis etwa 12°, namentlich
                              									anfangs) erreichbar ist.
                           Es drängt sich nun die Frage auf, ob nicht noch andere Beschleunigungsmittel der
                              									Diffusion, welche zugleich eine ausgebreitetere Anwendung gestatten, als Wärme
                              									vorhanden sind. Bei eingehenderem Studium der Frage, wie es kommt, daſs Wärme die
                              									Diffusion beschleunigt, gelangt man zu dem Resultate, daſs dies eine Folge ihrer
                              									Eigenschaft ist, den Zusammenhang zweier Molecüle zu lockern; es klingt zwar etwas
                              									paradox, daſs verstärkte Diffusion in einer Verminderung der Anziehung ihren Grund
                              									haben soll; doch ist dies bei weiterem Eingehen leichter zu begreifen als diejenige
                              									Anschauung, wonach die Diffusion eines in einer Flüssigkeit gelösten Stoffes um so
                              									stärker sei, je stärker die Anziehung dieses Stoffes zur Flüssigkeit. Wenn nun diese
                              									Anschauung begründet ist, so werden auch die übrigen Ursachen, welche den
                              									Zusammenhang zweier Molecüle lockern, die Diffusion beschleunigen. Als solche
                              									Ursachen kennen wir aber, abgesehen von der Wärme, nur die Elektricität und die
                              									chemische Einwirkung der Molecüle eines anderen Körpers.
                           Was den Zusatz chemisch fremder Körper zur Lösung anbelangt, so scheint die Wirkung
                              									des Kochsalzes in der Weiſsgerberei als Zusatz zum Alaun in der That dieser
                              									Auffassung zu entsprechen; denn es ist bekannt, daſs der Alaun schneller und in
                              									gröſseren Mengen in die Haut diffundirt bei Gegenwart von Kochsalz als für sich
                              									allein. Wie sich Gerbsäurelösung in Bezug auf Diffusion bei Gegenwart fremder Stoffe
                              										verhält, bedarf
                              									jedenfalls noch gründlicher Untersuchungen, da wir bis jetzt mit nothwendiger
                              									Schärfe weder das Verhalten der chemisch reinen Gerbsäure in Lösung, noch die
                              									verschiedenen Stoffe, die sich gemeinsam mit ihr in unseren Gerbebrühen gelöst
                              									finden, kennen.
                           Für die Wirkung der Elektricität als Beschleunigungsmittel der Diffusion sprechen
                              									auſser der schon angeführten Analogie mit der Wärme auch noch andere Gründe. Das
                              									Wesen der Elektricität, welches auch nur eine Form der Bewegung ist wie die Wärme,
                              									die Thatsache, daſs leitende Flüssigkeiten bei einer Temperaturerhöhung ihren
                              									Leitungswiderstand vermindern, daſs der elektrische Strom selbst Wärme erzeugt, dies
                              									Alles zeigt den innigen Zusammenhang der beiden Naturkräfte. Was bisher versucht
                              									wurde, um die Wirkung der Elektricität auf die Diffusion klarzustellen, besteht, so
                              									weit mir bekannt, in einem Versuche Fodera's; dieser
                              									füllte die geöffnete Brusthöhle eines Kaninchens mit Eisenchloridlösung und die
                              									Bauchhöle mit einer Lösung des Blutlaugensalzes; es mischten sich die beiden
                              									Flüssigkeiten durch das dicke Zwerchfell hindurch sehr langsam; schneller ging die
                              									Mischung aber von statten, wenn Fodera einen leichten
                              									elektrischen Strom durch das Zwerchfell leitete. (Vgl. auch H. S. 1877 224 657. Gaulard 1878 230 * 317.)
                              									Ich unternahm folgenden Versuch. Ein Hautstück wurde zwischen zwei Metallplatten so
                              									gelegt, daſs sich zwischen demselben und den Platten von beiden Seiten eine Schicht
                              									Gerbstoff (Knoppern) befand, welche in genügend feuchtem Zustande erhalten wurde;
                              									das Ganze lag in einer Porzellanschale und die Platten wurden mit den Polen zweier
                              									Chromsäure-Elemente kleinsten Formates verbunden. Wenn nun der Flüssigkeit eine
                              									kleine Menge Säure zugesetzt wurde, so concentrirte sich die ganze Thätigkeit des
                              									galvanischen Stromes auf die Wasserzersetzung; an den Elektroden entwickelte sich
                              									Sauerstoff und Wasserstoff zum Beweise, daſs sich unter diesen Verhältnissen dem
                              									Strome nach dieser Richtung (Zersetzung des Wassers) der kleinste Widerstand bot.
                              									Ich unternahm deshalb einen zweiten Versuch in der Weise, daſs ich nun alle Säure
                              									fern hielt, und erzielte nun wirklich ein von dem vorigen verschiedenes Resultat.
                              									Die Thätigkeit des Stromes concentrirte sich nämlich nun hauptsächlich auf die
                              									Zersetzung des Gerbstoffes; nach 10tägiger Einwirkung war der Gerbstoff zum groſsen
                              									Theil in eine schwarze humose Masse verwandelt, während an dem Hautstück selbst
                              									nichts besonders bemerkenswerthes wahrzunehmen war: die Gerbung war nicht weiter
                              									vorgeschritten als an einem zweiten Hautstück, welches mit denselben Gerbstoffmengen
                              									ohne Anwendung von Elektricität behandelt wurde, sondern war wegen Abwesenheit von
                              									Säure eher noch unvollkommener. In beiden Versuchen wurde also das gewünschte
                              									Resultat: Beschleunigung der Diffusion, nicht erreicht; in beiden Fällen erstreckte
                              									sich die lockernde Kraft der Elektricität in anderer Richtung, als wünschenswerth
                              									war: im ersten Fall
                              									zersetzte sie Wasser, im zweiten Gerbsäure, während für unseren Zweck nur eine
                              									Lockerung des Zusammenhanges zwischen den Wasser- und den Gerbsäuremolecülen
                              									erforderlich ist. Wenn es gelingen wird, die Einwirkung der Elektricität so zu
                              									leiten, daſs dieses letztere Resultat erzielt wird, dann ist ihre Anwendung als
                              									Beschleunigungsmittel der Gerbung von selbst gegeben.
                           W. Velten berichtet in seiner
                              									Abhandlung: „Einwirkung strömender Elektricität auf die Bewegung des Protoplasma
                                 										(Sitzungsberichte der k. Akademie in Wien, 1876 Bd. 73), daſs durch starke
                              									elektrische Ströme das Protoplasma befähigt wird, Wasser in seine eigenen
                              									Interstitien aufzunehmen und aufzuquellen; wenn dies nun, wie wahrscheinlicher Weise
                              									angenommen werden kann, mit den Hautgebilden ebenfalls der Fall ist, und wenn es
                              									sich bestätigt, daſs die Elektricität ein Beschleunigungsmittel der Diffusion
                              									bezieh. der Gerbung ist, so könnte dieselbe auch bei Gerbung von starren Unterledern
                              									angewendet werden, was, wie wir gesehen, von der Wärme nicht gilt.
                           Auch ist noch zu erwähnen, daſs die Capillarität ebenfalls in sehr
                              									inniger Wechselbeziehung zur Elektricität steht, wie aus der Untersuchung „Relations entre les phénomènes éléctriques et
                                    											capillaires“ von G. Lippmann in den
                              										Annales de Chimie et Physique, 1875 hervorgeht, auf
                              									Grund welcher Untersuchungen Lippmann ein
                              									Capillar-Elektrometer (1878 227 247) construirt hat, bei
                              									dem sich mit Hilfe des Mikroskopes noch eine sehr deutliche Veränderung der
                              									Capillardepression des Quecksilbers beobachten läſst, wenn die elektrische
                              									Dichtigkeit an der Oberfläche dieser Flüssigkeit sich um den tausendsten Theil der
                              									Spannung am Pole eines Daniell'schen Elementes verändert.
                           Albert Fuchs beschreibt in Poggendorff's Annalen, 1857 Bd. 102 S. 633 folgenden
                              									Versuch: Bringt man in die Nähe des Strahles eines kleinen Springbrunnens einen
                              									elektrischen Körper, etwa ein geriebenes Glasrohr, so wird in dem Abstand von 4 bis
                              									5 Schritten alles Tropfen werfen aufhören, der Strahl zieht sich in eine Säule
                              									zusammen und steigt, ähnlich dem Pistille einer Lilie, vollkommen ungetheilt in die
                              									Höhe; hält man den Kopf in 12 bis 18 Zoll Entfernung und fährt mit der Hand nur
                              									einmal durch die Haare, so zieht sich der Strahl augenblicklich, wenn auch nur für
                              									kurze Zeit, zusammen.
                           Da nun die Tropfenbildung unmittelbar durch die Capillarilätsconstante bedingt ist,
                              									so sieht man aus diesen Versuchen leicht den innigen Zusammenhang der Elektricität
                              									mit der Capillarität.