| Titel: | Ueber die atmosphärische Elektricität; von L. Zehnder in Basel. | 
| Autor: | L. Zehnder | 
| Fundstelle: | Band 249, Jahrgang 1883, S. 395 | 
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                        Ueber die atmosphärische Elektricität; von L.
                              								Zehnder in Basel.
                        Mit Abbildung.
                        Zehnder, über die atmosphärische Elektricität.
                        
                     
                        
                           Im Anschlüsse an meine Abhandlung in D. p. J. 1883 248
                              									141 über den Ursprung der atmosphärischen Elektricität
                              									bringe ich in Folgendem theils neue Beweise für die Richtigkeit der von mir aus
                              									einander gesetzten Anschauungen, theils ziehe ich daraus einige interessante
                              									Schlüsse.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 249, S. 395
                              
                           Folgender Umstand dürfte mir als Einwand entgegen gehalten werden: Wenn der Aether
                              									wirklich im Stande wäre, Widerstand zu bieten und durch Reibung die Atmosphäre an
                              									ihrer Drehung zu verhindern, würde er nicht die ganze zur Erde gehörige Luft schon
                              									längst weggefegt haben, da die fortschreitende Bewegung der Erde in ihrer Bahn
                              									ungefähr 70 mal gröſser als ihre Umfangsgeschwindigkeit am Aequator ist? –
                              									Allerdings würde dies im Bereiche der Möglichkeit liegen, wenn nicht die Schwerkraft die gesammte Atmosphäre in einer
                              									concentrischen Schicht um die Erde festzuhalten suchte. Sie gestattet unter keinen
                              									Umständen eine Lostrennung der Luft von der Erde; nur eine Verschiebung wird in
                              									Folge der blitzartigen Geschwindigkeit der Erde bewirkt durch den Widerstand des
                              									Aethers, welcher von der Erde verdrängt wird und hinter ihr sich wieder schlieſst.
                              									Durch diesen Aetherdruck wird der gröſsere Theil der Luft sich hinter der Erde (in der Richtung der fortschreitenden
                              									Bewegung) ansammeln. Es ist nun leicht zu zeigen, daſs die Atmosphäre, wenn sie in
                              									ihrer Gesammtheit gleichen Schritt mit der Erdumdrehung halten würde, sich vor der
                              									Kugel, in a, schneller, hinter der Kugel, in b, langsamer als die Erde selbst drehen müſste, weil
                              									der ihr gestattete Querschnitt in a kleiner, in b gröſser als das Querschnittsmittel ist. Eine
                              									Geschwindigkeitsbeschleunigung in a wäre nur durch
                              									Entstehen eines luftverdünnten Raumes in b möglich; es
                              									ist aber einleuchtend, daſs eine solche Luftverdünnung in der völlig elastischen
                              									Luft ihr Herbeiströmen von allen Seiten, nicht nur in
                              									Richtung der Drehbewegung, zur Folge hätte, und dies würde ebenso sehr der Drehung
                              									der Luft entgegenwirken, als sie beschleunigen. Es ist daraus zu ersehen, daſs die
                              									Luft in a höchstens die Geschwindigkeit der Erde
                              									erreicht und daſs in Folge dessen nur die der Erdoberfläche am nächsten befindliche
                              									(und unseren direkten Beobachtungen ausgesetzte) Luftschicht annähernd der
                              									Erddrehung folgt, daſs aber vor allen Dingen die äuſserste Schicht der Atmosphäre,
                              									die Trägerin der Normalelektricität, hinter der Erddrehung zurückbleibt. Der
                              									Aetherwiderstand gegen die fortschreitende Bewegung der Erde bewirkt aber nicht allein ein solches
                              									Zurückbleiben der Atmosphäre; die Reibung der in Drehung befindlichen Luft und also
                              									besonders der äuſsersten Luftschichten am Aether
                              									äuſsert sich in gleicher Weise. Die beiden Wirkungen addiren sich; es muſs demnach
                              									die gesammte in der äuſsersten Schicht befindliche Normalelektricität auf die Erde
                              									einwirken und den Erdmagnetismus erzeugen, weil sie relativ zur Erde in Bewegung
                              									sich befindet. Aus diesen Anschauungen geht hervor, daſs auch eine isolirte, schnell
                              									sich drehende Welle von weichem Eisen in unmittelbarer Nähe eines mit Elektricität
                              									von hoher Spannung geladenen Conductors einen gewissen Grad von Magnetismus annehmen
                              									muſs. Ob freilich dieser Magnetismus durch Versuche leicht nachweisbar ist, bleibt
                              									eine andere Frage. Die ungeheure Spannung der Normalelektricität und auch die groſse
                              									Umfangsgeschwindigkeit der Welle, wie sie der Umfangsgeschwindigkeit der Erde
                              									entsprechen müſste, sind Werthe, welche wir mit unseren Apparaten nicht zu erreichen
                              									im Stande sind. Wenn durch derartige Versuche meine Auseinandersetzungen bestätigt
                              									werden könnten, so würde die Richtigkeit meiner Anschauungen zur Gewiſsheit
                              									werden.
                           Durch das Zurückbleiben der Atmosphäre hinter der festen Erdkugel kann
                              									verhältniſsmäſsig nur eine geringe Reibung und wenig Elektricität erzeugt werden;
                              									die in allen Richtungen sich bewegenden Winde sind die
                              									hauptsächlichsten Elektricitätserzeuger. Auch die trockene Luft bringt durch Reibung
                              									an der Erdoberfläche keine bemerkbare Spannungselektricität hervor; nur der von ihr
                              									mitgerissene Wasserdampf bewirkt eine Elektricitätsentwickelung und, weil die
                              									Dunstbläschen ringsum von einem sehr schlechten Leiter, der reinen Luft, umgeben
                              									sind, so können sie eine sehr hohe Spannung annehmen und lange bewahren. Wenn aber
                              									die Reibung von Wassertheilchen, nicht von völlig trockener Luft, an festen Körpern
                              									die starke Elektricitätsentwickelung bedingt, wie schon Faraday nachgewiesen hat, so ist klar, daſs durch Reibung von Wasser
                              									haltiger Luft an der Meeresoberfläche keine
                              									Elektricität entstehen kann, weil diese zwei Körper homogen sind. Und die reine Verdunstung von Meerwasser, welche Pouillet als eine der hauptsächlichsten Ursachen der
                              									Entstehung der atmosphärischen Elektricität ansah, wäre nur durch Reibung der
                              									gasförmig gewordenen Theilchen an der zurückbleibenden Flüssigkeit im Stande,
                              									Elektricität zu erzeugen; sie wird also in dieser Beziehung keine nachweisbaren
                              									Resultate ergeben und kann auch niemals Ursache der gewaltigen
                              									Elektricitätsentwickelung sein, welche Polarlichter und so heftige
                              									Gewitter-Entladungen zur Folge hat.
                           Eine andere Ursprungstheorie der atmosphärischen Elektricität wurde von De la Rive und Becquerel
                              									aufgestellt. Danach bildet sich Elektricität an der Berührungsstelle des Meerwassers
                              									mit der festen Erdmasse und zwar am stärksten in der heiſsen Zone. Bei der lebhaften
                              									Verdunstung nehmen die Wassertheilchen die positive Elektricität mit sich in die Höhe und tragen
                              									dieselbe zum Theile gegen den Pol hin, nachdem schon zuvor ein anderer Theil sich
                              									durch Gewitter entladen hat.
                           Die Berührung des Meerwassers und des Festlandes soll in Folge chemischer Prozesse
                              									die Elektricität erzeugen. Es wäre also gewissermaſsen die ganze Erde als ein
                              									galvanisches Element anzusehen, dessen Pole der Aequator einerseits, die zwei
                              									Erdpole andererseits darstellen. Wo sind aber bei diesem Elemente die zwei
                              									verschiedenartigen in die Flüssigkeit tauchenden Metalle zu finden? Gesetzt den Fall, es wäre die ungleichartige
                              									Beschaffenheit und Wirkung der Erde am Aequator und an den Polen nachweisbar, warum
                              									sollte nicht der Strom durch das vorzüglich leitende Erdinnere seine Ausgleichung
                              									finden, viel bequemer als durch die Luft, welche auſserordentliche Widerstände
                              									bietet? Und endlich ist bekannt, daſs die Vergröſserung
                              									eintauchender Metallflächen eines galvanischen Elementes nur eine Vermehrung der
                              									Menge der erzeugten Elektricität, nicht aber eine Spannungserhöhung zur Folge hat.
                              									Wenn aber die wirkenden Flächen gegen alle Erwartung die elektromotorische Kraft
                              									unseres stärksten galvanischen Elementes hervorbrächten, so wäre noch lange nicht an
                              									ein Messen der bewirkten Funkenschlagweite und an eine Vergleichung mit Blitz oder
                              									Nordlicht zu denken. Allerdings wurde im Meerwasser der heiſsen Zone positive
                              									Elektricität und in der Erde negative Elektricität nachgewiesen; allein auch dies
                              									erklärt sich aus meinen früheren Auseinandersetzungen. An der festen Erdoberfläche,
                              									hauptsächlich in der heiſsen Zone bei dem groſsen Feuchtigkeitsgehalte der stark
                              									erwärmten Luft, wird die Reibungselektricität erzeugt, nicht aber an der
                              									Meeresfläche. Die Wassertheilchen, welche als Träger dieser Elektricität dienen,
                              									werden durch die Centrifugalkraft der Erde, die Sonnenwärme und die elektrische
                              									Abstoſsung der Erregungsflächen weggetrieben an den äuſseren Rand der Atmosphäre
                              									(vgl. 1883 248 142). Nur an den Enden der
                              									Erregungsflächen, an den Meeresküsten, vermindert sich die elektrische Abstoſsung sehr bedeutend, sinkt über der Meeresfläche auf
                              									Null herab, so daſs ein groſser Theil der in der Nähe befindlichen elektrischen
                              									Dunstbläschen niedersinkt, seine positive Elektricität dem Meerwasser abgebend, um
                              									sich auf dem kürzesten Wege mit der negativen Elektricität der Erde in direkten
                              									Lokalströmen auszugleichen. Unzweifelhaft muſs die Spannungsdifferenz am gröſsten
                              									sein an der Berührungsfläche der ungleichartigsten Leiter, des Meerwassers und der
                              									festen Erde, wo durch Jahrtausende hindurch die chemischen Prozesse so viele
                              									schlechte Leiter (Oxyde u. dgl.) herzustellen in Thätigkeit waren. Die Meeresfläche
                              									dagegen kann mit den aus der Luft in sie hineinfallenden Wassertheilchen den denkbar
                              									günstigsten Contact herstellen, wird also die positive Elektricität annehmen und
                              									sogar zum Theile einen Bestand an solcher aufzuweisen ermöglichen.
                           Die atmosphärische Elektricität muſs unter allen
                              									Umständen eine Reibungs- oder Influenz-Elektricität sein. Nur diese beiden können die ungeheure Spannung erreichen,
                              									welche bei den elektrischen Erscheinungen auf der Erdkugel vorhanden sein muſs. Die
                              									Unhaltbarkeit der Annahme von Influenzelektricität werde ich in einer nächsten
                              									Arbeit nachweisen; nur die Reibungselektricität bleibt in Frage und da darf mit
                              									gröſster Zuversicht, ja mit unbedingter Gewiſsheit behauptet werden, daſs nur durch Reibung von zwei Körpern, von denen der eine ein
                                 										sehr schlechter Leiter ist, Elektricität von so unermeſslicher Spannung
                                 										gebildet werden kann. Wegen des Auftretens einer zu groſsen Zahl von
                              									Lokalströmen würden zwei gute Leiter, z.B. Wasser und feste Erde, niemals eine
                              									beträchtliche Spannungsentwickelung gestatten. Kann man sich überhaupt alle
                              									Bedingungen zu der Erzeugung einer Reibungselektricität von auſserordentlicher
                              									Spannung besser erfüllt denken als durch den erläuterten Prozeſs? Durch die
                              									Schwerkraft angezogen muſs die Luft immer in Berührung mit der sehr ungleichartigen
                              									rauhen Oberfläche der Erde bleiben, bei jeder relativen Bewegung der beiden Körper
                              									Reibung und Elektricität erzeugend. Die reibende Luft selbst besteht aus einem
                              									äuſserst schlechten Leiter, der reinen Luft, in welcher gleichmäſsig vertheilt eine
                              									unendliche Zahl von kleinen, gut leitenden Dunstbläschen sich befindet. Die Spannung
                              									bei Entstehung der Elektricität ist noch keine sehr bedeutende, weil sich die
                              									Wassertheilchen in Folge der elektrischen Abstoſsung möglichst von einander
                              									entfernen. Wenn dieselben aber am Aequator in die höchsten Regionen getrieben werden
                              									und die Atmosphären-Kugeloberfläche erreichen, so wirkt unter ihnen eine so starke
                              									gegenseitige Abstoſsung, daſs sie nach bekannten physikalischen Gesetzen alle auf
                              									der äuſsersten Oberfläche der Atmosphärenkugel sich anzusammeln suchen. Durch
                              									fortwährend nachströmende Elektricität wird die Spannung dieser dünnen Schicht
                              									unaufhörlich gesteigert, bis dieselbe groſs genug ist, um Entladungen gegen die
                              									negative Elektricität, nach der Erde hin, zu gestatten. Die Wassertheilchen, welche
                              									als Träger der Elektricität wirken, vom Aequator weggetrieben, steigen aufwärts an
                              									den Rand der Atmosphäre, von da zu den Polen und von diesen in der Nähe der
                              									Erdoberfläche wieder in die heiſse Zone. Die den Dunstbläschen anhaftende positive
                              									Elektricität macht denselben Weg zu den Polen mit, während die negative
                              									Erdelektricität durch das Erdinnere denselben Polen zustrebt. Durch die Ausgleichung
                              									beider Elektricitäten an den Polen entsteht das Polarlicht (vgl. 1883 248 182).
                           Von verschiedenen Seiten, so auch von C. W. Siemens,
                              									wird behauptet, die Sonne sei in gleicher Weise eine ungeheure Licht- und
                              									Elektricitätsquelle. Von ihr ströme die Elektricität in den Weltraum und so auch
                              									nach der Erde hin. Welche Elektricität soll aber die Sonne erzeugen, die positive
                              									oder die negative oder beide? Wie ist es möglich, daſs dort nur die eine von beiden
                              									Elektricitäten entstehe; in welcher Weise entwickelt sich eine so ungeheure
                              									Spannung, daſs ein Ueberströmen in die Erde möglich würde, da doch der reine Aether
                              									als Nichtleiter betrachtet wird? Welches physikalische Gesetz spricht dafür, daſs sich zwischen
                              									zwei flüssigen oder zwischen einem flüssigen und einem gasförmigen Körper durch
                              									Reibung eine nennenswerthe Spannungselektricität entwickele? Wenn die Sonne beide
                              									Elektricitäten absendet, in welcher Weise sollen dieselben neben einander gegen die
                              									Erde sich bewegen, ohne sich auszugleichen? Strömt nur eine Elektricität nach der
                              									Erde, wie ist es erklärlich, daſs durch die fortwährende Spannungszunahme nicht
                              									schon längst alle irgendwie beweglichen Körper auf der Erde von dieser, mit
                              									gleichartiger Elektricität geladen, völlig abgestoſsen werden und sämmtlich in der
                              									Luft herumfliegen? Oder wenn die Erde als Quelle der die Sonnenelektricität
                              									vernichtenden Elektricität betrachtet wird, wo soll denn die gleichzeitig bei jener
                              									Vernichtung frei werdende entgegengesetzte Elektricität hinkommen? Warum ist diese
                              									Sonnenelektricität gezwungen, genau an den Erdpolen
                              									sich auszugleichen und das Polarlicht zu erzeugen? Ein Punkt des Aequators liegt doch stets der Sonne viel näher und
                              									bekanntlich schlägt die Elektricität soweit möglich den kürzesten Weg ein. Ich gebe
                              									zu bedenken, daſs die Drehungsachse der Erde überdies schräg zu der Ebene der
                              									Erdbahn steht. Zudem ist noch die Elektricitätsüberströmung und in Folge dessen das
                              									Polarlicht auf dem von der Sonne abgewendeten Pole viel stärker als auf dem ihr
                              									zugewendeten. Die von der Sonne ausströmende Elektricität müſste also zuerst an der
                              									Erde vorbei, um sie herum und erst nachher von der Rückseite her genau am Pole in
                              									die Erde einströmen. – Aus allen diesen Betrachtungen läſst sich leicht ersehen,
                              									daſs die Art einer solchen Sonnenelektricität und ihre Bewegungsgesetze zuerst noch
                              									gefunden werden müſsten, daſs die letzteren mit den bekannten und bewährten
                              									physikalischen Gesetzen nichts gemein haben, ja sogar denselben in den meisten
                              									Fällen schnurstracks zuwider laufen. Meine Erklärung der Polarlichterscheinungen
                              									fuſst dagegen auf längst anerkannten Gesetzen. Aus diesen lassen sich alle
                              									Beobachtungen erklären, ohne daſs es irgend nöthig wäre, zu so weit gesuchten
                              									Hypothesen Zuflucht zu nehmen.
                           Es kann noch die Frage aufgeworfen werden, warum nie in der festen Erde beständige
                              									elektrische Ströme vom Aequator zu den Polen nachgewiesen werden konnten, während
                              									doch schon eine groſse Zahl darauf zielender Versuche ausgeführt worden sind? Da in
                              									der heiſsen Zone fortwährend Elektricität erzeugt wird, so muſs der ganze
                              									Ueberschuſs derselben durch die Erde als guten Leiter möglichst weit von den
                              									Erregungsflächen fliehen; die ganze Erdoberfläche besitzt in Folge dessen eine
                              									gewisse Spannung, welche an den Polen ein Maximum erreicht. Wird der Erde an irgend
                              									einer Stelle ein Theil ihrer Elektricität entzogen, so strömt solche von allen
                              									Seiten an jene Stelle herbei, bis sie ihre normale Dichte wieder erreicht hat. Es
                              									beweist dies das Schwanken der Magnetnadel bei nahen Gewittern, bei Nordlicht u.
                              									dgl. Während also Messungen über Erdströme gemacht werden, findet bald eine gröſsere Entladung am
                              									Nordpole, bald eine solche am Südpole statt. Oder es zieht ein heftiges Gewitter die
                              									Erdelektricität vom Beobachtungspunkte aus nach Osten oder nach Westen. Kurz, es
                              									müssen nothwendiger Weise so viele verschiedene Richtungen von Erdströmen
                              									nachweisbar sein, daſs eine Gesetzmäſsigkeit schwer herauszufinden ist. Am
                              									wahrscheinlichsten wird ein Resultat erhältlich sein bei einem lange dauernden
                              									Polarlichte, da während desselben doch unbedingt stärkere Ströme negativer
                              									Elektricität gegen den Pol statthaben müssen, allerdings mit starken
                              									Intensitätsschwankungen und mit täglichen Richtungsänderungen, je nachdem
                              									Sonnenwärme und Winde in der heiſsen Zone verschiedene Erdflächen beeinflussen. Nur
                              									bei sehr starken Entladungen werden solche Meridianströmungen deutlich erkennbar
                              									sein, weil schwächere Ströme nur in beinahe gerader
                              									Linie durch das Erdinnere, durch die tiefsten
                              									metallreichen Erdschichten, vom Aequator zu den Polen flieſsen, anstatt theilweise
                              									in groſsen Kreisbogen durch die gemäſsigten Zonen ihren Weg zu suchen.
                           Aus meinen oben erwähnten Auseinandersetzungen über den Kreislauf der
                              									Normalelektricität in Verbindung mit den Wirkungen der Gravitations- und
                              									elektrischen Kräfte auf die die Elektricität transportirenden Wassertheilchen (vgl.
                              									1883 248 182) lassen sich einige Erscheinungen ableiten:
                              									Bei der Ausgleichung der Elektricität an dem Pole während des Polarlichtes verlieren
                              									die Wassertheilchen ihre Elektricität und gleichzeitig ihre abstoſsende Kraft unter
                              									einander, bevor sie zur Berührung mit der Erdoberfläche gelangen. Viele Theilchen
                              									vereinigen sich zu einem einzigen und bilden ein zusammenhängendes Ganze, bei den
                              									dort herrschenden Temperaturen natürlich eine Eisnadel. Die Eisnadeln fallen nahe
                              									dem Pole auf die Erde nieder und bilden Gletscher in groſser Ausdehnung. Zur Zeit
                              									des fortwährenden Tages werden die Gletscheroberflächen allmählich zum Theile
                              									abschmelzen; an ihrem Rande brechen Stücke los und werden von den Meeresströmungen
                              									als Treibeis fortgerissen. So viel Eis in der heiſsen Jahreszeit auf diese Weise zum
                              									Schmelzen gebracht wird, ebenso viel muſs das Jahr hindurch neu gebildet werden.
                           Viele Nordpolfahrer nehmen an, die Sonnenwirkung auf den Pol während des beständigen
                              									Tages sei im Stande, alles Eis zu schmelzen. Man müsse demnach am Pole in der
                              									günstigsten Jahreszeit ein offenes Meer finden, sobald nur einmal der hemmende
                              									Eisgürtel durchbrochen sei. Es ist dies aber eine Täuschung und wird der
                              									Wirklichkeit niemals entsprechen. Die mittlere Jahrestemperatur ist an den Polen zum
                              									mindesten unter –20°; es müſste sich folglich schon aus diesem Grunde an den Polen
                              									jedes Jahr viel mehr Eis bilden, als durch die Sonne wieder geschmolzen werden kann.
                              									Durch die Elektricitätsausgleichungen wird aber die Eisansammlung noch bedeutend
                              									vermehrt und nur das Auftreten des Treibeises bewirkt, daſs die Gröſse der Eismeere
                              										nicht beständig
                              									zunimmt. Wenn aber das Schmelzen des Treibeises in der gemäſsigten Zone die
                              									hauptsächlich Eis vermindernde Ursache ist, so müssen die am Pole entstandenen
                              									Eisberge allmählich von den Polen weggedrückt werden, indem sie zugleich langsam bis
                              									auf das Meer heruntersinken, gerade so, wie es bei den Gletscherbewegungen an
                              									unseren Alpen der Fall ist. So läſst sich die bedeutende, beständig sich gleich
                              									bleibende Eisabnahme und Wiedererneuerung leicht begreifen.
                           Ein offenes Meer an den Polen ist undenkbar. Die Sonnenstrahlen fallen stets unter
                              									sehr schrägem Winkel auf den Pol, treffen dort nur weiſse Eis- und Schneeflächen an,
                              									welche nahezu alles Licht reflectiren und auch nur äuſserst wenig Wärme aufnehmen.
                              									Wo soll da die zum Schmelzen so ungeheuerer Eisberge nöthige Wärme herkommen? Die
                              									wirklichen Thatsachen durch Beobachtungen auf den Erdpolen festzustellen, ist uns
                              									leider noch nicht vergönnt. Lenken wir aber unser Auge auf den Planeten Mars, so sehen wir ganz genau, wie in der beschriebenen
                              									Weise dessen Polar-Eismeere zu- und abnehmen. Die Bildung eines eisfreien
                              									Polarmeeres inmitten des Eismeeres bei der gröſsten Sonnenwärme, welche bei diesem
                              									Planeten wegen der gröſseren Achsenneigung auch kräftiger sein muſs, kann nicht
                              									nachgewiesen werden und hat auch nicht die geringste Wahrscheinlichkeit für sich.
                              									Auf der Erde ist ein solcher Vorgang noch unwahrscheinlicher.
                           Unlängst wurde von einem bekannten Nordpolfahrer ein Nordlicht auf künstlichem Wege
                              									hergestellt durch Armirung einer Bergspitze mit einer groſsen Zahl metallisch gut
                              									verbundener Auffangspitzen. Der Erfolg war ein überraschender und wird viele weitere
                              									ähnliche Versuche nach sich ziehen. Leider waren die metallischen Theile sehr bald
                              									von Eisnadeln völlig bedeckt, so daſs dadurch die Versuche beeinträchtigt wurden.
                              									Nach dem bereits Erwähnten sind diese Erscheinungen leicht erklärlich. Durch die
                              									Auffangspitzen und durch alle metallischen Theile der gesammten Armatur muſste die
                              									Erdelektricität ausströmen und sich der atmosphärischen Elektricität nähern. Diese
                              									wurde nach unten angezogen sammt ihren Trägern, den Wassertheilchen, welche
                              									natürlich nach Ausgleichung der Elektricität als Eisnadeln an der betreffenden
                              									Stelle niederfielen und die Armatur allmählich bedeckten.
                           Sollen solche Versuche länger andauern können und praktische Resultate ergeben, so
                              									ist vor Allem darauf zu achten, daſs sämmtliche metallischen Theile mit Ausnahme der
                              									eigentlichen Auffangspitzen durch Isolirschichten geschützt sind und also auch durch
                              									Bildung von Eisnadeln zwischen ihnen und der Erde keine direkte Ableitung
                              									hergestellt werden kann. Die Spitzen selbst müssen weit genug von der Erde abstehen,
                              									damit sie auch bei länger anhaltendem Eisregen noch über die sich bildende
                              									Eisschicht hervorragen.
                           Praktischen Werth für die Technik haben meine Untersuchungen, wenn man ähnliche
                              									Einrichtungen nicht allein da macht, wo sie nur rein wissenschaftlichen Zwecken
                              									gewidmet sind, sondern auch an Orten, wo eine geringere Eisentwickelung eine
                              									fortwährende Ausnutzung der Normalelektricität erlaubt. Die Aufstellung einer
                              									gröſseren Zahl von Auffangspitzen, deren Stangen von Luft und Erde gut isolirt sind,
                              									welche aber alle mit einander durch isolirte Leitungen gut verbunden werden müssen,
                              									bewirkt in irgend einem nördlich gelegenen Orte in bewohnbaren Gegenden eine
                              									kräftige langsame Entladung der Normalelektricität, sobald die gesammte Armatur mit
                              									der Erde leitend verbunden wird. Schaltet man in diese letztere Leitung eine
                              									Dynamomaschine ein, so muſs deren Inductor in Drehung versetzt werden und Kraft
                              									abzugeben im Stande sein, und zwar um so mehr, je näher der betreffende Ort dem Pole
                              									liegt, dem Orte der natürlichen Ausgleichung der Elektricitäten. Auf solche Weise
                              									kann also der Normalelektricität Kraft abgewonnen werden. Durch Einschaltung einer
                              									elektrischen Lampe muſs elektrisches Licht entstehen. Und wenn nennenswerthe
                              									Wirkungen sich ergeben, woran nicht zu zweifeln ist, so liegt auch der Gedanke nicht
                              									fern, eine Siemens'sche elektrische Eisenbahn in
                              									nördlichen Gegenden durch die Normalelektricität treiben zu lassen. Die Decke des
                              									Wagens wäre mit genügenden Auffangspitzen zu versehen und die Normalelektricität von
                              									diesen aus durch die Dynamomaschine und hernach durch Räder und Schienen in die Erde
                              									abzuleiten. Freilich darf nicht übersehen werden, daſs die erzielten Wirkungen
                              									während starker Regengüsse jedenfalls beeinträchtigt würden. Daſs bei allen
                              									ähnlichen Versuchen die nöthigen Sicherheitsvorkehrungen, Blitzplatten u. dgl., in
                              									genügender Weise auszuführen sind, will ich nur andeuten. Es ist dies eine rein
                              									praktische Sache. Eine in der Natur vorkommende unendliche Anzahl von Auffangstangen
                              									bilden die Bäume, Sträucher, überhaupt alle Pflanzen und sogar die Thiere. Sie alle
                              									besitzen durchschnittlich einen weit höheren Wassergehalt als die feste Erde, leiten
                              									besser und führen also die negative Erdelektricität an ihre äuſsersten Enden, wo
                              									diese in die Luft überzugehen im Stande ist, sobald starke positive
                              									Elektricitätsanhäufungen in der Nähe anziehend wirken. Ist aber keine Ableitung in
                              									der Nähe vorhanden, so überwiegt die durch Reibung der Luft an dem Körper bewirkte
                              									Elektricitätsentwickelung, in Folge deren die Luft positiv erregt abgestoſsen und
                              									die negative Elektricität durch das betreffende Wesen hindurch der Erde zugeleitet
                              									wird. Solche Versuche sind schon sehr vielfach gemacht worden. Ihr Zweck war, nach
                              										Pouillet's Angaben den Ursprung atmosphärischer
                              									Elektricität aus Vegetationsprozessen nachzuweisen, was aber bisher nicht im
                              									Entferntesten gelingen konnte und auch niemals gelingen wird. Im Gegentheile wird
                              									die Vegetation durch das Durchflieſsen der atmosphärischen Elektricität beeinfluſst,
                              									wie durch folgenden Versuch gezeigt worden ist: Der Leitungsdraht einer isolirten
                              									Auffangstange wurde in den oberen Theil des Stämmchens einer Weinrebe eingesenkt,
                              									die Wurzel mit der Erde gut leitend verbunden (welch letzteres unzweifelhaft nicht
                              									nöthig war). Das Wachsthum der Rebe ist dadurch beschleunigt worden. Es muſs also
                              									schon in unseren Regionen im Sommer durch viele Auffangspitzen ein ganz ansehnlicher
                              									elektrischer Strom erhältlich sein. – Daſs auch lebende Wesen gleichsam
                              									Auffangstangen für die Normalelektricität darstellen können, fühlen viele leicht
                              									erregbare nervöse Personen nur zu wohl. Sie können an sich selbst das Durch- und
                              									Ausströmen der negativen Erdelektricität in die Luft bei einem heranziehenden
                              									Gewitter prüfen, wenn es ihnen vergönnt ist, mit Ueberwindung der dadurch
                              									verursachten Kopfschmerzen und Beklemmungen noch Beobachtungen anzustellen. Als
                              									weitere Folgerung läſst sich behaupten, daſs Orte mit sehr vielen Auffangspitzen u.
                              									dgl., mit Blitzableitern, Telephon- und Telegraphendrähten, die Ableitung der
                              									Normalelektricität in die Erde auf jede mögliche Weise erleichtern und folglich die
                              									Entstehung von Gewittern und sogar von Hagelwettern in ihrer unmittelbaren Nähe sehr
                              									begünstigen.