| Titel: | Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und Sprengtechnik. | 
| Autor: | Oscar Guttmann | 
| Fundstelle: | Band 263, Jahrgang 1887, S. 148 | 
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                        Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und
                           								Sprengtechnik.
                        (Patentklasse 18. Fortsetzung des Berichtes Bd.
                           								261 S. 25.)
                        Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und
                           								Sprengtechnik.
                        
                     
                        
                           Die Deutsche Sprengstoff-Actiengesellschaft in Hamburg
                              									(D. R. P. 36061 vom 3. October 1885) stellt eine feinkörnige
                                 										Nitrocellulose aus den Früchten des Steinnuſsbaumes dar. Die Steinnuſs,
                              									welche in ausgedehntem Maſse zu Knöpfen verarbeitet wird, ist bekannt; sie ist
                              									auſserordentlich hart und spröde, enthält bis zu 92 Proc. Cellulose und nur wenig
                              									fremde Stoffe; die Zellen sind sechseckig und durchlöchert. Die Frucht wird
                              									zerkleinert, mit alkalischer Lauge gekocht, gewaschen, getrocknet und nitrirt. Das
                              									Product ist körnig, sandartig, glatt und nicht faserig. Das Steinnuſspulver wird eben seiner
                              									groſsen Dichtigkeit wegen eine vollständige Nitrirung schwierig machen. Wenn es
                              									dagegen gelingt, auf bequeme Weise die so erhaltene Nitrocellulose zu pressen, so
                              									wird das specifische Gewicht weit höher als das der gepreſsten Schieſswolle sein,
                              									womit gerade für jene Zwecke, denen Nitrocellulose dient, ein wesentlicher Vortheil
                              									verbunden ist. Diese zwei Bedenken sind jedoch keineswegs leicht zu überwinden und
                              									man muſs deshalb abwarten, wie dies gelingen wird, ehe ein Urtheil über diese
                              									Erfindung gefällt werden darf.
                           Das braune prismatische Pulver, welches so viel von sich
                              									reden macht (vgl. auch 1885 258 221), ist noch immer in
                              									Dunkel gehüllt, welches durch die Erzeuger absichtlich vergröſsert wird.
                              									Ursprünglich nannte man es Cacao-Pulver, später hieſs es, die Kohle sei aus Torfmull
                              									gemacht. Nun erfährt Referent wieder, daſs man in der Fabrik allerdings einen Haufen
                              									Torfstreu geheimniſsvoll zugedeckt halte und jeden Fremden daran ängstlich vorbei
                              									führe, daſs aber in Wirklichkeit Roggenstroh dazu mit
                              									überhitztem Dampf gedarrt werde, welches man für die neue Fabrik in Chilworth
                              									(England) sogar aus Deutschland einführte. Es sei hier auch diese Auffassung ohne
                              									Einwendung verzeichnet, obzwar der Gewährsmann versichert, er habe dies unter
                              									Umständen erfahren, welche einen Irrthum ausschlieſsen. Das braune Pulver findet bei
                              									den verschiedenen Heeresverwaltungen immer mehr Eingang und es scheint für schwere
                              									Geschütze allgemein benutzt zu werden. Dagegen soll es sauer reagiren und dadurch
                              									einen Einfluſs auf die Rohr wände befürchten lassen, was wohl übertrieben sein
                              									mag.
                           Max Freiherr v. Wendland in Bernried (D. R. P. 36718 vom
                                 									15. Januar 1886) hat sich die Herstellung von Patronenhülsen
                                 										bezieh. eines Sprengstoffes aus Schieſsbaumwolle schützen lassen: 100 Th.
                              									Schieſsbaumwolle werden mit einer wässerigen Lösung von 12 Th. chlorsaurem Kali
                              									durchtränkt und dann bei 62 bis 75° langsam getrocknet. Diese Wolle wird darauf
                              									mittels einer Brause mit Collodium übergössen, bis eine gallertartige Masse
                              									entstanden ist, welche sodann auf starke Glasplatten gegossen, mit Metallwalzen zu
                              									Blättern gewalzt, nach einigem Trocknen abgehoben und zwischen Walzen zu dünnen
                              									Blättern geformt wird. Die Blätter schneidet man in passende Streifen, wickelt sie
                              									um einen Dorn, legt die Enden über einander, bestreicht sie mit Collodium und walzt
                              									rasch durch. Man hat nun nach Einsetzung eines gewöhnlichen Patronenzünders eine
                              									fertige Hülse aus einem Explosivstoffe. Zur Bereitung des Pulvers wird die wie oben hergestellte Schieſswolle zerkleinert, auf je
                              									100 Th. 12 bis 14 Th. 4procentiges Collodium gespritzt, getrocknet und in die
                              									gebildete Hülse eingeladen.
                           Unter dem Titel „Les Explosifs
                                    											modernes“ hat Paul F. Chalon in Paris
                              									(bei E. Bernard und de. für 20 Franken) ein
                              									umfangreiches Werk über die heutigen Explosivstoffe erscheinen lassen. Dieses Buch
                              									ist nicht zu empfehlen; wenn es Referent hier erwähnt, so geschieht dies, um
                              									Verwahrung einzulegen gegen die Art, wie der Verfasser und mit ihm eine Anzahl
                              									anderer Schriftsteller in neuerer Zeit groſse Abhandlungen erscheinen lassen. In der Société des Ingénieurs civils in Paris (17. Juli 1886) hat ihm Hr. Hervegh nachgewiesen, daſs der gröſste Theil seines
                              									Buches aus dem amerikanischen Werke von Emanuel Eissler; The
                                 										modern high explosives (New-York 1884) Wort für Wort abgeschrieben sei.
                              									Dies geschah in der That so arg, daſs Chalon z.B., als
                              									er in der Zusammensetzung eines Pulvers das Wort „dead-oil“ nicht übersetzen konnte, es ruhig abschrieb. Nun hat Eissler selbst nichts Anderes gethan, als aus den
                              									Werken von Lauer, Trauzl, Heyne und Mahler ein neues Buch zusammengestellt. Da ist denn Chalon, welcher Direktor einer Dynamitfabrik in Belgien
                              									sein soll, etwas Menschliches unterlaufen. Im J. 1869 hat Prof. Rzika in seiner Tunnelbaukunst Regeln über die Anlage
                              									von Schüssen für das damals allein verwendete Sprengpulver gegeben und dieselben mit
                              									Abbildungen begleitet. Später hat ein Amerikaner Drinker ein Werk: Tunnelling, „frei“
                              									bearbeitet; Eissler schrieb von Drinker ab, Chalon nahm von Eissler und so finden sich denn in Chalon's Werke, 17 Jahre nach der Erfindung des von ihm
                              									selbst auch erzeugten Dynamites, die Rziha'schen Bilder
                              									in photographischer Verkleinerung, trotzdem sie nur für Pulver gelten. Was Chalon aus Eigenem hinzugesetzt, ist zum gröſsten
                              									Theile so unsinnig, daſs wir den Leser mit Näherem verschonen. Es war aber
                              									nothwendig, einmal gegen diese Gattung von Büchern aufzutreten, um nicht mit
                              									gleichem Maſse gemessen zu werden.
                           In der englischen Pulverfabrik von Waltham-Abbey, wo die elektrische Beleuchtung schon seit längerer Zeit eingeführt ist, hat
                              									Oberst W. H. Noble ein eigenthümliches Mittel gefunden,
                              									um entfernter gelegene Gebäude zu beleuchten. Ein kleines elektrisches Boot, welches auf den überall befindlichen Kanälen fährt, ist
                              									zugleich Fahrzeug und Lichtquelle. Das Boot trägt eine Batterie von 30 Accumulatoren
                              									der Electrical Power Storage Company und einen kleinen,
                              									1,5 pferdigen Motor, welcher die Welle der Schiffsschraube bewegt. Das Boot wird im
                              										„Dynamohause“ geladen und die beiden Endpole der Accumulatoren sodann mit
                              									der Maschine verbunden, welche hierauf das Schiff an den Bestimmungsort bringt. Hier
                              									angelangt, werden die Pole mit den Drähten des Gebäudes verbunden. Das Boot macht
                              									nach dem Scientific American, 1886 Bd. 55 S. 193 5 bis
                              									6 Knoten in der Stunde (2m,57 bis 3m,08 in der Sekunde).
                           In den Crarae Steinbrüchen bei Loch Fyne (Schottland) wurde aus Anlaſs einer
                              									Jubiläumsfeier eine Riesenmine von 6350k Pulver
                              									abgethan. Unmittelbar nach dem Schusse ging eine Anzahl von Zuschauern in den
                              									Steinbruch, welcher unglücklicherweise nur einen schmalen Zufahrtsweg hatte. Bald
                              									darauf erfolgte das Unglück, daſs von den Explosionsgasen 7 Personen getödtet und 40
                              									bis 50 Personen bewuſstlos wurden. Unter der riesigen Steinmasse, welche durch die
                              									Explosion losgebrochen wurde, konnten die Gase nur spät zu Tage treten, sie kamen
                              									dann aber in so bedeutender Menge, daſs ihre Wirkung erklärlich ist. Es mag dies als
                              									Warnung auch für die Veranstalter solcher Riesenminen dienen.
                           Unter dem Titel: „Studier öfver Kanonkrut“
                              									(Studien über Geschützpulver) veröffentlicht A. Werner
                                 										Cronquist, Chemiker der Stockholmer Station der Marine-Minenabtheilung,
                              									einige Untersuchungen über die Haltbarkeil verschiedener
                                 										Pulver. Hiernach enthält das Pulver wechselnde Mengen von Chlor und Kalk,
                              									die mitunter ziemlich beträchtlich sind. So fand er z.B. Chlorgehalt in 10000 Theilen:
                           
                              
                                 Schwedisches
                                   5mm Pulver
                                       10 Th.
                                 
                              
                                 „
                                 6/10mm  „
                                 20
                                 
                              
                                 „
                                 15mm    „
                                 7–9
                                 
                              
                                 „
                                 23mm     „
                                 11
                                 
                              
                                 
                                    
                                    
                                 
                              
                                 Schwedisches
                                 35mm Pulver
                                       12 Th.
                                 
                              
                                 Norwegisches
                                 11,5mm    „
                                 20
                                 
                              
                                 „
                                   7mm       „
                                 23
                                 
                              
                                 Dänisches
                                 FKK Pulver
                                   9
                                 
                              
                                 „
                                 prismatisches Pulver aus Frederikswaerk
                                   9
                                 
                              
                                 „
                                 5mm Pulver CKB
                                   9
                                 
                              
                                 Deutsches
                                 grobkörniges Pulver aus Rottweil
                                   2
                                 
                              
                                 „
                                 braunes prismatisches Pulver aus Rottweil
                                   9
                                 
                              
                                 „
                                 50mm prismatisches Pulver
                                    											aus Düneberg
                                   2
                                 
                              
                                 „
                                 grobkörniges Pulver aus Hamm
                                 15
                                 
                              
                                 „
                                 prismatisches Pulver aus Hamm mit Kanälen
                                   5
                                 
                              
                                 Englisches
                                 P3 8mm Pulver
                                 18–32
                                 
                              
                                 „
                                 P2 1880 aus
                                    											Waltham-Abbey
                                   2
                                 
                              
                                 „
                                 P1 23mm
                                 18–25
                                 
                              
                                 „
                                 P von Curtis und Harvey
                                   6
                                 
                              
                                 „
                                 P von Waltham-Abbey
                                   3
                                 
                              
                                 „
                                 P von Pigou Wilks und
                                       											Laurence
                                 10
                                 
                              
                                 „
                                 P
                                   5
                                 
                              
                                 „
                                 R. L. G.
                                   7
                                 
                              
                                 „
                                 prismatisches mit 1 Kanal 1D
                                 2–5
                                 
                              
                                 „
                                            „            „  1     „     2R
                                   2
                                 
                              
                                 „
                                            „            „  1     „     1R
                                   6
                                 
                              
                                 „
                                            „            „  7 Kanalen
                                 13–16
                                 
                              
                                 „
                                 für 37mm
                                    											Nordenfeldt'sche Kanonen
                                   4
                                 
                              
                                 „
                                 Pigou Wilks und Laurence M. 1884
                                   9
                                 
                              
                                 Franzosisches
                                 SP3
                                   5
                                 
                              
                                 „
                                 30 bis 40mm aus
                                    											Sévran-Livry
                                   7
                                 
                              
                                 Belgisches 15mm
                                    											Pulver
                                 7–9
                                 
                              
                                 Nordamerikanisches Dupont-Geschützpulver
                                 16–19
                                 
                              
                                                 
                                    											„                     „     Spharohexagonal
                                 2–3
                                 
                              
                                 Amerikanisches (aus dem englischen
                                    											Marinelager)
                                 65–74
                                 
                              
                           Der Kalkgehalt wechselte folgendermaſsen:
                           
                              
                                 Schwedisches
                                   5mm Pulver
                                   7,0
                                 
                              
                                 „
                                 6/10mm   „
                                   6,2
                                 
                              
                                 „
                                 15mm      „
                                   8,1
                                 
                              
                                 „
                                 23mm      „
                                   5,3
                                 
                              
                                 „
                                 35mm      „
                                   8,4
                                 
                              
                                 Englisches P3
                                   8mm      „
                                   9,7
                                 
                              
                                         „        P1
                                  23mm      „
                                   6,3
                                 
                              
                                 Belgisches 15mm
                                    											Pulver
                                   5,5
                                 
                              
                                 Amerikanisches Pulver
                                 10,1
                                 
                              
                                 Englisches für 37mm
                                    											Nordenfeldt'sche
                                    											Geschütze                       
                                   0,6
                                 
                              
                                 Nordamerikanisches Dupont
                                   0,5
                                 
                              
                                                 „               
                                    											Sphärohexagonal
                                 Spuren
                                 
                              
                                 Englisches
                                 Waltham-Abbey
                                   1,1
                                 
                              
                                         „
                                 prismatisches mit 7 Kanälen
                                   0,7
                                 
                              
                                 Sévran 30 bis 40mm
                                    											Pulver
                                   1,2
                                 
                              
                                 Düneberger 50mm
                                    											prismatisches Pulver
                                   0,4
                                 
                              
                           Cronquist führt aus, daſs das im Salpeter als
                              									Verunreinigung enthaltene Chlornatrium auf die darin enthaltenen Kalksalze (CaSO4 u.s.w.) reagirt, so daſs Chlorcalcium an der
                              									Oberfläche gebildet wird. Dieses zieht Feuchtigkeit an, löst etwas Salpeter auf und
                              									in Folge der Capillarität des Kornes durchdringt die Lösung nach und nach das ganze
                              									Korn. Dadurch ist ein Theil des Salpeters entmischt und nicht mehr so gleichmäſsig
                              									im Pulver vertheilt; hierin sei der Grund dafür zu suchen, daſs Pulver nach längerem
                              									Lagern ungleich in seiner Wirkung wird.
                           
                           Cronquist gibt auch Lichtbilder von mikroskopischen Untersuchungen verschiedener Pulver, von
                              									denen insbesondere das norwegische 11mm,5
                              									Würfelpulver wegen seiner auffallend gleichmäſsigen Mischung sich auszeichnet.
                           Bei einem von Friedr. Gaens in Hamburg (D. R. P. Nr.
                                 									37631 vom 14. October 1885) angegebenen Schieſspulver
                              									soll kein Schwefel, aber ein Ammoniaksalz zugefügt
                              									werden, um Kaliumamid zu bilden, welches eine bei höherer Temperatur flüchtige
                              									Verbindung von explosivem Stickstoff-Kalium mit Ammoniak ist. Es ist hier
                              									hauptsächlich an den Zusatz von Ammoniak-Salpeter gedacht. Das Pulver soll ohne
                              									Rückstand mit wenig Rauch verbrennen und keine die Läufe angreifenden Gase
                              									entwickeln; letzteres steht aber ebenso im Widerspruche mit bekannten Eigenschaften
                              									des Ammoniaksalpeters, wie die bedeutende Wasseraufnahmefähigkeit desselben die
                              									früheren Versuche, Ammoniaksalpeter beizugeben, stets verhinderte.
                           H. St. Maxim in London (* D. R. P. Nr. 37430 vom 23.
                                 									Juni 1885) hat ein Verfahren angegeben, um Schieſspulver in Lagen oder Abtheilungen von verschiedener Korngröſse
                              									herzustellen, damit der Druck auf das Geschütz und das Geschoſs anfänglich klein sei
                              									und zum Schlusse erst wachse. Ein solches Verfahren ist umständlich und überdies
                              									erscheint es fast unmöglich, auf diesem Wege gleichmäſsige Patronen
                              									herzustellen.
                           F. Abel und Oberst Maitland
                              									in Woolwich haben in der Herbstversammlung des Iron and
                                 										Steel Institute einen Vortrag über die Zerstörung
                                 										der Geschützrohre durch Pulvergase gehalten. Nachtheilig wirke die hohe
                              									Wärme bei der Explosion, wodurch ein Erweichen, wenn nicht gar ein Schmelzen der
                              									Oberfläche bedingt wird, die Erhöhung dieser Wirkung durch den chemischen Einfluſs
                              									des Schwefels, endlich der mechanische Einfluſs der Explosionsproducte auf das
                              									erweichte Metall. Die Gefahr wird natürlich durch groſse Ladungen und langsame
                              									Verbrennung vergröſsert; während beispielsweise eine 178mm-Kanone noch 600 Schüsse aushielt, wird bei den neuen, für den
                              										„Benbow“ gelieferten 413mm-Geschützen
                              									die Dauer nur eine verhältniſsmäſsig kurze sein. Die Artilleristen haben deshalb
                              									ganz neue Prinzipien bei der Herstellung der Geschütze zu ersinnen.
                           Oscar Guttmann.