| Titel: | Ueber Kohlendunst- und Leuchtgasvergiftung; von R. Biefel und Th. Poleck. | 
| Fundstelle: | Band 240, Jahrgang 1881, S. 199 | 
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                        Ueber Kohlendunst- und Leuchtgasvergiftung; von
                           								R. Biefel und Th. Poleck.
                        Biefel und Poleck, über Kohlendunst- und
                           								Leuchtgasvergiftung.
                        
                     
                        
                           Die Vergiftung durch Kohlendunst, welche schon im Alterthum bekannt war, sowie die in
                              									neuerer Zeit hinzugetretene Vergiftung durch Leuchtgas gewinnen in der Toxikologie
                              									ihr wissenschaftliches Interesse erst mit der näheren Kenntniſs des i. J. 1799 von
                              										Priestley entdeckten Kohlenoxydgases, dessen
                              									Schädlichkeit für warmblütige Thiere durch die Experimente von Tourdes, Tardieu u.a. auſser Zweifel gestellt wurde.
                              									Die Ansicht von Berzelius, daſs es sich bei der Kohlendunstvergiftung nicht
                              									um Kohlenoxyd, sondern um eine eigenthümliche, giftige Kohlenbrenzsäure handle, und
                              									die abenteuerliche Meinung von Chenot daſs das
                              									Kohlenoxyd sich in den Lungen schnell in Kohlensäure verwandle und die dabei
                              									entstehende hohe Temperatur die Lungenbläschen verbrenne u. dgl., übte einen nur
                              									vorübergehenden Einfluſs auf die wissenschaftlichen Ansichten aus.
                           LeblancRecherches sur la composition de l'air confiné.
                                    											Paris 1842. zeigte in einem Versuche, in welchem er Kohlendunst
                              									in einem groſsen Zimmer entwickelte und darin ein Thier vergiftete, zuerst durch die
                              									chemische Analyse, daſs es sich bei der Entwicklung von Kohlendunst um Beimengung
                              									von Kohlensäure und Kohlenoxyd zum Sauerstoff und Stickstoff der atmosphärischen
                              									Luft handle. Er fand beim Tode des Thieres die Luft zusammengesetzt aus:
                           
                              
                                 Kohlenstoff
                                 0,04
                                 Proc.
                                 
                              
                                 Sauerstoff
                                 19,19
                                 
                                 
                              
                                 Stickstoff
                                 75,62
                                 
                                 
                              
                                 Kohlensäure
                                 4,61
                                 
                                 
                              
                                 Kohlenoxyd
                                 0,54
                                 
                                 
                              
                           Die Analyse ist offenbar nicht richtig. OrfilaLehrbuch der Toxikologie, übersetzt von Krupp, 1854 Bd. 2 S. 600. fand in
                              									der Luft eines Zimmers, in welchem 4 Kohlenbecken 1½ Stunden gebrannt hatten und ein
                              									Hund nach 52 Minuten gestorben war, 5,57 Proc. Kohlensäure und 0,45 Proc.
                              									Kohlenoxyd. HünefeldHünefeld: Die Blutproben vor Gericht und das
                                       												Kohlenoxydblut, 1875 S. 53. welchem es hauptsächlich auf
                              									chemische Reactionen für die Diagnose und auf Versuche der Wiederbelebung ankam,
                              									bestimmte den Kohlendunst als an Sauerstoff arme Luft mit höchstens 0,54 Proc.
                              									Kohlenoxyd. Gesammtanalysen von solchen giftigen Luftarten fehlen jedoch
                              									vollständig.
                           R. Biefel und Th.
                                 										PoleckZeitschrift für Biologie, 1880 S.
                                    										279. haben nun hierüber umfassende Versuche angestellt. Bei der
                              									Analyse wurden die Gasmengen immer feucht gemessen. Die Kohlensäure wurde mit einer
                              									feuchten Kalikugel, der Sauerstoff durch eine Papierkugel bestimmt, welche mit einer
                              									concentrirten alkalischen Lösung von Pyrogallussäure getränkt war. In beiden Fällen
                              									wurde das Gas durch eine harte Kalikugel vollständig ausgetrocknet gemessen. Dann
                              									wurde die Analyse im Eudiometer zu Ende geführt und in allen Fällen das Kohlenoxyd
                              									durch, die Verbrennung mit Sauerstoff' unter Zusatz von Knallgas aus Kohlensäure
                              									bestimmt. Bei den Leuchtgasanalysen wurden die schweren Kohlenwasserstoffe durch
                              									eine mit rauchender Schwefelsäure getränkte Kokeskugel absorbirt, Kohlenoxyd,
                              									Wasserstoff und leichter Kohlenwasserstoff durch die Verbrennungsanalyse im
                              									Eudiometer bestimmt. Schwefelwasserstoff wurde durch titrirte Jodlösung gemessen.
                              									Folgende Tabelle I zeigt die Ergebnisse der Versuche mit Kohlendunst, welcher durch
                              									Aufstellung von Kohlenbecken im Versuchsraume erzeugt wurde:
                           
                        
                           
                           Tabelle I.
                           
                              
                                 
                                 1
                                 2
                                 3
                                 4
                                 5
                                 6
                                 7
                                 8
                                 9
                                 Zusammen-setzung
                                    											desKohlen-dunstes
                                 
                              
                                 KohlensäureKohlenoxydSauerstoffStickstoff
                                   7,03  0,1813,6579,14
                                   6,98  0,4413,4479,14
                                   7,41  0,6213,3278,65
                                   9,65  0,56  9,3080,49
                                   5,29  0,1914,2380,29
                                   5,05  0,3014,2380,42
                                   5,16  0,1614,7379,95
                                 Analysefehlt
                                   7,46  0,2612,6279,66
                                      6,75%  0,3413,1979,72
                                 
                              
                                 Dauer des
                                    											Ver-    suchesVerlaufKohlenoxyd-    spectrumZucker
                                    											im Harn
                                 3 St. 58
                                    											M.Thiererholt–0,5%
                                 50
                                    											MinutenTodtVorhanden0
                                 1 St. 30
                                    											M.TodtVor-handen0
                                 35
                                    											M.TodtVor-handen0
                                 1 St. 30
                                    											M.TodtVor-handen0,52%
                                 2 St. 15
                                    											M.Erholt––
                                 6
                                    											St.Erholt00
                                 3 St. 35
                                    											MErholtVor-handen–
                                 Mittel aus8 Analysen
                                 
                              
                           Somit läſst sich für den Kohlendunst eine mittlere
                              									Zusammensetzung aufstellen, welche dadurch charakterisirt ist, daſs in allen Fällen
                              									das Verhältniſs der Kohlensäure zum Sauerstoffgehalt verhältniſsmäſsig auf Kosten
                              									des letzteren verändert und der betreffenden Atmosphäre auſserdem ein wechselnder
                              									Procentsatz von Kohlenoxyd beigemischt ist. Ein schwaches Kaninchen starb schon bei
                              									0,19 Vol.-Proc. Kohlenoxyd, andere erforderten 0,3 Proc. und mehr. Vergleicht man
                              									hiermit die Fälle von Leuchtgasvergiftung in Tabelle II, so zeigen die Analysen ein
                              									ganz anderes Verhältniſs in der Mischung der atmosphärischen
                           Tabelle II.
                           
                              
                                 Leuchtgas
                                 
                                    Procent-Zusammensetzung
                                    
                                 
                              
                                 des zumVersuch
                                    											1benutztenGases
                                 deraspirirtenZimmer-luft
                                 des zumVersuch
                                    											2benutztenGases
                                 der aspirirtenZimmerluft
                                 
                              
                                 2a
                                 2b
                                 
                              
                                 Kohlensäure
                                   2,78
                                   0,04
                                   2,12
                                   0,08
                                   0,18
                                 
                              
                                 Schwere Kohlenwasser-    stoffe
                                   4,56
                                   0,04
                                   4,85
                                   0,35
                                   1,16
                                 
                              
                                 Sumpfgas
                                 32,00
                                   0,04
                                 30,80
                                   2,36
                                   3,17
                                 
                              
                                 Wasserstoff
                                 49,07
                                   0,04
                                 53,13
                                   4,42
                                   3,54
                                 
                              
                                 Kohlenoxyd
                                   4,70
                                   0,20
                                   6,75
                                   1,48
                                   0,53
                                 
                              
                                 Sauerstoff
                                   0,43
                                 20,75
                                   0,42
                                 19,15
                                 18,11
                                 
                              
                                 Stickstoff
                                   6,46
                                 78,97
                                   1,93
                                 72,16
                                 73,31
                                 
                              
                                 Dauer des Versuches
                                 –
                                 2 St. 12 M.
                                 –
                                 2 Std.
                                 5 St. 5 M.
                                 
                              
                                 Verlauf
                                 –
                                 Scheintodt
                                 –
                                 Todt
                                 Todt
                                 
                              
                                 Kohlenoxydspectrum
                                 –
                                 Vorhanden
                                 –
                                 Vorhanden
                                 Vorhanden
                                 
                              
                                 Harn
                                 –
                                 Zuckerhaltig
                                 –
                                 Zuckerfrei
                                 Zuckerhaltig
                                 
                              
                                 Bemerkungen
                                 –
                                 –
                                 –
                                 Zimmerluftexplosiv
                                 Zimmerluftexplosiv
                                 
                              
                           Luft bei Zutritt von Leuchtgas als beim Kohlendunst. Hier wird
                              									die Luft durch das Einströmen des Leuchtgases nicht arm an Sauerstoff, vielmehr
                              									bleibt der Sauerstoffgehalt im Versuchsraum und sein Verhältniſs zum Stickstoff
                              									nahezu völlig normal, da sich hier die Zusammensetzung der Luft nicht durch
                              									chemische Processe, sondern in dem Maſse ändert, als sie durch das einströmende
                              									Leuchtgas verdrängt wird. Das Kohlenoxyd vermehrt sich bis zu 0,5 Procent der Athmungsluft, ehe die
                              									Mischung tödtlich wird. Die Grenzen, innerhalb deren bestimmte Mengen von Kohlenoxyd
                              									geathmet werden können, ehe die tödtliche Wirkung erfolgt, scheinen bei der
                              									Vergiftung durch Leuchtgas viel weiter zu liegen als beim Kohlendunst. Offenbar wird
                              									in normaler Athmungsluft eine gröſsere Menge Kohlenoxyd länger ertragen, ehe sie
                              									giftig wirkt, als dies im Kohlendunst der Fall ist, wo, ganz abgesehen von der
                              									Kohlensäure, der Sauerstoff auf ⅔ bis ½ des normalen Gehaltes reducirt ist.
                           Weitere Vergleichspunkte über den Antheil, welchen das Kohlenoxyd unter verschiedenen
                              									Umständen an der toxischen und letalen Wirkung einer Luftart nimmt, gewährt Tabelle
                              									III, wo es sich um einfache Zuleitung von reinem Kohlenoxyd in den Versuchsraum
                              									handelt.
                           Tabelle III.
                           
                              
                                 Zusammensetzung deraspirirten Luft
                                 1
                                 2
                                 3
                                 4
                                 5
                                 
                              
                                 Kohlenoxyd
                                 0,04
                                   1,94
                                   1,53
                                   1,65
                                   1,02
                                 
                              
                                 Kohlensäure
                                 0,04
                                   0,27
                                   0,61
                                   0,54
                                   0,74
                                 
                              
                                 Sauerstoff
                                 –
                                 20,50
                                 20,52
                                 20,50
                                 20,60
                                 
                              
                                 Stickstoff
                                 –
                                 77,29
                                 77,34
                                 77,31
                                 77,64
                                 
                              
                                 Dauer
                                 20 Stdn.
                                 1 Stunde
                                 52 Min.
                                 25 Min.
                                 10 Min.
                                 
                              
                                 Verlauf
                                 Erholung
                                 Todt
                                 Todt
                                 Erholung
                                 
                              
                                 Kohlenoxydspectrum
                                 Nicht vorh.
                                 Vorhanden
                                 Vorhanden
                                 
                              
                                 Harn
                                 1,35% Zucker
                                 –
                                 Zuckerfrei
                                 
                              
                           Danach werden bei der reinen Kohlenoxydvergiftung noch 1,02
                              									Proc. Kohlenoxyd kurze Zeit vertragen.
                           Die Versuche mit reiner Kohlensäure zeigten, daſs bei einem Gehalt von 6,7 Proc. das
                              									Thier nur matt wurde, sich dann aber an der Luft rasch erholte, bei 50,4 Proc. aber
                              									erfolgte der Tod.
                           Die tödtliche Wirkung des Schwefelwasserstoffes ist wegen seines Vorkommens im
                              									Leuchtgase und den Minen- und Kloakengasen wichtig. Der Tod erfolgte nach 1 Stunde
                              									15 Minuten und nach 1 Stunde 58 Minuten bei Gegenwart von 0,05 und 0,037 Proc. und
                              									unter Krankheitsformen, welche von denen der Kohlenoxydvergiftung abwichen. In einem
                              									weiteren Versuch wurde die Zuleitung von Kohlenoxyd und Schwefelwasserstoff beliebig
                              									vereinigt. Es stellte sich dabei heraus, daſs dieselben kleinen Mengen von
                              									Schwefelwasserstoff, welche für sich allein zum Tode führen würden, auch den Verlauf
                              									der Kohlenoxydvergiftung tödtlich machen.
                           Besonders bemerkenswerth sind noch die Veränderungen der Beschaffenheit und
                              									Zusammensetzung des Leuchtgases, welches längere Erdschichten durchströmt hat.
                              									Wiederholt ist die Beobachtung gemacht worden, daſs der eigenthümliche
                              									Leuchtgasgeruch verschwindet, oder sich erst später bemerkbar macht, wenn das
                              									betreffende Gas unter einer längeren, oben gefrorenen Erdschicht nach bewohnten
                              									Räumen hin angesaugt
                              									wird. Daraus entstehende Vergiftungen, sogar mit Opfer an Menschenleben, waren in
                              									Breslau vereinzelt schon früher, namentlich aber in dem letzten harten Winter in
                              									gröſserer Anzahl beobachtet worden. Veranlaſst durch einen im Winter 1877 zuerst
                              									bekannt gewordenen Fall, wurde am 3. März 1877 im Hofe der Breslauer Gasanstalt ein
                              										2m,35 langes und 5cm weites eisernes Rohr mit Erde von sandiger humöser Beschaffenheit, wie
                              									sie in den am Ufer der Oder gelegenen Stadttheilen die obere Erdschicht bildet,
                              									dicht gefüllt. Dieses Rohr wurde mit dem Hauptzuleitungsrohr von den
                              									Reinigungsapparaten nach dem Gasometer in directe Verbindung gesetzt, dann langsam
                              									Gas durchgeleitet und dieses nach einiger Zeit aufgefangen. Es hatte seinen
                              									unangenehmen, charakteristischen Geruch fast ganz verloren. Das zum Versuch benutzte
                              									Leuchtgas wurde vor und nach seinem Durchgange durch die Erdschicht analysirt:
                           
                              
                                 
                                 Leuchtgas
                                 Durch die Erdschichtgeströmtes Gas
                                 
                              
                                 Kohlensäure
                                     3,06
                                     2,23
                                 
                              
                                 Schwere Kohlenwasserstoffe
                                     4,66
                                     0,69
                                 
                              
                                 Sumpfgas
                                   31,24
                                   17,76
                                 
                              
                                 Wasserstoff
                                   49,44
                                   47,13
                                 
                              
                                 Kohlenoxyd
                                   10,52
                                   13,93
                                 
                              
                                 Sauerstoff
                                     0,00
                                     6,55
                                 
                              
                                 Stickstoff
                                     1,08
                                   11,71
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––––––––––––––––––––––––––––––
                                 
                              
                                 
                                 100,00
                                 100,00.
                                 
                              
                           Wenn man die Bestandtheile des durch die Erdschicht
                              									gedrungenen mit der Zusammensetzung des unveränderten Gases vergleicht, so fällt
                              									zunächst in die Augen, daſs etwa 75 Procent der schweren Kohlenwasserstoffe und mit
                              									ihnen die im Gase befindlichen Dämpfe der riechenden Theerbestandtheile condensirt
                              									worden sind; das Sumpfgas hat sich um etwa 50 Proc. vermindert, während der
                              									Wasserstoff nahezu derselbe geblieben ist und das Kohlenoxyd sich scheinbar sogar um
                              									25 Proc. vermehrt hat. Ebenso entspricht der von der atmosphärischen Luft
                              									herrührende Sauerstoff und Stickstoff nicht dem Verhältniſs ihrer Mischung. Das
                              									Verhalten der Gase gegen poröse Körper von so wechselnder Zusammensetzung wie der
                              									Erdboden ist noch viel zu wenig gekannt, um eine genügende Erklärung für die hier
                              									vorliegenden Absorptions- und Diffusionsverhältnisse finden zu können. Wenn weitere
                              									Analysen die geringe Absorptionsfähigkeit für Kohlenoxyd bestätigen sollten, so
                              									würde darin die gröſste Gefahr derartiger Gasausströmungen um so mehr zu suchen
                              									sein, als sie sich zunächst kaum durch den Geruch verrathen. Dies muſs auch in den
                              									beiden charakteristischen, von PettenkoferPettenkofer: Vorträge, 1872 S. 111.
                              									mitgetheilten Krankheitsfällen der Fall gewesen sein, denn man hätte sonst unmöglich
                              									die beiden Kranken 4 bis 6 Tage in der betreffenden, durch Gas inficirten Wohnung
                              									belassen können.
                           
                           Damit stimmt auch eine Beobachtung, welche Biefel in der
                              									eigenen, im Hoch-Erdgeschoſs gelegenen Wohnung während des Winters 1875 machte.
                              									Durch ein zerbrochenes Straſsenrohr wurde unter dem gefrorenen Erdboden Gas nach
                              									einem benachbarten Schlafzimmer angesaugt, welches sich dem Bewohner zunächst nicht
                              									durch den Geruch, sondern durch Benommenheit des Kopfes, unbehagliches Gefühl und
                              									Kopfschmerz beim Erwachen bemerkbar machte. Erst später trat der charakteristische
                              									Gasgeruch auf.
                           Während derartige Vergiftungsfälle durch Leuchtgas in früheren Jahren nur sehr
                              									vereinzelt auftraten, wurden sie im Winter 1879/80 wiederholt und in geradezu
                              									erschreckender Häufigkeit in Breslau beobachtet. Zur Zeit der strengsten
                              									Winterkälte, im Verlauf von 6 Wochen vom 17. December bis 27. Januar, wurden nach
                              									dem Bericht des Directors der Breslauer Gasanstalt H.
                                 										Troschel nicht weniger als 10 bewohnte Räume festgestellt, in welchen durch
                              									Rohrbrüche veranlaſste Gasausströmungen zum Theil schwere Erkrankungen und sogar
                              									einen Todesfall herbeigeführt hatten. Gerade in den schwersten Fällen war in den
                              									betreffenden Häusern eine Gasleitung überhaupt nicht vorhanden gewesen; allen aber
                              									war gemeinsam, daſs das Gas aus gebrochenen Röhren der Straſsenleitung stammte,
                              									deren Bruchstelle in einzelnen Fällen sich 10 bis 27m in der Luftlinie von den betreffenden Erdgeschoſs- und Kellerwohnungen
                              									entfernt befand. Die Häuser dieser Wohnungen waren zum Theil nicht unterkellert, zum
                              									Theil in nicht gutem Bauzustande. So erklärt es sich, daſs das Gas unter dem fast
                              										lm tief gefrorenen Boden so weite Strecken
                              									zurücklegen konnte, bis es genau wie in den von Pettenkofer mitgetheilten Fällen von den geheizten und leicht zugänglichen
                              									Wohnungsräumen angesaugt wurde.
                           Von den in Breslau gemachten Beobachtungen sollen nur zwei für die
                              									vorliegende Erörterung besonders interessante Fälle eingehender besprochen
                              									werden.
                           Am 25. December 1879 erkrankte plötzlich der im Seitenhause des
                              									Fürstbischöflichen Convicts wohnende Castellan Figura,
                              									ein schon bejahrter Mann, und starb am 27. December Vormittags, wie man annahm und
                              									der behandelnde Arzt auch bestätigte, eines natürlichen Todes. An demselben Tage
                              									langten die drei auswärts wohnenden Söhne und eine Nichte an und nahmen Quartier in
                              									der Wohnung des Verstorbenen in zwei neben einander liegenden niedrigen Stuben des
                              									nicht unterkellerten und nur ein Erdgeschoſs enthaltenden Hauses. Am Morgen des 28.
                              									Decembers erwachten sowohl die Wittwe, wie deren Nichte und die drei Söhne mit dem
                              									Gefühl heftigen Unwohlseins, anhaltender Uebelkeit, Schwindel, Mangel an Appetit
                              									u.s.w. Diese Zufälle minderten sich zwar im Laufe des Tages bei häufiger Bewegung in
                              									frischer Luft, wurden aber nicht vollständig beseitigt, so zwar, daſs die Leute sich
                              									noch unwohl schlafen legten. Unter ganz ähnlichen Erscheinungen war auch der
                              									verstorbene Vater zuerst erkrankt. Am anderen Morgen, den 29. December, blieb die
                              									Thür der Wohnung auffälliger Weise geschlossen; man vermuthete ein Unglück und einer
                              									der Pensionäre der Wittwe drang durch das Fenster in die von innen verriegelte Stube
                              									und öffnete die Thür. Die nun Eintretenden fanden die fünf eingeschlossenen Personen
                              									im Zustande der schwersten Erkrankung. Sie hatten sich erbrochen, waren bewuſstlos
                              									und die drei Söhne, welche in dem gröſseren Zimmer lagen, glichen Sterbenden. Die
                              									sofort angestellten Wiederbelebungsversuche waren bei den im Nebenzimmer
                              									befindlichen beiden
                              									Frauen von Erfolg; sie erholten sich verhältniſsmäſsig rasch im Laufe des Tages,
                              									während die Söhne noch bis zum Abend in Lebensgefahr schwebten. Diese hatten in
                              									derselben Stube, wo der Vater gestorben war, und zwar, wie sich später
                              									herausstellte, in der Nähe der Ausströmungsöffnungen des Gases geschlafen.
                              									Sämmtliche Erkrankten waren nach verschiedenen Krankenhäusern gebracht worden, die
                              									beiden ältesten Söhne nach der medicinischen Klinik. Hier wurde in Blutproben
                              									derselben das Kohlenoxydspectrum aufgefunden, eben so später im Blut des
                              									verstorbenen Vaters, dessen gerichtliche Section angeordnet worden war. Somit war
                              									die gemeinsame Ursache des Todes des Vaters und der Erkrankung seiner fünf
                              									Angehörigen festgestellt.
                           Durch die polizeiliche Aufnahme des Thatbestandes wurde ferner
                              									nachgewiesen, daſs seit 2 Tagen in dem Ofen der Stube kein Feuer gemacht worden war,
                              									von einer Kohlendunstvergiftung mithin keine Rede sein konnte; dagegen habe eine
                              									Erdöllampe die ganze verhängniſsvolle Nacht hindurch gebrannt und sei erst von dem
                              									Pensionär, welcher durch das Fenster in das Zimmer eindrang, ausgelöscht worden. Ein
                              									explosives Gas konnte daher in dem Zimmer nicht vorhanden gewesen sein. Die Luft
                              									dieses Zimmers war dagegen, nach dem Berichte des Gasanstaltdirectors, geradezu
                              									entsetzlich. Das Zimmer war seit dem Tode Figura's
                              									nicht gelüftet worden; der Dunst der Erdöllampe, der Geruch der ausgebrochenen
                              									Speisereste, der angewendeten Wiederbelebungsmittel, wie Essigäther, Senfspiritus u.
                              									dgl., lieſs einen specifischen Gasgeruch nicht erkennen. Erst nachdem diese Räume
                              									durch einige Stunden gelüftet worden waren, wurde der Geruch charakteristischer, an
                              									Leuchtgas erinnernd. Um völlige Gewiſsheit zu erhalten, wurde die Wohnung wieder
                              									geschlossen und erst am anderen Tage betreten. Nun war der Gasgeruch unzweifelhaft
                              									vorhanden. 2 Tage darauf gelang es sogar, das durch die Ritzen der Dielung
                              									einströmende Gas zu entzünden. Dasselbe brannte mit einer etwa 100mm hohen leuchtenden Flamme. Die Arbeiten zur
                              									Auffindung des Rohrbruches waren unmittelbar am Vormittag des Unglückstages, 28.
                              									December, begonnen worden; aber in dem fast Ina tief gefrorenen Boden gelang es,
                              									obgleich dieselben mit aller Energie fortgesetzt wurden, doch erst am 2. Januar,
                              										10m,7 in der Luftlinie von der nächsten Ecke
                              									des inficirten Hauses entfernt, den Bruch eines 3cm weiten Gasrohres aufzufinden.
                           Weit rascher gestaltete sich der Verlauf in einer von JacobsBerliner klinische
                                       												Wochenschrift, 1874 S. 322. in Köln mitgetheilten
                              									Vergiftung durch Leuchtgas, in welchem dasselbe aus dem schadhaften Hauptrohr unter
                              									dem gefrorenen Boden und durch einen alten Abzugskanal in den Keller und das
                              									Ergeschoſs eines 50 Schritt davon entfernten Hauses gelangte und hier ein Elternpaar
                              									mit seiner 7jährigen Tochter dem Tode nahe brachte, sowie noch mehrjähriges
                              									Siechthum veranlaſste.
                           Die Luft derartiger Räume zu analysiren, wurde möglich bei einem Rohrbruch in der
                              									Friedrich-Wilhelmstraſse von Breslau am 26. Januar 1880, dessen Auffindung erst nach
                              									fünftägiger angestrengter Arbeit gelang. Hier hatte das Gas seinen Weg unter dem
                              									gefrorenen Erdboden durch lockeres Gerölle in einen engen alten Kanal genommen und
                              									strömte aus diesem, 35m in der Luftlinie von der
                              									Bruchstelle entfernt, in den offenen Thorweg eines Hauses in derselben Straſse aus.
                              									Das ausströmende Gas war fast geruchlos, so daſs es von den Beamten der Gasanstalt
                              									für brennbare Kanalluft gehalten wurde, frei von jeder Spur von Schwefelwasserstoff;
                              									dasselbe brannte angezündet mit wenig leuchtender blauer Flamme und lieſs sich
                              									leicht aufsammeln. Einige Tage später brannte es an derselben Stelle mit hell
                              									leuchtender Flamme und besaſs den charakteristischen Gasgeruch, wurde aber nicht
                              									gesammelt. Das gesammelte Gas bestand aus:
                           
                           
                              
                                 Schwerer Kohlenwasserstoff
                                 1,13
                                 
                              
                                 Sumpfgas
                                 12,47
                                 
                              
                                 Wasserstoff
                                 14,90
                                 
                              
                                 Kohlenoxyd
                                 0,82
                                 
                              
                                 Kohlensäure
                                 3,51
                                 
                              
                                 Sauerstoff
                                 6,74
                                 
                              
                                 Stickstoff
                                 60,42
                                 
                              
                                 
                                 –––––––
                                 
                              
                                 
                                 100,00.
                                 
                              
                           Der Kohlenoxydgehalt war mehr als hinreichend, um
                              									Vergiftungserscheinungen hervorzurufen, wenn das Gas seinen Weg in die Erdgeschosse
                              									der benachbarten Häuser gefunden hätte, in denen es zunächst durch den Geruch nicht
                              									wäre wahrgenommen worden; das Gas war nicht explosiv. Die 29,31 Proc. brennbarer
                              									Gase bedurften zur vollständigen Verbrennung 36,19 Proc. Sauerstoff; es waren jedoch
                              									nur 6,74 Proc. Sauerstoff vorhanden. Wenn man die brennbaren Bestandtheile des
                              									Gasgemisches von den nicht brennbaren abzieht, so gelangt man zur Zusammensetzung
                              									der Luft des alten Kanals, welche enthielt:
                           
                              
                                 Kohlensäure
                                 4,96
                                 
                              
                                 Sauerstoff
                                 9,54
                                 
                              
                                 Stickstoff
                                 85,50
                                 
                              
                                 
                                 –––––––
                                 
                              
                                 
                                 100,00.
                                 
                              
                           Die Arbeiten zum Aufsuchen der Bruchstelle hatten ergeben, daſs das Gas seinen Weg
                              									nach dem alten Kanalstrang durch lockeren Mauerschutt, Ziegelstücke u. dgl. genommen
                              									hatte. Dabei muſste es auf diesen porösen Massen die seinen Geruch besonders
                              									bedingenden Theerdämpfe abgesetzt haben, während die anderen Bestandtheile des
                              									Gases, mit Ausnahme der schweren Kohlenwasserstoffe, nicht wesentlich durch
                              									Absorption vermindert worden waren. Dadurch erklären sich die verschiedenen
                              									Resultate zwischen der Zusammensetzung des aus dem Kanal aufgefangenen und der
                              									Analyse jenes Leuchtgases, welches eine thonige und humöse Schicht durchzogen und
                              									dabei auch seinen Geruch vollständig, sowie den gröſsten Theil der schweren
                              									Kohlenwasserstoffe eingebüſst hatte.