| Titel: | Versuchsbeiträge zur Theorie der Türkischrothfärberei; von P. Lukianoff. | 
| Autor: | P. Lukianoff | 
| Fundstelle: | Band 262, Jahrgang 1886, S. 36 | 
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                        Versuchsbeiträge zur Theorie der
                           								Türkischrothfärberei; von P.
                              									Lukianoff.
                        Lukianoff, Versuchsbeiträge zur Theorie der
                           								Türkischrothfärberei.
                        
                     
                        
                           Die bis jetzt ausgeführten Untersuchungen über die Bedeutung der fetten Substanzen in
                              									der Türkischrothfärberei haben zu zwei geradezu entgegengesetzten Ansichten geführt:
                              									einige Forscher schreiben denselben, als fetten Säuren, vorzugsweise oder
                              									ausschlieſslich eine chemische Wirkung bei der Bildung
                              									des Türkischrothlackes zu; andere dagegen nehmen an, daſs solche Substanzen, in der
                              									Form von unzersetzten Glyceriden, hauptsächlich eine physikalische Einwirkung auf die Bestand theile des Lackes ausüben. Beide
                              									Ansichten sind nicht neu; sie traten schon vor Einführung der Alizarinöle auf und
                              									neuere Forscher haben sie nur bestimmter ausgesprochen. Die Beweise aber für diese
                              									Ansichten sind ungenügend und werden nicht allen verschiedenartigen Umständen aus
                              									der Praxis der Türkischrothfärberei gerecht; deshalb kann von einer eigentlichen
                              									Theorie der Türkischrothfärberei noch nicht gesprochen werden: bis jetzt ist nicht
                              									nur die nähere Zusammensetzung des Türkischrothlackes unbestimmt, es ist sogar die
                              									allgemeinere Frage über die Wirkungsweise der fetten Substanzen in diesem
                              									Färbereiprozesse nicht aufgeklärt. Ebenso wenig ist die Zusammensetzung jener fetten
                              									Beizen genau bestimmt, welche unter dem Namen Alizarinöl gegenwärtig zum Vorbereiten
                              									der Faser für diese Art der Färberei dienen.
                           Die nachstehend beschriebenen Ergebnisse der Versuche über die Vorbehandlung der
                              									Faser durch fette Substanzen verschiedener Zusammensetzung ermöglichen einigermaſsen
                              									die Beantwortung der gestellten Frage in ihrer allgemeinsten Form, d.h. sie zeigen,
                              										welche fette Substanzen in der Bildung des
                              									Türkischrothlackes mitzuwirken im Stande sind und welchen Einfluſs die eine oder
                              									andere von denselben auf die Eigenschaften dieses Lackes ausüben.
                           Die Untersuchungen über die Zusammensetzung der Alizarinöle von Liechti und Suida (1883
                              										250 545), Müller-Jacobs
                              									(1884 251 499. 547), die meinigenVgl. Journal der russischen physikalisch-chemischen
                                       												Gesellschaft, 1883 Bd. 15 S. 425. und die späteren von
                              										SabanejeffDaselbst 1886 Bd. 18 S. 35 und 87. haben gezeigt, daſs das gut ausgewaschene Product
                              									der Sulfurirung der fetten Substanz, welches beim Neutralisiren mit Alkali
                              									Alizarinöl gibt, aus zweierlei Art Stoffen besteht, von welchen die einen in Wasser
                              										löslich, die anderen unlöslich sind. Obwohl die nähere Zusammensetzung dieser Substanzen
                              									vorläufig noch nicht genau festgestellt ist, so stimmen doch alle Untersuchungen
                              									darin überein, daſs die wasserlöslichen Stoffe aus sulfofettsauren Verbindungen bestehen und einen entschieden saueren
                              									Charakter haben, daſs hingegen die in Wasser unlöslichen Substanzen keinen Schwefel enthalten und nach einigen
                              									Untersuchungen ausgesprochen sauere Körper sind, nach anderen (Müller-Jacobs) auſserdem, oder sogar vorwiegend, auch
                              									neutrale fette Substanzen, d.h. Glyceride gelöst enthalten. Angesichts solcher
                              									Zusammensetzung der Alizarinöle erscheint die Frage sehr wichtig: welche Wirkung die
                              									einen und die anderen dieser Körper bei der Bildung des Türkischrothlackes äuſsern,
                              									d.h. ob sie sich dabei gleich oder verschieden verhalten.
                           Zur Entscheidung dieser Frage wurde die Faser mit Alizarinölen behandelt, welche aus
                              									den löslichen und unlöslichen Producten der Sulfurirung des Ricinusöles gewonnen waren. Zu diesem Zwecke wurde das ausgewaschene
                              									Product der Sulfurirung des genannten Oeles mit dem 4fachen Volumen Wasser von
                              									gewöhnlicher Temperatur bearbeitet und der Ruhe überlassen. Die oben ausgeschiedene
                              									Schicht eines braunen fetten Stoffes wurde decantirt, aus der wässerigen Lösung
                              									durch Kochsalz eine bernsteingelbe fette Substanz ausgeschieden und aus beiden durch
                              									Neutralisiren mit Ammoniak Alizarinöle hergestellt.
                           Obwohl bei solcher Trennungsweise löslicher und unlöslicher Substanzen dieselben
                              									nicht rein erhalten werden können, andererseits aber auch die frühere
                              									Trennungsmethode mit dem Gemische aus Aether und Wasser keine vollkommen reinen
                              									Producte gibt, endlich für den vorgesetzten Zweck eine Trennung in vorwiegend
                              									lösliche oder unlösliche Bestandtheile genügt, so kann die obige Trennungsmethode
                              									für die weiter beschriebenen Versuche als hinreichend brauchbar betrachtet
                              									werden.
                           Die so dargestellten Alizarinöle waren vollkommen durchsichtig, gaben mit Wasser
                              									vollkommen durchsichtige Lösungen und, was das Aeuſsere betrifft, war zwischen
                              									denselben nur der Unterschied zu bemerken, daſs das Oel aus den unlöslichen Stoffen
                              									etwas dunkler gefärbt und dicker war als das andere. Das aus dem löslichen Antheile
                              									gewonnene Oel enthielt 4 mal so viel Sulfoverbindungen als das andere, wie folgende
                              									Analysen zeigen:
                           
                              
                                 
                                 Wasser
                                 Schwefelsäure-anhydrid
                                 Fettsubstanzenund Alkali
                                 
                              
                                 Alizarinöl:
                                 
                                 
                                 
                                 
                              
                                     aus den löslichen Stoffen
                                 24,10
                                 15,93
                                 59,97
                                 
                              
                                     aus den unlöslichen Stoffen
                                 26,40
                                   4,08
                                 69,52
                                 
                              
                           Zur besseren Beurtheilung der Wirkung dieser Oele auf die Güte
                              									des Türkischrothlackes wurde die Faser nicht nur mit beiden Oelen einzeln, sondern
                              									auch mit ihren Gemischen behandelt. Es wurden 5 annähernd gleiche Stücke von demselben
                              									Gewebe mittels folgender wässeriger Lösungen getränkt:
                           
                              
                                 
                                 
                                    Alizarinöl
                                    
                                 
                              
                                 Nr.
                                 aus löslichen Stoffen
                                 aus unlöslichen Stoffen
                                 
                              
                                 1
                                 100
                                 –
                                 
                              
                                 2
                                   75
                                   25
                                 
                              
                                 3
                                   50
                                   50
                                 
                              
                                 4
                                   25
                                   75
                                 
                              
                                 5
                                 –
                                 100
                                 
                              
                           Da die beiden Oele verschiedene Mengen fetter Stoffe
                              									enthielten, so wurden von jedem gemäſs der procentischen Zusammensetzung so viel
                              									genommen, daſs die erhaltenen Lösungen gleiche Concentration hatten, nämlich 15 Th.
                              									fette Substanzen auf 100 Wasser.
                           Die geölten und getrockneten Stücke wurden zusammen den übrigen Behandlungen
                              									unterworfen, dann zusammen gefärbt und geschönt.
                           An den gefärbten Stücken wurden folgende Unterschiede bemerkt: dasjenige, welches mit
                              									dem wasserlöslichen Antheile des Alizarinöles behandelt war, hatte den reinsten und
                              									den stärksten rothen Ton; es war aber verhältniſsmäſsig am wenigsten satt und
                              									gleichmäſsig gefärbt; umgekehrt, das mit dem unlöslichen Theile des Alizarinöles
                              									behandelte Stück war am sattesten und gleichmäſsigsten gefärbt, sein Farbton war
                              									aber am wenigsten rein, mehr dunkelgelblich als rein roth. Die übrigen Stücke
                              									stellten Uebergangsstufen dar allmählicher Verminderung der Reinheit und Zunahme der
                              									Sattigkeit der Farbe, entsprechend dem Mehrgehalt an dem aus den unlöslichen
                              									Substanzen gewonnenen Oele. Der Unterschied in der Sattigkeit der Farbe dieser
                              									Muster, ungeachtet der gleichen Mengen der fetten Körper in allen zur Vorbereitung
                              									der Muster angewendeten Lösungen, kann durch den Umstand erklärt werden, daſs die
                              									sulfosaueren Verbindungen wegen ihrer leichten Löslichkeit bei nachheriger
                              									Bearbeitung zum Theile von der Faser abgewaschen wurden, und dieser Verlust war
                              									selbstverständlich desto bedeutender, je mehr die Lösung solche Stoffe enthielt.
                              									Diese Erklärung wird durch die Gewichtszunahme der Stücke nach jeder Behandlung
                              									bestätigt, wie es die folgende Tabelle zeigt, in welcher die ursprünglichen Gewichte
                              									der Stücke der leichteren Vergleichbarkeit wegen gleich 100 gesetzt sind; die
                              									Aufzählung der Stücke in der Tabelle entspricht den Nummern obiger Mischungen:
                           
                              
                                 Stücke
                                 Vor demOelen
                                 Nach demOelen
                                 Nach demAlaunen
                                 Nach demKreiden
                                 Nach demFärben undSchöne
                                 
                              
                                 1
                                 100
                                 112,94
                                 133,12
                                 115,96
                                 114,28
                                 
                              
                                 2
                                 100
                                 113,09
                                 133,90
                                 116,61
                                 115,25
                                 
                              
                                 3
                                 100
                                 112,98
                                 134,28
                                 116,97
                                 115,96
                                 
                              
                                 4
                                 100
                                 113,01
                                 135,25
                                 117,62
                                 117,45
                                 
                              
                                 5
                                 100
                                 113,12
                                 135,55
                                 117,94
                                 118,12
                                 
                              
                           Aus diesen Zahlen kann man ersehen, daſs obwohl alle Stücke nach dem Oelen fast gleiches Gewicht hatten, eine Aenderung des Gewichtes
                              										schon nach dem
                              									Alaunen eintritt und zwar allmählich zunehmend von dem ersten Stücke zum letzten;
                              									dasselbe Verhältniſs ist auch nach dem Kreiden geblieben. Nach dem Färben und
                              									Schönen wird der Unterschied in den Gewichten noch bedeutender, wobei man bemerken
                              									kann, daſs die gefärbten Stücke ihre Gewichte im Vergleiche mit gekreideten nicht
                              									gleich veränderten: so verlor das erste Stück 1,68, das zweite 1,36, das dritte
                              									1,01, das vierte nur noch 0,17 und das fünfte ist sogar um 0,18 schwerer geworden.
                              									Diese ungleich groſsen, aber regelmäſsig stufenweise einander folgenden Unterschiede
                              									in den Gewichten beweisen den Zusammenhang zwischen dem Grade der Sattigkeit und den
                              									Gewichten der verglichenen Stücke, in Bezug auf den gröſseren oder kleineren Verlust
                              									der Faser an fetten Substanzen, d.h. den gröſseren oder kleineren Gehalt der
                              									löslichen Stoffe in den zur Zubereitung genommenen Lösungen.
                           Von den verglichenen Stücken wurden Proben genommen und diese mit einigen Reagentien,
                              									nämlich mit Seife-, Alkali-, Säure- und Chlorlösungen behandelt. Hierbei zeigte es
                              									sich, daſs jene Muster, welche mit an unlöslichen fetten Substanzen reicheren
                              									Lösungen behandelt waren, der Einwirkung der genannten Körper besser widerstanden,
                              									obwohl dabei die Unterschiede in der Beständigkeit der Lacke sogar zwischen den im
                              									Sinne der Tabelle entferntesten Mustern nicht besonders bedeutend waren.
                           Aus den mitgetheilten Versuchen kann man mithin schlieſsen, daſs die beiden Stoffe,
                              									aus welchen Alizarinöle bestehen, nicht gleiche Wirkung im Prozesse der
                              									Türkischrothfärberei haben; während die löslichen sulfofettsauren Körper
                              									hauptsächlich den Farbton, welcher sich in dem reinen Roth
                                 										ausdrückt, bedingen, schwächen die unlöslichen fetten Körper diesen Ton, tragen aber zur Sattigkeit, Gleichmäſsigkeit und
                                 										auch Echtheit der Farbe bei.
                           Da nach den oben angeführten Untersuchungen von Müller-Jacobs die unlöslichen Bestandtheile des Sulfurirungsproductes des
                              									Oeles zum groſsen Theile aus dem unveränderten Glycerid bestehen, so war es auch
                              									interessant, zu untersuchen, welchen Einfluſs diese Substanz auf die Güte des
                              									Türkischrothlackes besitzt und überhaupt die Frage nach der Möglichkeit der
                              									Mitwirkung des Glycerides in dem Prozesse der Türkischrothfärberei zu studiren. Zu
                              									diesem Zwecke erfolgte die Zubereitung der Faser mit den Gemischen des Alizarinöles
                              									aus den löslichen Körpern mit dem gewöhnlichen Ricinusöle in verschiedenen
                              									Verhältnissen. Dazu wurden vier annähernd gleichgroſse Stücke des Gewebes jedes in
                              									einer der folgenden wässerigen Lösungen der Oele vorbereitet:
                           
                              
                                 Nr.
                                 Alizarinöl aus denlöslichen Stoffen
                                 Ricinusöl
                                 
                              
                                 1
                                 100
                                 –
                                 
                              
                                 2
                                   75
                                 25
                                 
                              
                                 3
                                   50
                                 50
                                 
                              
                                 4
                                   25
                                  75.
                                 
                              
                           
                           Beim Zusammenmischen der Oele in allen diesen Verhältnissen
                              									erhielt man vollkommen durchsichtige Gemische, beim Verdünnen mit Wasser aber gab
                              									nur das Alizarinöl allein eine durchsichtige Lösung. Die Gemische lieferten sogar
                              									beim Ueberschusse von Ammoniak Emulsionen, aus welchen nach einiger Zeit milchige
                              									Schichten sich ausschieden, die sich allmählich zu Oelschichten verschiedenen
                              									Volumens, je nach der Menge des Ricinusöles, klärten, wobei die untere Flüssigkeit
                              									nur schwach emulsirt blieb.
                           Die in solchen Lösungen getränkten und getrockneten Stücke wurden zusammen allen
                              									übrigen Behandlungen unterworfen, dann gefärbt und geschönt.
                           Die sich ergebenden Unterschiede in der Farbe der erhaltenen Muster erinnerten an
                              									diejenigen, welche bei den vorherigen Zubereitungen beobachtet wurden, nur in
                              									bedeutend ausgeprägterer Form: die reinste und zugleich die am wenigsten satte Farbe
                              									hatte das Stück, welches mit dem reinen Alizarinöle aus löslichen Stoffen getränkt
                              									war; die übrigen Stücke verloren um so mehr an der Reinheit der Farbe, indem sie
                              									einen dunkel-gelblichen Ton annahmen, und gewannen um so mehr an Sattigkeit und
                              									Gleichmäſsigkeit, mit je gröſserer Menge Ricinusöl sie behandelt wurden. Dabei waren
                              									die gefärbten Stücke, entsprechend dem Gehalte an dem genannten Oele, mehr oder
                              									weniger fett anzufühlen, so daſs das letzte derselben (mit 75 Proc. Ricinusöl) sogar
                              									stellenweise dunkle fette Flecken besaſs. Aus der folgenden Tabelle ist der
                              									vollständige Zusammenhang zwischen den Sattigkeitsstufen der Farbe und den Gewichten
                              									der Stücke nach jeder Bearbeitung zu ersehen. Dabei sind die ursprünglichen Gewichte
                              									gleich 100 gesetzt und die Stücke nach dem zunehmenden Gehalte an Ricinusöl in den
                              									Oellösungen geordnet:
                           
                              
                                 Stücke
                                 Vor demOelen
                                 Nach demOelen
                                 Nach demAlaunen
                                 Nach demKreiden
                                 Nach demFärben undSchönen
                                 
                              
                                 1
                                 100
                                 113,01
                                 132,60
                                 114,65
                                 113,69
                                 
                              
                                 2
                                 100
                                 113,88
                                 133,05
                                 115,83
                                 115,55
                                 
                              
                                 3
                                 100
                                 115,17
                                 134,06
                                 116,96
                                 117,10
                                 
                              
                                 4
                                 100
                                 118,30
                                 136,61
                                 119,71
                                 120,00
                                 
                              
                           Diese Tabelle zeigt, daſs die Gewichte der Stücke schon nach dem Oelen verschieden
                              									sind (da in den zur Zubereitung genommenen Lösungen der Gehalt an den wasserfreien
                              									fetten Substanzen verschieden war) und sie bleiben verschieden nach allen anderen
                              									Behandlungen, mit allmählicher Zunahme von dem ersten zu dem letzten Stück. Auch
                              									bemerkt man, daſs die gefärbten Stücke, ebenso wie in der vorigen Tabelle, ihre
                              									Gewichte nach dem Kreiden verschieden änderten: das erste Stück verlor am meisten
                              									(0,96), das zweite weniger (0,28); das dritte gewann an Gewicht (0,14), ebenso wie
                              									das vierte, bei welchem die Zunahme noch bedeutender (0,29) war. Diese
                              									Gewichtsveränderungen der Stücke deuten darauf hin, daſs die Verluste der Faser an den
                              									fetten Substanzen bei dem Prozesse verschieden waren, entsprechend dem gröſseren
                              									oder kleineren Gehalte der Sulfoverbindungen in der Lösung, ebenso wie bei den
                              									früheren Versuchen.
                           Die von den gefärbten Stücken genommenen Proben wurden mit Seife-, Alkali-, Säure-
                              									und Chlorlösungen bearbeitet und es hat sich dabei gezeigt, daſs der Einwirkung
                              									dieser Reagentien am besten jene Proben widerstanden, welche mehr Ricinusöl
                              									enthielten. Indessen waren hier die Unterschiede in der Beständigkeit der Lacke
                              									schon sehr bedeutend. So verlor nach längerem Sieden mit Seifenlösung das mit dem
                              									Alizarinöle aus löslichen Substanzen getränkte Muster viel an der Sattigkeit der
                              									Farbe, während die übrigen, obwohl sie auch etwas an Sattigkeit einbüſsten, viel an
                              									Reinheit der Farbe gewannen. Dies gilt besonders für das Muster mit 75 Proc.
                              									Ricinusöl, welches nach dieser Bearbeitung eine viel bessere Farbe als früher
                              									aufwies. Ebenso erschien nach der Bearbeitung mit mäſsig starker Chlorkalklösung das
                              									erste Muster nur schwach gefärbt, während die übrigen noch eine ziemlich satte braun
                              									getönte Farbe hatten.
                           Beim Zusammenmischen des gewöhnlichen Alizarinöles mit dem unveränderten Ricinusöle
                              									und nach dem Tränken der Stücke mit solchen Lösungen wurden nach dem Färben ganz
                              									gleichartige Erscheinungen, wie bei den früheren Zubereitungen bemerkt. Solche
                              									Versuche wurden gemacht 1) mit dem Alizarinöle aus Ricinusöl und 2) mit solchem aus
                              									freier Oleïnsäure, in beiden Fällen unter Hinzufügen von 25, 50 und 75 Proc.
                              									Ricinusöl, wobei die gefärbten Stücke desto mehr an Reinheit verloren und an der
                              									Sattigkeit der Farbe gewannen, je mehr die entsprechenden Lösungen von dem
                              									unveränderten Oele enthielten. Dem entsprechend fühlten sich die Stücke mehr und
                              									mehr fett an und wurden schwerer, wie die folgende Tabelle zeigt:
                           
                              
                                 Alizarinöl aus Ricinusöl
                                 Alizarinöl aus Oleïnsäure
                                 
                              
                                 Stücke
                                 Alizarin-öl
                                 Ricinus-öl
                                 Anfangs-gewicht
                                 Schluſs-gewicht
                                 Stücke
                                 Alizarin-öl
                                 Ricinus-öl
                                 Anfangs-gewicht
                                 Schluſs-gewicht
                                 
                              
                                 1
                                 100
                                 –
                                 100
                                 115,02
                                 1
                                 100
                                 –
                                 100
                                 114,30
                                 
                              
                                 2
                                   75
                                 25
                                 100
                                 116,64
                                 2
                                   75
                                 25
                                 100
                                 116,00
                                 
                              
                                 3
                                   50
                                 50
                                 100
                                 118,25
                                 3
                                   50
                                 50
                                 100
                                 117,68
                                 
                              
                                 4
                                   25
                                 75
                                 100
                                 119,90
                                 4
                                   25
                                 75
                                 100
                                 119,35
                                 
                              
                           Die mitgetheilten Versuche entscheiden auf solche Weise in bestimmtem Sinne die Frage über die Möglichkeit der Mitwirkung des
                              									unveränderten Glycerides in dem Prozesse der Türkischrothfärberei, da das Glycerid
                              									durch seine Anwesenheit (sogar in so groſsen Mengen wie 75 Procent von dem Gewichte
                              									der fetten Substanzen) den Gang der Lackbildung nicht im mindesten beeinträchtigt.
                              									Diese Versuche zeigen weiter, daſs der Einfluſs, welchen das Glycerid auf die
                              									Beschaffenheit des Lackes ausübt, in mancher Hinsicht jenem ähnlich ist, welchen die
                              										unlöslichen
                              									Bestandtheile des
                              									Sulfurirungsproductes des Ricinusöles auf den Lack ausüben. Deswegen kann man es als
                              									sehr wahrscheinlich betrachten, daſs die Wirkung dieser unlöslichen Substanzen
                              									thatsächlich von der Anwesenheit des in denselben
                                 										vorhandenen unveränderten Oeles abhängt.
                           Einige Unterschiede, die man beim Behandeln mit unlöslichen Bestandtheilen des
                              									Sulfurirungsproductes des Oeles und beim Behandeln mit unverändertem Oele bemerkt,
                              									sind mehr quantitativer, als qualitativer Natur. So sind alle Eigenschaften des
                              									Türkischrothlackes, welche sich in Verminderung der Reinheit und Vergröſserung der
                              									Sattigkeit der Farbe ausdrücken, schärfer ausgeprägt beim Tränken mit unverändertem
                              									Glycerid, als bei Verwendung von Alizarinöl aus unlöslichen Stoffen der Sulfurirung.
                              									Auſserdem macht das letztgenannte Oel die gefärbten Stücke fast gar nicht fett,
                              									während dies sehr hervortritt beim Zufügen von 50 und 75 Proc. unveränderten Oeles
                              									zum Alizarinöl aus löslichen Substanzen, Im Zusammenhange mit diesen Unterschieden
                              									stehen auch jene Emulsionserscheinungen, welche schon in der Lösung mit 25 Proc. Oel
                              									bemerkbar sind und die niemals in den klaren Lösungen des Alizarinöles aus
                              									unlöslichen Stoffen der Sulfurirung vorkommen.
                           Alle die hervorgehobenen Unterschiede erlauben die Annahme, daſs der Gehalt an
                              									unverändertem Glycerid in dem unlöslichen Theile des sulfurirten Oeles nicht besonders bedeutend istAuſser den Glyceriden bestehen die unlöslichen Körper (nach den bis jetzt
                                    											gemachten Untersuchungen) aus fetten Säuren, theilweise verändert durch den
                                    											Oxydationsprozeſs., er kann aber verschieden sein, je nach dem
                              									Grade der Sulfurirung, aus welchem Grunde wahrscheinlich auch einige Alizarinöle
                              									keine klaren Lösungen, sondern nur Emulsionen, bei jedem beliebigen Zusätze von
                              									Alkali geben. Die oben angeführten Versuche zeigen genügend klar, daſs das
                              									unveränderte Glycerid, indem es in den Oelbeizen enthalten ist, nicht bloſs als
                              									Ballast erscheint, sondern eine gewisse nützliche Rolle spielt; aber aus denselben
                              									Versuchen folgt auch, daſs es unrichtig wäre, die ganze Bedeutung der Alizarinöle in
                              									der Türkischrothfärberei ausschlieſslich dem unveränderten Glyceride zuzuschreiben
                              									und anzunehmen, daſs die sulfofettsaueren Verbindungen der Hauptsache nach nur als
                              									Lösungsmittel zum bequemeren Auftragen des Glycerides auf die Faser – wie es Müller-Jacobs behauptet – dienen. Im Gegentheile ist es
                              									sehr wahrscheinlich, daſs die Sulfoverbindungen eine viel wichtigere und, man kann
                              									sagen, die hauptsächlichste Rolle in dem Prozesse haben, indem sie eine der
                              									werthvollsten Eigenschaften des Türkischrothlackes: die Reinheit und das Feuer der
                              									rothen Farbe bedingen. Dabei ist allerdings das unveränderte Glycerid auch
                              									unzweifelhaft nützlich, indem es die Sattigkeit, Gleichmäſsigkeit und Echtheit der
                              									Farbe beeinfluſst. Es ist aber nützlich nur in einem gewissen begrenzten
                              									Mengenverhältnisse; in gröſserer Masse beeinträchtigt es den Farbton und erfordert
                              									zu seiner Beseitigung – und damit zur Herstellung der Reinheit der Farbe – eine sehr
                              									starke Schönung. Die Richtigkeit des Gesagten wird auch durch den Umstand
                              									bekräftigt, daſs es, wie bekannt, Alizarinöle gibt, welche aus freien fetten Säuren
                              									allein dargestellt werden und allen Ansprüchen genügen, die an solche Oelbeizen
                              									gestellt werden. Obwohl bis jetzt keine genauen Untersuchungen über die relative
                              									Echtheit der mit solchen Oelen dargestellten Lacke gemacht sind, so unterliegt es
                              									doch keinem Zweifel, daſs diese Lacke, was die Reinheit und Schönheit der Farbe
                              									betrifft, mit Erfolg mit den Lacken wetteifern können,
                              									welche mit den Alizarinölen aus den Glyceriden dargestellt sind.In meiner eigenen Praxis gebrauche ich schon einige Jahre Alizarinöl aus
                                    											freier Oleïnsäure und zugleich solches aus Ricinusöl. Obwohl das erstere dem
                                    											letzteren in mancher Hinsicht nachsteht, so übertrifft es doch viele von mir
                                    											geprüfte Oele, welche aus Glyceriden gewonnen sind.
                           Zur Erklärung, wie die Mitwirkung der sulfosauren Verbindungen und des Glycerides in
                              									dem Prozesse der Türkischrothlackbildung sich äuſsert, kann man die Eigenschaften
                              									dieser Substanzen benutzen. So viel steht fest, daſs die sulfosaueren Verbindungen
                              									bei der Zubereitung (unter dem Einflüsse der Erwärmung) sich zersetzen, wobei sich
                              									aller Wahrscheinlichkeit nach oxydirte fette Säuren ausscheiden, welche sich auch
                              									schon fertig gebildet in dem Alizarinöle befinden. Diese Säuren verbinden sich chemisch mit der Thonerde und dieses Einwirkungsproduct
                              									hat die Fähigkeit, seinerseits wieder mit dem Alizarin in Verbindung zu treten und
                              									so die Farbe des Lackes hervorzurufen.Dieselbe Farbe kann durch gewöhnliche fette Säuren entstehen, aber in viel
                                    											schwächerem Grade, wie es viele Versuche mit auf diese Weise gebeizter Faser
                                    											zeigen. Die sich bildende dreifache Verbindung ist schon für sich
                              									echt und hat überhaupt alle Eigenschaften des Türkischrothlackes; sie wird aber noch
                              									echter und im gewissen Sinne günstig verändert (die Farbe gewinnt an Sattigkeit,
                              									Glanz und Gleichmäſsigkeit) in Gegenwart des neutralen Glycerides, welches physikalisch auf diesen Türkischrothlackkern wirkt, indem es denselben mit einer beständigen und
                              									das Licht günstig zurückstrahlenden fetten Hülle umgibt. Möglich ist es auch, daſs
                              									diese Hülle die Abgabe des Hydratwassers verhindert, welches, wie Müller-Jacobs richtig bemerkt, bei vielen Lacken einen
                              									groſsen Einfluſs auf die Schönheit der Farbe hat. Es ist sehr wahrscheinlich, daſs
                              									den gleichen physikalischen Einfluſs auf den Lack auſser den neutralen fetten
                              									Körpern auch etwa vorhandene freie Fettsäuren ausüben können, obwohl eine aus diesen
                              									Säuren gebildete Hülle nicht so beständig sein kann, wie eine solche aus dem
                              									Glyceride.
                           Nach dem über die Wirkung der Alizarinöle im Prozesse der Türkischrothfärberei
                              									Gesagten wird es nicht schwer, sich auch eine Vorstellung von dem Vorgange bei der
                              									alten Vorbereitung der Faser mit dem Tournantöle zu
                              									machen. Wenn wir annehmen, daſs bei diesem Prozesse eine mehr oder minder vollständige Zersetzung des
                              									Glycerides (unter dem Einflüsse der Alkalien, Fermente und der Erwärmung) stattfand,
                              									wobei die ausgeschiedenen fetten Säuren zum Theile oder ganz in die oxydirte Form
                              									übergingen (unter dem Einflüsse des Luftsauerstoffes und des Sonnenlichtes), so
                              									werden wir eine vollkommene Uebereinstimmung zwischen dem alten und dem neuen
                              									Verfahren der Beize finden. Aus einigen Umständen kann man aber schlieſsen, daſs bei
                              									der Vorbereitung der Faser mit dem Tournantöle der gebildete Lack in den meisten
                              									Fällen viel mehr von dem unveränderten Oele enthielt, als bei der Vorbereitung mit
                              									dem Alizarinöle. Daraufhin deuten z.B. die Thatsachen, daſs bei dem alten Verfahren
                              									die gefärbten Stoffe immer sehr fett anzufühlen waren, ein längeres und stärkeres
                              									Schönen erforderten und, wie sehr wahrscheinlich, daſs sie sich durch gröſsere
                              									Echtheit der Farbe auszeichneten, im Vergleiche zu der jetzigen Waare, die nach dem
                              									Tränken mit dem Alizarinöle gefärbt wird, welches in den meisten Fällen nur wenig
                              									oder nichts von dem unzersetzten Glyceride enthält.
                           Wenn wir in Betracht ziehen, daſs die relativen Mengen der fetten Säuren und des
                              									Glycerides in den Lacken sehr verschieden sein können (wie es auch die oben
                              									mitgetheilten Versuche zeigen), so daſs einerseits das Glycerid vollständig fehlen
                              									kann, andererseits die fetten Säuren in sehr kleinen Mengen anwesend sein können,
                              									und daſs bei der alten Methode des Oelens diese Verschiedenheit noch gröſser sein
                              									konnte als jetzt (wegen der veränderlichen und schwer zu regelnden Umstände bei dem
                              									Prozesse), so werden jene Widersprüche in den Angaben verschiedener Forscher,
                              									hinsichtlich der Beschaffenheit und Menge der genannten fetten Körper in dem
                              									Türkischrothlack begreiflich, welche zur Aufstellung der bald rein chemischen, bald
                              									rein physikalischen Theorien Anlaſs gaben. Den Vertheidigern der Theorien letzterer
                              									Art kann man auſser dem früher Gesagten noch die einfache Betrachtung entgegen
                              									halten, daſs, wenn der ganze Sinn des Oelens in der Türkischrothfärberei nur in dem
                              									möglichst starken Auftragen des unzersetzten Glycerides auf die Faser bestände, dies
                              									durch viel einfachere Mittel erreichbar wäre als durch die umständlichen und
                              									langwierigen Arbeiten der alten Methode des Oelens, oder sogar als durch die zur
                              									Zeit gebräuchlichen Methoden der vorhergehenden Umwandlung der fetten Oele zu
                              									Producten von so verwickelter Zusammensetzung, wie es die sogenannten Alizarinöle
                              									sind.
                           Sokolow'sche Manufactur von Asaff Baranoff, Juli 1886.