| Titel: | Ueber den Einfluss des künstlichen Bleichens der Faser auf die Türkischrothfärberei; von P. Lukianoff. | 
| Autor: | P. Lukianoff | 
| Fundstelle: | Band 259, Jahrgang 1886, S. 97 | 
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                        Ueber den Einfluſs des künstlichen Bleichens der
                           								Faser auf die Türkischrothfärberei; von P. Lukianoff.
                        Lukianoff, Bleichen und Türkischrothfärberei.
                        
                     
                        
                           Es ist bekannt, daſs je weiſser die Faser bei einer Reinigung erhalten wird, desto
                              									reiner auch die Farbe nach darauf folgendem Färben erscheint. Diese allgemeine Regel
                              									ist auch auf das Türkischrothfärben der Baumwolle anwendbar und aus diesem Grunde
                              									gibt es Färbereien, welche nach dem Abkochen der Waare (Stoff, Garn) in der
                              									alkalischen Lauge dieselbe auf der Wiese ausbreiten, oder auf der Sonnenseite
                              									aufhängen. Da aber dieses Verfahren nicht für das ganze Jahr ausgeführt werden kann,
                              									abgesehen davon, daſs sie nicht ökonomisch ist, indem sie viel Zeit, Handarbeit und
                              									Platz erfordert, so wurden auch hier Versuche gemacht, das Bleichen der Faser
                              									künstlich durch oxydirende Mittel auszuführen. Diese Versuche waren aber bisher
                              									nicht so günstig ausgefallen, um dem erwähnten Verfahren Eingang in die Praxis des
                              									Türkischrothfärbens zu verschaffen. Uebrigens wurde von einigen Seiten die Ansicht
                              									ausgesprochen, daſs für die Türkischrothfärberei solche sorgfältige Vorbereitung
                              									eigentlich überflüssig sei, da zum guten Färben genüge, wenn die Faser durch
                              									Auskochen mit Alkalien von den fremden Stoffen befreit werde. Diese Ansicht ist aber
                              									irrig, denn wenn die Sattigkeit der Farbe (die in Zusammenhang mit der vollständigen
                              									Fixirung der Beize und des Farbstoffes steht) wirklich als Ergebniſs der möglichst
                              									vollständigen Entfernung aus der Faser in den alkalischen Flüssigkeiten löslicher
                              									Stoffe erscheint, so ist doch die Reinheit der erzielten türkischrothen Farbe sehr
                              									viel von der Weiſse der Faser abhängig, d.h. von der Zerstörung der natürlichen
                              									Farbstoffe der Faser. Einige Türkischrothfärbereien (z.B. in Ruſsland) theilen die
                              									Richtigkeit dieser Ansicht und setzen deswegen zu günstiger Jahreszeit die in der
                              									alkalischen Lauge ausgekochte Waare der Sonnenbleiche aus, was auch wirklich
                              									ausgezeichnete Erfolge gibt. Als Beweis für das Gesagte kann auch die Thatsache
                              									angeführt werden, daſs Stoffe, welche aus einer gelblichen (z.B. egyptischen)
                              									Baumwolle gewebt sind, sich zwar ebenso gut, d.h. satt färben als die Waaren, welche
                              									aus weiſser Baumwolle (beispielweise amerikanischer) hergestellt sind; erstere haben
                              									aber niemals dieselbe Reinheit des Tones wie die letzteren. Der Unterschied ist so
                              									stark bemerkbar, daſs, wenn man Stoffe färbt, die aus zwei Baumwollesorten,
                              									egyptischer und amerikanischer, gewebt sind, die erhaltene Farbe durch Buntheit sich
                              									kennzeichnet, welche der Anordnung der Faser von jeder Baumwollsorte entspricht.
                           Es ist ferner zu bemerken, daſs bei dem alten Verfahren der Vorbereitung der Faser
                              									durch Oelen das vorangehende Bleichen nicht so nöthig war als bei den jetzigen
                              									Methoden mit Alizarinöl; denn bei dem vielmaligen Ausbreiten oder Aushängen der
                              									geölten Waare in der Sonne war genug Gelegenheit zum Bleichen der letzteren
                              									vorhanden; jetzt aber, wo
                              									der ganze Prozeſs ohne Einwirkung des Lichtes vor sich geht, erscheint das
                              									vorangehende künstliche Bleichen der Waare wesentlich nöthig. Auf solche Weise
                              									unterliegt die Nützlichkeit des Bleichens für diese Färberei keinem Zweifel und,
                              									wenn sie hier noch nicht angewendet wird, so sind die Ursachen davon in besonderen
                              									Umständen zu suchen. In der That haben bezügliche Versuche gezeigt, daſs das
                              									Bleichen der Waare durch künstliche oxydirende Mittel (z.B. durch Chlorlösung)
                              									geradezu nachtheilig auf das Ergebniſs des Färbens wirkt.
                           Eigene Versuche beim Färben des künstlich gebleichten Stoffes ergaben, daſs, obwohl
                              									die türkischrothe Farbe sich durch groſse Reinheit auszeichnete, sie doch lange
                              									nicht so satt war wie auf der ungebleichten Waare; die Fasern waren
                              									verhältniſsmäſsig schwächer durchgefärbt und besaſsen dabei einen gewissen weiſsen
                              									Ton, der sich besonders an den hervorstehenden kleinen Fäserchen des Stoffes zeigte,
                              									so daſs die sammtartige OberflächeDer Stoff für die russischen Türkischrothfärbereien wird niemals gesengt oder
                                    											geschoren., welche dem türkischroth gefärbten Stoffe das
                              									angenehme Aeuſsere gibt, in diesem Falle weiſslich oder, wie man sich ausdrückt, grau aussah. Bei den Versuchen wurde die mit Sodalösung
                              									sorgfältig ausgekochte Waare durch schwache Chlorkalklösung (0,5 bis 1° B.) gezogen,
                              									dann mit schwacher Salzsäure (1 bis 2° B.) behandelt und gut ausgewaschen; dann
                              									wurde sie entweder unmittelbar in die Vorbereitung zum Färben genommen, oder zuerst
                              									mit schwacher Sodalösung in der Kälte behandelt, oder endlich zuerst mit dieser
                              									Lösung gekocht und dann zugerichtet. In allen Fällen waren die Ergebnisse minder
                              									befriedigend, also ohne vorangehende Bleiche, obwohl die schlechtesten Farben im
                              									ersten Falle erhalten wurden, während in den zwei letzten sie nicht so stark
                              									bemerkbar waren. Dieselbe mangelhafte Färbung wurde auch von den anderen Praktikern,
                              									welche das künstliche Bleichen in der fraglichen Färberei anzuwenden versuchten,
                              									bemerkt; bis jetzt konnte aber Niemand die Ursache des Miſslingens dieser Versuche
                              									finden.
                           Die oben beschriebenen Behandlungen, denen die Waare unterworfen wurde, gestatten
                              									nicht die Annahme, daſs die ungünstigen Ergebnisse des Färbens von dem ungenügenden
                              									Auswaschen jener Stoffe (Kalk, Säure) herrühren, welche zur Behandlung dienten, und
                              									deswegen erscheint es nöthig, irgend eine Veränderung
                              									der Faser selbst vorauszusetzen, welche die mangelhafte Färbung bedingt. Da man für
                              									diese Voraussetzung eine befriedigende Erklärung finden kann, die auch durch
                              									Versuche bestätigt wurde, so wird sie sehr wahrscheinlich.
                           Die Untersuchungen von Witz (vgl. 1883 250 271) haben gezeigt, daſs bei der Einwirkung
                              									oxydirender Mittel (z.B. Chlorkalk) auf die Pflanzenfaser unter gewissen Bedingungen
                              									leicht eine Verbindung gebildet wird, welche Witz bekanntlich
                              										Oxycellulose nannte und die den Charakter einer
                              									sauren Beize besitzt, da sie für sich allein basische Farbstoffe, auch Basen
                              									(Metalloxyde) fixirt und sogar die Salze der letzteren zersetzt. Von der anderen
                              									Seite, bei der Behandlung der Cellulose mit oxydirenden Mitteln unter etwas anderen
                              									Bedingungen, erhielten Croſs und Bevan (vgl. 1884 251 497.
                              										254 48) ein Product, das sie auch Oxycellulose
                              									nannten, welches aber umgekehrt eher einen basischen Charakter besitzt, da es mit
                              									Basen keine Verbindungen eingeht, in Alkalien löslich ist und aus solchen Lösungen
                              									durch Säuren gefällt wird. Es ist möglich (wie dies auch Witz zugibt), daſs unter oxydirenden Einflüssen auf der Faser gleichzeitig
                              									beide Arten Oxycellulose gebildet werden. Durch ihre Anwesenheit würden die
                              									unbefriedigenden Ergebnisse des Türkischrothfärbens der künstlich gebleichten Faser
                              									erklärt werden können; wahrscheinlich wirken dabei beide Arten Oxycellulose
                              									nachtheilig, am meisten aber die basische Oxycellulose. Obwohl die Anwesenheit auf
                              									der Faser der Oxycellulose von Witz als Beize die
                              									Fixirung des Thonerdehydrates begünstigt, wirkt sie zugleich als Colloidsubstanz
                              									hindernd auf die Fixirung anderer Beizen auf derselben Faser, welche mit dieser
                              									Oxycellulose nicht reagiren, wie fette und gerbsaure Stoffe; die Oxycellulose von
                              										Croſs und Bevan ist
                              									geradezu ein Hinderniſs für die Fixirung des Thonerdehydrates. Auf solche Weise geht
                              									die Fixirung aller zur Bildung des türkischrothen Lackes nöthigen Stoffe auf den
                              									oxydirten Fasern schwerer vor sich und in ungenügender Menge, im Vergleiche zu den
                              									gewöhnlichen Fasern, und deswegen fällt die Färbung ungenügend stark aus. Da die
                              									äuſsere Oberfläche des Stoffes, besonders die hervorspringenden Fäserchen, beim
                              									Bleichen am stärksten dem oxydirenden Einflüsse des Bleichmittels unterliegen, so
                              									kann es durch diesen Umstand erklärt werden, warum gerade diese Theile am
                              									schwächsten gefärbt werden und später weiſslich erscheinen. Es ist auch leicht
                              									begreiflich, warum man bessere Ergebnisse in dem Falle bekommt, wenn der Stoff nach
                              									der Bleiche mit schwacher Sodalösung, besonders unter Erwärmen behandelt wird, da
                              									die Oxycellulose von Croſs und Bevan in den schwach alkalischen Lösungen löslich ist, folglich von den
                              									Fasern entfernt wird (was auch Witz erwähnt); der
                              									Einfluſs der ganz oder zum Theile bleibenden Oxycellulose von Witz wird dann weniger empfindlich.
                           Zum Nachweise des angedeuteten Einflusses der oxydirten Producte der Faser auf die
                              									Verminderung ihrer Fähigkeit, den Farbstoff aufzunehmen, wurde folgender Versuch
                              									angestellt. Der in Sodalösung ausgekochte Stoff wurde mit schwacher Chromsäurelösung
                              									(bezieh. mit einem Gemische von Kaliumbichromatlösung und Schwefelsäure) nach der
                              									Vorschrift von Witz ½ Stunde unter schwachem Erwärmen
                              									behandelt, ausgewaschen, bis das Waschwasser vollständig farblos erschien, und dann
                              									nach der üblichen Vorbereitung gefärbt. Die erzeugte Farbe war so schwach und matt, daſs man
                              									sie kaum als Türkischroth erkennen konnte. Dieser Versuch bestätigt also den
                              									nachtheiligen Einfluſs der oxydirten Producte der Faser auf die
                              									Türkischrothfärberei.
                           Was die Thatsache betrifft, daſs die durch Luft unter dem Einflüsse des Sonnenlichtes
                              									gebleichten Fasern umgekehrt sich gut färben, so muſs man annehmen, daſs bei solcher
                              									Bleiche keine oxydirten Producte gebildet werden oder, was wahrscheinlicher ist,
                              									daſs sie sich in sehr unbedeutender Menge bilden. Wirklich wurde schon von Witz darauf hingedeutet, daſs nur bei sehr langer
                              									Einwirkung der Luft und des Sonnenlichtes (während einiger Jähre) die Stoffe die
                              									Fähigkeit erhalten, ohne vorangehende Zurichtung sich mit basischen Farbstoffen zu
                              									färben, d.h. daſs sich auf ihnen auch Oxycellulose bildet. In der Praxis wird die
                              									Waare niemals einer besonders langen Bleiche unterworfen (man begnügt sich
                              									gewöhnlich mit einigen Tagen); folglich wird in diesem Falle die Oxydation nur bis
                              									zur Zersetzung der die Faser färbenden Farbstoffe fortgesetzt. Wenn bei diesem
                              									schwachen Oxydationsprozesse auch die Cellulose selbst etwas oxydirt wird, so ist
                              									die ungünstige Wirkung dieses Umstandes zu unbedeutend im Vergleiche zu jenen
                              									Vortheilen der gebleichten Faser, welche sich in der Reinheit der erzeugten Farbe
                              									kundgeben.
                           Wenn das Gesagte richtig, so ist Grund zur Voraussetzung vorhanden, daſs man bei
                              									solcher Leitung des Oxydationsprozesses, daſs durch denselben nur die die Faser färbenden Stoffe zersetzt werden,
                              									auch beim künstlichen Bleichen dieselben guten Farben erzielen wird wie bei der
                              									natürlichen Bleiche. Dies wird theilweise dadurch bestätigt, daſs gegenwärtig einige
                              									Türkischrothfärbereien, und zwar Garnfärbereien, das Garn durch sehr schwache
                              									Lösungen von Eau de Javelle bleichen und dabei ganz
                              									gute Erfolge erzielen. Uebrigens war eine von diesen Färbereien nach einigen
                              									Versuchen gezwungen, dieses Verfahren wieder aufzugeben, nachdem die eigenthümliche
                              									Thatsache bemerkt wurde, daſs ein Posten Garn, welcher zufällig ungenügend gebleicht
                              									war, sich viel besser gefärbt hat als die genügend gebleichten Stücke. Diese letzten
                              									Erscheinungen aus der Praxis unterstützen die obige Erklärung, welche einiges Licht
                              									auf die längst bekannte, aber bis jetzt nicht erklärte Thatsache wirft.
                           Sokolow'sche Manufactur von Assaf Baranoff, December 1885.