| Titel: | Die Zukunft der Chlorindustrie; von Dr. F. Hurter. | 
| Autor: | S. | 
| Fundstelle: | Band 249, Jahrgang 1883, S. 126 | 
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                        Die Zukunft der Chlorindustrie; von Dr. F. Hurter.
                        Mit Abbildung auf Tafel 6.
                        Hurter, über die Zukunft der Chlorindustrie.
                        
                     
                        
                           Die einzige Hoffnung, daſs der Ammoniak-Sodaprozeſs den
                              										Leblanc-Sodaprozeſs nicht ganz verdrängen kann,
                              									gründet sich darauf, daſs die Welt ebenso wohl Chlor, als Soda gebraucht. Weldon, Solvay und Mond
                              									thun ihr Bestes, um die Chlorindustrie mit dem Ammoniaksodaprozesse zu vereinigen,
                              									oder doch durch ein dem Chlorkalke und Chlorate äquivalentes Mittel die
                              									Chlorproducte zu entwerthen.
                           Hurter sucht nun in einem eingehenden Vortrage (vgl. Journal of the Society of Chemical Industry, 1883 S.
                              									103) darzuthun, in wie fern die Ammoniaksoda-Industrie der Chlorfabrikation gefährlich
                              									werden kann und in welchem Sinne gegen letztere vorgegangen wird; er erläutert an
                              									der Hand der Thermochemie, in welcher Richtung die jetzt bestehende Chlorindustrie
                              									noch gefördert werden kann.
                           1) Andere Bleichmittel ah Ersatz für Chlor. Da Chlor aus
                              									den Chlorcalciumlaugen der Ammoniaksoda-Industrie nicht in brauchbarer Form gewonnen
                              									werden kann, so sucht L. Mond ein anderes
                              									Oxydationsmittel, welches auch bleichend und desinficirend wirkt, dafür an die
                              									Stelle zu setzen. Mond hat ein Patent erworben für die
                              									Fabrikation von Calciumsuperoxyd und für dessen Anwendung in der Bleicherei. Da
                              									Calciumsuperoxyd unlöslich ist, wird man wahrscheinlich damit so bleichen müssen,
                              									daſs man es erst in Wasserstoffsuperoxyd umsetzt, was mit einer verdünnten Säure
                              									leicht geschehen kann.
                           Nach diesem Verfahren [werden in einem Kupolofen getrocknete Stücke eines Gemisches
                              									von Bariumcarbonat, Pech und Sägespänen eingefüllt und auf etwa 1200° erhitzt. Das
                              									Bariumcarbonat setzt sich in Bariumoxyd um und die Kohlenstoff haltigen Producte
                              									brennen weg. Sinkt die Masse allmählich in den unteren Theil des Ofens, so kommt sie
                              									mit einem Luftstrome zusammen, welcher den Baryt auf etwa 500° abkühlt, worauf unter
                              									Absorption von Sauerstoff die Bildung von Bariumsuperoxyd erfolgt. Das kalt
                              									gewordene Bariumsuperoxyd wird mit Kohlensäure und Wasser unter Druck in
                              									Bariumcarbonat und Wasserstoffsuperoxyd umgesetzt; das Bariumcarbonat wird von Neuem
                              									verwendet und das Wasserstoffsuperoxyd mit Kalkmilch in Calciumsuperoxyd
                              									umgesetzt.
                           Der Prozeſs ist sehr sinnreich und stehen ihm kaum unüberwindliche Schwierigkeiten
                              									entgegen. Das theure Bariumsuperoxyd konnte natürlich nie mit Chlorkalk concurriren;
                              									daſs aber Barium nur als Sauerstoffüberträger benutzt wird, um das Kalksuperoxyd zu
                              									bilden, erleichtert das Aufkommen dieses letzteren neben Chlorkalk. Calciumsuperoxyd
                              									ist ein Hydrat von der Formel CaO2.8H2O; es enthält 7,4 Proc. nutzbaren Sauerstoff, was
                              									32,8 Proc. bleichendem Chlore entspricht. Das Product kann also nur in dem Falle mit
                              									Chlorkalk concurriren, wenn es bedeutend billiger dargestellt werden kann als
                              									dieser. Nach Angaben von G. Lunge soll kaustischer
                              									Baryt in Frankreich erzeugt werden und, wenn einmal Baryt gegeben ist, sollte es
                              									nicht schwer halten, daraus das Superoxyd zu gewinnen.
                           Die Superoxyde sind alle sehr energische Oxydationsmittel. Nach Thompson sollen bei der Oxydation mit
                              									Wasserstoffsuperoxyd 23 064c für 1 Molekül mehr
                              									frei werden, als wenn mit freiem Sauerstoff oxydirt wurde. Da die frei werdende
                              									Wärme ein Maſs für die Energie der Reaction ist, so sollte man meinen, das neue
                              									Oxydationsmittel hätte jede mögliche Eigenschaft, um in Bleichkraft neben Chlorkalk
                              									vortheilhaft dazustehen. Obschon aber Wasserstoffsuperoxyd ein äuſserst energisches
                              									Oxydationsmittel ist, erscheint es doch zum Bleichen nicht besonders geeignet. Die
                              										Bleichkraft
                              									desselben ist so schwach, daſs man das Material nicht brauchen kann, wenn es auch
                              									bedeutend billiger würde als Chlorkalk.
                           Wenn man in zwei Lösungen von gleicher oxydirender Kraft, von denen die eine
                              									Wasserstoffsuperoxyd, die andere Chlorkalk enthält, rohe Baumwolle legt, so findet
                              									man, daſs sich die Baumwolle in der Wasserstoffsuperoxydlösung selbst in 48 Stunden
                              									nicht verändert, während Chlorkalk in den ersten 5 Minuten sehr energisch bleicht.
                              									Der Unterschied der beiden Lösungen ist so entschieden und so abweichend von dem,
                              									was sich erwarten lieſs, wenn man die beiden Stoffe als Oxydationsmittel betrachtet,
                              									daſs man unwillkürlich zu dem Schlüsse kommen muſs, nicht der freie Sauerstoff wirke
                              									bleichend auf vegetabilische Fasern, sondern direkt das nutzbare Chlor. Gerhardt schreibt die bleichende Wirkung der
                              									Leichtigkeit zu, mit welcher Chlor an Stelle von Wasserstoff in organische
                              									Verbindungen eintritt. Ein Versuch bestätigt diese Ansicht: Schmilzt man gebleichte
                              									Baumwolle mit Soda, so findet man nachher in der Schmelze Chloride, während
                              									ungebleichte Baumwolle bei der gleichen Behandlung keine Spur Chlor erkennen
                              									läſst.
                           Wasserstoffsuperoxyd ist die einzige Verbindung, welche billig genug dargestellt
                              									werden könnte, um neben Chlorkalk als Bleichmittel aufzutreten. Die Concurrenz mit
                              									Chlorkalk ist aber der langsamen Wirkung halber unmöglich, selbst wenn es 100 mal
                              									billiger abgesetzt werden könnte als Chlorkalk. Es sind von Zeit zu Zeit auch andere
                              									Bleichmittel vorgeschlagen worden, welche aber sämmtlich Oxydationsmittel sind. Wenn
                              									es also bleichendes Chlor und nicht Sauerstoff ist, welches die bleichende Wirkung
                              									besitzt, so ist die Wahrscheinlichkeit eine geringe, daſs diese Stoffe je Chlorkalk
                              									übertreffen werden.
                           Eine Preisliste für die verschiedenen Bleichmittel, auf Mengen berechnet, welche
                              										16t nutzbaren Sauerstoff enthalten bezieh.
                              									entsprechen, zeigt, daſs Chlorkalk wenigstens für die nächste Zukunft unübertroffen
                              									bleiben wird:
                           
                              
                                 Chlorkalk
                                 20
                                 Tausend M.
                                 
                              
                                 Chlorsaures Kalium
                                 30
                                 „
                                 
                              
                                 Uebermangansaures Kalium
                                 51
                                 „
                                 
                              
                                 Chromsaures Kalium
                                 109
                                 „
                                 
                              
                                 Bariumsuperoxyd
                                 480
                                 „
                                 
                              
                                 Wasserstoffsuperoxyd
                                 1490
                                 „
                                 
                              
                                 Ferridcyankalium
                                 2630
                                 „
                                 
                              
                           2) Gewinnung von Salzsäure. Aus Chlornatrium kann man
                              									Chlor bis jetzt noch nicht direkt erzeugen. Man stellt immer erst Salzsäure und aus
                              									dieser Chlor dar. Im Leblanc'schen Sodaprozesse wird
                              									das Natrium im Kochsalze erst durch Wasserstoff ersetzt, der durch Schwefelsäure
                              									zugeführt wird und als solcher etwa 2000 M. für 1t
                              									kosten mag. Beim Ammoniaksodaprozesse wird Calcium zur Vertretung des Natriums
                              									benutzt, welches erstere sich auf etwa 15 M. für 1t stellt. Auſser Calcium und Wasserstoff gibt es kaum zwei billigere Elemente,
                              									welche das Natrium leicht vertreten könnten.
                           Das Chlor im Chlorcalcium ist fast ebenso fest gebunden wie das Chlor im
                              									Chlornatrium. Die Affinität zwischen Calcium und Chlor ist nur etwa 5 Proc. geringer
                              									als diejenige zwischen Natrium und Chlor. In der Salzsäure dagegen ist das Chlor
                              									sehr lose am Wasserstoffe gebunden und kann deshalb verhältniſsmäſsig leicht daraus
                              									frei gemacht werden.
                           Solvay und Weldon bemühen
                              									sich, die Chlorcalciumlaugen des Ammoniakverfahrens für die Darstellung von Chlor
                              									nutzbar zu machen, mit einem Prozesse, der in Folgendem besteht: Das Calcium soll im
                              									Chlorcalcium durch Wasserstoff ersetzt werden. Chlorcalcium wird, mit Thon gemischt
                              									und in kleine Stücke geformt, bei hoher Temperatur dem Einflüsse von überhitztem
                              									Wasserdampfe ausgesetzt. Es bildet sich dabei sehr verdünnte Salzsäure, aus welcher
                              									mit concentrirter Chlorcalciumlauge der Wasserdampf aufgenommen und die Salzsäure
                              									dann für sich condensirt wird (vgl. Lunge 1882 243 161). Arbeitet man mit 20procentigen
                              									Chlorcalciumlaugen und erhält ein durch Wasserdampf auf 5 Proc. reducirtes
                              									Salzsäuregas, so hat man für je 100t zersetztes
                              									Chlornatrium etwa 1000t Wasser (aus der
                              									Chlorcalciumlauge, welche wieder auf die erste Concentration eingedampft wird) zu
                              									verdampfen. Bedenkt man, daſs für jedes Molekül frei gewordene Salzsäure etwa
                              										26000c zugeführt werden müssen, daſs
                              									Reactionen, welche Wärme absorbiren, äuſserst langsame sind und daſs der ganze
                              									Prozeſs viel Arbeit und Apparate verlangt, so sieht man ein, daſs von dieser Seite
                              									die Leblanc'sche Chlorindustrie nicht so schnell
                              									gefährdet werden kann.
                           Vorster und Grüneberg empfahlen vor Jahren ein
                              									Verfahren, Chlornatrium und Thon zu erhitzen und daraus Natriumsilicat und Salzsäure
                              									zu gewinnen, muſsten es aber aufgeben, da die Reaction einer auſserordentlich hohen
                              									Temperatur bedarf und weil die Kosten für Ausbesserungen allzu groſs wurden.
                           Verschiedene Chlorverfahren. Zersetzt man Chlornatrium
                              									nach dem alten Sulfatprozesse mit Schwefelsäure, so kann man die gasförmige oder die
                              									flüssige Salzsäure zur Darstellung von Chlor verwenden, je nachdem man nach Deacon's oder Weldon's
                              									Verfahren arbeitet. Bei Hargreaves' Verfahren kann man
                              									nur die flüssige Säure verwenden, da die gasförmige zu stark mit Stickstoff verdünnt
                              									und zu arm an Sauerstoff ist.
                           Um die Salzsäure in Chlor umzusetzen, muſs man ein anderes Element mit Wasserstoff
                              									vereinigen und zwar kann dieses nur Sauerstoff sein (vgl. Fig. 7 Taf.
                              									6, woraus zu entnehmen, daſs jede andere Wasserstoffverbindung eine niederere
                              									Bildungswärme hat, Wasser ausgenommen). Die Affinität zwischen Wasserstoff und Chlor
                              									und die zwischen Wasserstoff und Sauerstoff ist so wenig verschieden, daſs der
                              									bloſse Uebergang vom flüssigen in den gasförmigen Zustand die Verhältnisse
                              									ändert.
                           
                           Die Affinität, in Wärmeeinheiten ausgedrückt, welche während der Vereinigung frei
                              									wurden, ist für:
                           
                              
                                 Flüssig
                                 Salzsäure 2HClWasser H2O
                                 ==
                                 7864068360
                                 
                              
                                 
                                 
                                 
                                 –––––
                                 
                              
                                 
                                 Cl2 > 0 Ueberschuſs
                                 10280
                                 
                              
                                 
                                 
                                 
                                 
                              
                                 Gasförmig
                                 Salzsäure 2HClWasser H2O
                                 ==
                                 4400058700
                                 
                              
                                 
                                 
                                 
                                 –––––
                                 
                              
                                 
                                 O > Cl2 Ueberschuſs
                                 14700
                                 
                              
                           Wegen dieser Verschiedenheiten ist eine direkte Zersetzung von flüssiger Salzsäure
                              									durch freien Sauerstoff unmöglich, während diese im Graszustande direkt durch
                              									Sauerstoff zersetzt werden kann, weil im Gaszustande das Wasser, im flüssigen
                              									Zustande die Salzsäure die festere Verbindung ist.
                           Um aus flüssiger Salzsäure Chlor darstellen zu können, muſs man nicht allein
                              									Sauerstoff zuführen, sondern auch eine gewisse Menge chemische Energie: man muſs
                              									nascirenden Sauerstoff haben, welcher unter Wärmeentwickelung frei wird. Solcher ist
                              									nur von einem Oxyde zu erhalten, welches unter Bildung von Chlorid sowohl
                              									Sauerstoff, als auch die nöthige Wärme zur Abtrennung des Chlores von
                              									Chlorwasserstoff abzugeben im Stande ist. Da das Oxyd mehr Sauerstoff enthalten
                              									muſs, als dem Chlore entspricht, welches nachher Chlorid bildet, so sind wir auf
                              									Superoxyde angewiesen und unter den Superoxyden speciell auf Mangan, da kein anderes
                              									Element sich aus dem Chloride so leicht als Superoxyd regeneriren läſst und kein
                              									anderes sich im Preise so günstig stellt. Ein Blick auf die Figur 7 Taf.
                              									6 wird dies erläutern: Es befindet sich dort kein anderes technisch brauchbares
                              									Element, von welchem 2 Oxyde und nur 1 Chlorid bekannt sind, mit Ausnahme von Blei
                              									und Barium. Bei Barium würde es sehr schwer halten, das Chlorid in das Superoxyd
                              									umzusetzen, wegen des groſsen Unterschiedes in den Bildungswärmen der beiden
                              									Verbindungen. Blei kommt auſser Frage, einerseits des Preises, andererseits seines
                              									hohen Aequivalentgewichtes halber. Mangan ist in seiner Stellung einzig; das Chlorid
                              									desselben steht zwischen den beiden Oxyden, so daſs es verhältniſsmäſsig leicht sein
                              									muſs, das Chlorid in Superoxyd umzusetzen.
                           Was nun Weldons Prozeſs Nr. 1 (vgl. 1882 245 * 24. 246 421), wie er
                              									jetzt allgemein im Gebrauch ist, betrifft, so ist derselbe nur dann zu übertreffen,
                              									wenn ein Superoxyd gefunden werden kann, welches billiger ist als die Kosten der
                              									Regeneration des Mangansuperoxydes, was nach dem oben Gesagten sehr schwer halten
                              									wird, oder wenn die Regeneration selbst viel billiger ausgeführt werden kann. Der
                              									groſse Nachtheil von Weldon's Prozeſs Nr. 1 ist, daſs
                              									man durch ihn theoretisch nur ⅓ der Salzsäure als Chlor gewinnt. Weldon's neuer Prozeſs Nr. 2 soll diesen Fehler
                              									vermeiden und eine vollständige Gewinnung des Chlores in der Salzsäure gestatten.
                              									Magnesiummanganit, durch Verfahren Nr. 1 gewonnen, wird in den Chlortrögen mit Salzsäure zersetzt.
                              									Man erhält dabei ¼ der Salzsäure als freies Chlor neben einer Lösung von Chlormangan
                              									und Chlormagnesium. Die Lösung wird zur Syrupdicke eingedampft und mit einer
                              									gewissen Menge trockenen Manganits gemischt, in Stücke geformt, in einen dem Hargreaves'schen ähnlichen Apparate beschickt und einem
                              									heiſsen Luftstrome ausgesetzt, wobei 90 Procent der vorhandenen Chloride unter
                              									Bildung von Magnesiummanganit freies Chlor abspalten.
                           Wenn nun nach Hurter überhaupt in Chlortrögen gearbeitet
                              									werden muſs, so kann der Chlorkalk nicht billiger werden, da man im besten Falle den
                              									Kalk spart, der jetzt zum Oxydiren nöthig ist, etwa 500k für 1t Chlorkalk. Die Kosten für Luft
                              									würden durch eine Menge kleiner Schwierigkeiten reichlich aufgewogen. – Was hat man
                              									in diesem neuen Prozesse alles zu thun, um die 500k Kalk zu sparen? Die ganze Chlorbrühe muſs zur Trockene eingedampft
                              									werden, etwa 3t Wasser für 1t Chlorkalk. Es müssen
                              									für 1t Chlorkalk 5 bis 7t Chlorid und Oxyd gemischt und in Stücke geformt
                              									werden. Von dem trockenen Manganit müssen für 1t
                              									Chlorkalk mindestens 2t in die Zersetzungsapparate
                              									beschickt werden, die 10 fache Menge Material wie beim jetzigen Deacon-Prozesse. Es ist kaum vorauszusehen, wie viel
                              									man bei den umständlichen Apparaten durch Undichtheiten zu leiden hätte, da die Luft
                              									durch 8 Cylinder, durch Condensationsthürme und Chlorkalkkammern gesaugt werden
                              									muſs. Dann würde man nur sehr schwaches Chlorgas erhalten, welches der Theorie nach
                              									schwächer ist als im Deacon-Prozesse. Wer nun weiſs,
                              									daſs bei letzterem Verfahren Alles von einer guten
                              									Zersetzung, von an Chlor reichen Gasen abhängt und daſs sich die Kosten für
                              									Arbeitslohn und Apparate mit den Schwierigkeiten mehren, die sich bei der
                              									praktischen Durchführung zeigen, der wird sich vorstellen können, was ein so
                              									schwaches Chlorgas für die Fabrikation von starkem Chlorkalk bedeutet. Gewiſs würde
                              									der gesammte Chlorkalk vom Weldon-Prozesse Nr. 2 nicht
                              									billiger als das der Menge nach kleinere Ergebniſs von Prozeſs Nr. 1.
                           Sehen wir, was die Thermochemie uns von dem Prozesse verspricht. Die Umsetzung von
                              									Manganchlorid in Superoxyd wird eine doppelte sein, deren Wärmeverhältnisse
                              									ungünstige sind. Bei der Umsetzung von MnCl2 in MnO
                              									wird weit mehr Wärme absorbirt, als bei der Umsetzung von MnO in MnO2 frei wird, und zwar so viel mehr, daſs die
                              									Temperatur des Luftstromes in den Apparaten 300 bis 400° niederer würde. Einige
                              									Versuche zeigen, daſs das Magnesium völlig passiv bei der Reaction bleibt, daſs die
                              									Oxydation nicht weiter als Mn2O3 geht und daſs die Umsetzung von Chlorid in Oxyd im
                              									besten Falle auf 90 Proc. kommt. Dann entsteht nicht Chlor allein, sondern ziemlich
                              									viel Salzsäure daneben, was sich jedoch im Groſsbetriebe ändern möchte.
                           
                           Vergleichen wir den Deacon-Prozeſs mit dem neuen Weldon'schen Verfahren Nr. 2; er ist der einzige,
                              									welcher bis jetzt im Stande ist, Salzsäuregas durch eine einfache Reaction in Chlor
                              									umzusetzen. Bei der Reaction: 2HCl + O = H2O + Cl2 wird Wärme frei. Sie wird durch Catalyte
                              									beschleunigt, am günstigsten durch Kupferchlorid wegen dessen Dissociationsvermögen
                              									bei hoher Temperatur, wobei dann Wärme in chemische Energie umgesetzt wird.
                              									Kupferchlorid zersetzt sich bei etwa 400° in Kupferchlorür und Chlor unter
                              									Absorption von Wärme:
                           
                              
                                     2CuCl2
                                 =
                                 Cu2C12
                                 + C12
                                 . . . . . . (1)
                                 
                              
                                 103260c
                                 =
                                 65760c
                                 + 37500c (absorbirt).
                                 
                                 
                              
                           Kupferchlorür absorbirt Sauerstoff und wird, zu Kupferoxyd
                              									umgesetzt unter Freiwerden von Chlor- das Kupferoxyd setzt sich mit Salzsäure in
                              									Kupferchlorid und Wasser um:
                           
                              
                                     Cu2Cl2
                                    											+ 2O
                                 = 2CuO + Cl2
                                 . . . . . . (2)
                                 
                              
                                     65760c
                                 = 74320c – 8560c       (frei geworden).
                                 
                                 
                              
                                  2CuO + 4HCl
                                 = 2CuCl2 + H2O
                                 . . . . . . (3)
                                 
                              
                                 74320c + 88000c
                                 = 103260c +114000c – 54940c (frei geworden).
                                 
                                 
                              
                           In diesen beiden Reactionen (2) und (3), welche in gleichem
                              									Maſse vor sich gehen, wird Wärme frei und zwar mehr, als in der ersten bei der
                              									Dissociation von Kupferchlorid gebunden wird. Es gibt kein anderes Element, welches
                              									2 Oxyde und 2 Chloride bildet, welche so leicht in einander umgesetzt werden können;
                              									es gibt auch keinen billigeren und wirksameren Catalyt wie Kupfer und darum wird der
                              										Deacon-Prozeſs der einzige bleiben, welcher
                              									Salzsäuregas in Chlor umzusetzen im Stande ist.
                           Wir sind bei folgenden Schlüssen angekommen: 1) Kein anderes Chlorid eignet sich so
                              									vortheilhaft zur Fabrikation von Chlor wie Chlorwasserstoff. 2) Soll
                              									Chlorwasserstoff im flüssigen Zustande zersetzt werden, so kann dies nur mit
                              									Mangandioxyd geschehen, da kein anderes Superoxyd sich aus dem Chloride so leicht
                              									regeneriren läſst. 3) Soll Chlorwasserstoff im Graszustande zersetzt werden, so
                              									bedarf man eines Catalyten. Wenn ein solcher vortheilhafter als Kupfer überhaupt
                              									gefunden wird, so bleiben die Apparate doch wesentlich dieselben.
                           Die Veränderungen, welche nach dem Vorangegangenen der Chlorindustrie bevorstehen,
                              									sind die, daſs der Deacon'sche Prozeſs wesentlich
                              									derselbe bleiben und daſs im Weldon'schen Prozesse,
                              									eine günstigere Regeneration des Superoxydes gefunden werden muſs, wobei dann die
                              									Salzsäure besser ausgenutzt wird. Beide Verfahren werden aber nach wie vor neben
                              									einander bestehen.
                           Erklärung des Diagrammes Fig. 7
                                 										Taf. 6: Die der Groſsindustrie zugänglichen Elemente sind so
                              									zusammengestellt, daſs die Verbindungen derselben über deren Atomgewicht stehen und
                              									zwar so hoch auf der Abscisse, als den Bildungswärmen der betreffenden Verbindungen
                              									entspricht, d.h. der Wärmemenge in Wärmeeinheiten, welche bei der Verbindung der einzelnen
                              									Elemente frei wird. Wasserstoff steht z.B. auf Abscisse 1. Bei der Vereinigung von
                              									Wasserstoff und Chlor werden 44000c frei; somit
                              									steht Salzsäure auf Ordinate 44.
                           Es ist immer leicht, eine Reaction auszuführen, bei welcher Wärme frei wird, während
                              									es umgekehrt verhältniſsmäſsig schwer, oft unmöglich ist, Wärme in chemische Energie
                              									umzusetzen; es wird also leicht sein, eine Verbindung mit kleiner Bildungswärme in
                              									eine andere mit gröſserer Bildungswärme umzusetzen, während das Umgekehrte in einer
                              									einfachen Reaction immer schwer, oft unausführbar ist. So läſst sich Na2O in NaCl leicht umsetzen, ebenso K2O in KCl u.s.f., während das Umgekehrte durch
                              									einfache Reactionen kaum möglich ist. Die Reactionen, bei denen Wärme gebunden wird,
                              									sind meist um so schwieriger, je mehr Wärme absorbirt wird. Die Schwierigkeiten
                              									bestehen natürlich nicht allein darin, durch Brennmaterial die nöthige Wärme
                              									zuzuführen, sondern hauptsächlich in dem Umstände, daſs solche Reactionen überhaupt
                              									schwer durch einfache Reactionen auszuführen sind und nur durch kostbare, indirekte
                              									Prozesse umgangen werden können.
                           Bei dem Beispiele Kupfer sehen wir, daſs es leicht sein muſs, irgend eines der
                              									Chloride oder Oxyde in ein beliebiges anderes umzusetzen, da die Bildungswärmen
                              									aller 4 Verbindungen sehr nahe beisammen liegen (wie bei keinem anderen Elemente).
                              									Bei Mangan sollte es, nach der Bildungswärme zu schlieſsen, sehr leicht sein, das
                              									Chlorid in Superoxyd umzusetzen. In Chlorwasserstoff muſs der Wasserstoff nach dem
                              									Diagramme sehr reactionsfähig sein, weil alle anderen Chlorverbindungen viel höher
                              									stehen. Damit steht natürlich im Zusammenhange, daſs die Chloride sehr feste
                              									beständige Verbindungen sein müssen.
                           
                              
                                 S.
                                 
                              
                           
                        
                     
                  
               Tafeln
