| Titel: | Ueber das Fahlberg'sche Saccharin. | 
| Autor: | St. | 
| Fundstelle: | Band 264, Jahrgang 1887, S. 569 | 
| Download: | XML | 
                     
                        
                        Ueber das Fahlberg'sche Saccharin.
                        Ueber das Fahlberg'sche Saccharin.
                        
                     
                        
                           Den früheren Angaben (vgl. S. 134 d. Bd.) über diesen Süſsstoff ist nach neueren, in
                              									der Zeitschrift für Rübenzucker-Industrie, 1886 Bd. 36
                                 									S. 949 veröffentlichten Mittheilungen und Untersuchungen folgendes hinzuzufügen.
                           Die Anhydro-Orthosulfamin-Benzoësäure oder das Benzoësäure-Sulfinid, wie man das sogen. Saccharin Fahlberg's kürzer bezeichnen kann, ist ein weiſses, amorphes, in Wasser,
                              									Alkohol und Aether lösliches Pulver, welches einen schwachen Geruch nach bitteren
                              									Mandeln und einen schwach mandelartigen, stark süſsen Geschmack besitzt. Es ist in
                              									kaltem Wasser schwer, in heiſsem weniger schwer, in Aether und Alkohol leicht
                              									löslich. Nach MossoVgl. Archivio per le szienze mediche, Turin 1886
                                    											Bd. 9 Nr. 22 S. 407.lösen 100cc
                              									destillirtes Wasser bei 25° 0g,4305, 100cc absoluter Alkohol etwa 3g Saccharin. Neutralisation der Lösung steigert
                              									die Löslichkeit. Das Saccharin schmilzt unter theilweiser Zersetzung bei 200° und
                              									zeigt dann deutlichen Geruch nach bitteren Mandeln.
                           Ueber Süſse und Geschmack sagt StutzerSaccharin, Prüfung seines physiologischen
                                       												Verhaltens. (Leipzig 1885.)
                              									, daſs es selbst in Verdünnung von 1 : 10000 noch stark
                              									süſs schmeckt. Aducco und Mosso fanden, daſs der Geschmack einer neutralisirten Lösung von 1g in 70000g
                              									destillirtem Wasser demjenigen einer Zuckerlösung von 1g in 250g Wasser an Süſse gleichkommt,
                              									und berechneten danach, daſs das Saccharin 280 mal so süſs wie gewöhnlicher Zucker
                              									sei. Um sich ein richtiges Urtheil über den Geschmack des Saccharins bilden zu
                              									können, ist es wesentlich, daſs man dasselbe nicht rein, sondern in richtiger
                              									Verdünnung genieſst; es ist eher als ein Gewürz zu betrachten, welches in reiner
                              									Form die Geschmacksnerven unangenehm reizt.
                           Sehr bemerkenswerth sind die antiseptischen Eigenschaften des Saccharins. Stutzer fand, daſs eine Fleischpeptonlösung, die bereits nach 12 stündigem
                              									Stehen in einem Zimmer von 200 trübe und übelriechend wurde und zahllose Bakterien
                              									enthielt, bei Zusatz von 0,01 Proc. Saccharin erst nach 24, bei 0,02 Proc. nach 48
                              									und bei 0,04 Proc. nach 60 Stunden Zersetzung und Bakterienbildung wahrnehmen lieſs.
                              									Eine 5 procentige Stärkezuckerlösung, die durch Zusatz von phosphorsaurem Kali und
                              									salpetersaurem Ammoniak eine für Bakterien günstige Nährlösung abgab, trübte sich
                              									nach 12 Stunden und enthielt zahlreiche Pilzkeime sowie Bakterien; bei Zusatz von
                              									0,05 Proc. Saccharin trat Zersetzung erst nach 3 Tagen, bei 0,10 Proc. erst nach 4
                              									und bei 0,2 Proc. erst nach o Tagen ein. Bei 3
                              									procentiger Zuckerlösung (gleichfalls Zusatz von phosphorsaurem Kali und
                              									salpetersaurem Ammoniak), die nach 12 Stunden sich trübte und Pilze, sowie auch
                              									Bakterien enthielt, trat bei Zusatz von 0,05 Proc. Saccharin Zersetzung des Zuckers
                              									und Bakterienbildung erst nach 48, von 0,10 Proc. nach 72 Stunden ein.
                           Was das Verhalten des Benzoesaure-Sulfinids im thierischen und
                              									menschlichen Organismus betrifft, so hatten die Patentinhaber bereits die völlige
                              									Unschädlichkeit des Saccharins auf dem Versuchswege nachgewiesen, ehe sie damit vor
                              									die Oeffentlichkeit traten, indem sie selbst jahrelang unausgesetzt Saccharin in den
                              									gröſsten Mengen, welche als Versüſsungsmittel täglich vom Menschen genossen werden könnten, zu sich
                              									nahmen, ohne die geringste Störung in der Thätigkeit ihres Körpers oder eine
                              									sonstige unangenehme Wirkung zu beobachten.
                           Stutzer stellte zur Beantwortung der
                              									Frage: Welchen Einfluſs übt Saccharin auf das Allgemeinbefinden des lebenden
                              									thierischen Organismus aus, Untersuchungen bei Kaninchen und Hunden an, welche keine
                              									schädlichen Wirkungen des Saccharins, sondern nur ein ganz normales Befinden der
                              									Thiere beobachten lieſsen, und folgert, da die Thiere die 50 fache Gabe dessen
                              									verzehrten, was ein Mensch im Tage genieſsen würde, daſs das Saccharin keinen
                              									schädlichen Einfluſs auf das Allgemeinbefinden ausüben kann.
                           Aducco und Mosso stellten sehr eingehende Versuche mit Fröschen, Hunden,
                              									Meerschweinchen und schlieſslich Menschen, an sich selbst wie mit Patienten, an, die
                              									ausschlieſslich günstige Ergebnisse lieferten, welche sie in folgende Sätze
                              									zusammenfassen: 1) Das in den thierischen Organismus eingeführte Saccharin geht in
                              									den Urin über, ohne irgend eine Veränderung zu erleiden. 2) Saccharin, mehrere Tage
                              									hinter einander und in groſsen Gaben genommen, hat keinen Einfluſs auf den
                              									Stoffwechsel. 3) Die Schwankungen, welche die Zusammensetzung des Urins in normalem
                              									Zustande zeigt, sind auch bei Zutritt des Saccharins zu beobachten. 4) Saccharin
                              									geht ausschlieſslich in den Urin über. 5) Saccharin geht weder in die Milch, noch in
                              									den Speichel über. 6) In den Magen und unter die Haut eingeführt, wird dasselbe sehr
                              									schnell absorbirt und findet sich in weniger als einer halben Stunde im Urin wieder.
                              									7) Saccharin ist ein sowohl für Menschen, als für Thiere vollkommen unschädlicher
                              									Stoff.
                           Hierzu bemerken die genannten Forscher noch: „Hinsichtlich der
                                 										Frage, ob Saccharin unschädlich ist oder nicht, würde man einwenden können, daſs
                                 										ein längerer Gebrauch des Stoffes Veranlassung zu Erscheinungen geben könnte,
                                 										welche zu beobachten wir wegen der verhältniſsmäſsig kurzen Dauer unserer
                                 										Untersuchungen keine Gelegenheit gehabt hätten. Dieser Einwand hat nur einen
                                 										scheinbaren Werth, wenn man bedenkt, daſs wir einem Hunde in nur 10 Tagen 37g Saccharin ohne irgend welchen Nachtheil für
                                 										denselben gegeben haben und daſs wir beide selbst jeder 5g Saccharin auf einmal und mehrere Tage hinter
                                 										einander genommen haben, ohne auch nur die geringste Veränderung in den
                                 										Functionen unseres Organismus zu beobachten.“
                           Aducco und Mosso
                              									ermittelten bei ihren sehr eingehenden Untersuchungen im physiologischen
                              									Laboratorium der Universität TurinDer medicinischen Akademie in Turin am 15. Mai 1886 vorgelegt und Anfang Juni
                                    											veröffentlicht in der Gazetta della Cliniche di
                                       												Torino, 1886 Nr. 14 und 15.die Wirkung desselben auf die
                              									alkoholische Gährung, auf die alkalische Gährung des Urins, auf die Verwesung des
                              									Pankreas-Infuses, auf die Milchgährung, auf Pepsin und auf Ptyalin und verglichen
                              									sie mit der anderer gährungswidriger Substanzen.
                           Die Versuchsergebnisse waren folgende:
                           1) Alkoholische Gährung: Saccharin setzt die Thätigkeit der
                              									Bierhefe bei einem Zusätze von 0,16 auf 100 deutlich herab und äuſsert seine
                              									Wirkung, welche lange Zeit andauert, sowohl bei 16, als auch bei 30°.
                           2) Alkalische Gährung des Urins: Saccharin verlangsamt den
                              									Gährungsprozeſs des Urins und zwar in reiner Lösung energischer als in
                              									neutralisirter. Saccharin übt eine lebhaftere Wirkung auf die alkalische Harngährung
                              									aus als die Salicylsäure.
                           3) Verwesung des Pankreas-Infuses: Saccharin verlangsamt den
                              									Fäulniſsprozeſs des Pankreas-Aufgusses beträchtlich und hemmt die Entwickelung von
                              									Fäulniſsbakterien.
                           4) Milchgährung: Saccharin verzögert die Thätigkeit des
                              									Milchfermentes; die beiden Umwandelungsprozesse des Milchzuckers in Milchsäure und
                              									der Caseїngerinnung halten bei Zusatz von Saccharin nicht gleichen Schritt, die
                              									Milchsäuregährung tritt früher ein.
                           
                           5) Pepsin: 0,032 bis 0,16 Proc. Saccharin in einer
                              									Pepsinflüssigkeit halten die Peptonisirung des coagulirten Eiweiſs nicht auf,
                              									sondern verlangsamen sie nur. 0,0064 Proc. Saccharin beeinflussen die Thätigkeit des
                              									Magensaftes in keiner Weise. Benzoësäure, in gleichen
                              									Gaben angewendet, übt dieselbe Wirkung aus. Salicylsäure ist hingegen wirksamer und
                              									verlangsamt die Peptonisirung des coagulirten Eiweiſs schon bei Zusatz von 0,0064
                              									Proc.
                           6) Ptyalin: Saccharin vermag in Gaben von 0,16 bis 0,23 Proc.,
                              									sowohl in saurer, als auch neutraler Lösung, die amylotytische Wirkung der
                              									Speicheldiastase zu schwächen; wirksamer zeigt sich eine neutrale Saccharinlösung.
                              									Saccharin in Lösung von 0,16 Proc. mit einer Acidität, welche der von 0,015
                              									Schwefelsäure entspricht, hat auf das Ptyalin eine geringere Wirkung als Salzsäure
                              									in einer 0,15 procentigen Lösung und mit einem Säuregehalte von 0,5 auf Tausend.
                              									Salzsäure in einer Stärke von 4 Tausendstel wirkt viel lebhafter. Salicylsäure hat
                              									eine stärkere Wirkung als das Saccharin in demselben Lösungsverhältnisse.
                              									Benzoesäure übt keine stärkere Wirkung aus als das Saccharin.
                           Die Verfasser empfehlen daher das Saccharin allen an Diabetes Leidenden, was bereits durch Leyden, Stutzer u.a. geschehen ist; ferner allen an
                              									Polysarcie (Verfettung) leidenden Personen, überall, wo sich im Magen abnorme
                              									Gährungsprozesse vollziehen, bei entzündlichen Prozessen der Blase und in Fällen, wo
                              									Desinfection des Darmkanales geboten ist. In letzterem Falle wird das Saccharin
                              									besonders als prophylaktisches Mittel empfohlen, da die
                              									Anwendung aller ähnlich wirksamen Mittel mit Uebelständen verknüpft sei.
                           Die vorstehend mitgetheilten Ergebnisse sind durch zahlreiche
                              									andere Untersuchungen, wie solche von LeydenBerichte des Vereins für innere Medicin, 1886 S.
                                    											292., Gerhardt, SalkowskyVirchow's Archiv,
                                    											Juli 1886., Wagner, VulpiusPharmaceutische Post, 1886 Nr. 14.
                              									u.a. bestätigt worden.
                           Was die Verwendung des Benzoësäure-Sulfinids betrifft, so wird sich dieselbe vor der
                              									Hand auf die Pharmacie erstrecken und sich hier dasselbe als Genuſsmittel für
                              									Diabetiker, als Geschmack verbesserndes Mittel, zur Herstellung und Haltbarmachung
                              									von pharmaceutischen Präparaten einführen und bald Bedeutung erlangen. Der
                              									Verwendung in der Industrie, wie zur Herstellung von Liqueuren, Schaumwein,
                              									Conserven u.s.w., steht einstweilen noch der hohe Preis dieses Präparates (etwa 100
                              									M. das Kilogramm) entgegen. An eine Verwendung in Küche und Haus kann nicht gedacht
                              									werden, da die groſse Kundschaft eine viel zu schwache Vorstellung von der geringen
                              									Menge hat, in welchem dieses Gewürz den Speisen zuzusetzen wäre. (Vgl. übrigens L. v. Wàgner 1887 264
                              									134.)
                           Der Nachweis des Saccharins ist so leicht zu führen,
                              									daſs es vergeblich sein würde, diesen Stoff als Fälschungsmittel etwa des Traubenzuckers benutzen zu wollen. Dieser
                              									Nachweis geschieht nach Reischauer (Deutsche
                                 										Zuckerindustrie, 1886 Nr. 4 S. 123) folgendermaſsen: Man zieht den zu
                              									untersuchenden Zucker mit Aether aus und filtrirt ab. Zeigt die Zuckerprobe
                              									alkalische Reactian, so wendet man eine concentrirte Lösung an, die mit
                              									Phosphorsäure angesäuert und gleichfalls mit Aether ausgeschüttelt wird. Durch
                              									Abdestilliren des Aethers wird das Saccharin im Rückstände erhalten und ist dann am
                              									raschesten durch vorsichtiges Schmelzen mit einem Gemenge von kohlensaurem Natron
                              									und Salpeter (6 : 1) zu erkennen, wodurch der Schwefel in Schwefelsäure übergeführt
                              										wird, welche als
                              									solche erkannt und sogar bei weniger als 0,1 Proc. Saccharin gewichtsanalytisch
                              									bestimmt werden kann. Die Darsteller des neuen Süſsstoffes beabsichtigen nicht,
                              									denselben als Fälschungsmittel zu benutzen, sondern wollen denselben sowie alle
                              									damit bearbeiteten Präparate durch eine Schutzmarke kenntlich in den Handel
                              									bringen.
                           
                              
                                 St.