| Titel: | Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und Sprengtechnik. | 
| Autor: | Oscar Guttmann | 
| Fundstelle: | Band 254, Jahrgang 1884, S. 110 | 
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                        Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und
                           								Sprengtechnik.
                        (Patentklasse 78. Fortsetzung des Berichtes Bd.
                           								253 S. 70.)
                        Mit Abbildungen im Texte und auf Tafel 10.
                        Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und
                           								Sprengtechnik.
                        
                     
                        
                           Einem ausführlichen Berichte von Hauptmann Filipp Hess
                              									über die auf der Berliner hygienischen Ausstellung 1883 befindlichen, auf die
                              									Explosivstoff-Industrie Bezug habenden Gegenstände sind nach den Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und Genie-
                                 										Wesens, 1884 Heft 4 u. 5 S. 189 folgende Angaben über Explosivstoffe und deren Prüfung entnommen:
                           Die von Hellhoff in Mainz erzeugten, neuerlich auch
                              									unter dem Namen Hellhoffit bekannt gewordenen
                              									Sprengmittel (vgl. 1882 246 184) waren auf der
                              									Ausstellung durch ein Muster, bestehend aus Binitrobenzol und Salpetersäure, sowie
                              									durch verschiedene Einzelangaben über die Herstellungsweise vertreten. Zur Mengung der Nitrokörper (Nitrobenzol u.s.w.) mit der Salpetersäure verwendet Hellhoff den in Textfigur 1 abgebildeten
                              									Apparat, bestehend aus Mischgefäſs A, Kühlgefäſs B und Einlaſstrichter T.
                              									Die ausgestellten Patronen waren nach dem schon beschriebenen Verfahren (1884 251 * 119) insofern verändert hergestellt, als die Hülse
                              									aus paraffinirtem Papiere (vgl. Textfigur 2) besteht,
                              									unten zugewürgt und mit Paraffin gedichtet ist, oben aber einen gebohrten Pfropfen
                              									eingewürgt hat, in welchen die Zinnhülse für das Zündhütchen eingesteckt wird. Zum
                              									Füllen der Patronen dient ein Trichter mit zwei Füllröhren r (Textfigur 3).
                           
                              
                              Fig. 1., Bd. 254, S. 111
                              
                           
                              
                              Fig. 2., Bd. 254, S. 111
                              
                           
                              
                              Fig. 3., Bd. 254, S. 111
                              
                           C. H. Wolff hat eine nach Prof. Ph. Weselsky selbst durch Schüler leicht ausführbare Methode der Stickstoffbestimmung von Nitroverbindungen angegeben,
                              									welche eine Erweiterung der Champion-Pellet und Heſs'schen Methode ist. In den kleinen, etwa 50cc fassenden Zersetzungskolben z (Textfigur 4) kommen
                              									0,10 bis 0g,14 Nitroglycerin oder Sprenggelatine,
                              									oder 0,15 bis 0g,18 Dynamit, sodann je 5cc vorher aufgekochte und wieder erkaltete
                              									concentrirte Eisenchlorürlösung und Salzsäure. Der Kolben wird geschlossen, aus dem
                              									Entwickelungsgefäſs a Kohlensäure durch den Kolben
                              									geleitet und, wenn die durch das Rohr g strömenden
                              									Gasblasen von der 20procentigen Natronlauge in der Meſsröhre M vollkommen absorbirt werden, schlieſst man den Hahn des
                              									Kohlensäureapparates und erwärmt den Kolben ganz allmählich, wodurch die Zersetzung
                              									unter Stickoxydabgabe erfolgt. Nach beendigter Zersetzung kocht man bis auf wenige
                              									Cubikcentimeter ein und führt durch Einleiten von Kohlensäure die letzten Spuren von
                              									Stickoxyd in die Meſsröhre M über.
                           
                              
                              Fig. 4., Bd. 254, S. 111
                              
                           Zum Ausziehen des Nitroglycerins aus Dynamit u.s.w.
                              									verwendet W. Hampe in Clausthal den Apparat von Szombathy für die Fettbestimmung in der Milch. Wie aus
                              										Textfigur 5 zu ersehen ist, besteht derselbe aus
                              									dem Extractionstrichter A mit dem Verbindungsrohre b und dem Ueberlaufheber c. Mit dem Trichter A ist ein Rückfluſskühler C verbunden und das Ganze steckt in einem Kölbchen B, dessen Inhalt von 25cc Aether im Wasserbade F auf 70 bis 75°
                              									erwärmt werden kann. Das
                              									Dynamit wird in einer abgesprengten Trichterröhre D
                              										(Textfig. 6) gewogen, welche einen Pfropfen aus
                              									Glaswolle oder Asbest enthält, an einem Ringe aus Platindraht gefaſst und in einem
                              									Platindrahtgestelle (Textfigur 7) befestigt werden
                              									kann. 10 bis 12g Dynamit werden nach dem Abwiegen
                              									über Schwefelsäure getrocknet, in Rohr A gestellt, wo
                              									die Trichterröhre bis zur Marke a reicht, und dann ins
                              									Rohr A Aether nachgegossen, bis der Heber c überflieſst. Nun wird der Kolben B erwärmt, der Aetherdampf steigt durch b in den Kühler C, tropft
                              									auf das Dynamit und der Auszug füllt das Rohr A
                              									allmählich bis zur Marke a, worauf der Heber c überflieſst und den Inhalt von A vollständig entleert. So wird in einer Stunde der
                              									Aether 12mal gewechselt und binnen 5 Stunden können 10g Sprenggelatine oder binnen 3 Stunden ebenso viel Gelatinedynamit
                              									vollständig ausgezogen werden. Der Szombathy'sche
                              									Apparat unterscheidet sich von den bisherigen Einrichtungen hauptsächlich durch die
                              									selbstthätige Abfuhr des Auszuges, und da man genöthigt ist, mit immer neuen Mengen
                              									von Aether zu arbeiten, so ist auch eine vollkommenere Arbeit erklärlich.
                           
                              
                              Fig. 5., Bd. 254, S. 112
                              
                           
                              
                              Fig. 6., Bd. 254, S. 112
                              
                           
                              
                              Fig. 7., Bd. 254, S. 112
                              
                           Wilh.
                                    											Reunert in Annen (* D. R. P. Nr. 27229 vom 17. Juli 1883) hat das schon
                              									wiederholt erwähnte Kochverfahren zur Erzeugung von
                                 										Sprengstoffen insofern verändert, als er nicht die angefeuchteten oder mit
                              									Salzlösungen gemengten Bestandtheile abdampft, sondern zum Zwecke einer innigeren
                              									Mengung dieselben durch direkt eintretenden Dampf behandelt. Den Sprengstoff erzeugt
                              										Reunert aus 75 Th. Kalisalpeter, 13 Th. Kohle aus
                              									weichem Holze, 9 Th. Schwefel und 3 Th. Weizen- oder Stärkemehl. 100k dieser Mischung werden mit 6 bis 8l Wasser zu einem Teige angemacht und in einen Dämpfapparat (Fig. 13 Taf. 10)
                              									eingebracht, daselbst durch Dampf von 2,5 bis 3at
                              									durchgemischt, sodann auslaufen und erkalten gelassen, in Patronen gepreſst und
                              									endlich getrocknet. Der Dämpfapparat besteht aus einer Trommel A mit dem Mannloche a und
                              									der durchlöcherten Hohlachse b, welche, durch Voll- und
                              									Leerscheibe d, d1
                              									angetrieben, auf Lagern c, c1 in der Stopfbüchse s des feststehenden
                              									Dampfrohres r sich dreht.
                           Der Zusatz von Stärkemehl ergibt ein entschieden weniger hygroskopisches und
                              									dichteres Pulver, wie es auch Referent um genau dieselbe Zeit sich in Oesterreich
                              									patentiren lieſs. Die direkte Behandlung mit gespanntem Dampfe kann jedoch nicht
                              									vortheilhaft genannt werden. Sobald der Dampf sich im Apparate verbreitet hat und
                              									die Masse durchwärmt ist, kann neuer Dampf nur nach Maſsgabe der Condensation – und auch da nicht
                              									ruckweise – entstehen; eine vollkommenere Rührung wird also, trotzdem der Apparat
                              									sich dreht, kaum zu erzielen sein. Je nach der Auſsentemperatur wird das Pulver in
                              									einer gegebenen Zeit mehr oder weniger niedergeschlagenes Wasser aufgenommen und man
                              									wird in jedem Falle einen sehr langwierigen und deshalb kostspieligen Trocken
                              									Vorgang einzuschlagen haben. Auf dem Dämpfapparate ist kein Ausblaseventil
                              									vorgesehen; beim Abstellen wird man deshalb ziemlich lange warten müssen, ehe das
                              									Mannloch ohne Gefahr geöffnet werden darf. Die Hohlachse mit ihren Löchern wird sich
                              									bald mit Pulver verstopfen und dann zum Auflösen des Schmutzes ziemlich Zeit und
                              									Mühe erfordern.
                           Welche sonderbaren Einfälle oft die „Erfinder“ von
                              									Sprengmitteln haben, zeigt ein „Lederit“
                              									benanntes Pulver von Joh. Waffen in Knittelfeld.
                              									Dasselbe soll aus 45 Th. Kalisalpeter, 15 Th. Schwefel, 20 Th. Mennige, 18 Th.
                              									Lederabfälle (daher der Name!) und 2 Th. Pikrinsäure bestehen. Die Mennige soll zur
                              									Herabsetzung der ursprünglich allzu groſsen Brisanz beigegeben worden sein; die
                              									Folge davon aber war, daſs – wie aus verlässlicher Quelle verlautet – das
                              									österreichische Kriegsministerium den Erzeuger verpflichtete, die Kisten mit einer
                              									Warnung zu versehen, wonach dieses Sprengmittel giftige Dämpfe entwickle, der
                              									Arbeitsort daher frühestens erst 2 Stunden nach Abthun des Schusses betreten werden
                              									dürfe.
                           Rob. Punshon und Rob. R.
                                    											Vizer in London (* D. R. P. Nr. 28539 vom 24. November 1883) haben sich
                              									folgendes neues Sprengverfahren patentiren lassen. Man
                              									stelle sich einen Glascylinder gefüllt mit Salpetersäure, einen zweiten mit Pikrinsäure
                              									vor; die beiden werden in eine Hülse zusammengeschoben, das Salpetersäuregefäſs mit
                              									einer Glaskugel an ihrem trichterförmig nach innen gebogenen Rande verschlossen und
                              									verschmiert, das Ganze hierauf in das Bohrloch geschoben und mit einer zugespitzten
                              									Stange in die Patrone gestoſsen, wodurch die beiden Stoffe sich mengen und ein
                              									Sprengmittel bilden sollen. Bekanntlich hat Sprengel
                              									schon vor vielen Jahren gefunden, daſs Salpetersäure und Pikrinsäure einen
                              									Sprengstoff ergeben und das Prinzip der Mengung im Gebrauchsfalle durch
                              									Zertrümmerung eines Glasgefäſses ist von den Gasspritzen (sogen. Extincteuren) her
                              									auch nicht unbekannt. Neu ist das Verfahren von Punshon
                              									und Vizer in der Sprengtechnik allerdings; wie in den
                              									überwiegend meisten Fällen die Ausführung gedacht ist, welche Ausbeute an
                              									Sprengmaterial, an Kraft, sich ergibt, wie groſs die Gefahr für die Arbeiter ist,
                              									erörtern wir nicht näher; die Nachahmungen der Sprengel'schen Pulver werden bald nicht mehr ernst genommen werden
                              									können.
                           In der fiscalischen Steinkohlengrube Kronprinz bei
                              									Saarbrücken haben die günstigen Versuche mit gepreſstem
                                 										Pulver dessen allgemeine Einführung veranlaſst, wie dies in England schon
                              									der Fall ist. Der höhere Preis wird durch die gröſsere Sprengwirkung annähernd
                              									aufgehoben, die Handhabung ist weniger gefährlich und auch bei nasser Kohle versagt
                              									der Schuſs nicht leicht. Weitere Versuche auf der Saarbrücker Gerhard-Grube ergaben nach der Zeitschrift für Berg-, Hütten- und Salinenwesen, 1884 S. 274 gegen das
                              									gekörnte Pulver (in herausgeschlagenen Meter auf 1k Pulver) eine Mehrleistung von 35 bis 45 Proc. Auch in Oesterreich wird
                              									neuestens von Seite der Staatsverwaltung gepreſstes Pulver zu Sprengzwecken in den
                              									Handel gebracht und soll sich sehr gut bewähren, trotzdem den mit seiner Handhabung
                              									noch ungewohnten Arbeitern auch schon mehrere Unfälle zustieſsen.
                           
                           Eine recht praktische Raketenpresse findet sich im Praktischen Maschinen-Constructeur, 1884 S. 245 und ist
                              									in Fig. 14
                              									und 15 Taf.
                              									10 abgebildet. Durch das seitliche Handrad wird mit Kegelrädern und
                              									Schneckengetriebe ein Hebel und dadurch der Tisch gehoben, wobei die darauf
                              									stehenden 8 Formen den oberhalb befestigten Stempeln entgegen wirken. Die Formen
                              									sind zerlegbar und werden durch Stellschrauben zusammengehalten. Mittels des oberen
                              									Handrades wird ein Querstück herabgebracht, welches feine Rothguſsnadeln zur
                              									Reinigung der Hohlstempel trägt. Eine besondere Zählvorrichtung dient zur
                              									Beobachtung des Pressungsgrades.
                           In der Fabrik zu Ardeer der Nobel's Explosives Company
                              									hat am 8. Mai 1884 eine Explosion stattgefunden, welche wegen der diese begleitenden
                              									Umstände wichtig ist und einen ausführlichen Bericht des Explosiv-Inspectors Oberst
                              										A. Ford veranlaſste. In einer Patronenhütte
                              									erfolgte eine Explosion und in drei anderen solcher Hütten, von denen zwei 20m,25, eine 41m,4
                              									von der ersten entfernt lagen, entzündete sich das in Bearbeitung befindliche Dynamit und zwar so rasch, daſs die sämmtlichen 15
                              									Arbeiterinnen zu Schaden kamen (10 wurden getödtet, 2 schwer, 2 leicht verwundet, 1
                              									nur leicht verletzt).
                           Ohne die sehr umständliche Untersuchung Ford's zu wiederholen, sei hier kurz die Thatsache und die Entstehung der
                              									Explosion besprochen.
                           In Ardeer ist es üblich, das Dynamit in einer mit metallenen Ecken
                              									beschlagenen Kiste zuzubringen, welche geöffnet in der Patronenhütte stehen bleibt
                              									und aus der die Arbeiterinnen den Bedarf entnehmen. Es spricht alle
                              									Wahrscheinlichkeit dafür, daſs eine der an die Wand befestigten eisernen
                              									Patronenpressen herab und auf eine solche Kiste fiel, wodurch die Explosion
                              									entstand. Es explodirte jedoch nur der lose Inhalt der Kiste, während die schon
                              									fertigen Patronen in der Nähe der Pressen sich entzündeten und durch den Luftdruck
                              									herumgeschleudert wurden. Dieselben fielen durch gebrochene Fenster, zerrissene
                              									Dächer, offene Thüren, oder mögen auch selbst das Dach durchgeschlagen haben,
                              									steckten das Dynamit anderer Hütten in Brand, ohne jedoch daselbst Explosion
                              									hervorzurufen.
                           Es ist für die Fabrikanten von Sprengmitteln Nichts so lehrreich
                              									als ein Unglücksfall und deshalb seien hier einige Bemerkungen gemacht, welche sich
                              									hauptsächlich gegen die einigermaſsen abweichende Auffassung Ford's wenden. Ford erklärt nämlich des
                              									Ausführlicheren, daſs Dynamit brennen, explodiren und detoniren kann, welche Meinung
                              									insbesondere in Frankreich und England verbreitet ist, und folgert daraus, daſs das
                              									Dynamit in der ersten Hütte nur explodirt sei (französisch: Explosion erster
                              									Ordnung), da bei einer Detonation in geschlossenem Räume unmöglich brennende
                              									Patronen herumgeschleudert werden konnten. Leider kann sich die Theorie von einer
                              									zweifachen Explosion nicht halten. Die ganze Explosion hängt lediglich von der
                              									Stärke des ersten Anstoſses ab. Wird eine dünne Schicht am Ambosse an einer Stelle
                              									getroffen, so brennt nur dieser Theil ab, weil ein Theil des Schlages vom Ambosse
                              									aufgenommen wird; wäre der Schlag aber genügend stark, um den ganzen Ambos zu
                              									erschüttern, so explodirte das Ganze. Militärische Versuche haben gezeigt, daſs die
                              									Uebertragung der Explosion von einer Ladung auf die andere sehr davon abhänge, ob
                              									und womit diese Ladungen mit einander verbunden sind; unter Umständen genügt die
                              									Luft als Contactvermittler, aber nur auf gewisse Entfernungen. Gewisse Sprengmittel,
                              									ja selbst gewisse Dynamitgattungen bedürfen verschieden starken Anstoſses und es ist
                              									eine oft beobachtete Erscheinung, daſs bei einem regelrecht mit einem
                              									Knallquecksilberhütchen abgeschossenen Bohrloche nur ein Theil der Ladung
                              									explodirte, der andere aber brennend herausgeschleudert wurde, was nach den
                              									Erklärungen Ford's unmöglich wäre. Es hat deshalb auch durchaus
                              									nicht sein müssen, daſs bei einer Explosion der Vorrathskiste auch der
                              									Patronenvorrath bei den Pressen abbrennen sollte. Die Hütten hatten etwa 9qm Bodenfläche, die Vorrathskiste enthielt etwa
                              										90k; es kann also ganz gut angenommen werden,
                              									daſs die Patronen von den Explosionsschwingungen nicht in genügender Menge
                              									zugemittelt erhielten, als zu ihrem Abschieſsen nöthig gewesen wäre.
                           Auffallend ist, daſs die Thüren der Patronenhütten stets offen
                              									waren; dies bietet immer die Möglichkeit der Einbringung fremder Körper. Eine andere
                              									Sonderbarkeit war die, daſs die eine Führung der Pressenstempel nicht geschmiert
                              									wird, sondern von dem beim Pressen austretenden Nitroglycerin in Schmierung gehalten
                              									wurde; es ist geradezu ein Wunder, daſs im Laufe von Jahren solchen Gebrauches
                              									dadurch noch kein Unglücksfall entstand. Die Pressen hatten die Form der in
                              									Deutschland und Oesterreich üblichen, wobei ein Stempel mittels eines Hebels
                              									zwischen zwei Führungen in einem Trichter sich bewegt; neu ist, daſs der Hebel durch
                              									eine an der Decke befestigte elastische Schnur selbstthätig zurückschnellt.
                           In Quartier-Gaillard, Frankreich, hat nach den Annales des
                                 										Mines, 1883 Bd. 4 S. 569 im Rosenschachte (puits
                                 										des rosiers) ein eigenthümlicher Unglücksfall stattgefunden, welcher der
                              									besonderen Aufmerksamkeit der Kohlenbergleute zu
                              									empfehlen ist. Zwei Arbeiter, Portes und Blanc waren mit dem Vortriebe einer schwebenden Strecke
                              									beschäftigt, welche 8m Länge und 3m Breite hatte; die Mächtigkeit der Kohlenbank, in
                              									welcher dieselben eben arbeiteten, war 2m, das
                              									Gefälle 18°. Auf 0m,80 vom linken Ulme und 0m,90 von der Firste war ein Bohrloch A (Fig. 16 Taf. 10)
                              									getrieben worden, dessen verlängerte Achse sehr nahe an der rechten Ecke des
                              									Streckeneinganges vorüber ging. Das 1m tiefe
                              									Bohrloch wurde mit 375g Pulver geladen und mit 30
                              									bis 40cm hohem Besätze von Kohlengestübbe
                              									versehen, wie es auf der Stollensohle vorkommt. Nach der Ladung des Bohrloches
                              									gingen die Häuer in die Grundstrecke, Blanc nach B, Portes nach P, während
                              									der hierzu bestimmte Untersteiger, nachdem er sich mit einer Müseler-Lampe überzeugt
                              									hatte, daſs keine Spur von schlagenden Wettern vorhanden war, die Entzündung vornahm
                              									und sich nach J in einen Querschlag flüchtete. Bald
                              									darauf erfolgte eine heftige Entladung, mächtige Flammen verbreiteten sich in der
                              									Grundstrecke, überwanden die entgegenziehenden Wetter und verbrannten Portes, welcher auf 10m vom Eingange des Ueberhauens im Ansteigenden stand. Nach der Aussage Biancas waren die Flammen roth und enthielten reichlich
                              									glühende Kohlentheilchen. Portes wurde an der ganzen
                              									rechten, dem Ortsstoſse abgewendeten Seite des Körpers verbrannt. Der Kopf wurde
                              									geschützt durch den rechten Arm, welcher im Augenblicke der Explosion an die Kappe
                              									der Zimmerung anhielt.
                           Die Ursache dieses auſsergewöhnlichen Unglücksfalles zu finden, war nicht leicht.
                              									Anfangs dachte man an schlagende Wetter, weil die Flammen gegen den Wetterstrom
                              									gingen und trotzdem die obere Kohlenbank des achten Flötzes niemals Gase zeigte. Man
                              									konnte aber in den folgenden Tagen in der ganzen Nachbarschaft dieses Ueberhauens
                              									keine Spur von schlagenden Wettern nachweisen. Dagegen sah man, daſs das Bohrloch,
                              									mit Ausnahme einer kleinen Aushöhlung am Rande, unverletzt war. Eine Untersuchung der
                              									Zimmerung zeigte, daſs die Flammen den auf der Abbildung dunkel schraffirten Raum
                              									erfüllten; die der Ortsbrust nächststehenden drei Zimmer zeigten keine Spur von
                              									Verbrennung, während die folgenden zusammengesinterte Kokeskörnchen und harzige
                              									Ausschwitzungen, insbesondere gegen den rechten Ulm (der Verlängerung der
                              									Bohrlochsachse) aufwiesen. Im Punkte R, wo der Versatz
                              									eines alten Verhaues stand, fanden sich diese Sinterkohlen und Harzkörnchen in
                              									groſser Menge; auch auf der linken Seite der Grundstrecke konnten dieselben noch
                              									deutlich gesehen werden. Die vollständige Abwesenheit von Grubengas wurde durch
                              									verschiedene Beobachtungen festgestellt.
                           Die Ursache des Unglücksfalles ist also in Folgendem zu finden. Das in einer sehr
                              									harten Kohle getriebene Bohrloch war überladen und hat ausgeblasen; die
                              									Verbrennungsgase des Pulvers und des entzündeten Kohlenbesatzes wurden mit
                              									Heftigkeit gegen die Grundstrecke geworfen, von wo dieselben gegen den nur 0,5 bis
                              										0m,6 secundlich starken Luftstrom getrieben
                              									wurden und einen Wirbel erzeugten, welcher in der staubigen, warmen und sehr
                              									trockenen Grundstrecke das Gestübbe mitriſs und wieder ein brennbares Luftgemenge
                              									bildete. Die Flammen haben in diesem Falle 8m im
                              									Ueberhauen und 12m in der Grundstrecke, mit einem
                              									plötzlichen Richtungswechsel durchlaufen. Ein später unter ähnlichen Bedingungen
                              									ausgeführter Versuch hat diese Ansicht bestätigt.
                           Im Allgemeinen müssen die Häuer beim Abthun von Bohrlöchern mehr für ihre Sicherheit
                              									sorgen als bisher. Alljährlich kommen Unglücksfälle durch zu späte Entfernung vom
                              									Orte, durch vorzeitiges Nahen einem versagten Schusse, durch Ausbohren von solchen
                              									u.s.w. vor. Der vorliegende Fall zeigt, daſs zu starke Ladungen und Besatz von
                              									Kohlenlösche nachtheilig sind und daſs man sich mindestens auf 30m in der Grundstrecke entfernen soll. In einem
                              									ähnlichen Falle hatten sich die Schallwellen eines ausgeblasenen Schusses in der
                              									Grundstrecke gebrochen und bereiteten dem in einem Querschlage befindlichen
                              									Referenten eine stundenlang andauernde Schwerhörigkeit.
                           Die civile Sprengtechnik ruht dermalen noch ziemlich im
                              									Argen. Bergleute, Tunnelbauer, Steinbrecher kennen keinen vernunftgemäſsen Vorgang
                              									beim Sprengen, weil es bisher an einem nur halbwegs brauchbaren Maſsstabe für die
                              									Bestimmung der Lademenge fehlt. Jeder Häuer weiſs sein Gestein zu beurtheilen und
                              									wird Anlage sowie Richtung des Bohrloches vollkommen richtig treffen; allein nach
                              									den meist bei jedem Schusse wechselnden Verhältnissen auch die Menge des
                              									Sprengmittels zu bemessen, ohne es zu verschwenden, oder Gefahr zu laufen, daſs die
                              									Wirkung ungenügend sei, treffen nur Wenige. Allerdings wird in vielen Gruben,
                              									besonders in Kohlenwerken, der Häuer immer in derselben Strecke beschäftigt; die
                              									allgemeinen Verhältnisse wechseln so unbedeutend, daſs der Mann eine im Groſsen und
                              									Ganzen genügende Geschicklichkeit erlangt. Allein bei groſsen Tunnelbauten, in
                              									Erzbergwerken, Steinbrüchen u.s.w., besonders dann, wenn der Arbeiter das
                              									Sprengmaterial nicht selbst bezahlt, ist die Verschwendung damit und mit der
                              									Bohrarbeit eine mitunter recht bedeutende. Leider haben sich bisher nur wenige
                              									Fachleute mit Sprengversuchen befaſst; in den Gruben zahlt meist der Arbeiter den
                              									Sprengstoff, bei Eisenbahnbauten hat man dazu keine Zeit und in Steinbrüchen ist
                              									höchst selten ein Fachmann zu treffen. Alles, was bisher in dieser Richtung
                              									vorliegt, sind militärische Versuche und einige empirische Formeln bei gröſseren
                              									Arbeiten, wie z.B. die von Fiume (vgl. 1884 251 122).
                           Noch heute hört man im Civilingenieurswesen die Lebrun'sche Minenregel: L =
                                 										cw3
                              									, worin L die Ladung, c einen vom Sprengmittel und vom Gesteine abhängigen
                              									Ladungscoëfficienten und w die Widerstandslinie
                              									bedeuten. Nach dem technischen Unterrichte für die österreichische Genietruppe ist
                              									diese Formel auf L = qce3 zu verändern. Wenn nämlich das Verhältniſs zwischen Explosionshalbmesser
                              									und Widerstandslinie, d. i. der Zeiger p > 1,80, so ist
                              									die für den Explosionshalbmesser e (also nicht w wie bei Lebrun)
                              									bestimmte Ladung mit einer dem Wachsen des Zeigers entsprechenden Verhältniſszahl
                              										q zu multipliciren, welche Zahl aus praktischen
                              									Versuchen bestimmt wurde. Für Minen, wo bloſs die tragende Wirkung in Betracht kommt
                              									– und dies ist ja in der Civiltechnik der Fall –, gibt dieselbe Quelle die Formel
                              										L = 0,36 c (w + r)3 oder kürzer
                              										L = k (w + r)3 an, in welcher r
                              									den Trichterhalbmesser bedeutet. Prof. H. HöferVgl. 1880 237 221. 1881 242 153. 1882 245 1. 1883 250 141. hat gleichfalls eine
                              									Minentheorie aufgestellt, welche leider noch nicht genügend ausgearbeitet ist, um
                              									bequem geprüft zu werden.
                           Diese bisherigen Minenregeln gelten aber durchwegs für
                              									concentrirte Ladungen im unbegrenzten Materiale und beruhen auf der richtigen
                              									Annahme, daſs die Form der Explosionswirkung eine Kugel sei, wenn die Sprengkraft
                              									von einem Punkte ihren Ausgang nimmt. Concentrirte Landungen sind aber in der Praxis
                              									höchst selten. Das Bohrloch hat stets die Gestalt eines cylindrischen Hohlraumes,
                              									dessen Länge oft das 50fache des Durchmessers beträgt. Für solche, sogen. gestreckte
                              									Ladungen gibt der oben erwähnte technische Unterricht die Formel an: L = mw2 worin L die Ladung für das
                                 										Längenmeter, w die Widerstandslinie bezieh. m
                              									ein Coëfficient ist, dessen Begründung hier nicht näher ausgeführt sein soll. In
                              									dieser Formel ist schon ausgesprochen, daſs die Ladungsmenge mit der Bohrlochlänge
                              									nur proportional wächst. Höfer hat ganz richtig
                              									gezeigt, daſs Einbruchsminen, bei welchen nur eine freie Seite vorhanden ist, eine
                              									viel gröſsere Ladung bekommen müssen als andere und diese mit dem 2,83 fachen der
                              									normalen bestimmt. Für gewöhnliche Bohrlochsanlagen gibt es also bisher unter allen
                              									Umständen nur einen gleichen Maſsstab. Jedoch Jeder, welcher nur einmal einen
                              									Gesteinsbetrieb gesehen hat, wird wissen, daſs die Verhältnisse fast bei jedem
                              									Bohrloche andere sind. Es ist ein Anderes, ob man eine Wand oder eine unterschrämmte
                              									Kohlenbank herabzuwerfen hat; hier gibt es zwei freie Seiten. Ein Anderes ist es
                              									wieder, wenn man ein vorspringendes Felsstück absprengt; da gibt es oft vier freie
                              									Seiten. Wieder, besonders beim Erzbergbaue in sogen. Firstenstrossen, hat man wohl
                              									zwei und mehr freie Seiten; allein das Gestein ist oben und unten in kurzer
                              									Entfernung so fest verspannt, daſs selbst relativ kräftige Ladungen geringe
                              									Wirkungen haben. Auch Nebenvortheile sind nicht ohne Einfluſs, wie z.B. wenn bei
                              									einer breiten Kohlenbrust von zwei Schüssen der eine etwas früher abgethan wird,
                              									damit der andere weniger Sprengmaterial benöthige u.s.w. Nun ist es aber schon bei
                              									bloſs theoretischer Erwägung klar, daſs ein Bohrloch im allseits verspannten
                              									Gesteine ganz andere Sprengkraft erfordert, wie wenn das abzusprengende Felsstück
                              									nur auf 4, 3, oder noch weniger Seiten mit der Hauptmasse zusammenhängt, von
                              										„Freisteinen“ gar nicht zu reden. Beiläufig schätzt dies auch der
                              									verständige Häuer, indem er bei jedem Schusse Rücksicht auf eine etwaige
                              										„Ablösung“, die Richtung des Bohrloches, die „lauten“ Partien und das
                              										„Frei“-Sein des Schusses nimmt. Allein es ist etwas ganz Gewöhnliches, in
                              									einer und derselben Grube bei ganz gleichmäſsigem Gesteine, fast gleicher
                              									Bohrlochstiefe und Vorgabe von dem einen Häuer zu hören, daſs „eine ganze und
                                 										eine Zündpatrone“ (etwa 100g), vom
                              									anderen, daſs zwei ganze Patronen (etwa 140g)
                              									Dynamit erforderlich sind. Bei Eisenbahneinschnitten und Steinbrüchen nimmt diese
                              									Materialverschwendung noch gröſseren Umfang an. Dort schätzt der Mineur die
                              									Verhältnisse nach dem Augenmaſse ab, gibt lieber etwas mehr hinein, um nicht
                              									nochmals bohren oder „abheben“ zu müssen, und wenn es sich um Werksteine
                              									handelt, so wird wieder die Ladung so gering bemessen, daſs oft halbe Tage mit dem
                              									Abkeilen vergehen.
                           Es sei mit dem Vorstehenden nur gezeigt, wie sehr die Ermittelung
                              									der Ladungsmengen noch ein Problem, und wie nothwendig es ist, daſs tüchtige
                              									Fachleute auf Grundlage einer richtigen Anwendung der Formänderungslehre ausgedehnte
                              									praktische Versuche anstellen, welche allgemein brauchbare Formeln für die
                              									Sprengarbeit an die Hand geben sollen. Eine Preisausschreibung seitens
                              									hervorragender bergmännischer Körperschaften, wie sie manche Vereine alljährlich
                              									machen, sollte die nöthige Anregung zu solchen, immerhin sehr mühsamen und
                              									zeitraubenden Studien geben.
                           Oscar
                                 										Guttmann.
                           
                        
                     
                  
               Tafeln
