| Titel: | Verwendung des Compoundsystemes bei Locomotiven. | 
| Autor: | Wilman | 
| Fundstelle: | Band 238, Jahrgang 1880, S. 373 | 
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                        Verwendung des Compoundsystemes bei
                           								Locomotiven.
                        Mit Abbildungen auf Tafel 27.
                        Verwendung des Compoundsystemes bei Locomotiven.
                        
                     
                        
                           Unter diesem Titel veröffentlicht Maschinenmeister v.
                                    										Borries in der Zeitschrift des Vereines deutscher
                                       										Ingenieure, 1880 S. 447 einen interessanten Vorschlag zur Weiterbildung des
                              										Mallet'schen Locomotivsystemes (vgl. 1876 222 187
                              									und 394), über dessen praktischen Werth nun wohl bald endgültige Resultate vorliegen
                              									werden, da in der Maschinenbau-Anstalt von Schichau in
                              									Elbing zwei kleine Maschinen nach System Borries für
                              									die Hannoversche Staatsbahn gebaut werden.
                           Gelegentlich der Besprechung dieses Vorschlages möge die Entwickelung des von Mallet zuerst vorgeschlagenen Compoundsystemes für
                              									Locomotiven etwas eingehender besprochen werden.
                           Bekanntlich besteht die Wesenheit der Manschen Construction darin,
                              									daſs die Locomotive an Stelle der gewöhnlich gleich groſsen Cylinder je einen
                              									Hochdruck- und einen Niederdruckcylinder erhält, während die Anordnung der unter 90°
                              									gegen einander versetzten Kurbeln, sowie der übrige Mechanismus unverändert bleibt.
                              									Der frische Kesseldampf tritt nur in den Hochdruckcylinder, expandirt dort bis zu
                              									einem gewissen Grade und tritt dann zum Niederdruckcylinder über, um von hier aus
                              									völlig ausgenutzt durch das Blasrohr zu entweichen. Die Stellung der Kurbeln unter
                              									90° nöthigt selbstverständlich zur Anordnung eines „Receiver“, zu welchem die
                              									Rauchkammer den günstigsten Platz bietet, um einen Spannungsabfall des übertretenden
                              									Dampfes zu verhindern. Endlich bedarf es einer Vorkehrung zum Einlassen directen
                              									Dampfes in den groſsen Cylinder, um bei einer für den kleinen Cylinder ungünstigen
                              									Kurbel Stellung das Anfahren zu ermöglichen.
                           Zu diesem Zweck verwendet Mallet
                              									einen Schieber (tiroir de demarrage), Reicher, wie der
                              									Name besagt, zunächst lediglich für das Anfahren bestimmt ist, weiterhin aber auch
                              									dazu benutzbar gemacht wird, um nicht allein das Anfahren, sondern auch das Fahren mit
                              									directem Dampf in beiden Cylindern zu ermöglichen und so für auſsergewöhnliche Fälle
                              									der Beanspruchung eine Kraftreserve verfügbar zu haben. Dieser „tiroir de demarrage“, welcher sich in seiner
                              									erweiterten Function passend mit „Volldruckschieber“ übersetzen läſst, ist, nach der aus Fig.
                                 										3 Taf. 27 im Horizontalschnitt ersichtlichen – übrigens durchaus nicht
                              									mustergültigen Anordnung – auſsen an die Rauchkammer der Locomotive angesetzt und
                              									steht durch die aus der Skizze ersichtlichen Rohre einerseits mit dem Blasrohr,
                              									andererseits mit dem Schieberkasten des groſsen Cylinders in Verbindung. Der
                              									Schieberkasten des Volldruckschiebers selbst ist durch eine directe Verbindung mit
                              									dem Regulator stets mit frischem Kesseldampf erfüllt und entläſst denselben, durch
                              									das Rohr e, beständig zum Schieberkasten des kleinen
                              									Cylinders. Der aus dem kleinen Cylinder austretende Dampf entweicht durch das Rohr
                              										a und gelangt, für die in Fig. 3
                              									gezeichnete Stellung des Volldruckschiebers, unter die Schiebermuschel hindurch zu dem Einströmungsrohr
                              									des groſsen Cylinders, welches gleichzeitig den Receiver bildet. Die für den kleinen
                              									Cylinder dienende Blasrohrleitung ist verschlossen und die Locomotive arbeitet als
                              									Compoundmaschine.
                           Soll dagegen in beiden Cylindern directer Dampf gegeben werden, so
                              									wird der Volldruckschieber so weit nach links verschoben, daſs die Einströmung zum
                              									groſsen Cylinder dem directen Dampf eröffnet wird, während die durch a austretenden Dampfmengen des kleinen Cylinders unter
                              									die Schiebermuschel zu der früher verschlossenen Blasrohrleitung entweichen. Die
                              									Stellung des Schiebers findet selbstverständlich vom Führerstand aus statt.
                           Dem in dieser Gestalt vor etwa 6 Jahren ausgearbeiteten Mallet'schen Systeme glaubte, trotz allen Vorurtheiles,
                              									mit welchem gerade im modernen Locomotivbau alle Neuerungen betrachtet werden,
                              									Niemand eine wesentliche Oekonomie des Dampf-Verbrauches absprechen zu dürfen; dagegen fürchtete man andererseits durch
                              									den nur zweimaligen Auspuff für jede Umdrehung eine Verminderung der Dampf-Erzeugung und ferner durch die ungleich groſsen
                              									Cylinderdrücke sowohl beim directen, als beim combinirten Gang eine gefährliche
                              									Erhöhung der schlingernden Locomotivbewegungen. Daſs sich auch die Stimmen der so
                              									genannten „Praktiker“ gegen die Complication durch das Receiverrohr und den
                              									Volldruckschieber laut machten, ist ja selbstverständlich.
                           Auffallend genug bewiesen sich die zumeist befürchteten Nachtheile
                              									des Mallet'schen Systemes bei den zahlreichen
                              									Ausführungen (auf der französischen Bahn Bayonne-Biarritz, auf der französischen
                              									Nordbahn, auf der österreichischen Nordbahn u.a.) als thatsächlich nicht vorhanden,
                              									wiewohl Jeder bestätigen muſs, der mit Mallet'schen
                              									Locomotiven gefahren ist, daſs die Dampferzeugung sowie die Ruhe des Ganges gegen
                              									die normalen Locomotiven keine bemerkenswerthen Unterschiede aufweisen. Dies ist
                              									auch ganz einleuchtend, wenn einerseits erwogen wird, daſs doch unter allen
                              									Umständen und mit nur wenig abweichenden Spannungen so viel Dampf durch das Blasrohr
                              									entweicht, als erzeugt wird, und andererseits berücksichtigt, daſs bei richtiger
                              									Balancirung der Massen der hauptsächlichste Grund des Schlingerns in den einseitig auftretenden Cylinderdrücken zu suchen ist.
                              									Dann ist es ohne weiteres klar, daſs eine Compoundmaschine, welche bei gleicher
                              									Leistung längere Admissionsperioden in beiden Cylindern hat als eine normale
                              									Locomotivmaschine, unter Umständen weniger schlingert, da sich hier die
                              									beiderseitigen Füllungsperioden theilweise überdecken, während bei einer hoch
                              									expandirenden direct wirkenden Maschine gewissermaſsen nur momentane Stöſse in allen
                              									vier Cylinderenden auftreten und so unvermeidlich schlingernde Bewegungen
                              									hervorrufen. Die effective Leistung der einen oder anderen Cylinderseite hat damit
                              									absolut nichts zu thun, wie ja eine Locomotive völlig ruhig gehen könnte, wenn beide
                              									Cylinder (selbstverständlich auf Kurbeln unter 180° wirkend wie bei der
                              									Duplexmaschine der österreichischen Staatsbahn auf der Londoner Ausstellung 1862)
                              									nur auf einer Seite angebracht wären und somit die
                              									ganze Kraftentwicklung einseitig stattfände.
                           Aus diesem Grunde hält Verfasser auch den von Mallet nachträglich eingeführten Dampfdruckreductor für
                              									völlig überflüssig. Derselbe ist in bekannter Einrichtung mit einem
                              									selbstregulirenden Differentialkolben derartig im Volldruckschieber angeordnet, daſs
                              									der Dampf zum kleinen Cylinder ungehindert durchströmt, dagegen der für den groſsen
                              									Cylinder bestimmte directe Dampf im Verhältniſs der beiderseitigen Cylinderflächen
                              									reducirt wird, so daſs auch im groſsen Cylinder kein gröſserer Anfangsdruck auf das
                              									Gestänge stattfinden kann wie im kleinen. Diese Einrichtung hat allenfalls einige
                              									Bedeutung, um bei sehr leicht construirten Maschinen das Gestänge auf beiden Seiten
                              									möglichst schwach halten zu können; – in der gewöhnlichen Ausführung unserer
                              									Locomotiven, bei welchen die Dimensionen der Bewegungstheile mit Rücksicht auf die
                              									normalen Abnützungsdrücke weitaus groſser gewählt sind, als es für die Festigkeit
                              									erforderlich wäre, kann eine vorübergehende
                              									Mehrbelastung des auf Seite des Niederdruckcylinders befindlichen Mechanismus
                              									unbesorgt gestattet werden. Thatsächlich wird versichert, daſs die nach Mallet'schem Compoundsystem reconstruirte Locomotive
                              									der österreichischen Nordbahn ohne Reductionsapparat arbeitet, dabei ihr früheres
                              									Gestänge auf beiden
                              									Seiten unverändert beibehalten hat, ohne daſs sich, selbst bei lange andauerndem
                              									directem Gang unruhige Bewegungen oder schädliche Beeinflussungen des Mechanismus
                              									gezeigt hätten.
                           Während derart die einzig rationell erscheinenden Einwände gegen
                              									das Mallet'sche System durch die Erfahrung ganz oder
                              									zum groſsen Theil widerlegt wurden, stellte sich merkwürdiger Weise auch heraus,
                              									daſs die erwartete Dampf- und Kohlenersparniſs nur in geringem Maſse eintrat, ja in
                              									manchen Fällen gar nicht festgestellt werden konnte. Dies muſste um so mehr
                              									überraschen, als doch die bedeutenden Vorzüge der Compoundmaschinen vor der
                              									gewöhnlichen Zwillingsmaschine durch unwiderlegliche Beweise festgestellt sind, wenn
                              									auch über den relativen Werth der verschiedenen hier Einfluſs nehmenden Faktoren
                              									noch keine Einigung erzielt ist. Diese Faktoren sind: 1) gleichmäſsigere
                              									Arbeitsabgabe auf die Kurbelwelle als bei gleich weit getriebener Expansion in zwei
                              									einzeln wirkenden, wenn auch unter 90° gekuppelten Cylindern; 2) die Ermöglichung
                              									einer bei den einfachen Steuerungssystemen unerreichbaren Gesammtexpansion; 3) die
                              									Verminderung des Dampfverlustes durch Undichtheit der Schieber und Kolben in Folge
                              									Vertheilung der Druckdifferenz; 4) als wesentlichstes Moment die Vertheilung der
                              									totalen Temperaturdifferenz auf zwei Cylinder und endlich 5) die Möglichkeit der
                              									Wiederbelebung des zum groſsen Cylinder übertretenden Dampfes durch Heizung des
                              									Receiver.
                           Wenn es nun auch aus all diesen Gründen wohl begreiflich
                              									erscheint, warum das Compoundsystem die höchste bis jetzt erreichbare Dampfökonomie
                              									erzielen läſst, so ist damit doch nicht gesagt, daſs
                              									sie auch unter allen Umständen erreicht werden muſs; im
                              									Gegentheil lehrt die Rankinisirung so manchen Compounddiagrammes, welch ungeheure
                              									Verluste auch hier gegenüber dem idealen Diagramme vorkommen können. Am wenigsten
                              									aber von allen bestehenden Maschinensystemen hat die Locomotivmaschine die
                              									Vorbedingung zur Geltendmachung der Vorzüge des Compoundsystemes. Vor allen Dingen:
                              									sie condensirt nicht, die Temperaturen des Kesseldampfes und des Abdampfes wechseln
                              									höchstens zwischen 180 und 105°, also um etwa 70 Proc., während sie bei
                              									condensirenden Compoundmaschinen mit normalem Anfangsdruck von 5at effectiv zwischen 160 und etwa 45°, also um
                              									mehr als 250 Proc. schwanken; zudem vermag sich der schädliche Einfluſs der
                              									Cylinderwandungen beibai der hohen Kolbengeschwindigkeit der Locomotiven bei weitem weniger geltend
                              									zu machen und endlich ist auch jene Ansicht nicht ohne Berechtigung, welche nicht
                              									allein die relativen Temperaturverhältnisse, sondern auch die absoluten Höhen
                              									derselben zu berücksichtigen verlangt.
                           Verliert somit dieser Umstand für die Locomotivmaschine viel von
                              									seinen bei anderen Systemen Ausschlag gebenden Bedeutung, so gilt auch das gleiche
                              									von dem weiteren Vorzug der Compoundmaschinen, der Verminderung der Dampfverluste
                              									durch Schieber und Kolben. Dagegen bleibt auch für Locomotivmaschinen bestehen der
                              									Vorzug einer weit getriebenen Expansion mit einfachen Steuerungen, die gröſsere
                              									Regelmäſsigkeit des Ganges und geringeren Reibungsverlust bedingende gleichmäſsige
                              									Kraftabgabe und das Nachwärmen des theilweise expandirten Dampfes im Receiver.
                           Alle diese Umstände vermögen, wenn sie auch theilweise gerade bei
                              									Locomotivmaschinen verminderte Bedeutung erhalten, doch ganz zweifellos eine erhöhte
                              									Oekonomie der Compoundlocomotiven zu erzielen; ebenso zweifellos ist aber auch, daſs
                              									diese an und für sich nicht allzu bedeutend erwartete Oekonomie durch ungünstige
                              									Führung des Compoundprocesses wieder völlig verloren gehen kann. Und da bei den
                              									wechselnden Arbeitsverhältnissen der Locomotive eine allgemein passende
                              									Cylinderdimension unter keinen Umständen erzielt werden kann, liegt es lediglich in
                              									der richtigen Führung der Steuerung, um die Compoundlocomotive zu einem ökonomischen
                              									Erfolg zu gestalten.
                           Aus diesem Grunde ist Maltet bei
                              									seiner neueren Maschine (so auch bei der von Schaltenbrand in der oben genannten Zeitschrift 1879 * S. 119 eingehend
                              									und gründlich behandelten Ausstellungsmaschine) von dem System gemeinschaftlicher
                              									Steuerung abgegangen, obwohl der Theorie nach bei entsprechender Wahl der
                              									Durchmesser beide Cylinder unter allen Umständen bei gleichen Mllungsgraden gleiche
                              									Leistungen entwickeln. Es fällt aber dieser Zustand gleicher Arbeitsleistung in
                              									beiden Cylindern nicht nothwendig mit gröſster Dampfökonomie zusammen und läſst sich
                              									daher mit getrennter Steuerung für beide Cylinder günstiger arbeiten. Zudem ist die
                              									Steuerung des Hochdruckcylinders speciell mit Rücksicht auf möglichst kleine
                              									Compressionen zu construiren, da sonst bei der hier als Gegendampf auftretenden
                              									Receiverspannung enorme Compressionen entstehen; beim Niederdruckcylinder dagegen
                              									sind, für die Ruhe des Ganges in den Hubwechseln, hohe Compressionen erwünscht.
                           Aus allen diesen Gründen versieht nunmehr Mallet jeden Cylinder mit einer besonderen Steuerung, welche durch einen
                              									besonderen Hebel regulirbar ist, und nur zum rascheren Umsteuern ist es möglich,
                              									beide Hebel zu kuppeln.
                           Welche Resultate Mallet thatsächlich
                              									mit dieser Anordnung im regelmäſsigen Betrieb erzielt hat, ist bis jetzt noch nicht
                              									authentisch bekannt geworden.
                           Auf Grund der vorausgegangenen Uebersicht haben wir den richtigen Standpunkt zur
                              									Beurtheilung der vom Maschinenmeister v. Borries
                              									vorgeschlagenen Verbesserungen des Mallet'schen Compoundsystemes gewonnen. Es werden
                              									zwei Abänderungen vorgeschlagen und zwar in dem Volldruckschieber und in der
                              									Steuerung: erstere, wie wir glauben, von nur nebensächlicher Bedeutung, letztere
                              									dagegen ausschlaggebend für die Existenzfähigkeit der Compoundlocomotive
                              									überhaupt.
                           Was den Volldruckschieber betrifft, so erachtet v.
                                 										Bornes denselben sowohl überflüssig, als schädlich; – überflüssig deshalb,
                              									weil durch eine viel einfachere Vorrichtung das Anfahren ermöglicht werden kann;
                              									schädlich, da er gerade bei der gröſsten Leistung, wo eine Oekonomie am
                              									ausgiebigsten wäre, die Compoundwirkung mit der directen Arbeit vertauschen läſst.
                              									Darum läſst v. Borries den Volldruckschieber ganz fort
                              									und bringt dafür am Regulator im Dampfdom die aus Fig. 4 Taf.
                              									27 ersichtliche Abänderung an.
                           Das Regulatorrohr, welches nunmehr direct mit dem Hochdruckcylinder in Verbindung
                              									steht, ist in gewöhnlicher Weise durch einen Schieber verschlossen, auf welchem, wie
                              									vielfach gebräuchlich, ein Entlastungsschieber zur Erleichterung des Oeffnens sitzt.
                              									An letzterem greift die Zugstange an und bewirkt, falls der in Fig. 4
                              									geschlossen gezeichnete Regulator geöffnet werden soll, zunächst eine
                              									Aufwärtsbewegung des Entlastungsschiebers, durch welchen der enge Schlitz des
                              									Grundschiebers eröffnet und ein vorläufiger Dampfweg zum Hochdruckcylinder gewonnen
                              									wird. Gleichzeitig damit wurde aber auch ein zweiter oberhalb des Regulatorrohres
                              									angebrachter Schlitz eröffnet, durch welchen mittels einer besonderen Rohrleitung
                              									directer Dampf zu dem den groſsen Cylinder versorgenden Receiver geleitet wird. So
                              									erhalten beide Cylinder directen Dampf, der groſse Cylinder dagegen, wie v. Borries annimmt, mit geringerer Spannung, da der
                              									durch das enge Hilfsrohr zuströmende Dampf durch die Ausbreitung in den groſsen
                              									Räumen des Receiver und des groſsen Cylinders momentan einen Theil seiner Spannung
                              									verliert. So erfolge denn das Anfahren in gleicher Weise, als ob beide Cylinder
                              									denselben Gesammtdruck hätten; der Regulator wird nach eingetretener Bewegung völlig
                              									geöffnet und die Maschine wirkt, da nunmehr das Hilfsrohr zum groſsen Cylinder wieder abgeschlossen
                              									ist, lediglich als Compoundmaschine. Selbstverständlich läſst sich eine ähnliche
                              									Wirkungsweise auch durch einen einfachen Regulator erzielen.
                           Es unterliegt keinem Zweifel, daſs diese Anordnung einfacher ist wie der von Mallet angewendete Volldruckschieber, – aber auch
                              									geringwertiger. Die Möglichkeit, mit beiden Cylindern direct arbeiten zu können, ist
                              									unter allen Umständen ein Vortheil, den man nicht ohne zwingenden Grund aufgeben
                              									sollte; ja Verfasser betrachtet die hierdurch innerhalb so weiter Grenzen mögliche
                              									Veränderung der Leistung als einen der allerwesentlichsten Vorzüge des Mallet'schen Systemes, wodurch dasselbe sich ganz
                              									speciell für Secundär – und Straſsenbahnen eignen wird. Wenn v. Borries seinen Niederdruckcylinder so groſs construiren kann, daſs
                              									damit die durch directen Gang nach Mallet erzielte
                              									Maximalwirkung auch beim Compoundgang geleistet wird, schädigt er unzweifelhaft den
                              									Nutzeffect bei geringeren Füllungsgraden; überdies ist aber bei groſsen Maschinen
                              									die Erzielung eines entsprechenden Cylinderdurchmessers fast immer unmöglich.
                           Was aber die Einfachheit der Handhabung betrifft, so ist es wohl recht gut möglich,
                              									den Regulatorhebel derart mit dem Volldruckschieber zu verbinden, daſs er bei einer
                              									bestimmten Stellung des Regulators etwas weniges geöffnet wird, um das Anfahren ohne
                              									weiteren Handgriff zu gestatten, auſserdem aber seine besondere Bewegung behält, um
                              									für den directen Gang völlig geöffnet zu werden. Doch ist zu bemerken, daſs sowohl
                              									hier, wie bei v. Borries' Anordnung der Fall nicht
                              									ausgeschlossen ist, daſs dennoch auf den Kolben des groſsen Zylinders der volle
                              									Dampfdruck wirkt. Es tritt dies dann ein, wenn die beiden Kurbeln so ungünstig
                              									stehen, daſs überhaupt kein Anfahren in dieser Richtung möglich ist, sondern
                              									reversirt werden muſs. In diesem Falle, wo somit beim Oeffnen des Regulators keine
                              									Bewegung eintritt, hat der Dampf Zeit, auch durch die kleine Oeffnung seinen ganzen
                              									Druck geltend zu machen. Will man somit das Gestänge des Niederdruckcylinders auch
                              									gegen diesen Fall ungewöhnlicher Inanspruchnahme schützen, so bleibt kein anderer
                              									Ausweg übrig als den Malle'schen Druckreductor
                              									einzuführen.
                           Neben dem vorstehend beschriebenen Hilfsrohr am Regulator hat v. Borries bei seiner Compoundlocomotive noch eine eigenthümliche
                              									Construction des Reversirhebels angewendet, welche in Fig. 5 Taf.
                              									27 argestellt ist. Der eigentliche, mit dem Handgriff versehene Reversirhebel ist
                              									durch eine Zugstange mit dem Bewegungshebel für die Reversirwelle des groſsen
                              									Cylinders verbunden, während die Reversirwelle des kleinen Cylinders – in gleicher
                              									Achse mit der ersteren, aber selbstverständlich getrennt gelagert – durch einen
                              									zweiten neben dem Reversirhebel aufgesteckten Hebel bewegt wird. Letzterer ist mit dem Reversirhebel
                              									durch eine Knagge verbunden, so daſs er der Rückwärtsbewegung desselben folgen muſs.
                              									Dabei wird jedoch bei gleichen Bogenausschlägen der Reversirhebel der kürzere Hebel
                              									der Reversirwelle des kleinen Cylinders rascher zurückgezogen wie der längere Hebel
                              									auf der Steuerwelle des groſsen Cylinders und nähert sich somit entsprechend rascher
                              									seiner Mittelstellung. In Folge dessen haben die beiden Cylinder die volle Füllung,
                              									für welche v. Borries hier 70 Proc. angibt, gemeinsam;
                              									dagegen entspricht 50 Proc. im groſsen Cylinder nur 40 Proc. im kleinen, 35 Proc. im
                              									groſsen Cylinder 20 Proc. im kleinen – Ziffern, welche v.
                                 										Borries für ein Cylinderverhältniſs von 1 : 1,9 als die vortheilhaftesten
                              									ausgemittelt hat.
                           Für das Rückwärtsfahren ist selbstverständlich eine umgekehrte Stellung der beiden
                              									Reversirhebel zu einander erforderlich, welche durch den zweiten Zahn in dem
                              									Seitenhebel ermöglicht wird. Zum Rangiren, bei welchem nur die Endstellungen
                              									verlangt werden, wird die Knagge überhaupt ausgelöst und der Seitenhebel vom
                              									Handhebel dadurch mitgenommen, daſs letzterer abwechselnd an die Anschläge stöſst,
                              									welche an beiden Enden des Bogenstückes, in welches der Seitenhebel ausgeht,
                              									angebracht sind. Dem entsprechend bewegt sich beim Reversiren mit ausgeklinktem Zahn
                              									der Handhebel zunächst eine Strecke allein, bis er an den Seitenhebel anschlägt und
                              									denselben nach rückwärts mitnimmt. In der hinteren Endstellung liegen dann beide
                              									Hebel gleichzeitig in den Futterstücken ihrer betreffenden Führungsbögen an, ebenso
                              									wie dies für den Vorwärtsgang in Fig. 4
                              									gezeichnet ist.
                           Die Hantirung mit v. Borries' Reversirhebel ist somit
                              									kaum complicirter wie die eines gewöhnlichen Reversirhebels und die selbstthätige
                              									Einstellung der Füllungsgrade gegenüber der Anordnung Mallet's ein auſserordentlicher Vortheil. Denn abgesehen von der
                              									complicirteren Handhabung der doppelten Hebel hieſse es doch allzuviel von dem
                              									Führer verlangt, daſs er auch noch die günstigsten zusammengehörigen Expansionsgrade
                              									von Hoch- und Niederdruckcylinder ausstudiren solle. Daſs dies aber absolut nöthig
                              									ist, um mit der Compoundlocomotive überhaupt eine nennenswerthe Ersparniſs erreichen
                              									zu können, glauben wir oben nachgewiesen zu haben. Darum betrachtet Verfasser die
                              									vorliegende Verbesserung, welche selbstverständlich nach praktischem Erforderniſs
                              									noch mannigfach variirt werden kann, als ausschlaggebenden Versuch für die
                              									Compoundlocomotive überhaupt und sieht dem von v.
                                 										Borries in Aussicht gestellten Bericht über seine vergleichenden
                              									Untersuchungen mit höchstem Interesse entgegen.
                           Hiermit wird auch der Beweis erbracht sein, ob überhaupt das Compoundsystem für
                              									nichtcondensirende Maschinen mit sehr variablen Leistungen irgend eine Berechtigung
                              									hat; sind doch die vortrefflichen Leistungen des Compoundsystemes lediglich bei den
                              									so besonders günstig und
                              									regelmäſsig arbeitenden Schiffsmaschinen und bei sonstigen groſsen Motoren für
                              									nahezu constanten Kraftbedarf erzielt worden.
                           Sollten sich aber, wie Verfasser fast fürchtet, die thatsächlich erreichbaren
                              									Vortheile der Compoundlocomotive als allzu klein herausstellen, um deren allgemeinen
                              									Verbreitung zu rechtfertigen, so bleibt doch noch ein Mittel, um auf einfache Weise
                              									eine wesentliche Oekonomie der Locomotivmaschine zu erzielen: die Steuerung. Der
                              									bedeutende Einfluſs einer richtigen Functionirung der Steuerung auf den guten und
                              									ökonomischen Gang der Locomotive ist allgemein anerkannt und das Bestreben zur
                              									thunlichsten Verbesserung der Coulissensteuerung, um rasche und volle Oeffnung,
                              									möglichst späten Voraustritt und späte Compression zu erhalten, so alt wie die
                              									Locomotive selbst. Warum soll nicht, wie so vieles, das beim ersten Versuche
                              									verworfen worden, die Doppelschiebersteuerung neuerdings aufleben, da wir selbst
                              									Ventilmaschinen mit 200 Touren arbeiten sehen.
                           Wilman.
                           
                        
                     
                  
               Tafeln
