| Titel: | Ueber eine neue Klasse von Farbstoffen; von Horace Köchlin und Otto N. Witt. | 
| Autor: | N. | 
| Fundstelle: | Band 243, Jahrgang 1882, S. 162 | 
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                        Ueber eine neue Klasse von Farbstoffen; von
                           									Horace Köchlin und
                           									Otto N.
                              								Witt.
                        Köchlin und Witt's neue blaue und violette Farbstoffe.
                        
                     
                        
                           Im Moniteur scientifique, 1881 S. 840 beschreiben H. Köchlin in Lörrach und O. N.
                                 										Witt in Mülhausen (vgl. D. R. P. Kl. 22 Nr. 15915 vom 19. März 1881) die
                              									Entstehung einer Reihe von Farben, die einer groſsen Zukunft entgegenzusehen
                              									scheinen. Die neuen Farbstoffe sind blau und violett und zeichnen sich ebenso durch
                              									ihre Billigkeit, wie durch ihre Echtheit aus; man erhält sie nach zwei verschiedenen
                              									Methoden.
                           Man läſst die Nitrosoderivate der tertiären aromatischen Amine oder der Phenole oder
                              									Chlorchinonimide und ihre Homologen auf alkalische Lösungen von Phenolen bei
                              									gewöhnlicher oder erhöhter Temperatur einwirken. Die Bildung des Farbstoffes wird
                              									durch Zuführung eines reducirenden Körpers, wie Zinkstaub oder Zinnoxydul und wenig
                              									Ammoniak, beschleunigt. Die Erfinder empfehlen besonders die Anwendung von
                              									Nitrosodimethyl- und Diäthylanilin und Nitrosophenol und als Phenole das gewöhnliche
                              									Phenol, das Resorcin, das Orcin und die beiden isomeren Naphtole, sowie deren
                              									Homologen, ihre Sulfosäuren und andere Substitutionsproducte.
                           Durch Einwirkung von Nitrosoderivaten auf die Phenole entstandene Farbstoffe wurden
                              									zwar schon von Witt erwähnt und von Meldola genauer studirt; aber sie sind von den im
                              									vorliegenden Patent erwähnten vollständig verschieden; erstere bilden sich besonders
                              									in kochender Eisessiglösung, letztere in alkalischer Lösung und bei gewöhnlicher
                              									Temperatur; ebenso deutlich unterscheiden sie sich auch durch ihre Reactionen: Das
                              									in sauerer Lösung bereitete Derivat des α-Naphtoles ist roth, während das nach der
                              									Methode von Köchlin und Witt bereitete blaue Farbe zeigt.
                           Nach der zweiten Methode wird ein Gemenge eines Paramidoderivates aromatischer Amine
                              									oder Phenole mit einem Phenol in schwach alkalischer oder schwach sauerer
                              									(Essigsäure) oder noch besser in vollständig neutraler Lösung oxydirt; als Phenole
                              									können dieselben Körper wie im ersten Falle verwendet werden.
                           Mit dem Namen Paramidoderivate bezeichnen die Erfinder die Amidosubstitutionsproducte
                              									der primären, secundären und tertiären aromatischen Amine und der Phenole, in
                              									welchen die Amidgruppe NH2 sich in der Stellung 1,4
                              									befindet. Besonders erwähnt werden das Paraphenylendiamin, das Paramidodiphenylamin, das
                              									Paramidodimethylanilin und das Paramidophenol; als oxydirende Körper Chromate,
                              									Ferricyanüre, Permanganate, Hypochloride und in gewissen Fällen sogar der Sauerstoff
                              									der Luft.
                           Den Farbstoffen dieser Klasse legen die Erfinder den Namen Indophenole bei. Von besonderer Wichtigkeit ist das Derivat des α-Naphtols. Eine der Erzeugungsarten dieses Körpers ist
                              									folgende: Dem in verdünnter salzsaurer Lösung durch Zinkstaub reducirten
                              									Nitrosodimethylanilin wird eine alkalische Lösung von α-Naphtol und chromsaurem Kali zugesetzt; den gut gemischten Lösungen gibt man
                              									langsam und vorsichtig gewöhnliche Essigsäure zu. Der Farbstoff bildet sich sofort
                              									und die Fällung ist vollständig, sobald die ursprünglich alkalische Lösung sauer
                              									geworden ist. Der Niederschlag wird nun filtrirt, behufs Entfernung der Mutterlaugen
                              									gewaschen und in Teigform oder als trockenes Pulver in den Handel gebracht. Das
                              									Derivat des α-Naphtols ist rein blau, das des Phenols
                              									mehr grünlich, das des Resorcins und des β-Naphtols
                              									violett. Der Name Indophenole wurde diesen Körpern gegeben, um gleichzeitig auf
                              									ihren Ursprung und die Analogie mit dem Indigo hinzuweisen.
                           Der an der Luft getrocknete Indophenolteig besteht aus blauen, dem Guatemala-Indigo
                              									gleichenden Stücken von muscheligem Bruch, löst sich in concentrirter Schwefelsäure
                              									mit intensiv blauer Farbe, welche beim Verdünnen mit Wasser in schmutziges Roth
                              									übergeht; es ist wenig löslich in Alkohol, leichter in Phenol und sublimirt bei
                              									langsamem Erhitzen in schönen, blauen, dem Indigotin ähnlichen Nadeln. Weitere
                              									Analogien mit dem Indigo zeigen sich bei seiner Anwendung: Zur Färbung von Wolle
                              									reducirt man zuerst die in alkalisches Wasser eingerührte Paste durch Erhitzen mit
                              									Traubenzucker auf 80°; die Flüssigkeit wird grünlich mit bronzeschimmernden Streifen
                              									auf der Oberfläche, hat also ganz das Aussehen einer schönen Indigküpe. Nach dem
                              									Verdünnen mit einer groſsen Menge heiſsen Wassers taucht man die Wolle in dieses
                              									Bad. Ist der gewünschte Ton erreicht, wovon man sich von Zeit zu Zeit durch
                              									Herausnehmen eines Musters überzeugt, so wird der Ueberschuſs des Bades mittels
                              									Walzen herausgepreſst, mit viel Wasser gewaschen und die Farbe durch längeres
                              									Verhängen an der Luft oder noch besser durch ein Oxydationsbad hervorgerufen. Die
                              									aus dem Bade kommende Wolle zeigt eine schmutzig grüne Farbe, welche durch Oxydation
                              									in Indigblau übergeht. Als Oxydationsmittel kann man die allgemein gebräuchlichen
                              									verwenden, wie z.B. die Chromate.
                           Das Leukindophenol besitzt eine groſse Verwandtschaft zur thierischen Faser, weshalb
                              									beim Waschen nur der Ueberschuſs des Färbebades und das Alkali entfernt wird und das
                              									Leukindophenol mit der Faser innig verbunden zurückbleibt; da sich aber das letztere
                              									in einer neutralen
                              									Lösung nur sehr langsam oxydirt, so muſs die Farbe in einem oxydirenden Bade
                              									entwickelt werden.
                           Die so gefärbte Wolle ist vollkommen walkecht, widersteht aber weniger gut starken
                              									Mineralsäuren. Da das Leukindophenol zur Pflanzenfaser eine weit geringere Affinität
                              									besitzt, so müssen beim Färben derselben concentrirtere Bäder verwendet werden.
                           Köchlin und Witt haben sich
                              									ferner mehrere Verfahren patentiren lassen, welche neben groſser Billigkeit
                              									gestatten, das Blau direct auf der Faser herzustellen. Mehrere praktisch erprobte
                              									Verfahren sind folgende: 1) Das Gewebe wird mit einer Lösung von Naphtol in
                              									Natronhydrat geklotzt, hierauf mit einer verdickten Mischung von salzsaurem
                              									Nitrosodimethylanilin mit einem nur in Gegenwart von Alkali reducirend wirkenden
                              									Körper bedruckt, z.B. Zinnoxydul, Traubenzucker oder Milchzucker. Die Farbe
                              									entwickelt sich beim Dämpfen. 2) Man klotzt den Stoff mit dem reducirenden Körper,
                              									z.B. Traubenzucker, und druckt nun ein verdicktes Gemenge von Nitrosodimethylanilin
                              									und Natriumnaphtolat; die Farbe entwickelt sich beim Dämpfen. 3) Man druckt mit
                              									einer verdickten Lösung von Amidodimethylanilin und Natriumnaphtolat, dämpft und
                              									passirt zur Entwicklung der Farbe durch ein Bad von Kaliumbichromat.
                           Wenn auch diese Farben nicht ebenso säureecht wie Indigo aus Propiolsäure sind, so
                              									widerstehen sie doch besser Seifen und Chlor und sind bedeutend billiger, werden
                              									also den Indigo und die Propiolsäure in vielen Fällen mit Vortheil ersetzen,
                              									letztere besonders ihres hohen Preises wegen bei glatt gefärbten Stoffen und bei
                              									schweren Böden. Die Propiolsäure erträgt das Dämpfen nicht, während das Indophenol
                              									dadurch entwickelt wird; es kann also letzteres mit allen Dampffarben combinirt
                              									werden.
                           Die Reaction, welcher die Indophenole ihre Entstehung verdanken, wird man ohne
                              									Zweifel auf andere Fälle anwenden können und sie wird so wohl zur Entdeckung neuer
                              									Farbstoffe führen.
                           Dr. Lauber und A. Steinheil.
                           Nachtrag. Die Aehnlichkeit des Indophenols mit dem
                              									Indigo ist eine ganz überraschende: Die Nuancen beider Farbstoffe sind absolut
                              									identisch. Gegen Salpetersäure zeigen beide ein ganz gleiches Verhalten; aber auch
                              									andere starke Mineralsäuren entfärben Indophenol, während dieses beim Indigo nicht
                              									der Fall ist. Dagegen ist Indophenol völlig lichtecht, während bekanntlich die
                              									Lichtechtheit des Indigos eine sehr zweifelhafte ist. Proben von Indophenol und
                              									Indigo, auf gleiche Tiefe gefärbt und von völlig gleichem Ansehen, wurden während
                              									mehrerer Wochen dem Sonnenlichte ausgesetzt. Bei Beendigung des Versuches war Indigo
                              									ganz ausgeblaſst, Indophenol war nur trüber, aber nicht heller geworden.
                           
                           Auch in der Anwendung zeigen beide Farbstoffe die gröſste Aehnlichkeit. Bei beiden
                              									gelingt die Fixirung nur dann, wenn sie zunächst in die entsprechende
                              									Leukoverbindung übergeführt wurden. Beim Indigo ist dies bekanntlich nicht leicht;
                              									die Kostspieligkeit und Umständlichkeit der Herstellung und Erhaltung einer
                              									Indigoküpe ist einer der bedeutsamsten Gründe für den Wunsch nach einem
                              									Ersatzmittel. Dagegen besitzt das Leukoindophenol die Eigenschaft, an der Luft
                              									vollkommen haltbar zu sein und nur bei Gegenwart alkalischer Reagentien unter
                              									Aufnahme von Sauerstoff in Indophenol überzugehen. Es kann daher in fertig
                              									reducirtem Zustande in den Handel gebracht und ohne die Gefahr verfrühter Oxydation
                              									sogar in offenen Gefäſsen verwahrt werden. Es ist in Wasser löslich und kann, da es
                              									in saurem Bade zieht, mit anderen Farbstoffen combinirt werden. Sobald es von der
                              									Faser absorbirt ist, genügt es, dieselbe zu waschen und durch die Lösung eines
                              									Chromates zu ziehen, um sofort das schönste Blau erscheinen zu sehen.
                           
                              
                                 N.