| Titel: | Künstliche Darstellung der aktiven Coniine. | 
| Fundstelle: | Band 262, Jahrgang 1886, S. 421 | 
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                        Künstliche Darstellung der aktiven
                           								Coniine.
                        Ladenburg, über künstliche Darstellung der aktiven
                           								Coniine.
                        
                     
                        
                           A. Ladenburg (Berichte der deutschen chemischen
                                       										Gesellschaft, 1886 S. 2578) ist es gelungen, das Coniin, jenes den giftigen Bestandtheil des Schierlings (Conium maculatum L.) ausmachende Alkaloid, künstlich
                              									darzustellen. Nachdem erkannt worden war, daſs das Coniin als ein α-Propylpiperidin aufzufassen
                              									sei, versuchte Ladenburg diesen Körper durch Erhitzen
                              									von Jodpropyl sowohl, wie von Jodisopropyl mit Pyridin zu erhalten.
                              									Indessen entstand in beiden Fällen dasselbe α-Isopropylpyridin, welches bei der Wasserstoffaddition
                              										α-Isopropylpiperidin lieferte, eine dem Coniin zwar nahestehende, aber bestimmt davon
                              									verschiedene Base.
                           Da dieser Weg nicht zu dem gewünschten Ziele führte, so bediente sich Ladenburg des von Jacobsen
                              									und Reimer bezieh. v. Miller
                                 										und Spady benutzten Verfahrens zur Darstellung von Aldehyden der
                              									Chinolinreihe (vgl. 1886 262 48). α-Picolin wurde mit Paraaldehyd in
                              									zugeschmolzenen Röhren 10 Stunden lang auf 250 bis 260° erhitzt und das
                              									Reactionsproduct in stark saurer Lösung mit Wasserdämpfen so lange destillirt, bis
                              									kein Oel mehr überging. Der Rückstand wurde mit Alkali übersättigt und abermals mit
                              									Wasserdämpfen destillirt, wobei zuerst Picolin, später aber ein Oel übergeht, das,
                              									für sich aufgefangen und über Kali getrocknet, nach vielmaliger Fractionirung bei
                              									187,5 bis 192,5° siedet und sich bei der Analyse als Allylpyridin erwies. Diese Base ist stark lichtbrechend, in Wasser schwer
                              									löslich, färbt beim Stehen über Kali sich und das Kali roth und besitzt deutlichen
                              									Geruch nach Conyrin. Das Platin-, Gold-, Quecksilber-
                              									und Jodcadmiumsalz scheiden sich aus wässeriger Lösung zuerst ölig aus, erstarren
                              									aber dann zu Krystallen. Um festzustellen, ob dieses Allylpyridin auch wirklich der
                              										α-Reihe angehöre, wurde dasselbe nach der Weidel'schen Methode oxydirt und ein in heiſsem Wasser
                              									vollständig lösliches Kupfersalz erhalten, aus welchem die bei 133° schmelzende, in
                              									Wasser leicht lösliche Picolinsäure abgeschieden werden
                              									konnte.
                           Die Reduction des α-Allylpyridins zu α-Propylpiperidin wurde in alkoholischer Lösung durch
                              									Natrium bei Siedetemperatur vorgenommen und lieferte nahezu quantitative Ausbeute.
                              									Die aus dem mittels Alkohol umkrystallisirten Chlorhydrat abgeschiedene Base siedet
                              									der Hauptmenge nach bei 166 bis 167° und erwies sich als identisch mit Coniin. Geruch und Verhalten gegen Wasser stimmen vollkommen
                              									überein, das specifische Gewicht ist gleich, Platin-, Gold-, Jodcadmiumsalz beider
                              									Basen haben dieselben Eigenschaften und das α-Propylpiperidin läſst sich in ganz gleicher Weise in Conyrin überführen wie das Coniin; das aus α-Propylpiperidin gewonnene Rohconyrin zeigt sogar dieselbe charakteristische
                              									blaue Fluorescenz wie das aus Coniin erhaltene, eine Eigenschaft, welche dem reinen Conyrin nicht zukommt. Auch die Krystalle der
                              									Platinsalze beider Conyrine erwiesen sich sowohl ihrer Form, als ihrem optischen Verhalten nach als
                              									vollkommen identisch. Die physiologischen Wirkungen des α-Propylpiperidins sind genau übereinstimmend mit denen des Coniins, nicht
                              									nur hinsichtlich der qualitativen Erscheinungen nach der Vergiftung von Thieren mit
                              									diesen Basen, sondern auch hinsichtlich der letalen und aletalen Dosen. Diese
                              									stellten sich bei einem Versuche mit weiſsen Mäusen, berechnet auf 1k Körpergewicht, wie folgt:
                           
                              
                                 
                                 Letal
                                 Aletal
                                 
                              
                                 Bei Coniin
                                 0,07583
                                 0,07495
                                 
                              
                                 Bei α-Propylpiperidin
                                 0,07580
                                 0,07483
                                 
                              
                           Indessen erwies sich das künstliche α-Propylpiperidin
                              										physikalisch isomer mit dem Coniin; denn das
                              									salzsaure α-Propylpiperidin schmilzt bei 203 bis 205°,
                              									während der Schmelzpunkt des salzsauren Coniins bei 217,5 bis 218,5° liegt, und
                              									ferner ist die künstliche Base optisch inactiv, während
                              									natürliches Coniin nach rechts polarisirt. Ladenburg
                              									versuchte nun das α-Propylpiperidin in seine beiden optisch activen Isomeren zu spalten und dies ist ihm
                              									auch durch Krystallisation der Salze gelungen. Ein Krystallsplitter von saurem
                              									rechtsweinsaurem Coniin wurde in eine durch rasches Eindampfen sehr concentrirt
                              									erhaltene Lösung von α-Propylpiperidinbitartrat
                              									gebracht und die langsam beginnende Krystallisation durch Rühren befördert. Nach 5
                              									bis 6 Tagen war ein Krystallbrei entstanden, der auf Flieſspapier gebracht wurde,
                              									welches die syrupöse Mutterlauge langsam aufsaugte. Die stark abgepreſsten und
                              									dadurch trocken erhaltenen Krystalle wurden nun mit Kali zerlegt und die Basis
                              									abdestillirt. Nach dem Trocknen, im Laurent'schen
                              									Halbschattenapparate untersucht, erwies sich die Base als optisch activ und zwar rechtsdrehend mit einem Drehungswinkel von + 11° 46' im
                              										10cm-Rohre, während die natürliche Base unter
                              									denselben Umständen eine Drehung von + 11° 40' zeigt. Daraus berechnet sich für das
                              										α-Propylpiperidin αD =
                              									13°87' und für Coniin αD = 13° 79'. Auſserdem wurde
                              									jetzt der Schmelzpunkt des Chlorhydrats der künstlichen optisch activen Base zu 217,5° gefunden, gegenüber dem des salzsauren
                              									Coniins zu 217,5 bis 218,5°. Sonach unterliegt es keinem Zweifel, daſs das rechtsdrehende α-Propylpiperidin identisch ist mit dem
                              										natürlichen Coniin.
                           Es war nun sehr wahrscheinlich, daſs der von dem Flieſspapiere aufgenommene Syrup die
                              										linksdrehende Modification des α-Propylpiperidins enthalten werde. Es wurde deshalb
                              									daraus die Basis dargestellt und diese optisch untersucht; sie zeigte eine
                              									Linksdrehung von 4° 30', was darauf hinwies, daſs sie noch durch Rechts-α-Propylpiperidin verunreinigt war. Zur Trennung beider
                              									Modificationen stellte Ladenburg das Jodcadmiumsalz
                              									dar, welches aus seiner wässerigen Lösung ölig ausfiel, aber alsbald krystallinisch
                              									erstarrte. Die Krystalle wurden von der Mutterlauge getrennt, umkrystallisirt und
                              									die Krystalle sowohl wie die Mutterlauge auf Basis verarbeitet. Die Basis aus den
                              									Krystallen zeigte ein Drehungsvermögen von – 12° 48' im 10cm-Rohre. Die Basis aus der Mutterlauge genügte nicht zur
                              									Füllung des Rohres und wurde deshalb in 50procentiger alkoholischer Lösung
                              									untersucht, wobei eine Drehung von – 3° 30' beobachtet wurde, während natürliches
                              									Coniin in 50procentiger alkoholischer Lösung eine Drehung von 3° 10' aufweist.
                              									Daraus geht hervor, daſs es Ladenburg gelungen ist,
                              									auch das Linksconiin in nahezu reinem Zustande zu
                              									isoliren.
                           Durch diese Versuche ist die erste vollständige künstliche Darstellung eines
                              									Alkaloides verwirklicht worden, wenn man unter Alkaloiden diejenigen Pflanzenbasen
                              									begreift, welche zu dem Pyridin in näherer Beziehung stehen, oder überhaupt einen
                              									Stickstoff haltigen Kern besitzen. An den Piperidinbasen hat nun Ladenburg (a. a. O. S. 2584) auch eine Prüfung der Le Bel-van't Hoff'schen Hypothese vorgenommen. Aus dem
                              									beistehenden Schema ist ersichtlich, daſs im α-Propylpiperidin nur das mit einem Sterne versehene, mit der Gruppe C3H7 in Verbindung
                              									befindliche Kohlenstoffatom als asymmetrisch betrachtet
                              									werden kann.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 262, S. 423
                              
                           Daraus folgt, daſs alle α-Alkylderivate des Piperidins in optisch active Isomere sich spalten lassen
                              									müssen. Dies hat an dem α-Pipecolin sowie an dem α-Aethylpiperidin bestätigt werden können, die sich
                              									ebenfalls mit Hilfe ihrer rechtsweinsauren Salze in optisch active Körper spalten
                              									lassen. Das α-Pipecolin ist wahrscheinlich schon rein
                              									erhalten worden; es kommt demselben ein specifisches Drehungsvermögen von 21,8° zu.
                              									Soweit hat sich die Theorie also bestätigt; es fragt sich nun noch, ob die β- und γ-Derivate des Piperidins einer gleichen
                              									Spaltung fähig sind, was nach der Theorie nicht der Fall sein dürfte. Hierüber
                              									müssen noch weitere Versuche entscheiden. (Vgl. auch 1884 253 254. 535. 1885 256 48.)
                           Im Anschlüsse an diese Mittheilungen sei nochmals darauf hingewiesen, daſs es Ladenburg (vgl. 1886 259
                              									148) gelungen ist, durch Reduction von Trimethylencyanür mit Natrium in alkoholischer Lösung Pentamethylendiamin (Piperidin) und Pentamethylendiamin, letzteres als
                              									Hauptreactionsproduct, darzustellen. Schon damals sprach Ladenburg die Vermuthung aus, daſs das Pentamethylendiamin in nächster Beziehung zu den von Brieger aus faulendem Fleische dargestellten Basen
                              									stehe. Diese Erwartung hat sich bestätigt; vergleichende Untersuchungen von Ladenburg und Brieger (Berichte
                                 										der deutschen chemischen Gesellschaft, 1886 S. 2585) haben erwiesen, daſs
                              									das Pentamethylendiamin identisch ist mit einer aus
                              									Leichen isolirten und mit dem Namen Cadaverin belegten
                              									Base. Siedepunkt, Löslichkeitsverhältnisse, Geruch sowie die qualitativen Reactionen
                              									sind bei beiden Basen völlig gleich und auſserdem gelang es Ladenburg, das Cadaverin in Piperidin überzuführen, so daſs an der
                              									Uebereinstimmung beider Körper nicht mehr zu zweifeln ist.