| Titel: | Neue Beobachtungen auf dem Gebiete der Gerberei; von Karl Sadlon. | 
| Autor: | Karl Sadlon | 
| Fundstelle: | Band 240, Jahrgang 1881, S. 228 | 
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                        Neue Beobachtungen auf dem Gebiete der Gerberei;
                           								von Karl Sadlon.
                        Sadlon's Beobachtungen auf dem Gebiete der Gerberei.
                        
                     
                        
                           So vollkommen und ihren verschiedenartigen Zwecken entsprechend die Producte der
                              									Gerberei mit den jetzigen Methoden und Einrichtungen hergestellt werden können, so
                              									muſs doch andererseits zugestanden werden, daſs gerade diese Methoden und
                              									Einrichtungen sich noch auf einer ziemlich primitiven Stufe befinden und,
                              									Verbesserungen erheischend, dieselben jedenfalls auch zulassen werden.
                           Eine der unvollkommensten Einrichtungen der Gerberei ist unstreitig die jetzt noch
                              									allgemein befolgte Art der Ausnutzung der
                                 										Gerbmaterialien. In der überwiegenden Mehrzahl der Gerbereien geht dieselbe
                              									höchstens bis auf ⅔, oft nur bis zu ½ der darin enthaltenden gerbenden Substanz, der
                              									Rest wird fortgeworfen. Dies ist um so mehr zu bedauern, als theoretisch nicht die
                              									geringste Schwierigkeit vorliegt, um die Ausnutzung auf einfache Art bis zu einer
                              									weit höheren Grenze treiben zu können; die groſse Löslichkeit des Gerbstoffes in
                              									namentlich warmem Wasser läſst das Ziel einer möglichst vollständigen Auslaugung der
                              									Gerbmaterialien als sehr leicht erreichbar erscheinen. Das Bestehen einer in reinem
                              									Wasser unlöslichen Form des Gerbstoffes, als welche bei der Eichenrinde z.B. das
                              									Eichenphlobaphen zu betrachten ist, welche aber zweifelsohne bei allen übrigen
                              									Gerbstoffen ihre entsprechenden Analoge findet, erklärt so ziemlich die bis jetzt
                              									stattfindende unvollkommene Ausnutzung; wird nun das Gerbmaterial mit kaltem Wasser,
                              									wie es in den Gerbereien zumeist geschieht, ob für sich in Extractionsgefäſsen oder
                              									in Berührung mit Haut in den Bottichen oder Gruben ausgezogen, so kann, da auf
                              									diesem Wege nur verhältniſsmäſsig verdünnte Lösungen entstehen können, auch nur sehr
                              									wenig Phlobaphen in Lösung gebracht und auf die Haut übergeführt werden und dies
                              									erklärt, warum man bis heute noch eine unverhältniſsmäſsig lange Zeit als
                              									unerläſsliche Bedingung zur Herstellung eines guten Leders nothwendig erachtet, wozu
                              									aber freilich die für die Diffusion ungünstigen Umstände, unter denen die Gerbung
                              									gewöhnlich erfolgt – als niedrige Temperatur, Pressung in den Gruben, verdünnte
                              									Lösungen und absolute Ruhe der Häute in den Gruben – ebenfalls ihren Theil
                              									beitragen. Auſser der in ziemlich engen Grenzen zu haltenden Temperatur, unter
                              									welcher die Gerbung erfolgt und an der sich in Hinblick an die anzustrebende gute
                              									Qualität der Leder nur wenig rütteln läſst, lassen sich alle der schnellen Gerbung
                              									sich entgegenstellenden Hindernisse leicht beseitigen, wenn eine richtige Extraction
                              									der Gerbmaterialien eingeführt wird.
                           Als unerläſsliche erste Bedingung für eine rationelle Auslaugung der Gerbmaterialien ist die
                              									Anwendung erhöhter Temperatur zu betrachten; hierbei werden die Zellen der
                              									Gerbmaterialien viel schneller und vollkommener erweicht, die Diffusion wird
                              									beschleunigt und das Lösungsvermögen des Wassers erhöht, so daſs man dadurch allein
                              									schon concentrirtere Lösung erhalten muſs. Der Wirkungswerth der auf diese Art
                              									erhaltenen Lösungen wird aber noch bedeutend dadurch gesteigert, daſs darin nun auch
                              									viel gröſsere Mengen der unlöslichen Modification des Gerbstoffes aufgelöst sind und
                              									den Häuten zugeführt werden können. Der einzige Einwand, welcher von Seite vieler
                              									Praktiker gegen eine von Anfang bis zu Ende mit heiſsem Wasser systematisch
                              									durchgeführte Auslaugung erhoben werden könnte, ist der, daſs die Farbe des mit
                              									solchen Extracten hergestellten Leders eine dunklere ist als diejenige, welche das
                              									nach den bisherigen Verfahren gegerbte Leder besitzt.
                           Diesem Umstände läſst sich übrigens auf leichte und billige Art abhelfen. Digerirt
                              									man ein Gerbmaterial, z.B. Eichenrinde, mit Wasser von 50 bis 100°, so erhält man in
                              									sehr kurzer Zeit ein starkes Extract. Kühlt man dasselbe bis zu derjenigen
                              									Temperatur ab, bei welcher man überhaupt Häute hineinbringen darf, also auf etwa
                              									18°, so setzt sich alsbald ein gelbbraun gefärbter Niederschlag in sehr reichlichen
                              									Mengen ab, von welchem ich glaube annehmen zu dürfen, daſs derselbe wenn nicht ganz,
                              									so doch zum überwiegenden Theile, aus einer unlöslichen Modification des Gerbstoffes
                              									besteht, in diesem Falle also aus Eichenphlobaphen. Man erhält einen ähnlichen
                              									Niederschlag bei der heiſsen Extraction eines jeden anderen Gerbmaterials.
                           Die Richtigkeit der eben ausgesprochenen Ansicht über die Natur dieses Niederschlages
                              									voraussetzend, handelte es sich mir nun darum, denselben auf irgend eine Art in
                              									Lösung zu bringen und darin selbst bei gewöhnlicher Temperatur zu erhalten, um ihn
                              									so zum Gerben verwenden zu können. Die reinen und kohlensauren Alkalien erwiesen
                              									sich als ungeeignet hierzu wegen der sehr leichten Zersetzbarkeit der so
                              									dargestellten Gerbstofflösung.
                           Nach mehreren vergeblichen Versuchen fand ich ein vorzügliches Mittel in dem
                              									borsauren Natron. Wenn man ein beliebiges Gerbmaterial nach einem der in der Praxis
                              									befolgten entsprechenden Verfahren auslaugt und nun die eine Hälfte des so
                              									ausgelaugten Gerbmaterials noch weiter mit reinem Wasser übergieſst, auf die andere
                              									Hälfte aber eine 0,5procentige Boraxlösung bringt, so gewahrt man schon nach kurzer
                              									Zeit einen bedeutenden Unterschied in dem Aussehen der beiden Flüssigkeiten; denn
                              									während der mit reinem Wasser hergestellte Auszug kaum gefärbt ist, besitzt der
                              									Borax haltige eine stark braune Färbung, worin der Gerbstoff durch Hineinlegen
                              									frischer Hautstücke nachgewiesen werden kann. Bringt man das etwa 0,5 Proc. Borax
                              									enthaltende Wasser gleich auf frisches Gerbmaterial und unterstützt die Extraction
                              									durch Wärme, so erhält man sehr starke Gerbstoffauszüge, welche aber nun beim Abkühlen
                              									keinen Niederschlag absetzen, sondern stets rein und klar bleiben. Der auf diese Art
                              									hergestellte Auszug besitzt eine sehr groſse Haltbarkeit gegenüber dem mit reinem
                              									Wasser hergestellten; denn während der letztere bei einer Temperatur von etwa 16°
                              									stehend schon nach 10 Tagen sich mit einer dichten Schimmelpilzdecke überzogen
                              									hatte, lieſs sich auf dem Borax haltigen unter gleichen Umständen noch keine Spur
                              									von Schimmelbildung beobachten und trat dieselbe erst viel später ein.
                           Sehr merkwürdig und beachtenswerth ist aber nun das Verhalten des Borax haltigen
                              									Gerbstoffauszuges gegen thierische Haut. Bringt man frische, rein gemachte Blöſse in
                              									ein starkes Extract, wie es etwa durch heiſses Ausziehen guter Eichenrinde mit
                              									reinem Wasser erhalten wird, so erfolgt die Verbindung der Gerbstofftheilchen mit
                              									den äuſseren Hautschichten äuſserst schnell und dieselben nehmen in sehr kurzer Zeit
                              									die gröſstmöglichsten Gerbstoffmengen auf, die sie überhaupt zu binden fähig sind,
                              									während schon die nächsten darunter liegenden Hautpartien noch mit gar keinem
                              									Gerbstoffe in Berührung kommen konnten; in Folge dessen wird das Gleichgewicht in
                              									der Lage der einzelnen Hautfasern zu einander gestört, die der äuſseren Schichten
                              									werden verzerrt und schrumpfen stark zusammen, weil ihnen dies die weiche
                              									nachgiebige Unterlage gestattet, und wenn nun auch der übrige Proceſs normal
                              									verlaufen würde und könnte, so erhielte man dennoch ein unvollkommenes und
                              									schlechtes Leder. Der weitere Durchdringungsproceſs wird aber hierdurch ebenfalls
                              									ungemein gestört, indem die ins Innere der Haut führenden Eingänge durch die groſse
                              									Gerbstoffansammlung und Schrumpfung um ein bedeutendes verengert wurden, so daſs die
                              									Diffusion durch diese verkleinerten Oeffnungen naturgemäſs viel langsamer vor sich
                              									gehen kann und solchergestalt eine vollständige Durchgerbung auf fast
                              									unüberwindliche Hindernisse stöſst. Wendet man aber im Anfange der Gerbung äuſserst
                              									verdünnte Lösungen an, wie dies allgemein geschieht, so erfolgt die Durchdringung
                              									der Haut ebenfalls sehr langsam, weil die Diffusionsschnelligkeit proportional der
                              									Concentration ist. Diese Umstände veranlaſsten mich schon vor einigen Jahren im Gerber, 1876 die Ansicht auszusprechen: Daſs das
                              									Hinderniſs der schnellen Durchgerbung nicht so sehr in der geringen
                              									Diffusionsfähigkeit des Gerbstoffes zu liegen scheint, sondern vielmehr in der
                              									äuſserst starken Anziehungskraft desselben zur Hautfaser und daſs, wenn es gelänge
                              									diese Anziehung in etwas zu mildern, alsbald auch die Durchgerbung beschleunigt
                              									werden könnte, indem man nun gleich von Anfang concentrirte Lösungen anwenden
                              									könnte.
                           Diese damals ausgesprochene Ansicht scheint sich nun durch Anwendung der auf oben
                              									beschriebene Art gewonnenen Extracte vollständig bestätigen zu wollen. Bringt man
                              									nämlich frische Haut in ein derartiges möglichst starkes Extract, so schrumpft sie
                              									nicht im Mindesten
                              									zusammen; die äuſseren und inneren Hautschichten behalten ihre natürliche Lage gegen
                              									einander, die Haut bleibt weich, die Poren offen und man kann in 14 Tagen eine so
                              									gleichmäſsige Durchgerbung erhalten, wie sie jetzt nur in mehreren Monaten
                              									erreichbar ist. Die Ursache dieses Verhaltens liegt darin, daſs der Borax die
                              									Anziehung des Gerbstoffes zur Hautfaser in etwas schwächt, was am besten daraus
                              									hervorgeht, daſs man mit Boraxlösung dem Leder allen seinen Gerbstoff entziehen
                              									kann. Eben durch diesen letzteren Umstand ist aber auch die Art der Anwendung der
                              									Borax haltigen Gerbstoffbrühen auf das bestimmteste vorgezeichnet; derselbe muſs
                              									nämlich einen solchen Ueberschuſs an Gerbstoff enthalten, daſs darin die Anziehung
                              									des Gerbstoffes zur Faser vorwiegt. Solche Brühen herzustellen, bietet nicht die
                              									geringste Schwierigkeit; es genügt ein einmaliges Ueberführen der Boraxlösung über
                              									frisches Gerbmaterial, am besten bei etwas erhöhter Temperatur, und, sobald sich
                              									während des Gerbeprocesses eine Gerbstoffabnahme in der Flüssigkeit bemerkbar macht,
                              									muſs dieselbe wieder über frisches Gerbmaterial übergeführt werden, um die zu einem
                              									raschen regelrechten Verlauf der Gerbung erforderlichen Gerbstoffmengen stets in
                              									Lösung zu haben.
                           Man könnte auch blos mit reinem Wasser heiſs extrahiren und den Borax in das noch
                              									heiſse Extract bringen, um das Ausfallen des Niederschlages zu verhindern und der
                              									Lösung die zum Gerben günstigsten Eigenschaften zu geben, oder man kann auch den
                              									Niederschlag von dem klaren, kalt gewordenen Extract trennen und denselben mit Hilfe
                              									von Borax und Wärme wieder auflösen, um nun in dieser Flüssigkeit die Häute
                              									vorzugerben, die Gerbung aber in dem von Borax freien Auszug zu Ende führen; erst
                              									weitere Versuche werden aber zeigen, welches von den angegebenen Verfahren das
                              									vortheilhafteste ist.