| Titel: | Kabel-Strassenbahn in London. | 
| Fundstelle: | Band 256, Jahrgang 1885, S. 428 | 
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                        Kabel-Straſsenbahn in London.
                        Mit Abbildungen.
                        Kabel-Straſsenbahn in London.
                        
                     
                        
                           Die Kabel-Straſsenbahn in London schlieſst an den Endpunkt der Pferdebahn
                              									Archway-Tavern-Highgate-Road an und führt in einer Länge von 1200m auf den Highgate-Hill, unter Ueberwindung
                              									starker Steigungen (die stärkste 1 : 11) und mit scharfen Krümmungen, deren
                              									kleinster Radius 61m beträgt. Das System dieser Linie ist in Europa
                              									noch wenig bekannt (vgl. Eppelsheimer 1876 219 280. Hallidie 1875 216 186); auch sind an den Einzelheiten wesentliche
                              									Verbesserungen im Vergleiche mit den Anlagen in San Francisco und Chicago (vgl. 1883
                              										248 * 193) vorgenommen, während im vorliegenden Falle
                              									zugleich erhöhte Schwierigkeiten für die Ausführung zu überwinden waren.
                           Man verwendet auf dieser Bahn dreierlei Wagen, nämlich: 1) Achträderige
                              									Straſsenbahnwagen, welche an jedem Kopfende in gleicher Weise mit einer
                              									Greifervorrichtung (Fig. 1 und 2 S. 430) zur Verbindung
                              									des Wagens mit dem unter dem Pflaster liegenden Drahtseile ausgerüstet sind. Diese
                              									Wagen sind für 40 Personen bemessen und mit Decksitzen versehen; je zwei Achsen
                              									liegen vereint in einem Drehschemelgestelle. 2) Kleinere vierräderige offene Wagen
                              									mit Greifer Vorrichtung an jedem Kopfende, welche als Schlepper für anzuhängende
                              									gewöhnliche Straſsenfuhrwerke dienen sollen und selbst nur etwa 12 Personen
                              									aufnehmen. 3) Straſsenbahnwagen, welche sich in nichts von den gewöhnlichen
                              									Pferdebahnwagen unterscheiden und an die eben genannten Schlepper angekuppelt
                              									werden. Die Spurweite beträgt 1m,07.
                           Unter Berücksichtigung der starken Steigungen sind zwei von einander unabhängige
                              									Bremsen angewendet, eine auf alle Räder von beiden Seiten wirkende Backenbremse, die
                              									durch den Fuſs des Wagenführers mittels eines Trittes in Wirkung gesetzt wird;
                              									ferner eine durch Schraubenrad bewegte Schlittenbremse auf beiden Langseiten des
                              									Wagens, welche nach Art der Kniehebelpresse auf die Schienen wirkt (vgl. Fig. 10) und
                              									den Wagen mit Sicherheit in kürzester Zeit zum Stehen bringt.
                           Zum Anschlusse an das in fortlaufender Bewegung befindliche endlose Drahtkabel und
                              									zur Bewegung des Wagens dient der in Fig. 1 und 2 dargestellte
                              									Greifer, welcher um einen senkrechten Drehbolzen A an
                              									dem Wagengestelle schwingt und somit die schärfsten Krümmungen zu durchfahren
                              									gestattet. Der obere Theil B der Klaue ist an zwei als
                              									Führung dienende feste Schienen D angeschweiſst, der
                              									untere Theil C sitzt an der mittleren beweglichen
                              									Stange E, welche über den Fuſsboden des Wagens in eine
                              									Schraubenspindel mit Handrad ausläuft. Durch Drehung des letzteren wird die Klaue
                              									mit Leichtigkeit am Kabel festgeklemmt und so der Wagen gezwungen, an der Bewegung
                              									desselben theilzunehmen. Ein um den Greifer herumlaufendes Gitter F dient als Bahnräumer. (Die Wagen wurden in der Fabrik
                              									der Falcon-Car-Works in Leicester gebaut.)
                           Das Drahtseil ist 22mm stark, von Tiegelguſsstahl
                              									und aus 6 Litzen von je 19 Drähten hergestellt, welche auf 23cm Länge eine ganze Windung vollziehen; die
                              									Gesammtlänge des Kabels beträgt 2740m, das Gewicht
                              										5080k, der Preis 800 M. für die Tonne bei
                              									2jähriger Garantiezeit.
                           Der Kanal, in welchem das Drahtseil geführt wird, ist aus Cementconcret 30cm hoch und 21cm
                              									weit hergestellt; in Abständen von je 1m,07
                           
                           
                              
                              Fig. 1–12., Bd. 256, S. 430
                              Fig. 1–12.
                              
                           
                           sind guſseiserne Stühle in das Concretmauerwerk fest
                              									eingebettet und durch zwei seitwärts stehende Arme A
                              										(Fig. 3)
                              									besonders in ihrer Lage gesichert. Auf den Stühlen sind die aus Stahl hergestellten
                              									-förmigen Schienen B, welche den 19mm weiten Schlitz im Pflaster begrenzen,
                              									aufgelagert und mit den Schienen verschraubt. In gröſseren Abständen tragen die
                              									Stühle guſseiserne Rollen C zur Führung des Kabels und
                              									behufs Verminderung der schädlichen Seilschwingungen. Die Rollen sind abwechselnd
                              									nach der einen und anderen Seite unter 45° geneigt und mit einer rechtwinkelig
                              									ausgedrehten Keilnuth versehen. Wenn der Wagen mit dem Greifer an einer Rolle
                              									vorüberkommt, so wird das Seil so weit angehoben, daſs der Greifer nicht an die
                              									Rolle anstreift. Kisten mit verschlieſsbaren Deckeln, welche im Pflaster liegen,
                              									gestatten, die Rollen zu reinigen und zu schmieren. Die Construction des Greifers
                              									bedingt, daſs die Mitte des Kabels nicht senkrecht unter dem Pflasterschlitze liegt,
                              									wodurch das Kabel der Verschmutzung und den Witterungseinflüssen etwas mehr entzogen
                              									und vor muthwilliger Beschädigung geschützt wird, indem es von oben her nicht
                              									erreichbar und kaum zu sehen ist. Da das Kabel in die lothrechte Schwerpunktsebene
                              									des Fahrzeuges fallen muſs, so folgt, daſs der Schlitz im Pflaster nicht in der
                              									Mitte des Gleises liegen kann, sondern um etwa 20mm gegen die Mitte verschoben ist.
                           Besondere Schwierigkeit bot die Auffindung der geeigneten Form für die Seilrollen des
                              									Triebwerkes mit Rücksicht auf die Entwickelung genügender Reibung, um das Gleiten
                              									des Kabels zu verhindern. In San Francisco hat man dasselbe in mehreren Windungen um
                              									die Trommel geführt, was eine starke Abnutzung des Kabels zur Folge hat. Nach
                              									verschiedenen Versuchen kam man auf eine einfache Scheibe zurück von 2m,20 Durchmesser mit Hartguſsnuth, deren Seiten
                              									wenig gegen einander geneigt sind, so daſs sich das Kabel durch seine Spannung von
                              									selbst festklemmt (vgl. Fig. 11). Der
                              									Arbeitsverlust, welcher damit verbunden ist, daſs das festgeklemmte Kabel aus der
                              									Nuth herausgezogen werden muſs, dürfte hier nicht unerheblich sein. Mit der
                              									bekannten Fowler'schen Klappenscheibe würde der Zweck
                              									wohl am besten erreicht; doch scheint man die Kosten derselben gescheut zu
                              									haben.
                           Der Antrieb des Kabels erfolgt durch zwei liegende Dampfmaschinen mit gemeinsamer
                              									Schwungrad welle und Colman'scher Ventilsteuerung,
                              									welche Dampf von 5at,5 aus zwei gekuppelten
                              									Kesseln mit Siederohr von Babcock und Wilcox erhalten.
                              									Jede Maschine soll 56e leisten, während angeblich
                              									nur 25e für die Beförderung eines voll besetzten
                              									Wagens zu Berg erforderlich sind. Die Fahrgeschwindigkeit beträgt dabei 10 bis 12km in der Stunde.
                           Die Maschinen und Kessel sind mit dem darüber befindlichen Wagenschuppen in einem
                              									Hause an der Hauptstraſse untergebracht, ungefähr 300m von dem oberen Endpunkte der Linie entfernt. Das Kabel ist an letzterem
                              									um eine wagerechte, im Mauerwerke befestigte Rolle geführt, während an der unteren
                              									Endstation die Führungsscheibe in einem Schlitten auf einer schwach geneigten Ebene
                              									sich bewegt und durch ein Gewicht nach abwärts gezogen wird, um dem Kabel die
                              									erforderliche Spannung zu geben (vgl. Fig. 9). Im
                              									Maschinenhause ist eine zweite Spannvorrichtung vorhanden (vgl. Fig. 7 und 8), um bei
                              									raschem Temperaturwechsel das Kabel zu entlasten oder anzuspannen, was durch eine
                              									Schraube von Hand erfolgt. Vor dem Maschinenhause wird das Kabel durch zwei groſse
                              									Scheibenpaare A bezieh. B
                              									rechtwinkelig zur Richtung der Straſse nach dem führenden Seiltrum hingeleitet (vgl.
                              										Fig.
                                 									12). Es muſs demnach auf die kurze, ebenfalls in starkem Gefälle liegende
                              									Strecke von A bis B die
                              									Verbindung des zu Thal gehenden Wagens mit dem Kabel gelöst werden. Der Wagen legt
                              									diese Strecke vermöge der ihm innewohnenden Geschwindigkeit von selbst zurück, wobei
                              									er die Gegencurven bei C und D durchfährt, welche eingelegt werden muſsten, um den Greifer des Wagens
                              									an den groſsen Scheiben vorbeizuführen. Unmittelbar darauf muſs der Greifer wieder
                              									an das Kabel angeschlossen werden, so daſs das Gewicht des bergab fahrenden Wagens
                              									für die Beförderung des ansteigenden Fahrzeuges nutzbar gemacht wird. Ein Bruch des
                              									Kabels, mit anderweitigen schädlichen Folgen, würde unvermeidlich eintreten, sobald
                              									der Wagenführer bei der Thalfahrt es versäumt, an der richtigen Stelle bei A den Greifer vom Kabel zu lösen und den Wagen unter
                              									Anwendung der Bremse gehen zu lassen, ein Umstand, welcher im Betriebe nicht
                              									unbedenklich erscheint.
                           Die Linie ist eingleisig bis auf die Ausweichestellen, deren mehrere vorhanden sind.
                              									Der Kabelkanal führt demnach an manchen Stellen nur ein Kabel, an anderen deren zwei
                              									neben einander. Die Weichenvorrichtung in dem mittleren Schlitze für die Führung des
                              									Greifers ist in Folge der federnden Wirkung der Stahlzunge (vgl. Fig. 4 und 5) stets auf
                              									das für die Fahrrichtung links liegende Gleise eingestellt, so daſs jeder Wagen die
                              									spitz zu befahrende Weiche in der richtigen Stellung findet, während die andere
                              									Weiche sich für die Ausfahrt des Wagens öffnet und dann von selbst wieder
                              									schlieſst.
                           Bei Beförderung von Fahrzeugen, mit oder ohne Spurkranzräder, durch Ankuppeln an die
                              									oben (unter 2) aufgeführten Schlepper ist nach Beendigung jeder Fahrt eine
                              									Rangirbewegung erforderlich, da der Schlepper stets an der Spitze des Zuges laufen
                              									muſs. Diese Rangirbewegungen sind in der Ausführung ziemlich verwickelt und
                              									zeitraubend und an der oberen und unteren Station (vgl. Fig. 12 Bild der
                              									Endstation) verschieden, da die untere gleichmäſsiges Gefälle bis zum Ende besitzt,
                              									während auf dem Scheitel eine kurze Horizontale angeordnet ist. Unten wird daher
                              									unter Wirkung des Eigengewichtes der Wagen im Gefälle rangirt, während oben ein
                              									wiederholtes Einschalten und rechtzeitiges Auslösen der Greifervorrichtung
                              									unerläſslich ist, wobei jeder Mangel an Aufmerksamkeit leicht Gefahren durch
                              									Seilbrüche nach sich zieht.
                           Von der Aufsichtsbehörde ist der Gesellschaft die Verpflichtung auferlegt worden, auf
                              									Verlangen auch gewöhnliche Lastfahrzeuge ohne Spurkranzräder durch die genannten
                              									kleinen Wagen zu Berg zu befördern, was indeſs bei Kuppelungsbrüchen gefährlich
                              									werden kann, indem die etwa vorhandenen Bremsen der Straſsenfahrzeuge für die hier
                              									vorliegende Steilrampe, deren Neigung im Mittel 1 : 12 beträgt, nicht genügen
                              									dürften.
                           Abgesehen von den oben erwähnten Punkten erscheint der Betrieb einfach und besonders
                              									insofern wirthschaftlich vortheilhaft, als das Gewicht der zu Thal gehenden Wagen
                              									für die Arbeitsleistung voll ausgenutzt wird. Bei dem Beginne der Bergfahrt macht
                              									sich übrigens das etwas plötzlich erfolgende Anziehen des Wagens unangenehm fühlbar,
                              									was wohl nur unter vermehrter Seilabnutzung durch allmähliches Schlieſsen der
                              									Greiferklaue zu vermeiden sein dürfte.
                           Die Eröffnung dieser Bahnlinie erfolgte am 29. Mai 1884; der Erbauer ist der
                              									Ingenieur Eppelsheimer aus Kaiserslautern, welcher auch
                              									die entsprechenden amerikanischen Ausführungen geleitet hat. (Nach dem Centralblatt der Bauverwaltung, 1884 Nr. 24 durch das
                              										Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens,
                                 									1885 S. 83.)