| Titel: | Die Zunahme der Wärme mit der Tiefe ist eine Wirkung der Schwerkraft; von Gotthold Landenberger. | 
| Fundstelle: | Band 248, Jahrgang 1883, S. 433 | 
| Download: | XML | 
                     
                        
                        Die Zunahme der Wärme mit der Tiefe ist eine
                           								Wirkung der Schwerkraft; von Gotthold Landenberger.Wir glauben hier bemerken zu sollen, daſs uns wohl bewuſst ist, wie die kühnen
                                 										Entwickelungen des Verfassers kaum allgemeiner Zustimmung begegnen dürften,
                                 										zumal sie in der Bestimmung der Gasmolekülgeschwindigkeiten eingestandenermaſsen
                                 										von den mathematisch unanfechtbaren Ziffern Clausius' abweichen. Andererseits scheint uns die von früheren
                                 										Schriftstellern (vgl. Föhre: Die Bewegung im
                                    											Sonnenraume. Verlag von Carl Tittmann in
                                 										Dresden 1882) nur beiläufig gestreifte Durchführung des originellen
                                 										Grundgedankens anregend und entwicklungsfähig genug, um mit einem kurzen Auszuge
                                 										die Aufmerksamkeit der berufenen Kreise auf dieses Schriftchen zu lenken.D. Red.
                           							
                        Die Zunahme der Wärme mit der Tiefe ist eine Wirkung der
                           								Schwerkraft; von Gotthold Landenberger.
                        
                     
                        
                           Unter obigem Titel erscheint demnächst im Verlage der J. G.
                                 										Cotta'schen Buchhandlung in Stuttgart ein Schriftchen, aus welchem der
                              									Verfasser nachfolgend einen Auszug mittheilt.
                           Bekanntlich besteht nach der von Clausius aufgestellten
                              									mechanischen Wärmetheorie die Wärme eines Körpers hauptsächlich darin, daſs seine
                              									kleinsten, mechanisch untheilbaren Theile, Moleküle genannt, in Bewegung sich
                              									befinden. Die Moleküle sind als elastische oder mit einer elastischen Hülle umgebene
                              									Körperchen zu betrachten, welche unaufhörlich gegen einander oder gegen die ihnen
                              									gezogenen Schranken stoſsen und vermöge ihrer Elasticität wieder aus einander
                              									fahren. Ihre Temperatur ist ihre lebendige Kraft, die sich bei jedem Stoſse
                              									vorübergehend ganz oder theilweise in Spannung ihrer Elasticität umwandelt.
                           Die Moleküle sind häufig aus zwei oder mehr chemisch untheilbaren Theilen, Atome
                              									genannt, zusammengesetzt, welche wieder unter sich in Bewegung sich befinden.
                              									Gegenwärtige Schrift beschäftigt sich vorwiegend mit der Bewegung der ganzen
                              									Moleküle, insbesondere der Gasmoleküle. Die Moleküle eines Gases bewegen sich, da
                              									keine anziehenden Kräfte zwischen ihnen vorhanden sind, welche ihrer Bewegung
                              									Schranken setzen, in geradlinigen Bahnen so weit fort, bis sie gegen eine feste Wand
                              									oder gegen andere Gasmoleküle treffen, um sodann vermöge ihrer Elasticität aber
                              									meist nach anderen Richtungen wieder zurückgeworfen zu werden.
                           Wenn Moleküle mit verschiedener lebendiger Kraft zusammenstoſsen, so wird, wenn keine
                              									anderen Kräfte dabei mitwirken, die lebendige Kraft eines jeden dieser Moleküle nach
                              									und nach gleich groſs werden, ohne daſs die Summe der lebendigen Kräfte der Moleküle
                              									sich ändert.
                           Die Richtigkeit dieser Theorie der Wärme wird durch die Erscheinung, daſs die Wärme
                              									sowohl der Atmosphäre, als des Erdbodens mit der Tiefe zunimmt, bestätigt. Es wird
                              									nämlich die lebendige Kraft eines jeden in Bewegung befindlichen Körpers durch die
                              									Schwerkraft mehr oder weniger verändert, ausgenommen, wenn sich ein Körper in
                              									horizontaler Richtung bewegt. Dieser Einfluſs der Schwerkraft erstreckt sich auch
                              									auf die Moleküle. Denn auch das kleinste Molekül ist noch ein Körper, welcher Gewicht hat,
                              									und seine kleinste Bewegung ist noch Bewegung. Ein nach unten sich bewegendes
                              									Molekül erhält durch seine Schwere eine Vermehrung seiner lebendigen Kraft und zwar
                              									um so mehr, je tiefer es gelangt. Die Vermehrung ist proportional seinem Gewichte
                              									und proportional der Tiefe, die es erreicht. In gleicher Weise nimmt bei seiner
                              									Bewegung aufwärts seine lebendige Kraft ab. Es werden also zwei in senkrecht oder in
                              									einer anderen von der horizontalen abweichenden Richtung auf einander stoſsende
                              									Moleküle, wenn ihre lebendige Kraft am Anfange ihrer Bahn die gleiche war, mit
                              									ungleicher lebendiger Kraft zusammentreffen. Diese Ungleichheit wird aber nach
                              									erfolgtem Zusammenstoſse durchschnittlich geringer geworden sein als vor dem
                              									Zusammenstoſse; das beim Zusammenstoſse obere Molekül wird an lebendiger Kraft
                              									verloren, das andere aber gewonnen haben, oder mit anderen Worten, das obere Molekül
                              									wird kälter, das untere wärmer geworden sein. Nehmen wir nun an, ein Körper habe
                              									ursprünglich an seiner höchsten Stelle die gleiche Temperatur wie an seiner
                              									tiefsten, so wird jedes höhere Molekül des Körpers von seiner Wärme an das ihm
                              									nächste tiefere Molekül abgeben so lange, bis jedes Molekül bei seinem Stoſse gegen
                              									ein anderes Molekül die gleiche lebendige Kraft besitzt wie das andere Molekül, mit
                              									welchem es zusammenstöſst.
                           Daraus folgt, daſs die höchste irdische Temperatur im Mittelpunkte der Erde, die
                              									niedrigste aber an der äuſsersten Grenze der Atmosphäre sich befindet. Die obersten
                              									Moleküle der Atmosphäre treffen, wenn sie senkrecht nach oben sich bewegen, welche
                              									Richtung sie zwar verhältniſsmäſsig selten bekommen, in den meisten Fällen auf keine
                              									anderen Moleküle, also überhaupt auf keinen Körper mehr; sie setzen daher ihre
                              									aufsteigende Bewegung so lange fort, bis sie durch die Schwerkraft zum Stillstande
                              									gebracht werden, um sodann mit zunehmender Geschwindigkeit so weit wieder
                              									zurückzufallen, als die anderen sich nach allen Richtungen bewegenden Moleküle, auf
                              									welche sie bei ihrem Falle stoſsen, ihnen gestatten. Bis zu ihrer vorigen Höhe
                              									können sie nur in dem verhältniſsmäſsig seltenen Falle wieder aufsteigen, wenn ihre
                              									Richtung nach einem Zusammenstoſse wieder eine senkrecht aufsteigende geworden ist
                              									und sie aus dieser Richtung nicht mehr durch Zusammenstoſse abgelenkt werden.
                           Wenn die Atmosphäre nur aus einem Gase bestände und wir wüſsten, in welcher Höhe
                              									seine äuſserste Grenze wäre, so könnten wir daraus berechnen, welche Geschwindigkeit
                              									die untersten Gasmoleküle unter dem alleinigen Einflüsse der Schwerkraft hätten.
                              									Dieselbe wäre gleich der Geschwindigkeit, die ein Körper erhält, welcher von dieser
                              									Höhe frei herabfallt. Denn da die Moleküle eines Gases vollkommen elastisch und alle
                              									gleich schwer sind, so ist, wenn zwei Moleküle mit gleicher Geschwindigkeit
                              									zusammenstoſsen, das Resultat dasselbe, als ob jedes Molekül seinen Weg in der
                              									Richtung, den das andere Molekül nach dem Zusammenstoſse nimmt, fortgesetzt hätte. Wir
                              									können uns also denken, die obersten Moleküle fallen in einer durch ihre
                              									Zusammenstoſse mit anderen Molekülen entstehenden Zickzacklinie bis herab zur Erde.
                              									Ein Körper aber, der aus einer bestimmten Höhe herabsinkt, erhält die gleiche
                              									Endgeschwindigkeit, ob er frei senkrecht herabfällt, oder ob er auf einer schiefen
                              									Ebene (ohne Reibung) herabgleitet, oder ob er wie im vorliegenden Falle im Zickzack
                              									seinen Weg nach unten nimmt. Demgemäſs wird jedes der Moleküle des gedachten Gases
                              									die Geschwindigkeit besitzen, als ob es von der Höhe seiner Atmosphäre bis zu dem
                              									Orte, an dem es sich eben befindet, frei herabgefallen wäre. Dieses Verhältniſs
                              									bleibt dasselbe, in welcher Richtung das Molekül sich bewegen möge.
                           Zur Berechnung der Geschwindigkeit der Gasmoleküle schlägt der Verfasser in seinem
                              									Schriftchen ein eigenes Verfahren ein, nach welchem sich für die Moleküle der Luft
                              										970m, für die des Wasserstoffes 3600m in der Sekunde ergeben, also eine beträchtlich
                              									gröſsere Geschwindigkeit, als man bisher annahm. Aus dieser Geschwindigkeit ergibt
                              									sich für die Atmosphäre der Luft eine Höhe von 48km und für die Wasserstoffatmosphäre oberhalb der Luftatmosphäre, deren
                              									Vorhandensein der Verfasser nachweist, eine Höhe von 720km.
                           Die Temperaturzunahme durch die Schwerkraft ist in Wasser bei gleicher Tiefe geringer
                              									als in Luft, weil die Moleküle des Wassers leichter sind als die der Luft. Sie ist
                              									dagegen in Erde und Gestein beträchtlich, nämlich etwa 6 mal gröſser als in Luft. Es
                              									stammt daher die Kälte auf hohen Bergen weniger von der Luft, als vielmehr vom
                              									Erdboden. Die Temperaturzunahme mit der Tiefe beträgt bekanntlich 100° auf 3000m Erde. Daſs wir an den Bergen keine so groſse
                              									Temperaturdifferenz wahrnehmen, daran ist der Umstand Schuld, daſs Luft und Wasser
                              									beständig in Bewegung sind, den Höhen Kälte, den Tiefen Wärme zu entziehen, und daſs
                              									Erde und Gestein sehr schlechte Leiter der Wärme sind.
                           Der Verfasser zeigt in seinem Schriftchen, wie seine Entdeckung von der Zunahme der
                              									Wärme durch die Schwerkraft auch der Astronomie zu statten kommt, und schlieſst mit
                              									einem Anhange unter der Aufschrift „Wolkentheorie“, in welchem er die Frage behandelt, warum die Wolken
                              									schweben können.