| Titel: | O. Kohlrausch's neues Verfahren der Gerbsäure-Extract-Gewinnung mittels Dialyse. | 
| Fundstelle: | Band 240, Jahrgang 1881, S. 72 | 
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                        O. Kohlrausch's neues Verfahren der
                           								Gerbsäure-Extract-Gewinnung mittels Dialyse.
                        O. Kohlrausch's Gerbsäure-Extractgewinnung mittels
                           								Dialyse.
                        
                     
                        
                           Vor etwa 2½ Jahren tauchte die Idee auf, aus verschiedenartigen Rinden und Hölzern,
                              									in erster Linie Kastanien und Eichenholz, Gerbsäure-Extracte in Oesterreich-Ungarn
                              									darzustellen. Mit Rücksicht auf die fast unerschwinglichen Transportkosten war der
                              									leitende Grundgedanke dieses Planes, in Gegenden, wo Rinden und Hölzer sowie auch
                              									schwächere Aeste (Bürtelholz) billig zu haben sein würden, eine Fabrik aufzustellen,
                              									welche sich nur mit der Darstellung solcher Extracte und deren Concentration
                              									beschäftigen solle. Als Absatzgebiet war in erster Linie England, ferner aber auch
                              									Deutschland, Frankreich und Oesterreich ins Auge gefaſst.
                           Bei der Bearbeitung dieser Frage ging Dr. Otto
                                    										Kohlrausch in Wien von dem Standpunkt aus, daſs nach dem Gesetze des
                              									Ausgleiches verschieden concentrirter Flüssigkeiten die Gerbstofftheilchen bei der
                              									Gerbung des Leders nach Lösung in der Lohe in die sie umgebende Flüssigkeit
                              									gelangen, von hier – in Folge der Gerbstoffaufnahme aus der dem Leder näher
                              									liegenden Flüssigkeit durch das Leder – zum naturgemäſsen Zwecke des Ausgleiches der
                              									Flüssigkeitsconcentrationen zum Leder hinströmen, durch die Membran desselben
                              									osmotisch eindringen und von der Faser theils gebunden, theils zwischen derselben
                              									abgelagert würden. Dieser Vorgang wiederhole sich ununterbrochen und zwar so lange,
                              									als die Faser noch die Fähigkeit habe, Gerbsäure aufzunehmen und hierdurch stets
                              									verschiedene Concentrationen in der Brühe entständen, selbstverständlich
                              									vorausgesetzt, daſs das Lohmaterial noch Gerbsäure abzugeben habe. Kohlrausch schloſs hieraus, daſs nicht allein die
                              									Gerbsäure auf osmotischem Wege in die Haut gelangen, sondern in ähnlicher Weise
                              									durch die permeable Membran der Pflanzenzelle austreten müsse, da bei der chemischen
                              									und mikroskopischen Untersuchung sich das Innere der unverletzten Zellen ebenso
                              									verhielt als die äuſseren Theile bereits verwendeter stärkerer Rindenstücke; es
                              									könne sich daher nicht um eine einfache Auflösung der durch das Zerkleinern
                              									freigelegten Gerbsäure und Aufnahme des Gelösten mittels Osmose in die Haut handeln,
                              									sondern es müsse auch Dialyse und zwar theils freie, theils Membran-Dialyse der
                              									Gerbsäure, im letzteren Falle durch die permeable Membran der Pflanzenzellen ebenso
                              									wie durch die thierische Membran der Haut, stattfinden. Danach ist aber fernerhin
                              									das Raspeln und Zerkleinern der Lohe nicht mehr nothwendig, sondern dieselbe kann in
                              									Stücken verwendet werden, so daſs man ohne Gefahr der Verstopfung der Ventile oder
                              									Röhrenarmatur unter Luftabschluſs die Dialyse des Gerbmaterials in einer Batterie
                              									geschlossener Gefäſse vornehmen kann, die aus einem Material gefertigt ist, welches
                              									die Gerbsäure nicht schädigend beeinfluſst. Es müssen mithin auf billigere Art
                              									reinere Extracte gewonnen und damit hellere Leder erzeugt werden können und ebenso
                              									muſs bedeutend weniger der im frischen activen Zustande befindlichen Gerbsäure zur
                              									Gerbung benöthigt werden, falls man die frisch erzeugten Extracte direct in der
                              									Gerberei verwendet.
                           Ausgeführte Versuche zeigten nun, daſs durch die thierische Membran im Dialysator
                              									rasch Gerbsäure hindurch ging, daſs aus einer Batterie in kurzer Zeit schöne
                              									Extracte abflössen und das rückständige, mehr als bohnengroſse Lohematerial fast
                              									vollständig von Gerbsäure frei war.
                           Diese Resultate waren so überzeugend, daſs die Firma Gerhardus, Flesch und Comp. in Wien sich entschloſs, ihre geplante Fabrik
                              									auf dieses Verfahren einzurichten. Es galt nun, den Laboratoriums versuch in die
                              									Praxis zu übertragen. Das Gerbsäure haltige Rohmaterial sollte in Stücken von 1 bis
                              										8cm Länge, 1 bis 4cm Breite und etwa 1 bis 5mm Dicke zur
                              									Verwendung gelangen. Die Zerkleinerungsmaschinen muſsten dem entsprechend
                              									eingerichtet werden und es gelang nach kurzer Zeit, befriedigende Resultate zu
                              									erzielen. Schwieriger war die Construction einer zweckentsprechenden Batterie, weil
                              									Eisen (auſser im emaillirten Zustande) nicht zur Verwendung gelangen konnte und der
                              									Preis des Kupfers so hoch ist, daſs auf manche Bequemlichkeiten, welche z.B. heute
                              									in der Zuckerindustrie eingeführt sind, der Kosten wegen, verzichtet werden muſste.
                              									Die Batterie wurde daher 12gliedrig aus cylindrischen Holzgefäſsen mit
                              									Kupfermontirung hergestellt.
                           Das zerkleinerte Rohmaterial gelangt in diese Batterie geschlossener Gefäſse und wird
                              									im vorliegenden Falle bei vollständigem Luftabschluſs der Dialyse in der Art
                              									unterworfen, daſs unter einem Druck von lat Wasser
                              									in das erste Gefäſs eintritt und hier mit dem Rohstoff in Berührung kommt. Bei dem
                              									Eintreten in das Gefäſs wird das Wasser nach Bedarf auf die entsprechende Temperatur
                              									gebracht. Nach dem Gesetze, daſs aus einem Gemisch von Flüssigkeiten oder
                              									Salzlösungen die einzelnen Körper in verschiedener Weise austreten, gelangt nun
                              									zuerst die im Zellsaft gelöste Gerbsäure durch die Membran der Pflanzenzellen in das
                              									umgebende Wasser, später die durch das in die Zelle eingedrungene Wasser gelöste,
                              									schon abgelagerte Gerbsäure, und zwar findet diese Dialyse so lange statt, bis die
                              									Concentration des Inhaltes der inneren Zelle und jene der die Zelle umgebenden
                              									Flüssigkeit ausgeglichen ist. Dann tritt die Flüssigkeit durch ein mit
                              									Anwärmevorrichtung versehenes Uebersteigrohr aus dem ersten Gefäſse in das zweite,
                              									während neuerdings frisches Wasser in das erste Gefäſs eintritt. Der Vorgang
                              									wiederholt sich; die dialysirten Flüssigkeiten läſst man nach Ausgleich der
                              									Concentrationen vom zweiten Gefäſs auf das dritte, vom ersten auf das zweite steigen,
                              									während ins erste Gefäſs frisches Wasser eintritt. Zwischen je zwei Gefäſsen ist in
                              									dem Uebersteigrohr eine Anwärmevorrichtung mit directer Dampfeinströmung oder
                              									bestehend aus einem geschlossenen Dampfrohrheizsystem eingeschaltet, durch welche
                              									Vorrichtung die Möglichkeit geboten ist, die Temperatur in der gesammten Batterie
                              									entsprechend zu erhalten. Der Vorgang der Dialyse wiederholt sich nun in jedem
                              									Gefäſs bis zum vorletzten, also bis zum 11., wenn die Batterie beispielsweise aus 12
                              									Gefäſsen besteht, wodurch der Extract bis zum Abtrieb stets concentrirter wird.
                           Während der Inhalt des 11. Gefäſses der Dialyse unterworfen ist, wird das 1. Gefäſs
                              									abgestellt und des von Gerbsäure freien Inhaltes entleert. Zugleich wird der
                              									Wasserdruck auf Gefäſs 2 gestellt und 12 mit Rohmaterial gefüllt. Nach Vollendung
                              									dieser Operation tritt die extrahirte Flüssigkeit auf Gefäſs 12 über, Gefäſs 1 wird
                              									gefüllt, Gefäſs 2 entleert und der Wasserdruck auf Gefäſs 3 gestellt u.s.w., so daſs
                              									der Inhalt von 10 Gefäſsen stets der Dialyse unterworfen ist, während ein Gefäſs
                              									gefüllt und ein Gefäſs entleert wird; der Flüssigkeitswechsel ist bei einer
                              									12cylindrigen Batterie ein 23maliger. Die Operation der fast vollständigen
                              									Erschöpfung des Rohmaterials nimmt bisher noch etwa 5 bis 6 Stunden in Anspruch,
                              									d.h. es kommt jede halbe Stunde ein mit etwa 400k
                              									gefülltes Glied der Batterie zum Abtrieb; es ist aber auſser Frage, daſs dieser
                              									Zeitraum bei entsprechender Behandlung noch bedeutend abgekürzt werden kann.
                           Es kann nicht geläugnet werden, daſs anfänglich manche Schwierigkeit überwunden und
                              									die Arbeiter eingeschult werden muſsten; aber von einer eigentlichen Störung des
                              									Betriebes konnte vom ersten Tage an keine Rede sein, ja nicht einmal von einer
                              									mangelhaften Extraction. Die Gerberei muſste der kräftigeren Wirkung der Extracte
                              									anbequemt, ein Apparat zum Kühlen der Extracte in Anwendung gebracht, damit die für
                              									die Gerberei richtige Temperatur der Brühe eingehalten werden konnte, und so manches
                              									Andere muſste vorgekehrt werden; aber nach ¼ Jahre des Betriebes war, soweit es die
                              									Extractgewinnung und Verwendung der Extracte in der Gerberei betrifft, Alles in
                              									Ordnung.
                           Die Gerbsäure-Ausbeute, welche in der Fabrik täglich durch einen mit zu diesem Zweck
                              									angestellten Chemiker controlirt wird, beträgt bei Valonea und Knoppern 96 bis 97
                              									Proc.; bei Eichenrinde ist sie fast absolut zu nennen und bei Fichtenrinde, deren
                              									Gerbsäure der sie begleitenden Harze wegen am schwierigsten zu gewinnen ist, beträgt
                              									sie etwa 92 Proc. Es ist auſser Frage, daſs man diese Ausbeuteziffern fast bis zur
                              									absoluten Extraction steigern kann; allein es sollte vorläufig keine Abdampfstation
                              									eingeführt werden, um jede Complication zu vermeiden, und es muſste daher getrachtet
                              									werden, womöglich keine
                              									Extracte unter 20 bis 25° Ba. von Lohe abzuziehen. Es wurden nur Rinden, Knoppern
                              									oder Valonea verarbeitet (bei letzteren wurden Extracte von 50 bis 65° Ba.
                              									abgezogen), während von der Fabrikation der Extracte aus Holz abgesehen werden
                              									muſste, da der Gerbsäuregehalt dieses Materials ein zu geringer ist, um den
                              									Transport nach Wien zu vertragen. Bedenkt man, daſs bei den bisherigen Gerbemethoden
                              									etwa 40 Proc. Gerbsäure verloren gehen, mithin die Ausbeute 60 Proc. beträgt, so
                              									liegen die groſsen Vortheile dieses Verfahrens klar vor Augen.
                           Es sind jetzt schon gröſsere Partien fertigen Leders in den Handel gelangt. Nach
                              									Aussage der Fabriksleitung sind die Gewichte sehr befriedigend, die Qualität sowohl
                              									vom Oberleder, als Sohlenleder läſst nichts zu wünschen übrig und der Verbrauch an
                              									Gerbsäure ist, soweit man dies bei einer so groſsen Fabrik nach 10 monatlichem
                              									Betriebe beurtheilen kann, sehr zufriedenstellend.
                           Augenblicklich ist die Fabriksdirection mit Aufstellung eines Vacuums beschäftigt.
                              									Die Abdampfstation soll die Möglichkeit bieten, gröſsere Mengen Extract abzuziehen
                              									und so eine wesentlich raschere und trotzdem vollkommenere Arbeit herbeizuführen.
                              									Ebenso soll durch Verwendung concentrirterer Eichen- und Fichtenextracte in den
                              									bereits vorgeschrittenen Stadien des Gerbeprocesses die Verwendung der theueren
                              									Gerbmaterialien, als Valonea, Knoppern, Terra gambia u. dgl., thunlichst beschränkt
                              									werden, da es sich durch eingehende Versuche herausgestellt hat, daſs mit den nach
                              										Kohlrausch's Verfahren erzeugten Eichen – und
                              									Fichtenextracten selbst die stärkste Büffelhaut ohne Zeitverlust, d.h. in 4 bis 5
                              									Monaten, vollständig durchgegerbt werden kann. Die genannte Fabrik stellt jetzt
                              									wöchentlich 1000 Häute fertig, gehört mithin zu den gröſsten des Continentes.
                           Die Anlage zur Extractgewinnung – mit Ausnahme des Gebäudes, welches auch bei jedem
                              									anderen Verfahren hätte errichtet werden müssen – hat 12500 fl. ö. W. gekostet; es
                              									ist aber auſser Frage, daſs sich eine derartige Anlage heute, wo die Modelle bereits
                              									bestehen, um 10000 fl. herstellen läſst und bei kleineren Anlagen bedeutend billiger
                              									zu stehen kommen muſs. Die Kosten des Betriebes sind kaum nennenswerth. Hiernach
                              									erscheint Kohlrausch's Verfahren geeignet, einen
                              									Umschwung in der gesammten Gerberei, wie in den Verfahrungsarten der
                              									Extractfabrikation hervorzurufen, und zwar nicht allein in der Fabrikation der
                              									Gerbsäure-Extracte, sondern ebenso in jener der meisten in Wasser oder Alkohol
                              									löslichen Farbstoffe pflanzlichen Ursprunges.
                           Das beschriebene Verfahren ist u.a. auch im Deutschen Reiche patentirt (D. R. P. Kl.
                              									22 Nr. 12296 vom 11. Februar 1880).